Toni Morrison kennt den Kosmos der Afroamerikaner

Der Roman „Menschenkind“ von Toni Morrison zählt heute zu den wichtigsten Werken der amerikanischen Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Handlung spielt sich um das Jahr 1850 ab und ist in der ländlichen Gegend Ohios angesiedelt. In der Mitte des Romans kommen vier Weiße in einen kleinen Ort, in dem sie die entlaufende Negersklavin Sethe mit ihren vier Kindern vermuten. Die Frau ist von den Misshandlungen der Weißen so verstört, dass sie in einem Schuppen damit beginnt, ihre Kinder zu töten, um ihnen das elendige Dasein eines Negersklaven zu ersparen. Als die weißen Männer das Drama zu Gesicht bekommen, haben sie weder Mitleid noch Selbstzweifel.

Der Roman „Menschenkind“

Sie wenden sich ab und Toni Morrison hält ihre Gedanken fest: „Was für Verluste. Allesamt waren sie jetzt verloren. Fünf Stück. Schlagender Beweis dafür, was passierte, wenn man Menschen, die alle Fürsorge und Anleitung der Welt brauchen, damit sie nicht wieder dem Kannibalismus verfielen, den sie offenbar vorzogen, ein bisschen so genannte Freiheit aufbürdete.“ In einem Interview sagte Toni Morrison einmal, dass sie große innere Widerstände überwinden musste, bevor sie sich auf das Thema Sklaverei einlassen konnte.

Wer das Buch „Menschenkind“ von Toni Morrison gelesen hat, wird es sein ganzes Leben lang nicht mehr vergessen. Die Schriftstellerin erzählt mit so einer hypnotischen Eindringlichkeit, dass der Leser gezwungen wird, seine normalerweise vorhandene Distanz gegenüber einem literarischen Werk aufzugeben. Toni Morrison macht die Schrecken eines der großen Verbrechen der Menschheitsgeschichte gnadenlos sichtbar.

In ihren Romanen gibt Toni Morrison der Geschichte der Afroamerikaner in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Sprache, obwohl sie von sich selbst sagt: „Ich wollte nie die Stimme der afroamerikanischen Community sein. Ich schreibe darüber, was mich interessiert.“ In der Rede, mit der die Jury der Schwedischen Akademie die Verleihung des Nobelpreises für Literatur begründete, wird Toni Morrison unter anderem dafür geehrt, dass sie den Afroamerikanern in Amerika Epoche für Epoche ihrer Vergangenheit zurückgegeben habe.

Kurzbiographie: Toni Morrison

Toni Morrison wurde am 18. Februar 1931 in Lorain, Ohio, geboren. Nach der High School studierte sie an der Howard University in Washington, D.C. und schloss 1955 ihr Studium an der Cornell University in Ithaka, New York ab. In Syracuse, New York, arbeitete sie als Verlagslektorin und begann zu schreiben.

Neben ihren Romanen, die heute in Millionenauflagen erscheinen, hat Toni Morrison auch Kinder- und Jugendbücher, Dramen und Essays zur Literatur veröffentlicht. 1993 wurde sie als erste Afroamerikanerin mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zu ihren bekanntesten Werken zählen: „Sehr blaue Augen“, „Sula“, „Menschenkind“, „Jazz“, „Paradies“, „Liebe“ und „Gnade“. Toni Morrison ist vor einer Woche 80 Jahre alt geworden.

Von Hans Klumbies