Ein zentrales Prinzip der Aufklärung ist die Vernunft

„Verlasse dich auf deine eigene Vernunft“: Dieses zentrale, aus der Aufklärung stammende Prinzip der Meinungsfreiheit gilt auch, wenn der Meinungsfreiheit Grenzen gesetzt werden müssen. Das Individuum ist souverän, und die individuelle Selbstbestimmung macht ein Land souveräner. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Natürlich kann es auch sinnvoll sein zu sagen, dass ein autoritärer Staat territoriale, politische und „informationelle“ Souveränität hat, doch in einem wirklich souveränen Staat stützt sich die Staatssouveränität auf die Souveränität jedes einzelnen Bürgers.“ Solche Staaten bezeichnet man als frei. Wer das Glück hat, in einem Staat zu leben, der dem Ideal nahe genug kommt, kann seine Ansichten über die angemessenen Normen, Grenzen und Bedingungen der Meinungsfreiheit durch eine Vielzahl unzensierter Medien und durch den politischen Prozess zum Ausdruck bringen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

In einer Demokratie kann man für seine Wünsche streiten

Er oder sie wird direkt oder indirekt ein Parlament beeinflussen, das heißt etymologisch einen Ort, an dem gesprochen wird. Er kann sich mit seiner Stimme verständigen oder seine Stimme abgeben – ein Wort für zwei verschiedene, aber verwandte Vorgänge, das auch in anderen Sprachen identisch ist. Auch die Politik von Unternehmen und anderen privaten Mächten kann er beeinflussen. Entspricht ein Unternehmen nicht seinen Wünschen, kann er vielleicht den Versorger wechseln. Und er kann durch NGOs und Netzwerke von Netzbürgern auf die Gestaltung internationaler Regeln Einfluss nehmen.

Timothy Garton Ash schreibt: „Wer Glück hat, kommt dadurch zu einem Ergebnis, das vielleicht nicht ganz seinen Wünschen entspricht, aber doch schützt, was er als das Wesentliche betrachtet, über den Rest kann er weiterhin streiten.“ Falls er mit den Methoden, Gesetze zu ändern und politischen Einfluss zu nehmen, nicht erreicht, was er als das unverzichtbare Minimum betrachtet, kann er zu den Mitteln des friedlichen Protests, der außerparlamentarischen Aktion oder des zivilen Ungehorsams greifen.

Informationen und Idee werden immer umstritten sein

Und wenn sein liberaler Staat funktioniert, wie er sollte, muss er dafür vielleicht mit einer Gefängnisstrafe büßen, nicht jedoch mit Verfolgung, Folter oder Tod. Aber auch in einem demokratischen Rechtsstaat in die Risiken oft größer und unvorhersehbarer, als oben geschildert. Wer die Tabus einer religiösen Gruppe in Frage stellt, deren extremistische Mitglieder Gewalt für ein legitimes Mittel halten, wird vielleicht eines Morgens auf einer stillen Straße der Stadt abgeschlachtet.

Wer die Korruption reicher und mächtiger Personen oder Unternehmen anprangert, kann seinen Arbeitsplatz, sein Haus und seine Familie verlieren. Wer die Missetaten aufdeckt, die der Staat unter dem Mantel offizieller Gemeinhaltung begeht, kann auch sein Heimatland verlieren. Außer durch den Staat kann die Meinungsfreiheit auch durch eine repressive Gemeinschaft, repressive Unternehmen, repressive Stämme oder Familien beschränkt werden. Da Worte, Bilder, Informationen und Ideen große Macht habe, werden sie immer umstritten sein. Quelle: „Redefreiheit“ von Timothy Garton Ash

Von Hans Klumbies