Die Europäische Union muss den Finanzkapitalismus zähmen

Die Konturen der pazifischen Epoche lassen sich bereits erahnen, denn das Schwergewicht der Weltwirtschaft wandert Richtung Osten. Das hat auch für Europa und die USA Auswirkungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind nicht nur eine atlantische, sondern auch eine pazifische Macht. Thomas Seifert erläutert: „Die Westküste – bereits heute der Motor wirtschaftlicher Dynamik und Innovation in den USA – wird noch weiter an Bedeutung gewinnen.“ Ebenso könnten der Südosten und Osten Europas eines Tages von einer Landverbindung nach China profitieren, auch logistische Knotenpunkte könnten dort entstehen. Thomas Seifert fordert, das die Europäische Union (EU) eine eigenständigere Außenpolitik verfolgen muss, denn die USA und Europa haben in verschiedenen Regionen jeweils ihre eigenen Interessen. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

Der Westen muss die Demokratie mit neuem Leben erfüllen

Der Beginn der pazifischen Epoche heißt für den Westen aber auch, den wild gewordenen Finanzkapitalismus wieder zu zähmen und die Demokratie mit neuem Leben zu erfüllen. Das nahende Ende der westlichen Hegemonie legt dem Westen zudem nahe, sich bereits heute auf die Welt von morgen einzustellen und die Reformen an einem multilateralen System mit Hochdruck voranzutreiben. Die Blockadehaltung der USA, dem aufsteigenden China seinen Platz in den Bretton-Woods-Organisationen zu verweigern, ist für Thomas Seifert ein Kardinalfehler.

Thomas Seifert erklärt: „Das Reich der Mitte und die anderen aufstrebenden Länder Asiens werden sich auf Dauer schlicht nicht mit einer ihnen vom Westen zugedachten minderen Rolle in der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft zufriedengeben.“ Das pazifische Zeitalter ist eine Epoche wirtschaftlicher Veränderungen und gewaltiger Verschiebungen in der geopolitischen Plattentektonik. Eine lebendige Jugendkultur ist im Entstehen, und die Länder Asiens akzeptieren längst nicht mehr mit der Rolle einer verlängerten Werkbank.

China hat 500 Millionen Menschen aus der Armut geholt

Die Tatsache, dass China die Nummer eins in puncto Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten ist, bedeutet nicht, dass dieser Erfolg Chinas zu Lasten Europas oder der USA gehen muss. Die Weltwirtschaft ist eben kein Nullsummenspiel, wie der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz gerne betont. Europa hat bewiesen, dass es Exportchancen nach Asien zu nutzen versteht. Thomas Seifert erklärt: „Europa hat den Ländern Asiens Lösungen für die Umwelt- und Verkehrsprobleme sowie die Schaffung sozialer Sicherheitssysteme anzubieten.“

Vor allem muss der Westen die Welt wieder von der Überlegenheit der Demokratie und der Marktwirtschaft überzeugen. Das kann laut Thomas Seifert nur dann funktionieren, wenn die real im Westen gelebte Demokratie und Marktwirtschaft auch glaubwürdig sind und nicht zu Postdemokratien verkommen und der Markt nicht zu einer Arena der Gier pervertiert. Es kommt nicht von ungefähr, das Joseph Stiglitz daran erinnert, dass China 500 Millionen Menschen aus der Armut geholt hat, während die Mittelschicht Amerikas stagniert oder von Abstiegsängsten geplagt ist.“ Quelle: „Die pazifische Epoche“ von Thomas Seifert

Von Hans Klumbies