Europa muss Nationalismus und Kleinstaaterei über Bord werfen

Thomas Seifert stellt in seinem neunen Buch „Die pazifische Epoche“ fest, dass Europa und die USA noch die global dominanten Wirtschaftsblöcke sind. Doch die Volkswirtschaften Asiens entwickeln sich in einem rasanten Tempo. Dort ist eine breite Mittelschicht herangewachsen, die so große wirtschaftliche Chancen hat, wie keine Generation zuvor. Zu den größten Metropolen der Welt zählen inzwischen Shanghai, Jakarta, Beijing, Seoul, Delhi und Mumbai. Das Wachstum dieser Megastädte ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Längst begnügen sich die aufstrebenden Nationen in Asien nicht mehr mit Auftragsproduktionen für westliche Firmen, sondern entwickeln eigenes Know-how, speziell in den Branchen Biotech, Software und Design. Thomas Seifert beschreibt in seinem Buch die atemberaubenden gesellschaftlichen Entwicklungen in Asien und wie die Weltmacht Europa, die das aktuell noch ist, diesem Wandel in Asien begegnen kann. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

Der Westen befindet sich in einer dreifachen Krise

Europa kann in Zukunft mit dem Wirtschaftsraum Asien nur mithalten, indem es Nationalismus, Kleinstaaterei und die Resignation der Wutbürger über Bord wirft und sich auf das europäische Modell besinnt: die Werte einer Zivilgesellschaft und eine soziale Marktwirtschaft. Der erste Teil des Buches handelt davon, wie sich die wirtschaftlichen Machtverhältnisse vom atlantischen in den pazifischen Raum verschieben. Es folgt eine Analyse der dreifachen Krise des Westens: des westlichen Finanzkapitalismus, der westlichen Parteiendemokratie und des globalen Steuerungssystems.

Thomas Seifert fordert die Europäische Union auf, eine eigenständigere Außenpolitik gegenüber dem pazifischen Raum zu betreiben, denn die Vereinigten Staaten und Europa haben dort jeweils ihre eigenen Interessen. Thomas Seifert fügt hinzu: „Der Beginn der pazifischen Epoche heißt für den Westen aber auch, den wild gewordenen Finanzkapitalismus wieder zu zähmen und die Demokratie mit neuem Leben zu erfüllen.“ Den dritten Teil des Buches bilden schließlich einige reporterhafte Episoden aus dem jungen, innovativen und kreativen Asien mit allen Problemen und Herausforderungen, aber auch mit aller Energie und allem Elan.

Die Weltwirtschaft der Gegenwart ist polyzentrisch

Den Beginn der atlantischen Epoche datiert Thomas Seifert auf den 12. Oktober 1492 mit der Landung von Christoph Kolumbus auf den Bahamas: „Europas Imperien fanden in Amerika ein riesiges Hinterland, das sie unterwerfen und ausplündern konnten.“ Die industrielle Revolution schuf später die Basis für die Dominanz Europas für die nächsten 300 Jahre. Die Chinesen und Inder waren damals die großen Verlierer im Wettlauf zum Wohlstand. Im Jahr 2008 ist dann der Triumph der globalisierten Marktwirtschaft mit dem gerade noch verhinderten Kollaps des Weltwirtschaftssystems zu einem jähen Ende gekommen.

Heute kehrt die Weltwirtschaft wieder dorthin zurück, wo sie im Jahr 1800 stand: „Damals war die Weltwirtschaft nicht eurozentrisch und auch nicht von den USA dominiert, sondern polyzentrisch. In Europa sieht Thomas Seifert momentan sogar ein wahres Paradies für Niedergangspropheten. Zudem schwappt eine antieuropäische Welle über den Kontinent, die ihn zu zerreißen droht. Daneben hat kaum ein Bürger der Europäischen Union das Gefühl, dass die Politiker des Kontinents zielgerichtet agieren oder einer Vision folgen würden. Der britische Historiker und Schriftsteller Timothy Garton Ash bringt diesen Mangel auf den Punkt: „Die Europäer dürsten geradezu nach Richtung, Ziel und Hoffnung.“

Die pazifische Epoche
Wie Europa gegen die neue Weltmacht Asien bestehen kann
Thomas Seifert
Verlag: Deuticke
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten, Auflage: 2015
ISBN: 978-3-552-06283-2, 21,90 Euro

Von Hans Klumbies