Unverbindlicher Sex scheint kein Vorrecht der Männer zu sein

Die evolutionspsychologische These, dass Männer beim Flirten und beim Sex forscher agieren als Frauen, wurde von den Massenmedien dankbar aufgegriffen. Als dann noch eine beeindruckende Zahl von Studien erschien, die in dieselbe Richtung wiesen, verwandelte sich die Vermutung in Gewissheit. Thomas Junker ergänzt: „Dass das traditionelle Klischee vom sexsüchtigen Mann und der keuschen Frau nun auch wissenschaftlich belegt schien, wurde teils wohlwollend, teils kritisch kommentiert.“ Die Popularität dieser Idee ist natürlich kein Beweis dafür, dass sie richtig ist. Sie muss deshalb aber auch nicht falsch sein. Vielleicht trägt der Hinweis, dass es in der Evolutionspsychologie in den letzten Jahren zu einem Umdenken gekommen ist, zur Beruhigung der Gemüter bei. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Auch Frauen können sich durch eine lockere Affäre Vorteile verschaffen

Selbstkritisch wird angemerkt, dass die offensichtlichen reproduktiven Vorteile der Kurzzeitpaarung für die Männer dazu verleitet haben, den möglichen Nutzen für die Frauen zu übersehen. Zudem hätten die Forscher eine fundamentale Tatsache ignoriert. Thomas Junker kennt sie: „Wenn sich die Frauen in der Evolution nicht auf unverbindlichen Sex eingelassen hätten, dann hätten die Männer auch keinen haben können. Und wenn diese Kontakte einvernehmlich und nicht erzwungen waren, dann muss es immer einige bereitwillige Frauen gegeben haben.“

Mittlerweile wurde eine beeindruckende Liste mit Vorteilen zusammengestellt, die sich Frauen durch eine lockere Affäre verschaffen können. Der unverbindliche Sex scheint also kein Vorrecht der Männer zu sein. Die diskutierten Thesen können allerdings nicht alle überzeugen und einige sprechen sogar für das Gegenteil: Sexuelle Kontakte, die auf den ersten Blick unverbindlich zu sein scheinen, werden in Wirklichkeit unter einer längerfristigen Perspektive eingegangen. Das gilt beispielsweise für die These, der zufolge es von Vorteil für eine Frau sein kann, mit mehreren Männern und schlafen und allen das Gefühl zu geben, der Vater des Kindes zu sein.

Bei unverbindlichem Sex können Frauen Selbstvertrauen gewinnen

Ähnliches gilt für die durchaus plausible Vermutung, dass ein kurze Affäre oder ein Seitensprung dazu dienen kann, einen neuen Partner zu testen. Es geht also in erster Linie darum, eine längerfristige Beziehung aufzubauen oder auszuschließen. Auch der Sex als Teststrategie ist also kein Beleg dafür, dass Frauen von unverbindlichen Sex profitieren können. Anders sieht es aus, wenn der Sex mit einer direkten Gegenleistung verbunden ist, mit Geld, Geschenken oder anderen Vorteilen. Die Grenzen der Prostitution sind hier fließend.

Es ist allerdings kaum vorstellbar, dass solche geschäftsmäßigen Formen der Sexualität in der Frühzeit der Menschheit eine nennenswerte Rolle gespielt haben. Insofern handelt es sich dabei nicht um ein natürliches Verhalten, sondern um ein Phänomen, das erst mit der Zivilisation Verbreitung fand. Zum Schluss stellt Thomas Junker doch noch eine überzeugende Hypothese vor: Bei unverbindlichem Sex können Frauen Erfahrungen sammeln und Selbstvertrauen gewinnen. Dieses Motiv wird gelegentlich in künstlerischen Fantasien durchgespielt. Quelle: „Die verborgene Natur der Liebe“ von Thomas Junker

Von Hans Klumbies