Die Menschen sind von Natur aus polygam

Von den Harems orientalischer Fürsten bis zum Mätressenhof des sächsischen Kurfürsten August des Starken, von den Mormonen bis zu den Massai – es gibt kaum eine Kultur, in der die männliche Vielehe nicht stillschweigend toleriert wird. In den meisten islamisch geprägten Ländern ist sie noch heute ein allgemein anerkanntes Beziehungsmodell. Daher zieht Thomas Junker folgende Schlussfolgerung: „Dass die Einehe in den westlichen Industriestaaten als das Übliche und das einzig Normale angesehen wird, ist also keineswegs selbstverständlich: Nur fünfzehn Prozent aller heutigen Kulturen fordern diese Art von Beziehung! Im Vergleich dazu wird in 85 Prozent der Kulturen irgendeine Form der Vielehe praktiziert.“ Nimmt man nur diese Zahlen als Anhaltspunkt, dann könnte man vermuten, dass Menschen von Natur aus polygam und gerade nicht monogam sind. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

Die Vielehe lässt sich als eine Erweiterung der Zweierbeziehung verstehen

Thomas Junker weist dabei auf ein mögliches Missverständnis hin, das entsteht, weil das Wort „Polygamie“ Unterschiedliches bedeuten kann. Im weiteren Sinn steht es für alle Konstellationen, in denen ein Individuum mit mehr als einem Menschen Sex hat. Das kommt bei Singles und Verheirateten vor; in Harems und lockeren Liebschaften sowieso. „Polygamie“ kann aber auch bedeuten, gleichzeitig „mehrere feste Partner oder Partnerinnen“ zu haben. Eine Frau, die neben ihrem Ehemann einen Liebhaber hat, lebt also polygam.

Hat sie dagegen gelegentliche sexuelle Abenteuer, dann bezeichnet man ihr Verhalten als promiskuitiv. Aus biologischer Sicht sin die Polygamie im engeren Sinn sind die Promiskuität grundsätzlich verschiedene Beziehungsformen. Thomas Junker erläutert: „Als dauerhafte Beziehung hat die Polygamie viele Gemeinsamkeiten mit der Monogamie. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass bei der Polygamie ein „Geschlecht mehrere Partner“ hat, während das andere monogam lebt. Insofern lässt sich die Vielehe als eine Erweiterung der Zweierbeziehung verstehen.“

Die Polygamie vervielfacht die Vorteile der Monogamie

Mit dem Ethnologen Claude Lévi-Strauss kann man die Monogamie auch umgekehrt als „eine Form von verkümmerter Polygamie“ auffassen. Damit will er andeuten, dass die Vielehe das natürliche Beziehungsmodell darstellt und die Zweierbeziehung eine Einschränkung und der Not geschuldet ist. Denn die Polygamie vervielfacht die Vorteile der Monogamie. Mit jeder zusätzlichen Frau kann der Besitzer eines Harems mit weiteren Kindern rechnen. Für eine Frau nimmt der Nutzen durch mehrere Männer nicht in gleicher Weise zu, da die Zahl der Schwangerschaften begrenzt ist.

Sie hat aber den Vorteil genetischer Vielfalt und kann auf breitere Unterstützung bauen. Insofern kann die Vielehe für beide Geschlechter ein biologisch vorteilhaftes Modell sein. So verführerisch die Lebensform der Polygamie aus männlicher Sicht auf den ersten Blick erscheinen mag, letztlich ist sie purer Stress. Sie wird nicht mit Gefahren für Leib und Leben, sondern auch mit einer kürzeren Lebenserwartung erkauft. In der Polygamie vervielfachen sich also nicht nur die Vorteile der Monogamie, sondern auch ihre Nachteile. Quelle: „Die verborgene Natur der Liebe“ von Thomas Junker

Von Hans Klumbies