Kultur kann auch eine Form des Widerstands sein

Intelligenz ist kein Kriterium für die Beurteilung kultureller Praktiken. Weder ist es intelligent, Bacardi zu trinken, noch besonders dumm, ein Flamenco-Tänzer zu sein. Anders sieht es bei der Ideologie aus. Terry Eagleton erläutert: „Obwohl sie in weiten Teilen plausibel, komplex und theoretisch anspruchsvoll sein kann, macht sich ihre Gegenwart häufig in einem plötzlichen und unerklärlichen Rückgang des intellektuellen Niveaus bemerkbar.“ Das ist der Fall, wenn gescheite, weltkluge Menschen plötzlich mit Äußerungen aufwarten wie „Wer Arbeit will, findet auch welche“ oder „2025 wird es in Großbritannien mehr Muslime als Nicht-Muslime geben“. Man spürt, dass hier Kräfte am Werk sind, die die Vernunft zum Schweigen bringen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Blake und Shelley waren politische Revolutionäre

Kultur ist nicht immer ein Medium der Macht. Sie kann auch eine Form des Widerstands sein. Der Philosoph Edmund Burke ging für den politischen Bereich von dieser Annahme aus. Es kann aber ebenso für die künstlerische und geistige Kultur gelten. Zum Beispiel ist die Behauptung, der Literaturkanon sein eine Bastion politischer Ignoranz, vollkommen unsinnig. Tatsächlich sind weite Teile der „Hoch-„ oder „E-Literatur“ politisch subversiver als das Gros der Populärkultur. Allein in England denke man nur an Milton, Blake, Shelley, Byron, Hazlitt, Paine, Wollstonecraft, Dickens, Ruskin, Morris, Woolf, Orwell und eine Vielzahl anderer.

Terry Eagleton schreibt: „Es lässt sich wohl kaum behaupten, dass „Friends“ oder „Sex and the City“ diese Autoren an revolutionären Eifer übertreffen oder dass Lady Gaga und Robbie Williams utopische Visionen von einer brüderlich vereinten Menschheit zu bieten haben, die es mit Blakes prophetischen Werken aufnehmen könnten. Gewiss, die Musik von Justin Bieber erreicht viele gewöhnliche Menschen, aber das gelingt auch den Windpocken.“ Shakespeare setzte sich für den Kommunismus ein, Milton predigte den Königsmord, Blake und Shelley waren politische Revolutionäre.

Virginia Woolf hat radikale Texte geschrieben

Flaubert und Baudelaire verabscheuten die Mittelschicht, Rimbaud war Anarchist, Tolstoi prangerte das Privateigentum an. Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ ist einer der radikalsten nicht-fiktionalen Texte, die jemals von britischen Literaten verfasst wurden. Gewiss, der Begriff des Literaturkanons ist oft genug in unangenehm elitärer Weise verwendet worden, doch ein Großteil dessen, was dieser Kanon enthält, befindet sich in offenem Gegensatz zu einer solchen Politik. Ohnehin sollte man sich klarmachen, dass die Unterscheidung zwischen „Hoch-„ und „Populärkultur“ nicht der zwischen Gut und Schlecht entspricht.

Vieles der Populärkultur ist von hervorragender Qualität, während der Literaturkanon nicht wenig minderwertiges Zeug enthält – beispielsweise große Teile der Dichtung von Wordsworth. Wenn es eine Handvoll Werke eines Autors in den Kanon schaffen, folgen ihnen sehr häufig weniger hervorragende Erzeugnisse nach, was zur Folge hat, dass der Kanon nicht selten kaum mit seinen eigenen Auswahlkriterien zu rechtfertigen ist. Aber niemand hat das Konzept der Kultur als soziales Unbewusstes eindrucksvoller formuliert als der Schriftsteller und Politiker Edmund Burke im 18. Jahrhundert. Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton

Von Hans Klumbies