Viele Menschen leiden an unbegründeten Ängsten

Sehr viele Menschen fürchten sich vor Spinnen. Damit haben sie Angst vor etwas, das ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Schaden zufügen wird. Dazu zählen neben Spinnen, Schlagen und Höhen. Tali Sharot zählt noch mehr unbegründete Ängste auf: „Manchen Menschen erleiden auf offenen Plätzen eine Panikattacke, andere, wenn sie einem Hund begegnen oder einen Blitz sehen. Wieder andere fürchten sich vor Aufzügen oder vor dem Fliegen.“ Tatsächlich ist die einzige gerechtfertigte Angst in der Liste der Top Ten unter den Phobien die Furcht vor Krankheitserregern – die Mysophobie – auf Platz acht. Die Angst vor dem Tod selbst belegt Platz Nummer zwölf. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.

Kontrollverlust erzeugt Stress oder Angst

Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die über solche Phobien lachen, weil sie solche Ängste für albern halten. Aber für diejenigen, die darunter leiden, können Phobien zu einer furchtbaren Qual werden. Tali Sharot nennt ein Beispiel: „Menschen mit Agoraphobie beispielsweise fürchten sich, ihr Zuhause zu verlassen, was die Lebensqualität von jedermann empfindlich einschränken würde.“ Die modernen Ängste vieler Menschen vor dem Fliegen, vor Spinnen, Schlangen, Höhen und weiten Plätzen könnten allesamt Überbleibsel aus Zeiten sein, in denen diese Dinge wirklich gefährlich waren.

Diese Erklärung wird aber dem ganzen Ausmaß der Komplexität menschlicher Angst nicht gerecht, denn in vielen Fällen ist das, wovor sich viele Menschen fürchten zu scheinen, gar nicht das, wovor sie wirklich Angst haben. Tali Sharot erläutert: „Wird ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Umgebung zu kontrollieren, empfinden die meisten Menschen Stress oder Angst.“ Die Angst vor dem Verlust von Kontrolle kann aber selbstverständlich nicht für alle Phobien und tiefsitzenden Ängste verantwortlich gemacht werden.

Kontrolle und Einfluss sind eng miteinander verflochten

Aber sind ansonsten alle Umstände gleich, fürchten sich viele Menschen vor dem Unkontrollierbaren mehr als vor dem Kontrollierbaren. Der Versuch, die Kontrolle zurückzuerlangen, ist nicht selten ursächlich an psychischen Problemen beteiligt – unter anderem Essstörungen, Suchtverhalten oder sogar Selbstmord lassen sich als Versuch sehen, unter Kontrolle zu bringen, was sich der eigenen Kontrolle entzieht. Kontrolle und Einfluss sind eng miteinander verbunden. Wer die Überzeugungen oder Handlungen eines anderen verändert, übt in gewisser Hinsicht Kontrolle über den Betreffenden aus.

Menschen müssen, um Einfluss auf eine andere Person ausüben zu können, ihren eigenen Kotrollinstinkt überwinden und das Bedürfnis des anderen nach Handlungsmacht berücksichtigen. Tali Sharot erklärt: „Denn sehen Menschen ihre eigene Handlungsfähigkeit schwinden, werden sie Widerstand leisten. Nehmen sie in dieser Hinsicht jedoch einen erweiterten Spielraum wahr, werden sie sich auf die Erfahrung einlassen und diese als positiv empfinden.“ Wer also das Handeln anderer beeinflussen möchte, muss diesen das Gefühl geben, die Kontrolle zu besitzen. Quelle: „Die Meinung der anderen“ von Tali Sharon

Von Hans Klumbies