Der Kapitalismus hat häufig einen schlechten Ruf

Unter europäischen Intellektuellen wird der freie Markt gern mit Kapitalismus in Verbindung gebracht. Und beide haben häufig einen schlechten Ruf. Erstaunlicherweise richtet sich die weithin dominante Kritik in der Regel gegen den reinen, bloß freien Markt. Wenn man wie Axel Honneth ihn für eine höchst gefahrenträchtige Veranstaltung hält, manche sogar nichts weniger als eine „Diktatur des Marktes“, neuerdings eine Diktatur des Kapitals befürchten, verkennen sie laut Otfried Höffe die Realität: „In ihr herrscht nämlich eine soziale Marktwirtschaft vor, die durchaus kritikwürdig sein mag, aber einer weit differenzierteren, vermutlich auch argumentativ schwierigeren Kritik bedarf.“ Der berühmte Markttheoretiker Adam Smith geht wie schon Platon vom Wert der Arbeitsteilung und Spezialisierung aus. Denn diesem wohnt ein Potential für Kooperation und Solidarität inne. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst

Der soziale Zusammenhalt in Deutschland bröckelt, zumindest wenn man Politikern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck glaubt. Reimer Gronemeyer kennt die zwei Phänomene, an denen diese Angst vor der Erosion festgemacht wird: „An der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich einerseits und dem Erstarken der rechtsextremen Kräfte andererseits.“ Die Tatsache, dass die Frage danach, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, sich heute so vehement meldet, ist ein Ausdruck dafür, dass der Zusammenhalt in eine Krise geraten ist. Solange die Frage nicht gestellt wird, funktioniert der Zusammenhalt, scheint er selbstverständlich. Erst wenn da etwas bröckelt, taucht sie auf und wird dann unabweisbar. Reimer Gronemeyer ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, wo er 2018 zum Ehrensenator ernannt wurde.

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Glück hat mit Geld nichts zu tun

Geld macht weder glücklich noch unglücklich. Glück hat mit Geld nichts zu tun, sondern mit den eigenen Entscheidungen. Auf den Einwand: „Ich habe keine Zeit!“, antwortet Reinhard K. Sprenger: „Zeit kann man nicht haben. Zeit ist eine Frage der Priorität: Was ist Ihnen wichtig?“ Jeder Mensch hat immer, ausnahmslos immer Zeit für das, was ihm wirklich wichtig ist. „Keine Zeit“ heißt: Es ist Ihnen nicht wichtig.“ Der europäische Osten besaß vor dem Fall der Mauer einen schier unermesslichen Reichtum an Zeit. Im Westen haben die Menschen für ihren materiellen Wohlstand schon immer Zeitarmut in Kauf genommen. Dem liegt eine Entscheidung zugrunde, wie „Reichtum“ zu definieren ist. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Philipp Blom beschreibt die Revolte gegen die Moderne

Die Revolte gegen die Moderne kanalisiert soziale Ängste. Sie gießt sie in ein manichäisches Schema von Gut und Böse, Licht und Dunkel. Philipp Blom stellt fest: „Es ist die Veränderung selbst, die sie ablehnt, die sozialen und politischen Nebenwirkungen des technologischen Fortschritts.“ Sie will die Warenströme der Globalisierung ohne die Menschenströme. Sie will die technologischen Innovationen der Wissenschaft ohne ihre unbequemen Fakten. Die Moderne soll gezähmt werden. Sie soll Wohlstand ohne gesellschaftliche Veränderung schaffen. Man will zurück in Zeiten, in denen noch eine natürliche Ordnung herrschte. Damals konnten die Einheimischen noch selbst bestimmen. Das Land und seine Straßen gehörten noch ihnen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Jede Person hat ihre eigenen Mythen

Fast alle Menschen denken eher in Geschichten als in Fakten, Zahlen oder Gleichungen. Und je einfacher die Geschichte ist, desto besser. Yuval Noah Harari erklärt: „Jede Person, jede Gruppe und jede Nation hat ihre eigenen Erzählungen und Mythen.“ Doch im Verlauf des 20. Jahrhunderts formulierten die globalen Eliten in New York, Berlin und Moskau drei große Erzählungen. Diese nahmen für sich in Anspruch, die gesamte Vergangenheit zu erklären und die Zukunft der ganzen Welt vorherzusagen. Dabei handelt es sich um die faschistische, die kommunistische und die liberale Erzählung. Der Zweite Weltkrieg machte dem faschistischem Narrativ den Garaus, und von Ende der 1940er Jahre bis Ende der 1980er Jahre wurde die Welt zum Schlachtfeld zwischen nur noch zwei Erzählungen: Kommunismus und Liberalismus. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Das Zeitalter des Anthropozäns hat begonnen

Dort, wo die Natur Ressourcen anbietet, wird sie selbst von höchst bescheidenen Gesellschaften vielfältig in Dienst genommen. Zudem beutet man sie oft genug auch aus, wodurch aus der zunächst unberührten Vorgabe die mehr und mehr kultivierte Natur entsteht. Otfried Höffe erklärt: „Schon weit länger als der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen 2002 annimmt, leben wir in jenem Erdzeitalter des Anthropozän. In diesem ist der Mensch („Anthropos“) zum stärksten Antreiber ökologischer, selbst geologischer Prozesse geworden.“ Offensichtlich ist die dabei vorgenommene Kultivierung ein Freiheitsprozess in beiden Kernbedeutungen. Als eine allerdings nie endende Überwindung von Gefahren erhöht sie die negative Freiheit. Soweit dabei Erträge gesteigert und Arbeitsvorgänge erleichtert. Überdies schafft man Arbeitsplätze, auch Annehmlichkeiten und Wohlstand geschaffen. So zeichnet sich die Indienstnahme der Natur durch einen emanzipatorischen Charakter aus. Soweit sie aber eine neuartige Lebenswelt schafft, wächst die andere, positive Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Gated Communities sind auch in Deutschland auf dem Vormarsch

Nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland werden Gated Communities oder geschlossene Wohnkomplexe immer beliebter. Bis vor wenigen Jahren war diese Wohnform hierzulande noch weitgehend unbekannt. Wohnsoziologen und Kulturgeografen, die sich mit diesem Phänomen beschäftigen, sind sich sicher, dass die Entwicklung hin zu abgeschlossenen Wohnen auch in Deutschland kaum aufzuhalten sein wird. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „ Geschlossene Wohnkomplexe sind abgeschirmte und bewachte Wohnkomplexe mit Zugangsbeschränkungen, die in zwei Varianten gebaut werden – als Apartmentanlagen oder als Ensembles von Häusern und Eigentumswohnungen auf einem von der näheren Umgebung abgesonderten Territorium.“ „Arcadia“, die deutschlandweit erste Gated Community wurde in Potsdam errichtet, 45 Wohnungen und sieben Villen stehen auf einem parkähnlichen Grundstück in bester Lage. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Die Demokratie wird zum Regierungsstandard für erhebliche Teile der Welt

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein dramatischer Wandel in der Weltpolitik vollzogen. Zwischen den frühen siebziger Jahren und der Mitte der ersten Dekade dieses Jahrhunderts fand das statt, was Samuel Huntington die „dritte Demokratisierungswelle“ nannte: Die Anzahl der repräsentativen Demokratien erhöhte sich weltweit von rund 35 auf über 110. Francis Fukuyama stellt fest: „In diesem Zeitraum wurde die liberale Demokratie zum Regierungsstandard für erhebliche Teile der Welt, jedenfalls dem Bestreben nach, wenn auch nicht unbedingt in der Realität.“ Parallel zu diesem Wandel politischer Institutionen wuchs die wirtschaftliche Interdependenz zwischen den Staaten, also das, was man als Globalisierung bezeichnet. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Der Zauber des Abendlands liegt im Widerstreit begründet

Nach wie vor hält es Thea Dorn für fragwürdig, wenn beim Reden über Europa Wohlstand und Frieden so massiv in den Vordergrund gestellt werden. Selbstverständlich sind beide wertvolle Errungenschaften. Es ist ein Segen, dass das heutige Europa weder von Hunger und Seuchen noch von blutigen Glaubens-, Ideologie- oder Territorialkriegen verwüstet wird. Dennoch ist Thea Dorns Europa in erster Linie ein geistig-kultureller und freiheitlicher Kontinent. Thea Dorn schreibt: „Wenn ich den eigentümlich unruhigen und dynamischen Zauber des Abendlands mit einem Wort benennen sollte, würde ich sagen: Er liegt im Widerstreit begründet.“ Das europäische Denken nahm seinen Anfang mit fragmentarisch überlieferten Reflexionssplittern wie denen des Vorsokratikers Heraklit. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Mehr Wohlstand bedeutet nicht automatisch mehr Glück

Dass in Deutschland bis heute ein hoher Lebensstandard herrscht, wird von den meisten Menschen nicht als Glück, sondern als Selbstverständlichkeit angesehen. Ulrich Schnabel weiß: „Denn auch das lehr die psychologische Forschung: Egal, wie sehr wir etwas erstreben – sobald wir es erreicht haben, gewöhnen wir uns daran und fassen andere Ziele ins Auge.“ Schon in den 1970er-Jahren wies eine berühmte Studie nach, dass Lottogewinner ein Jahr nach ihrem Gewinn ähnlich zufrieden oder unzufrieden mit ihrem Leben sind wie zuvor. Kurzfristig verschaffe ihnen der Millionensegen zwar ein enormes Glücksgefühl; doch bald setzte die Gewöhnung ein, und sie begannen, sich wieder wie zuvor über dieses und jenes zu ärgern. Die Lebenszufriedenheit steigt zwar mit steigendem Einkommen, doch nur bis zu einem bestimmten Niveau. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

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Die Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit

Einen Satz sollte man nie wieder verwenden. Er lautet: „Das kann nie passieren.“ Philipp Blom vertritt die These: „Alles kann passieren, und vieles wird passieren, was viele Menschen heute noch für unmöglich halten. Die Menschheit befindet sich inmitten einer rasanten Transformation, auch wenn sie das nicht will. Das ist keine Frage der Lust oder der Präferenz des Konsums. Auf Umwälzungen ungeahnten Ausmaßes kann eine Gesellschaft nur entweder konstruktiv reagieren, oder sie kann sie erleiden. Wer Mauern baut, wird merken, dass sie eingedrückt werden. Außerdem gilt: Wachstum durch Ausbeutung, das Geschäftsmodell der westlichen Gesellschaften, ist bankrott. Leider sind Demokratie und Menschenrechte nicht die Norm und keine logische Folge des Fortschritts. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Ohne Wohlstand funktioniert keine Demokratie

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Existenz von liberalen Demokratien und Wohlstand oder, genauer gesagt, steigendem Wohlstand. Philipp Blom ergänzt: „Tatsächlich gründen funktionierende Demokratien auf weit aufgefächerten Strukturen, auf Parlamenten, Gerichten, Schulen, Universitäten, Infrastruktur, Landesverteidigung.“ Ohne Wohlstand kann nichts von alledem gewährleistet werden. Gerade der strukturelle Zusammenbruch der westeuropäischen und US-amerikanischen Parteienlandschaft und die dort weit verbreitete Verbitterung zeigen, dass Wohlstand augenscheinlich nicht ausreicht. Denn trotz der immer weiter aufklaffenden Einkommensschere und der manifesten wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten sind die Gesellschaften der reichen Welt heute wohlhabender als je zuvor in ihrer Geschichte. Ein typischer amerikanischer oder europäischer Haushalt ist heute fünfmal so reich wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der Liberalismus brachte Frieden und Wohlstand

Der Liberalismus hat trotz zahlreicher Defizite eine deutlich bessere Bilanz aufzuweisen als jede seiner Alternativen. Yuval Noah Harari stellt fest: „Die meisten Menschen genossen nie mehr Frieden oder Wohlstand als unter der Ägide der liberalen Ordnung des frühen 21. Jahrhunderts.“ Zum ersten Mal in der Geschichte sterben weniger Menschen an Infektionskrankheiten als an Altersschwäche, weniger Menschen sterben an Hunger als an Fettsucht, und durch Gewalt kommen weniger Menschen ums Leben als durch Unfälle. Doch der Liberalismus hat keine offenkundigen Antworten auf die größten Probleme, vor denen die Menschheit steht: den ökologischen Kollaps und die technologische Disruption. Der Liberalismus vertraute traditionell auf das Wirtschaftswachstum, um wie durch Zauberhand schwierige gesellschaftliche und politische Konflikte zu lösen. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Agora42 spricht über den gesellschaftlichen Wandel

Die aktuelle Ausgabe des philosophischen Wirtschaftsmagazin Agora42 versammelt Gespräche aus den Bereichen Philosophie, Wirtschaft, Politik und Leben, welche die Macher der Zeitschrift in den vergangenen neun Jahren mit unterschiedlichen Persönlichkeiten geführt haben. Mit vielen Fragen im Gepäck sind sie seit dem Beginn der Krisenjahre auf Spurensuche, um zu verstehen, warum der Glaube an Fortschritt, Wohlstand und Demokratie zerbrach. Die ausgewählten Gespräche enthalten die Essenz dessen, was eine Gesellschaft im Umbruch umtreibt und zeigen die vielen Facetten des gesellschaftlichen Wandels. Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE, stellt fest: „Ich glaube aber auch, dass etwas Entscheidendes erkannt worden ist: Die übermächtige Doktrin, dass der Markt sich selbst reguliert, ist erst einmal ad acta gelegt worden.“ Für den investigativen Journalisten Günter Wallraff sollte die Arbeit kein Selbstzweck sein. Denn das endet im Arbeitszwang, in Arbeit um jeden Preis.

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Die Ungleichheit in Deutschland hat zugenommen

Wie die Globalisierung spaltet auch die moderne Technologie den Arbeitsmarkt in Gewinner und Verlierer. Zu den Profiteuren zählt Alexander Hagelüken zum Beispiel Ingenieure, Ärzte und Manager, die oft deutlich mehr verdienen als in der Vergangenheit. Gleichzeitig gibt es andere, deren Gehalt stagniert oder sogar zurückgeht. Die moderne Technologie vernichtet vor allem Jobs, die von ungelernten Arbeitnehmern ausgeübt werden. Aber auch mittelqualifizierte, wie beispielsweise Fabrikarbeiter oder Sachbearbeiter in der Verwaltung. Alexander Hagelüken erklärt: „Ihre Tätigkeiten sind von einer gewissen Wiederholung gekennzeichnet, die sie durch Maschinen ersetzbar macht.“ Die Technologie und die Globalisierung ließen allein in Deutschland sein den 90er Jahren über 2,5 Millionen Arbeitsplätze verschwinden, vor allem typischerweise sozialversicherte Vollzeitstellen. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Der Kapitalismus schafft Reichtum und Elend

Eine Schilderung des Zustandes, in den die Welt durch den dynamisierten und globalisierten Kapitalismus des letzten Jahrhunderts geraten ist, formuliert Konrad Paul Liessmann wie folgt: „Der globalisierte Kapitalismus produziert Wunderwerke aller Arten, gleichzeitig aber Verarmung und unvorstellbares Elend für diejenigen, die in den Industriezonen Ostasiens und anderer Weltteile diese Wunderwerke schaffen.“ Der globale Kapitalismus schafft ungeheuren Reichtum für wenige und bisher kaum bekannten Wohlstand für einige privilegierte Regionen der Erde, er verschärft aber auch in ebenfalls ungeahnter Weise den globalen und lokalen Gegensatz zwischen Arm und Reich. Der globalisierte Kapitalismus schafft atemberaubende Schönheit in kühner Architektur, er führt aber auch zu einer zunehmenden Verhässlichung und Verödung. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Die Welt gleicht einem unberechenbaren Pulverfass

Überall auf der Erde herrschen Krisen und Konflikte. Wolfgang Ischinger stellt in seinem neuen Buch „Welt in Gefahr“ fest: „Wir haben die gefährlichste Weltlage seit Ende des Zweiten Weltkrieges.“ Die Werte der Westens und die liberale Weltordnung werden von autokratischen und diktatorischen Regimen herausgefordert und infrage gestellt. Die Beziehungen der Europäischen Union zu Russland sind auf dem Tiefpunkt, die Abhängigkeit von China wächst, und unter Präsident Donald Trump ist Amerika als Europas wichtigster Verbündeter unberechenbar geworden. Wolfgang Ischinger ist fest davon überzeugt, dass ohne ein aktiveres Engagement Deutschlands in einer zunehmend chaotischen und konfliktreichen Welt die Grundlagen von Frieden und Wohlstand erodieren werden. Wolfgang Ischinger ist Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz und einer der renommiertesten deutschen Experten für Außen- und Sicherheitspolitik.

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Jeder Fortschritt ist zugleich ein Rückschritt

Was die Menschheit der digitalen Technik und ihren Treibern tatsächlich verdankt, ist eine immer globalere Einheitszivilisation. Der digitale Code setzt sich spielend über Länder- und Kulturgrenzen hinweg und ebnet sie ein in einer technischen Universalsprache aus Einsen und Nullen, am Nil ebenso verständlich wie am Rhein und am Amazonas. Richard David Precht weiß: „Kulturell betrachtet ist jeder Fortschritt zugleich ein Rückschritt. Der Prozess begann mit dem Siegeszug des Effizienzdenkens, verstärkt durch sein mächtigsten Mittel: das Geld – der einzigen Sache, deren Qualität sich allein nach der Quantität bemisst.“ Wo das Geld regiert, verschwinden die Grenzen, aus beschaulichen Wochenmärkten wurden unübersehbare globale Märkte für Rohstoffe, Fertigprodukte und Spekulationen. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum

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Die Machtzentren der Welt haben sich nicht verlagert

Die politische Ökonomie ist laut Emmanuel Todd nicht in der Lage, die gewaltigen Umwälzungen in der Welt zu erfassen. Um dies zu erkennen hält sich der französische Soziologe an die am weitesten entwickelten Länder. Die gegenwärtigen Schwierigkeiten Brasiliens und Chinas räumen mit der Illusion auf, die Geschichte werde fortan maßgeblich durch die Schwellenländer geprägt. Emmanuel Todd schreibt: „Die Spielregeln der wirtschaftlichen Globalisierung wurden in den Vereinigten Staaten, Europa und Japan festgelegt. Diese „Triade“ hat seit 1980 die jüngst alphabetisierten Erwerbsbevölkerungen der Dritten Welt in Arbeit gebracht, dadurch die inländischen Arbeitseinkommen gewaltig unter Druck gesetzt und – wie man sagen muss – auf diese Art weltweit die Profitraten erhöht.“ Wohl noch besser drückt sich die Vorherrschaft der alternden entwickelten Welt in einer anderen Fähigkeit aus. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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Demokratien brauchen Märkte

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden das liberale Denken und die Marktwirtschaft zum Traumpaar der politischen und ökonomischen Theorie. Philipp Blom erläutert: „Der Gedanke, dass alle Menschen gleiche Rechte haben, dass Wissen besser ist als Ignoranz, dass Menschen einander tolerieren müssen, auch wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, wurde auf einem Markt geboren.“ Händler müssen pragmatisch und nicht ideologisch urteilen, sie brauchen sachliche Informationen, die ihnen bei der Urteilsfindung helfen, Informationen, auf die sie Geld wetten können, ohne ruiniert zu werden. Die ersten Zeitungen entstanden im 16. Jahrhundert in Handelszentren, um Kaufleute darüber zu informieren, was bei ihren Handelspartnern geschah, welche Investitionen sicher waren. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Die Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung

Die kämpferische Verschärfung der Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung. Christian Schüle weiß: „Ihre quasi heilige Berufung auf eine glorreiche Vergangenheit ist allen sezessionistischen und separatistischen Gruppierungen eigen.“ Fast immer sind ihre Argumente zugleich ökonomischer und ökologischer Natur: Wohlhabende Regionen grenzen sich gegen jene ab, die ihren Wohlstand von außen bedrohen und ihre Regionen einwandern, weil aus separatistischer Sicht Wohlstand und Region Synonyme sind. Einer politischen Abgrenzung entspricht als typische Geisteshaltung der Separatismus, vielfach zu studieren an Unabhängigkeitsgelüsten in Norditalien, im Baskenland, in Katalonien, in Schottland und in der Ost-Ukraine. Der Traum vom eigenen Ministaat, von der heilen Welt der unverdorbenen, autarken, autonomen Heimat, bringt die Selbstbestimmung der regionalen Bürger in Stellung gegen die Fremdbestimmung durch die eigene Nation oder etwa den „Suprastaat“ der Europäischen Union. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Stephan Lessenich begibt sich auf die Spur des pätmodernen Kapitalismus

Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte der amerikanische Soziologe Daniel Bell unter dem Titel „The Cultural Contradictions of Capitalism“ eine zeitdiagnostische Streitschrift zum Zustand der US-Gesellschaft. Stephan Lessenich erläutert: „Wenn man so will, dann sah Daniel Bell die USA seiner Zeit von einer Art nicht spätrömischer, sondern spätmoderner Dekadenz ergriffen, deren Wurzeln er in der systematischen – oder genauer: normativen – Entkopplung von Kultur und Ökonomie verortete.“ Durch die Entstehung und gesellschaftliche Verbreitung einer „postmaterialistischen“ Kultur, so Daniel Bells Kernaussage, werde die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Ökonomie systematisch unterminiert. Dabei sei es der der durch die lange Phase wirtschaftlicher Prosperität der Nachkriegszeit gewissermaßen selbst induzierte Verlust des die kapitalistische Wirtschaft seit ihren Anfängen durchdringenden und tragenden „Geistes“, der die stabile Reproduktion der industriekapitalistischen Gesellschaftsformation und ihrer Sozial- beziehungsweise Klassenstruktur grundlegend in Frage stellte. Dr. Stephan Lessenich ist Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena

Die romantische Liebe, so meinen einige, sei das letzte noch verbliebene Refugium jener Authentizität und Wärme, die den Menschen von einem zunehmend technokratischen und legalistischen Zeitalter geraubt worden seine. Eva Illouz fügt hinzu: „Für andere wiederum ist sie eine Ideologie, die Frauen versklavt, Symptom für das Ende der öffentlichen Sphäre oder Flucht aus sozialer Verantwortung.“ Eva Illouz untersucht, in welcher Beziehung die romantische Liebe zur Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus steht. Vor allem geht sie dabei der Frage nach, wie es zum Zusammenstoß zwischen Liebe und Kapitalismus gekommen ist. Es geht ihr darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, in der romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

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Der Homo oeconomicus entspricht nicht der Realität

Forscher, die sich der Ökonomie widmeten, gingen 200 Jahre von derselben Fehlannahme aus. Sie beriefen sich auf ein Denken, das den Menschen als Homo oeconomicus ansah. Johannes Steyrer erläutert: „Der Mensch folge, so die Mutmaßung, kompromisslos dem Credo „Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag“ und versuche stets das Bestmögliche für sich herauszuholen.“ Alle Menschen seien geborene Opportunisten, rational agierend, bei der Durchsetzung ihrer Ziele ab und zu skrupellos, jedenfalls aber auf den bestmöglichen Deal für einen selbst aus. Begründet hat dieses Menschenbild Adam Smith (1723 -1790). Er gilt als Urvater der Ökonomie. Der Gedankengang seines Hauptwerks lässt sich wie folgt zusammenfassen: „Für die Produktivität eines Landes ist die Arbeitsteilung ausschlaggebend. Die hat wiederum ihre tiefere Ursache in den menschlichen Neigungen zum Handeln und Tauschen.“ Johannes Steyrer ist seit 1997 Professor für Organizational Behavior an der Wirtschaftsuniversität Wien.

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Die frühe Sozialisation prägt den Optimismus oder den Pessimismus

„Liebe allein genügt nicht“, hat der berühmte Psychoanalytiker Bruno Bettelheim über die Sozialisation des Menschen geschrieben, aber ohne Liebe besteht kaum Hoffnung für den Optimismus. Jens Weidner erläutert: „Fehlende Zeit lässt sich nicht durch Geld und teure Geschenke kompensieren, so materiell sind junge Menschen nicht, sie verzweifeln eher an der fehlenden Zuneigung und Wärme, sie verzweifeln auch an manchen prägenden Karrierekillerphrasen bedenkenloser Eltern, die zur Grundlage ihrer pessimistischen Lebenseinstellung werden.“ Der schlimmste Satz, den Jens Weidner in einem Beratungsgespräch gehört hat, lautet: „Wir hätten dich abtreiben sollen. In diesem Moment hätte er die Eltern schlagen können. Denn Kinder, die sich so etwas in jungen Jahren anhören müssen, vergessen das nie, und sie werden im Leben alles dafür tun, dass sich solche Kränkungen nicht wiederholen. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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