Klaus-Peter Hufer stellt Definitionen von Moral vor

Eine Definition von Moral stammt von Detlef Horster, der Philosophie-Professor in Hannover ist: „Moral ist die Gesamtheit der Regeln, die zur Realisierung der Werte oder zum Wohl der Menschen beitragen. Man kann auch sagen, dass die moralischen Regeln, wenn sie angewendet werden, die Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, schützen sollen.“ Nach einer anderen Definition wäre Moral jenes Regelwerk, das auf die zwingende Einhaltung von menschlichem Verhalten gemäß der erstellten Normen achtet. Klaus-Peter Hufer stellt sich dazu unter anderem folgende Fragen: „Doch wer stellt die Regeln auf, und mit welcher Begründung? Welche Normen sollen eingehalten werden? Gibt es dafür qualitative Kriterien?“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Moralische Werte sind universal

Ein Wissensanspruch ist fallibel, das heißt fehleranfällig, wenn man mit ihm etwas behauptet, was durchaus auch falsch sein kann. Und wenn keine zwingenden Gründe existieren, um den Anspruch einzulösen. Markus Gabriel weiß: „Die meisten Wissensansprüche sind fallibel, weil wir niemals alle Umstände überblicken, um uns mit unseren Urteilen ganz sicher sein zu können.“ Je komplexer die Wirklichkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass selbst die am besten abgesicherten Wissensansprüche letztlich falsch sind. In moralischen Fragen ist das nicht anders, denn auch dort geht es darum, wie die Wirklichkeit beschaffen ist. Moralische Werte sind universal. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Stummes Wissen durchzieht den Alltag

Künstliche Intelligenz baut keine Welt auf und schon gar nicht das Gefühl, sich in einer solchen Welt zu befinden. Doch gerade dieses „In-der-Welt-Sein“ ist elementar für alles menschliche Erleben. Der deutsche Philosoph Martin Heidegger hat das schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert gezeigt. Von hier aus unterscheiden Menschen, was für sie relevant ist und was nicht. Richard David Precht stellt fest: „Eine riesige Menge stummen Wissens durchzieht unseren Alltag, bestimmt unsere Handlungen und unsere Sprache. Bedeutungen werden nicht logisch erschlossen, sondern dem Kontext abgelauscht. Unser Denken hat einen feinen, gesamtkörperlichen Sinn für Stimmungen, Zwischentöne und komplexe Zusammenhänge.“ Jedes Thema erscheint einem Menschen in einem Horizont von persönlichem und kulturellem Vorwissen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Viele Menschen haben nur sich selbst im Blick

Die Mächtigen haben immer besser gelernt, die Schwächen der Ohnmächtigen für ihre Stärkung zu nutzen. Und es sieht momentan leider nicht danach aus, als würden die Schwachen ihnen dabei endlich in den Arm fallen und die Verhältnisse gewissermaßen geraderücken. Es scheint eher das Gegenteil einzutreten. Daniel Goeudevert stellt fest: „Gerade das Unbehagen an der Gegenwart setzt Tendenzen frei, durch die sich die Lage weiter zu verschärfen droht.“ Das Problem besteht darin, dass jeder, der verändernd wirksam werden will, hierbei immer auch die eigenen Belange im Auge behalten, also bei sich selbst ansetzen muss. Die meisten verbleiben dann allerdings genau dort, bei sich selbst. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.

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Eliten sehen sich als Avantgarde des Fortschritts

Im Kommunistischen Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels heißt es: „Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klassen.“ Jede Zeit hat ihre eigenen Eliten. Alexander Grau stellt fest: „Und ein wesentliches Signum von Eliten in modernen Massengesellschaften ist, dass sie eben nicht die Wenigen sind.“ Denn sie sind eine gegenüber Eliten vergangener Jahrhunderte vergleichsweise große Gruppe. In westlichen Industriegesellschaften handelt es sich dabei um zwanzig bis dreißig Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen sind eng verbunden mit einem ganzen Bündel von gemeinsamen Werten. Deren gemeinsamer Nenner ist es, dass sich diese spätmodernen Eliten der europäischen Geschichte als dezidiert progressiv begreifen. Sie sehen sich nicht als Hüter des Ewigen, sondern als Speerspitze des Fortschritts. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

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Recht und Moral sind nicht deckungsgleich

Moral und Recht hängen zwar zusammen, sind aber weit davon entfernt, deckungsgleich zu sein. Markus Gabriel erläutert: „Die Geltung rechtlicher Normen, ihre Macht über Akteure, besteht selbst dann fort, wenn die faktische Rechtsprechung und die ihr zugrunde liegenden Gesetze erkennbar unmoralisch sind.“ Stalinistische Schauprozesse waren „rechtlich legal“, auch wenn man sie für „moralisch illegitim“ hält. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Legalität und Legitimität. Die Moral artikuliert Regeln, die konkret festlegen, welche Handlungen verboten und welche erlaubt sind. Auf diese Weise kann man exakt zwei Extrempunkte, zwei Pole, und eine moralische Mitte markieren. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Menschen stehen zu Dingen in Wertbeziehungen

Vieles ist für einen Menschen schon deshalb so werthaltig, weil er es gemacht hat. Selbst gemalte Bilder und selbst gemachte Erfahrungen ziehen ihren ganz besonderen Wert aus der eigenen Subjektivität, die in ihnen steckt. Richard David Precht ergänzt: „Und etwas ganz besonders gut gemacht zu haben hebt sowohl meinen Selbstwert als auch den Wert der Tätigkeit.“ Dass Menschen zu den Dingen ihrer Welt in „Wertbeziehungen“ stehen, war das Lebensthema des Phänomenologen Max Scheler. Für ihn war das Empfinden von Werten ebenso natürlich gegeben wie das Sehen von Farben. Ob Werte oder Farben, wenn man sie sinnlich empfindet, hat man nicht die Wahl, sie nicht zu fühlen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Alle Zwecke sind auf Mittel angewiesen

Das entscheidende Moment des moralischen Handels liegt in dem durchgängig von allen Beteiligten verfolgten Bemühen, sich wechselseitig durch Leistungen zu verbinden. Diese kann man aus freien Stücken derart erbringen, dass der Begünstigte einen merklichen Vorteil hat. Aber der moralisch Handelnde darf sich dabei nicht selbst in seiner Existenz vernichten. Volker Gerhardt erläutert: „Nur so kann die Freiwilligkeit beider Seiten eingebunden und das niemals bloß als Mittel verständlich gemacht werden.“ Ein Mensch muss sich nicht vom Leben distanzieren, um moralisch zu sein. Im Gegenteil: Er hat auch hier auf die durchgängige Vermittlung von Zwecken und Mitteln zu vertrauen. Zudem muss er wissen, dass alle Zwecke auf Mittel angewiesen sind, damit er sie erreichen kann. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Aus den Grundrechten folgen auch Pflichten

Für den Philosophen Markus Gabriel ist die heutige Wertekrise zugleich eine Krise der Demokratie. Wer den Universalismus beschädigt, wendet sich gegen die Idee, dass eine Gemeinschaft darauf aufbaut, dass alle Menschen den gleichen Wert besitzen. Schon allein deshalb haben sie bestimmte Rechte und Pflichten. Markus Gabriel erläutert: „Dazu gehören das Recht auf freie Entfaltung unserer Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Außerdem gehören dazu die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Recht darauf vor Gericht nicht aufgrund von Geschlecht, Sprache, Herkunft, Einkommen usw. benachteiligt zu werden. Gerne übersieht man, dass aus den Grundrechten auch Pflichten folgen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die neuen Eliten fühlen sich als Avantgarde

In der Kultur der Gegenwart können sich Eliten nicht länger über die Werte der alten Eliten wie Abstammung oder Tradition definieren. Entsprechend beglaubigen die neuen Eliten ihren Anspruch über Eigenschaften. Diese sind konstitutiv für individualistische Wohlstandsgesellschaften. Zugleich sind diese Attribute ein Ausweis ökonomischer Kompetenz und gehören zum Jargon der Erfolgreichen und Dynamischen. Dazu zählt Alexander Grau Kreativität, Originalität, Flexibilität, Internationalität, Offenheit und Neugierde. Entscheidend ist nun, dass man diese Eigenschaften auch als moralische Werte verstehen kann. Die Reputation der neuen Eliten besteht nur darin, genau diese Werte zu gesellschaftlichen Idealen zu erklären. Dabei inszenieren sie sich als Avantgarde. Ganz nebenbei werden die tragenden und bestimmenden Eliten auch zur moralischen Elite erhoben. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

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Die Evolution beruht auf Mutation und Selektion

Das am weitesten anerkannte Evolutionsmodell beruht auf zwei wichtigen Elementen: Mutation und Selektion. Eyal Winter erläutert: „Mutation sorgt dafür, dass in den Eigenschaften eines Organismus von Generation zu Generation willkürliche Veränderungen auftreten. Die Selektion verbreitet „günstige“ Mutationen in einer Population, wohingegen „ungünstige“ allmählich aussterben.“ Individuen mit guten Merkmalen haben höhere Überlebenschancen und sorgen für mehr Nachkommenschaft. In der Regel geht man davon aus, dass evolutionäre Kräfte die Eigenschaften einzelner Individuen – deren Gene – prägen, aber Mutation und Selektion beeinflussen auch die Entwicklung ganzer Gesellschaften. Gemeinschaften mit positiven Merkmalen – etwa sozialen Strukturen und Werten, die den Zusammenhalt stärken – haben höhere Überlebenschancen. Gruppierungen, denen diese Eigenschaften fehlen, werden beispielsweise häufiger im Kampf geschlagen und von Einzelnen verlassen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Der Tod Gottes bringt die moderne Kultur hervor

Ein Ursprung des modernen Begriffs der Kultur ist der Tod Gottes. Vielleicht kann die Kultur die gottesförmige Lücke füllen, welche die säkulare Moderne gerissen hat. Terry Eagleton weist allerdings darauf hin, dass die Neuzeit gepflastert ist mit gescheiterten Gottessurrogaten. Nämlich von Vernunft, Geist, Kunst, Wissenschaft und Staat bis hin zu Volk, Nation, Menschheit, Gesellschaft, dem Unbewussten und Michael Jackson. Terry Eagleton ergänzt: „Unter diesen verpfuschten Ersatzangeboten für den Allmächtigen nimmt der Kulturbegriff einen besonderen Platz ein. Denn er ist einer der plausibelsten Versuche ist.“ Tatsächlich gibt es eine offenkundige ideologische Beziehung zwischen dem Wort „Kultur“ und dem religiösen Begriff „Kult“. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Zivilisation führt Krieg gegen die Kultur

Der moderne Kulturbegriff hat viele Ursprünge. Bedeutung erlangte er erstmals Ende des 18. Jahrhunderts als Kritik am Industrialismus, aber auch als Gegenpol zum Revolutionsbegriff. Terry Eagleton ergänzt: „Gleichzeitig begann die Kultur für den romantischen Nationalismus eine zentrale Rolle zu spielen. Im 19. Jahrhundert tauchte der Kulturbegriff in den Debatten über Kolonialismus und Anthropologie auf. Er diente aber auch als Ersatz für schwindende religiöse Werte.“ In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Kultur zu einer regelrechten Industrie. Und sie fand in bisher unbekanntem Ausmaß Eingang in das öffentliche Bewusstsein. In den mittleren Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erlangte sie zentrale Bedeutung für neue Formen des politischen Konflikts. Das ist eine Entwicklung, die sich in der Gegenwart als Multikulturalismus und Identitätspolitik fortsetzt. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Liebe ist für Max Scheler ein Urakt

Max Scheler vertritt eine Aktphänomenologie, für die das Fühlen als intentionaler Akt eine zentrale Rolle einnimmt. So etwa beim Erfühlen von Werten in seiner bekannten Schrift „Der Formalismus in der Ethik und die materielle Wertethik“. Mit welcher er sich nicht nur gegen die kantische Pflichtethik wendete. Sondern mit der er auch die Grundlegung einer bis heute einflussreichen Position der Wertethik vorlegte. Es verwundert daher nicht, dass in einer Theorie, die das Fühlen derart aufwertet, auch der Liebe eine wichtige Rolle zugeschrieben wird. Max Scheler postuliert einen Primat des Emotionalen im geistigen Geschehen. Dabei versteht er die Liebe als den „Urakt“ menschlicher Geistestätigkeit. Er geht hier von einem christlichen Liebesgedanken aus, wobei er stark an augustinische Gedanken anknüpft. Max Scheler (1874–1928) war ein deutscher Philosoph, Psychologe, Soziologe und Anthropologe.

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Die christlichen Traditionen leben noch

Tom Holland schildert in seinem Buch „Herrschaft“ die Geschichte des Westens, ausgehend von seinem antiken und christlichen Erbe. Dabei zeigt er, dass christliche Traditionen auch in den modernen Gesellschaften des Westens noch immer allgegenwärtig sind. Selbst dort, wo sie negiert werden: etwa im Säkularismus, Atheismus oder den Naturwissenschaften. Daneben beschreibt Tom Holland welthistorische Ereignisse und zeichnet dabei Porträts der zentralen Akteure und ihrer Gegenspieler. In seinem Buch „Herrschaft“ untersucht der Autor vor allem, wodurch das Christentum so subversiv und revolutionär wurde und wie vollständig es die Grundhaltung der lateinischen Christenheit imprägnierte. Und warum in der westlichen Welt, die häufig ein sehr kompliziertes Verhältnis zur Religion hat, so viele ihrer Instinkte nach wie vor durch und durch christlich sind. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

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Das Gewissen beeinflusst viele Entscheidungen

Jeder Mensch hat ein Gewissen. Vielleicht ist das sogar ein Charakteristikum, das ihn vom Tier unterscheidet. Wer seinem Gewissen folgt, hat es allerdings nicht immer leicht. Denn die Verlockungen, anderen Motiven zu folgen, sind groß. Klaus-Peter Hufer fügt hinzu: „Viele Wege im Leben sind einfach, doch das Gewissen zeigt oft in eine schwierige, steinige, dornige Richtung.“ Menschen können wegen ihres Gewissens in Nöte geraten und ihr Leben riskieren. Manche setzen es sogar aufs Spiel und verlieren es. Im Alltag gibt es viele Prüfsteine für das Gewissen, nicht alle wiegen jedoch schwer. In vielen alltäglichen Situationen steht hinter und neben der Entscheidung das Gewissen. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Der Kapitalismus hat seine Wuzeln im Protestantismus

Geld bedeutet heute eigentlich nichts, außer man glaubt daran. Ursprünglich waren die Menschen der Ansicht, ein Silber- oder Goldstück enthalte eine geeichte Menge Silber oder Gold. Später glaubten sie, ein Geldschein könne in Gold eingetauscht werden, weil jedes Land in seiner Staatsbank genügend Goldvorräte habe. Paul Verhaeghe ergänzt: „Heute geht es um den Glauben, dass Banken, Staaten und Institutionen ihre Schulden zurückzahlen können.“ Die Macht des Geldes liegt wie diejenige der Autorität auf dem Glauben an eine externe Grundlage. Früher war das eine greifbare Garantie, nämlich die nationale Goldreserve. Heute basiert sie auf Kreditwürdigkeit. Der Glaubensaspekt beschränkt sich nicht nur auf das Geld, sondern betrifft die gesamte Ökonomie des freien Marktes an sich. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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An der Oberfläche der Geschichte herrscht das Bewusste

Ein einfaches Modell ermöglicht eine geschichtliche Darstellung der menschlichen Gesellschaften und ihrer Veränderungen. Emmanuel Todd erläutert: „An der Oberfläche der Geschichte entdecken wir das Bewusste, die Wirtschaft der Ökonomen, die täglich in den Medien präsent ist und deren neoliberale Ideologie in einer merkwürdigen Rückbesinnung auf den Marxismus verkündet, dass sie das Ausschlaggebende sei. Zu diesem Bewussten, dem Schrillen, wie man sagen könnte, gehört natürlich auch die Politik.“ Etwas tiefer stößt man auf ein Unterbewusstes der Gesellschaft, auf die Bildung, eine Schicht, deren Bedeutung die Bürger und Kommentatoren erkennen, wenn sie an ihr reales Leben denken, während sich die orthodoxe Sicht weigert, vollauf anzuerkennen, wie entscheidend sie ist und wie stark sie auf die darüberliegende bewusste Schicht einwirkt. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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Werte müssen immer neu verhandelt werden

Viele Menschen glauben, es gäbe ein Allheilmittel für oder eigentlich gegen die Pluralisierung. Isolde Charim erläutert: „Mehr noch als die Leitkultur aber mit dieser eng verwoben ist das neueste Kaninchen aus dem Allheilmittel-Hut, die Werte.“ „Unsere“ Werte. Bisher führte die Bildung das Ranking der Allheilmittel an. Nun sind es die Werte. Wobei diese Diskussion meist unterstellt, diese „unsere“ Werte seien ein fixer Katalog, ein feststehender Kanon – und nicht etwas, das immer wieder neu verhandelt wird und werden muss. Dabei unterschlägt diese Diskussion einen zentralen Wert der Demokratie: die Verhandelbarkeit selbst. Die Möglichkeit also, ebenjene Werte immer wieder zu verhandeln und damit umzuschreiben. Die Debatte um die Werte dreht sich immer um das Akzeptieren der Grundwerte. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Um Werte finden Kulturkämpfe statt

Andreas Reckwitz ist der festen Überzeugung, dass nicht nur der Begriff der Kultur renoviert gehört. Sondern auch der Begriff des Wertes ist zu entstauben. Nur dann ist er für die zeitgenössische Soziologie und Kulturtheorie interessant: „Unter Werten versteht man nicht neukantianisch ein Wertesystem, das der Praxis vorausgeht und sie motivational anleitet. Es geht nicht darum, dass einzelne Menschen oder ein Geschlecht bestimmte Werte haben.“ Werte muss man als Teil von gesellschaftlichen Zirkulationsdynamiken interpretieren. Diese sind ergebnisoffen und häufig konflikthaft – hier finden Kulturkämpfe statt. In der Sphäre der Kultur zirkulieren nicht nur Kunstwerke, attraktive Städte und bewundernswerte Individuen. Sie bringt auch Müll hervor. Die meisten Einheiten des Sozialen, denen die Singularisierung nicht gelingt – den Dingen, die nicht einzigartig erscheinen, oder den Menschen, denen Originalität fehlt, zum Beispiel –, bleiben in der Kultursphäre unsichtbar. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Der Weise besitzt alles im Geist

Es sind die Begierden, sagt Seneca, die viele Menschen ständig nähren und anfeuern. Über diese können sie nicht Herr werden, weil sie deren Sklaven und Leibeigene sind. Ihnen muss man Einhalt gebieten. Der Weise dagegen begehrt nichts, weil alles in ihm ist. So besitzt der Weise im Geiste alles. Selbstgenügsamkeit ist der Zustand, in dem man nichts von außen zu seinem Glück braucht und daher auch nichts begehrt. Albert Kitzler erläutert: „In unserem Wissen und unseren Vorstellungen ist alles vorhanden, was zu unserem eigentlichen Sein gehört: die inneren Werte.“ Äußerlichkeiten sind nur Zugaben, die der Weise wie jeder Mensch willkommen heißt und genießt. Er vermisst sie jedoch nicht, wenn sie ausbleiben. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Die Wahrhaftigkeit strebt nach der Wahrheit

Mit dem Wert von eigenständigem Denken ist unmittelbar das Prinzip der Wahrheit verbunden. Die Wahrheit steht in einem engen Zusammenhang mit der Wahrhaftigkeit einer Person, zumal wenn diese ihre Treue gelobt. Silvio Vietta erläutert: „Wahrhaftigkeit ist eine Denkhaltung, die das Streben nach Wahrheit beinhaltet.“ Umgangssprachlich benutzt man den Begriff „wahr“ im Sinne einer Aussage in Bezug auf einen Sachverhalt. Man erwartet von wahren Sätzen, dass sie dem Sachverhalt entsprechen. Wer diese Erwartung bewusst täuscht, der lügt. Und mit Lügen kann man Menschen sogar in den Tod treiben. Schon in der frühgriechischen Philosophie taucht schon der Gegensatz zwischen „Schein und „wahrem Sein“ auf. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Menschheit ist zu moralischem Fortschritt fähig

Markus Gabriel, Deutschlands weltweit bekanntester Gegenwartsphilosoph möchte durch sein neues Buch „Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten“ den Menschen Mut machen. Er vertritt darin die These, dass die Menschheit zu moralischem Fortschritt fähig ist. Er zeigt, warum es nicht verhandelbare, universale Grundwerte gibt, die für alle Menschen gelten. Sie müssen zur Basis des menschlichen Verhaltens gemacht werden, um allen ein gutes Leben zu ermöglichen. Markus Gabriel hat ein philosophisches Handbuch geschrieben, das einen Entwurf der Aufklärung gegen den Wertenihilismus der Gegenwart artikuliert. Die Menschheit braucht dringend eine innovative Form der Kooperation von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Terry Eagleton lehnt den Kulturrelativismus ab

Der Kulturrelativismus ist eine äußerst fragwürdige Position. Nur Rassisten sind der Meinung, es sei vollkommen rechtens, in Borneo zu vergewaltigen und zu morden, nicht aber in Brighton. Die Ansicht, einige Standpunkte seien besser und wahrer als andere, ist weder „elitär“ noch „hierarchisch“. Terry Eagleton betont: „Völlig zu Recht hat der Philosoph Richard Rorty einmal festgestellt, dass man sich nicht mit Menschen auf Debatten einzulassen braucht, die die Auffassung vertreten, dass jede Ansicht zu einer bestimmten Frage so gut sei wie jede andere, da es solche Ansichten überhaupt nicht gebe.“ Den Parteigängern des Kulturrelativismus widerstrebt es, ihre eigenen Werte absolut zu setzen, da sie für die Lebensweisen anderer offen sind. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Kultur kann von einer störrischen Unnachgiebigkeit sein

In Reaktion auf eine soziale Ordnung, in der Kultur wahrhaftig allumfassend erschien, begannen einige postmoderne Theoretiker in den 1980er Jahren, die Lehre des Kulturalismus zu verbreiten, wonach der Mensch seiner gesamten Existenz nach Kultur sei. Terry Eagleton ergänzt: „Jede Erwähnung der Kultur wurde zutiefst suspekt, paradoxerweise ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als die Umweltbewegung auf der Bildfläche erschien.“ Wann immer in einem postmodernen Text das Wort „Natur“ auftaucht, ist es in der Regel von verschämten Anführungszeichen umrahmt. Menschen gelten nicht mehr als natürliche, materielle Tiere mit Bedürfnissen und Fähigkeiten, die ihnen als Art gemeinsam sind, sondern sie werden durch und durch zu kulturellen Geschöpfen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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