Die Wirklichkeit verändert sich ständig

Georg Wilhelm Friedrich Hegel denkt, dass in der Geschichte mehr vor sich geht als „das eine Ereignis, das auf das andere folgt“. Die Wirklichkeit, in welcher der Mensch lebt, ist selbst in einer permanenten Transformation begriffen. Die Veränderungen betreffen auch grundlegende Kategorien wie Wahrheit, Recht und politische Ordnung. Ger Groot ergänzt: „Nicht nur die Tatsachen verändern sich, sondern auch der Maßstab, nach dem sie beurteilt und verstanden werden. Daher verändert sich auch ihre Bedeutung.“ Was in einem Moment der Geschichte wahr ist, muss es in einem anderen Moment nicht sein. Was heute als gerecht gilt, muss fünfhundert Jahre früher nicht per se als gerecht gegolten haben. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit

Friedrich Nietzsches Zweifel an der Zuträglichkeit der Vernunft war nie stark genug, um ihn selbst auf deren Gebrauch verzichten zu lassen. In der Logik seiner Argumente und im Scharfsinn seiner Kritik tritt dies für Volker Gerhardt eindrucksvoll hervor. Gewiss, die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit, wohl aber das Organ, um Wahrheitsansprüche zu erheben und zu prüfen. Die Vernunft bedarf des Körpers, um sich zu sammeln, sich auszudrücken und sich bestimmen zu können. Die Vernunft des Leibes erscheint Friedrich Nietzsche so vollkommen, dass er von der „großen Vernunft“ des Leibes spricht. Diese grenzt er von der deutlich abgewerteten „kleinen Vernunft“ des Bewusstseins ab. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Friedrich Nitzsche wollte die dionysische Kultur stärken

Friedrich Nietzsches Gegenentwurf zur sokratischen Kultur wird tragische Kultur genannt. Sie entwickelt sich aus seiner grundlegend kritischen Stellung zu Sokrates (469 – 399 v. Chr.). Der griechische Philosoph gilt als Stammvater einer Epoche. Diese suchte die Vernunft und Wissenschaft zur Herrschaft zu bringen und keine Mythen mehr kennt. Christian Niemeyer erläutert: „Entsprechend auch sah sich der frühe Nietzsche weniger als ein den Ideen der Aufklärung verpflichteter Jünger der Wahrheit denn als ein von Friedrich Wagner ermunterter Exponent der über sich selbst zu Bewusstsein gelangten griechischen Antike.“ Friedrich Nietzsches Programm bestand entsprechend darin, die als dionysisch gefasste künstlerische Kultur zu stärken. Er wollte sie der apollinisch strukturierten, auf Erkenntnis, Wissenschaft und Wahrheit setzenden Gegenwart als andere, bessere Seite entgegenhalten. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Die Vernunft gibt der Welt eine begriffliche Ordnung

Viele Menschen begreifen die Vernunft als die Fähigkeit, den Dingen und Vorgängen in der Welt eine begriffliche Ordnung zu geben. Als Vernunft gilt mit Recht, was den Menschen in die Lage versetzt, systematische Relationen zwischen seinen Einsichten herzustellen. Sie erlauben es ihm, regelgeleitet mit ihnen umzugehen. So kann er beispielsweise Einheiten, Verbindungen und Beziehungen erschließen. Diese erscheinen ihm in der Abfolge vieler Jahre enger miteinander verbunden, weshalb er sie als Epoche bezeichnen kann. Oder er kann die schier unendliche Reihe von gewesenen und kommenden Jahren als „Zeit“ begreifen. Volker Gerhard ergänzt: „Auch >Menschheit< ist ein Vernunftbegriff, ja sogar der Begriff des >Menschen< gehört dazu, wenn wir ihn als Exempel der Menschheit verstehen.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Das Prinzip der Freiheit darf niemals aufgegeben werden

An dem für sie wesentlichen Prinzip der Freiheit zeigt die Moderne, dass sie kein schlechthin neues Ziel verfolgt, sondern eine anthropologisch Grundintention, eben die Freiheit, zur Blüte, am liebsten sogar zur Vollendung bringen will. Otfried Höffe warnt: „Wer das Prinzip Freiheit aufgibt, setzt also mehr als nur das Projekt der Moderne und Einsichten ihrer großen Denker aufs Spiel.“ Allerdings erweist sich die Freiheit samt Moderne als ein vielschichtiges, inneren Spannungen ausgesetztes, in mancher Hinsicht sogar widersprüchliches Ziel. Otfried Höffe versteht also die Freiheit als ein facettenreiches, intern spannungsgeladenes und von Widersprüchen durchwirktes Phänomen. Viele Vorhaben und Visionen, erneut sowohl der Menschheit im Allgemeinen als auch der Moderne im Besonderen, sind von einem Freiheitsgedanken inspiriert. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Mit der Wahrheit kamen der Irrtum und die Lüge in die Welt

Für Friedrich Nietzsche hat die „tragische Existenz“ des Menschen ihren Grund im menschlichen Glauben an die Wahrheit. Diese verband er mit der Leistung des Erkennens. Die „schrecklichste Minute der Weltgeschichte“ so meinte er, sein jene, „in der die Menschen das Erkennen erfanden“. Erst mit dem Erkennen komme die Wahrheit in die Welt – und mit ihr der Irrtum und die Lüge. Für Friedrich Nietzsche stand deshalb außer Zweifel, dass diese „klugen Tiere“, die das Erkennen „erfanden“ und sich bis heute „Menschen“ nennen, gar kein anderes Schicksal haben können, als „bald zu sterben“. Volker Gerhardt hält dagegen: „Das wahrhaft Tragische ist nur, dass wir diesen Glauben an die Wahrheit, trotz der Kritik Friedrich Nietzsches, gar nicht aufgeben können.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Gelassenheit zeichnet sich durch Augenblicke der Unaufgeregtheit aus

Die mittelalterliche Gelassenheit ist eng mit der Steigerung der inneren Gelöstheit verbunden. Der Mensch sollte dabei geistig aus seiner Zeit heraustreten und auch jede Gebundenheit in einem Ort verlassen. Er sollte jedes eigene Wollen, jedes eigene Anliegen, jeden Zweck seines Wirkens hinter sich lassen. Paul Kirchhof erläutert: „Aber auch die mittelalterliche Ortlosigkeit, Abgeschiedenheit, nimmt den Menschen nicht fiktiv aus jedem geografischen Raum heraus, sondern meint die Haltung, stets aufmerksam für seine Bestimmung zu sein.“ Diese Wegweisung weist nicht alles Irdische von sich. Sie sieht den innerlich freien Menschen durchaus im Rahmen der sich entwickelnden Städte. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Die moderne Philosophie wendet sich dem Menschen zu

Der englische Dichter Alexander Pope schreibt in seinem großen Lehrgedicht aus dem Jahre 1734 folgende Zeilen: „Erkenne dich selbst, versuche nicht, Gott zu durchschauen. Der wahre Forschungsgegenstand der Menschheit ist der Mensch.“ Laut Ger Groot war es Immanuel Kant, der diese Idee zum ersten Mal philosophisch explizit und richtungsweisend formulierte. Er beginnt seine Studie „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“ mit dem Satz: „Alle Fortschritte in der Kultur, wodurch der Mensch seine Schule macht, haben das Ziel, diese erworbenen Kenntnisse und Geschicklichkeiten zum Gebrauch für die Welt anzuwenden. Aber der wichtigste Gegenstand in derselben, auf den er jene verwenden kann, ist der Mensch. Weil er sein eigener letzter Zweck ist.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden

Die ersten großen Denker in der Epoche der Renaissance Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola lassen das griechische Ideal der Weisheit wiederaufleben. Frédéric Lenoir erläutert: „Sie versuchen, nach dem Vorbild der Antike den Menschen in einem Kosmos zu integrieren: Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden und muss sich der universellen Gesetzen der Natur unterwerfen.“ Im 17. Jahrhundert denkt der Philosoph Baruch Spinoza gewissermaßen die von den Denkern der Antike ererbte Sichtweise weiter. Er entwickelt eine ethische Philosophie, die ganz dem Streben nach Weisheit verpflichtet ist. Im vorigen Jahrhundert hatte auch Montaigne eine Weisheit „auf der Höhe des Menschen“ vorgeschlagen. Diese ist zwar von Skeptizismus gefärbt, aber auch auf Glück und Freude ausgerichtet. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Menschen können gewalttätig und grausam sein

Auf dem Weg, sich von seinen angeborenen Instinkten zu befreien, ist der Mensch schon lange, jedenfalls lange bevor er Grund hatte, dem Verdacht einer Geringschätzung der Natur ausgesetzt zu sein. Zunächst war seine allmählich wachsende Fähigkeit, sich selbst eine Lebensweise auszuwählen, nicht günstig für die Pflanzen und Tiere, von denen der Mensch sich ernährte. Er pflanzte sie in Reih und Glied, züchtete sie nach seinen Erwartungen und ging mit den Tieren nach seinen Zwecken um. Volker Gerhard erläutert: „Er trennte die Jungtiere von den Müttern, um deren Milch für sich selbst zu nutzen, schor ihnen das Fell, und schlachte sie, nicht nur um ihr Fleisch zu essen, sondern auch, um sie den Göttern zu opfern.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Der IQ ist für beruflichen Erfolg eine wichtige Voraussetzung

Der Intelligenzquotient (IQ) ist in hohem Maß genetisch vorgegeben und nicht wesentlich veränderbar. Andreas Salcher ergänzt: „Und der IQ ist zumindest in unserer Leistungsgesellschaft für beruflichen Erfolg eine wichtige Voraussetzung, allerdings mit abnehmendem Grenznutzen.“ Ein IQ von 120 reicht zum Beispiel völlig aus, um in Organisationen Karriere zu machen oder ein Unternehmen erfolgreich zu führen. Ein IQ von 160 macht dabei keinen entscheidenden Unterschied – außer man will unbedingt einen Nobelpreis. Mit einem unterdurchschnittlichen IQ, also deutlich unter 100, wird man dagegen höchstwahrscheinlich sowohl in der Schule als auch im Beruf keinen nachhaltigen Erfolg haben. Für den Karriereforscher und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) Johannes Steyrer zeigen Langzeitstudien, dass der IQ signifikant mit Schulleistungen korreliert. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

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Die Denker der Antike strebten nach Weisheit

Die ersten großen Denker in der Epoche der Renaissance Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola lassen das griechische Ideal der Weisheit wiederaufleben. Frédéric Lenoir erläutert: „Sie versuchen, nach dem Vorbild der Antike den Menschen in einem Kosmos zu integrieren: Der Mensch ist als Teil mit einem Ganzen verbunden und muss sich der universellen Gesetzen der Natur unterwerfen.“ Im 17. Jahrhundert denkt der Philosoph Baruch Spinoza gewissermaßen die von den Denkern der Antike ererbte Sichtweise weiter und entwickelt eine ethische Philosophie, die ganz dem Streben nach Weisheit verpflichtet ist. Im vorigen Jahrhundert hatte auch Montaigne eine Weisheit „auf der Höhe des Menschen“ vorgeschlagen, die zwar von Skeptizismus gefärbt, aber auch auf Glück und Freude ausgerichtet ist. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Der Kapitalismus droht vollends zu kollabieren

Joseph Stiglitz kritisiert in seinem neuen Buch „Der Preis des Profits“, dass es seit der Finanzkrise des Jahres 2008 nicht gelungen ist, den Kapitalismus wirksam zu reformieren. Seiner Meinung nach ist sogar das Gegenteil eingetreten: Er droht vollends zu kollabieren. Joseph Stiglitz zählt folgende Missstände auf: „Die Finanzindustrie schreibt sich ihre eigenen Regeln; die großen Tech-Firmen beuten unsere persönlichen Daten aus; die Machtballung in der Industrie nimmt zu und der Staat hat seine Kontrollfunktion praktisch aufgegeben.“ Der Autor erklärt, wie es dazu kommen konnte und warum es, was nicht zuletzt das Beispiel Donald Trump zeigt, dringend nötig ist, den Kapitalismus vor sich selbst zu schützen. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Hegel formuliert einen Idealismus der Freiheit

Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Freiheit das Alpha und das Omega des absoluten Idealismus. Er schreibt im „Kritischen Journal“: „Die Berührungspunkte der Philosophie mit der gesamten Kultur sollen aufgespürt und die Relevanz der Philosophie für eine neuzeitliche Gesellschaft der Freiheit vorgelegt werden.“ Wie Klaus Vieweg in seiner Biografie über Hegel schreibt, kann der Begriff der Freiheit, der für Hegel den Mount Everest der Philosophie darstellt, erst durch die Aufhebung der praktischen Vernunft von Immanuel Kant und Johann Gottlieb Fichte bezwungen werden. Dabei geht es um das Überwinden zweier Entwürfe, die sich beide ausdrücklich als Freiheitsdenken verstanden haben. Der Mangel des formalen Idealismus der Freiheit liegt für Hegel im Gedanken der rein negativen Freiheit, der sich aus der Annahme eines negativen, leeren Absoluten ergibt. Klaus Vieweg ist Professor für klassische deutsche Philosophie an der Friedrich-Schiller Universität Jena und einer der international führenden Hegel-Experten.

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Der Philosoph ist ein Abenteurer des Geistes

Indem die Weisheit den Einzelnen auffordert, sich selbst und die Welt kennenzulernen, sein Wissen und seine Vernunft zu entwickeln, innerlich frei zu werden und sich gemäß seiner Natur zu entfalten, ist die Weisheit zutiefst subversiv. Frédéric Lenoir erläutert: „Denn sie stellt sich den religiösen und politischen Mächten entgegen, die gemeinsam daran arbeiten, den Zusammenhalt und die Stabilität der sozialen Gruppe bisweilen sogar mit Gewalt aufrechtzuerhalten.“ Wenn der Einzelne beginnt, sich mit seinem Seelenheil oder persönlichen Glück zu beschäftigen, wenn er seine Vernunft und Fähigkeit zur Erkenntnis entwickelt, läuft er Gefahr, den kollektiven Normen nicht mehr zuzustimmen. Ein Blick zurück in die Vergangenheit zeigt, dass die Suche nach Weisheit einst das wichtigste Ziel der Philosophie war, als sie im ersten Jahrtausend v. Chr. in Griechenland entstand. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Autorität funktioniert durch freiwillige Unterwerfung

Die Suche nach dem Ursprung von Autorität führt laut Paul Verhaeghe zu keiner überzeugenden Antwort. Sämtliche Versuche laufen ins Leere und haben sogar den entgegengesetzten Effekt. Am erhellendsten beschreibt dies Hannah Arendt. Autorität beruht ihrer Meinung nach auf einer externen und höheren Instanz, von der man die Befehlsgewalt beziehen kann, die sie einem jedoch auch wieder entziehen kann. Das „Höhere“ bewirkt, dass Autorität nach einer Pyramidenstruktur funktioniert. Wer am oberen Ende der Pyramide steht, ist dem Allerhöchsten am Nächsten und besitzt daher die meiste Befehlsgewalt. Die Autorität nimmt ab, je weiter man in der Pyramide nach unten geht. Zudem sind die verschiedenen Ebenen eng integriert und miteinander verbunden. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Der Westen muss seine eigenen Prinzipien formulieren

Die Praxis des westlichen Universalismus war den größten Teil seiner Geschichte alles andere als universell. Er schloss viele Menschen im eigenen Land und fast alle Menschen im Ausland aus. Die Frauen und die Mitglieder der „niedrigeren“ Gesellschaftsschichten wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt sogar Sklaven. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ab etwa 1500 manifestierte sich der westliche Universalismus für den größten Teil der Welt als Kolonialismus.“ Für einige hat sich diese Geschichte des westlichen Universalismus, der sich als Imperialismus manifestiert, bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Timothy Snyder kritisiert die Politik der Unausweichlichkeit

Die Politik der Unausweichlichkeit beruht auf der Annahme, dass es keine Ideen gibt. Wer sich sklavisch der Unausweichlichkeit unterwirft, leugnet, dass Ideen von zentraler Bedeutung sind, und zeigt damit nur, dass er seinerseits dem Einfluss einer mächtigen Idee unterliegt. Der Leitspruch der Politik der Unausweichlichkeit lautet: „Es gibt keine Alternativen.“ Timothy Snyder kritisiert: „Wer das akzeptiert, leugnet, dass er als Individuum Verantwortung dafür trägt, geschichtliche Entwicklungen zu erkennen und verändernd einzugreifen. Er wird zum Schlafwandler, der seinem bereits markierten, vorab gekauften Grab entgegenwankt.“ Die kapitalistische Version einer Politik der Ungleichheit, in der der Markt an die Stelle der Politik tritt, schafft eine ökonomische Ungleichheit, die jeden Glauben an Fortschritt unterminiert. Timothy Snyder ist Professor für Geschichte an der Yale University und Autor der Bücher „Über Tyrannei“, „Black Earth“ und „Bloodlands“.

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Kultur ist die Summe intellektueller Errungenschaften

Dass das Wort „Kultur“ auf das Universum der Ideen angewandt wird, hat die Menschheit Cicero und dem alten Rom zu verdanken. Cicero beschrieb mit dem Wort das Heranziehen der Seele – „cultura animi“; dabei dachte er offensichtlich an den Ackerbau und sein Ergebnis, die Vervollkommnung und Verbesserung des Pflanzenwachstums. Was für das Land gilt, kann demnach genauso auch für den Geist gelten. Antonio Damasio schreibt: „An der heutigen Hauptbedeutung des Wortes „Kultur“ gibt es kaum Zweifel. Aus Wörterbüchern erfahren wir, dass Kultur eine Sammelbezeichnung für Ausdrucksformen intellektueller Errungenschaften ist, und wenn nichts anderes gesagt wird, meinen wir damit die die Kultur der Menschen.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Es gibt keine allgemein akzeptiere Definition von „Angst“

Die Analyse der historischen Bedeutung von Angst stützt sich auf einige grundlegende Einsichten einer neu konzipierten und neuerdings wieder zunehmend populären Geschichte der Emotionen. Dass Emotionen eine Geschichte haben, ist keineswegs neu und geht auf den programmatischen Aufsatz des französischen Historikers Lucien Febvre aus dem Jahr 1941 zurück, in dem er eine „Geschichte des Hasses, eine Geschichte der Angst, eine Geschichte der Grausamkeit, eine Geschichte der Liebe“, propagierte. Frank Biess erklärt: „Febvre Aufsatz war tief verwurzelt in dem zeitgenössischen Verständnis der Emotionen als „primitive, basale Kräfte in uns“, die er dann auch für den Aufstieg des Faschismus in Europa mitverantwortlich machte.“ Seit der Jahrtausendwende hat das Interesse an Emotionen in der internationalen geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung wieder deutlich zugenommen. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

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Der Drang nach Erkenntnis ist nicht unchristlich

Der um 1200 geborene Albertus Magnus war mit Anfang 20 in den Bettelorden der Dominikaner eingetreten und schon früh in Lehrämter berufen worden. Zuletzt hatte er als Magister einen der beiden Dominikaner-Lehrstühle an der Universität Paris innegehabt. Hartmut Sommer ergänzt: „Nach Köln ging er um 1248, um dort im Auftrag des Ordens ein Generalstudium, also … Weiterlesen

Die meisten Menschen beherrschen die Kunst der Verstellung

Wenn Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Gründe oft und systematisch auftauchen, dann stellt sich für Philipp Hübl die Frage, wie sie evolutionär von Vorteil gewesen sein können. Als Antwort darauf gibt es mehrere Vorschläge. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers nimmt an, dass Selbsttäuschung sich im Dienste der sozialen Täuschung entwickelt hat. Friedrich Nietzsche hat diese soziobiologische Grundidee schon 150 Jahre früher so zusammengefasst: „Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen … die Regel und das Gesetz.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Volker Gerhardt erforscht die Natur des Menschen

In seinem neuen Buch „Humanität“ entwickelt der Philosoph Volker Gerhardt ein radikal neues Verständnis der Beziehung von Natur und Kultur. Auch dieses Werk lässt sich als Versuch verstehen, der Antwort auf die Frage nach der Natur des Menschen näherzukommen. Der Mensch ist ein Naturwesen, das sich bis heute nicht aus den unbarmherzigen Gegensätzen der Natur befreit hat. Volker Gerhard schreibt: „Er bleibt ihnen nicht nur ausgesetzt, sondern auch in ihnen befangen, obgleich er sich im Laufe der Jahrtausende mit der Kultur selbst einen Raum eröffnet hat, der ihn vor einem Teil der Widrigkeiten bewahren und sich auch vor sich selber schützen kann.“ Gleichwohl hat die Kultur mit der Sensibilität für den Schmerz und für feinste Unterschiede auch das Potenzial verstärkt, grausam und gefühllos zu sein. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Das Wohlbefinden hängt stark von der sozialen Umgebung ab

Die Vorstellung, Glück ließe sich ganz individuell und unabhängig von allen anderen verwirklichen, ist reichlich weltfremd. Ulrich Schnabel ergänzt: „Ein falsch verstandenes, zwanghaft positives Denken, das alles Negative ausblendet und nur rosarote Brillen zulässt, bringt am Ende mehr Unglück als Glück hervor.“ Schließlich hängt das Wohlbefinden eines Menschen stark von der sozialen Umgebung ab, von Freunden, Partnern, Arbeitskollegen et cetera. Zufriedenheit, so zeigt auch eine Langzeitstudie der Harvard University, hat vor allem mit Beziehungen zu tun. Studienleiter George Vaillant erklärt: „Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat Bindung. Und dabei geht es nicht unbedingt um die Bindung zum Lebenspartner, sondern eher um die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen, also im Sinne einer altruistischen und empathischen Verbindung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Die Gelassenheit zählt zu den vier Kardinaltugenden

Das, was viele Menschen suchen, um genügend Spielraum für ihre Handlungen zu gewinnen, die mehr sein sollen als reine Reaktionen auf Stressmomente, ist offenbar nicht der Zustand der Entspannung, sondern eher eine innere Haltung, die Ina Schmidt mit dem Begriff „Gelassenheit“ definiert: „Die Gelassenheit beschreibt eine Tugend, die schon in der Antike mit dem Begriff der Seelenruhe beschrieben wurde, nicht weil sie all das, was zu tun ist, loslässt, sondern weil sie uns befähigt, auch in emotionalen Stürmen den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren und handlungsfähig zu bleiben.“ In der platonischen Schule gehört die Gelassenheit zu den vier Kardinaltugenden für ein gelingendes Leben – neben der Weisheit, der Tapferkeit und der Gerechtigkeit. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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