Das Schicksal ist allmächtig

Zuweilen ruft das Gewissen laut, und das gute ist der bessere Ratgeber als das schlechte. Dieses schleppt sich dahin, und oft verrät sich das Gewissen aus eigenem Antrieb. In der Antike steht die moralische Schuld im Schatten des allmächtigen Schicksals. Dieses sucht den einzelnen Menschen ohne Rücksicht auf dessen Motive heim. In der Neuzeit dagegen tritt epochales Unrecht in der Regel bereits in Begleitung des Unrechtsbewusstseins auf. In Michel de Montaignes Essai sind es Überlegungen zur Folter, die das Gewissen auf den Plan rufen. Offenbar bedarf diese auch damals schon der Rechtfertigung. Erst die Folter, so lautet sie, könne die unterdrückte Stimme des Gewissens zum Klingen bringen. Michel de Montaigne (1533 – 1592) hatte mit seinen Essais schon zu Lebzeiten durchschlagenden Erfolg.

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Reinhard Haller kennt alle Spielarten der Rache

Spektakuläre Gewalttaten und alltägliche Gemeinheiten des Zwischenmenschlichen haben eines gemeinsam. Im Kern von beiden steckt häufig Rache. Psychiater, Suchtexperte und Bestsellerautor Reinhard Haller öffnet in seinem neuen Buch „Rache“ das Tor zu einer bisher weitgehend unerforschten Dimension der Gefühle. Er beschreibt dabei alle Spielarten der Rache und legt ihre Wurzeln frei. Reinhard Haller erklärt wie aus einem dünnen Trieb, etwa in Gestalt einer geringfügigen Zurückweisung, wie sie im Alltag laufend vorkommt, oft Gewaltsames entstehen kann. Rache ist ein Gefühl, das in allen, auch in den engsten Beziehungen, vorkommt. Nicht selten folgen auf die Gedanken an Rache auch Taten. Meist sind es nur geringfügige Boshaftigkeiten, die im Trubel des Alltags kaum Aufmerksamkeit bekommen. Oft entstehen daraus jedoch psychische Probleme und Konflikte in der Partnerschaft oder im Beruf.

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Die Vernunft führt zur Bildung von Urteilen

Weil der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, sollten auch vernünftige Erkenntnisse und Überlegungen dazu führen, dass man sich gegen Unrecht stellt. Der Duden definiert Vernunft als „geistiges Vermögen des Menschen Einsichten zu gewinnen und Zusammenhänge zu erkennen. Dazu kommt die Fähigkeit, etwas zu überschauen, sich ein Urteil zu bilden und sich in seinem Handeln danach zu richten“. Klaus-Peter Hufer stellt fest: „Demzufolge müsste Vernunft zu einer unabhängigen und reflektierten Urteilsbildung führen.“ Damit ist jedoch noch kein Ziel gegeben, in welche Richtung diese Bildung des Urteils führt. Ein vernünftiger Mensch sollte erkennen können, dass die Billigung individueller Gewalt das zwischenmenschliche Zusammenleben unmöglich macht. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Der Zorn hat offenbar drei wichtige Funktionen

Martha Nussbaum beschäftigt folgende Frage: „Ist Zorn nicht aber edel, wenn die Gesellschaft verdorben und brutal ist?“ Wenn Menschen niedergehalten werden, lernen sie allzu oft, sich in ihr „Schicksal“ zu fügen. Sie bilden „adaptive Präferenzen“, sagen sich, dass ihr Los akzeptabel sei und sie es stillschweigend hinnehmen sollten. Wenn sie sich aber ergeben, wird eine Veränderung unwahrscheinlich. Damit sozialer Fortschritt in Gang kommt, braucht es zunächst einmal Menschen, die erwachen und sich der ungerechten Behandlung, die sie durch die Gesellschaft erfahren, bewusst werden. Und geht man nicht davon aus, dass aus diesem Bewusstwerden berechtigter Zorn erwächst? Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Der Glaube ist etwas Irrationales

Søren Kierkegaard (1813 – 1855) beschäftigt sich in seinem berühmtesten Werk „Entweder – Oder“ (1843) mit dem Thema der Entscheidungsfindung. Nigel Warburton erklärt den Inhalt: „Dieses Buch stellt den Leser vor die Entscheidung, entweder ein Leben des Vergnügens und der Schönheit zu wählen oder eines, das auf konventionellen Moralregeln gründet – eine Entscheidung zwischen Ästhetik und Ethik.“ Und immer wieder kehrte er in seinen Schriften auf ein Thema zurück – den Glauben an Gott. Den Mittelpunkt bildet die Geschichte von Abraham. Für Søren Kierkegaard ist der Glaube an Gott keine einfache Entscheidung, sondern eine, die einen Sprung ins Ungewisse erfordert, eine im Glauben getroffene Entscheidung, die sich sogar gegen konventionelle Vorstellungen von dem, was man tun sollte, wendet. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

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Strafrecht ist Kommunikation und Gewalt

Thomas Fischer lotet in seinem neuen Buch „Über das Strafen“ die Wechselwirkungen von Strafrecht und Gesellschaft aus. Einer seiner hervorstechenden Thesen lautet: „Strafrecht ist Kommunikation und Gewalt.“ Denn im Strafrecht manifestiert sich erstens das Gewaltmonopol des Staates. Es steht im Fokus der politischen Bemühungen der Steuerung. Und zweitens ist die Kommunikation über das Strafrecht die Oberfläche sozialer Prozesse. Thomas Fischer vereint soziologische, philosophische und juristische Erkenntnisse zu einer so gehaltvollen wie provokativen Antwort auf die Frage nach dem Gleichgewicht von Rache und Prävention, Sicherheit und Freiheit, Affekt und Rechtsstaatlichkeit. Dabei erscheint das Strafrecht manchmal wie eine eigene Wirklichkeit, als eine mögliche, häufig sogar naheliegende Lösungsinstanz, die man aus der Unübersichtlichkeit der Lebenswelt und der gesellschaftlichen Problemlagen anrufen kann. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Der Zorn lässt Menschen kindisch wirken

Seneca hat eine Reihe unterschiedlicher Einwände gegen den Zorn. Oft, so behauptet er, gelte die Emotion ziemlichen Belanglosigkeiten. Weit davon entfernt, nützliches Verhalten zu fördern, stelle der Zorn eine sehr instabile und unverlässliche Grundlage der Motivation dar. Er sei beileibe nichts Erfreuliches, sondern vielmehr äußerst unerfreulich und eine Ursache für noch mehr Unerfreuliches. Martha Nussbaum zitiert Seneca weiter, der über den Zorn noch folgendes zu sagen hat: „Auch dient der Zorn nicht zuverlässig der Abschreckung, sondern lässt die Menschen kindisch wirken, und mit einer solchen Ausstrahlung verbindet sich nichts Abschreckendes.“ Keineswegs erhaben, sei der Zorn vielmehr Ausdruck von Engstirnigkeit und niederer Gesinnung. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Die Frage nach dem Bösen und dem Unrecht ist elementar

Einst sang die österreichische Kultband „Erste Allgemeine Verunsicherung“ das Lied „Das Böse ist immer und überall“. Ob das zutrifft, untersucht die neue Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Das Böse“. Das Böse muss nicht immer das Resultat diabolischer Absichten sein, aber durchzieht den Alltag vieler Menschen auf vielfältige, kaum erkennbare Weise. Es kann aus schierer Gedankenlosigkeit entstehen und mithilfe politischer Ideologien ganze Gruppen, ja Gesellschaften erfassen. Catherine Newmark, Chefredakteurin der Sonderausgabe, schreibt im Editorial: „Das Böse fordert uns zum Nachdenken über uns selbst heraus, es irritiert nachhaltig, weil wir es oft kaum fassen, geschweige denn verstehen können.“ Die Welt ist voller Unrecht, Leid und Schrecken, der Mensch hat in sich nicht nur Güte und die Fähigkeit zur Erkenntnis, sondern auch Aggression und Zerstörungswut – das sind Tatsachen, die man anerkennen muss und doch kaum akzeptieren kann.

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Zorn in der Ehe rührt oftmals von ungerechtfertigten Geschlechterrollen her

Zorn in vertrauten Beziehungen resultiert häufig aus einer der zahlreichen falschen Wertvorstellungen einer Gesellschaft in Bezug auf Fehlverhalten und die Schwere, mit der es ins Gewicht fällt. Beispielsweise das Streben nach Unabhängigkeit von Kindern und selbst ihre Suche nach bloßem Vergnügen häufig äußerste Missbilligung erfahren. Martha Nussbaum nennt ein weiteres Beispiel: „So verbindet sich auch der Zorn in der Ehe in vielen Fällen mit Annahmen und Erwartungen, die maßgeblich von ungerechtfertigten Geschlechterrollen herrühren; Männer haben namentlich das Streben der Frauen nach Unabhängigkeit und Gleichheit als besonders bedrohlich empfunden.“ Es ist oft schwierig zu trennen zwischen Fällen, in denen Zorn unangebracht ist, weil die betreffende Person gegen eine schlechte gesellschaftliche Norm verstoßen, aber nichts wirklich Falsches getan hat, und Fällen, in denen ein wirkliches Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Manchmal kann das Verlangen nach Rache gerechtfertigt sein

Zwar ermorden nur wenige betrogene Ehepartner wie Medea ihre Kinder, um den Betrüger zu verletzen, doch Schmerz zufügen wollen mit Sicherheit viele. Ihre entsprechenden Anstrengungen haben laut Martha Nussbaum nicht selten schwere Kollateralschäden zur Folge. Auch wenn die Selbstbeherrschung den betrogenen Teil davon abhält zu tun, was er in seiner Wut am liebsten tun würde, so gärt es doch weiter in ihm, und er setzt all seine Hoffnungen darauf, dass es dem betrügenden Teil und seiner neuen Familie irgendwie schlecht ergeht. Und wie oft geschieht es nicht, dass der böse Wille aufs Neue durchbricht – sei es in Gerichtsverfahren, in der subtilen Beeinflussung der Kinder oder einfach nur in der mangelnden Bereitschaft, Männer wieder Vertrauen entgegenzubringen. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Vor der Vergebung steht die Mäßigung des Zorns

Laut Charles Griswold ist Vergebung ein Prozess zwischen zwei Menschen, der eine Mäßigung des Zorns und das Aufgeben von Racheplänen umfasst. Aussicht auf Vergebung hat demnach nur, wer anerkennt, dass er der verantwortliche Täter war, sich von seinen Taten und von sich selbst als ihrem Urheber distanziert, dem oder der Verletzten gegenüber sein Bedauern ausdrückt, dass er ihr oder ihm diese Verletzung zugefügt hat und sich verpflichtet, jemand zu werden, der keine Verletzungen mehr zufügt, und diese Verpflichtung durch Taten und Worte unter Beweis stellt. Außerdem sollte er zeigen, dass er den durch die Verletzung zugefügten Schaden aus der Perspektive der verletzten Person versteht und glaubwürdig machen können, was ihn zudem Unrecht veranlasst hat, inwiefern sein Fehlerverhalten nicht alles über seine Person aussagt und was er unternimmt, um sich der Gewährung der Vergebung als würdig zu erweisen.

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Ein sanftmütiger Mensch lässt sich nicht vom Affekt fortreißen

Wenn sich ein Mensch aus seiner narzisstischen Selbstverstrickung löst, wird ihm auf zweierlei Weise geholfen. Erstens ist er nicht mehr der Verzerrung eines Denkens unterworfen, das alles auf die eigene Person bezieht, und zweitens ist er gezwungen, das Wohl eines jeden zu berücksichtigen, nicht nur das der Partei, der Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum fügt hinzu: „Aristoteles macht einen ergänzenden Vorschlag: Ihm zufolge vermeidet wir unangebrachten Zorn aufgrund des Statusdenken, indem wir den Standpunkt der Person einnehmen, die uns verletzt hat. Aristoteles gibt der tugendhaften Veranlagung eine Bezeichnung, die auf denkbar wenig Zorn hindeutet: „Sanftmut“. Das Kennzeichen der Sanftmut sind triftige Gründe. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Das Sicherheitsgefühl der Deutschen ist stark angeschlagen

Der islamistische Terror ist auch in Deutschland angekommen – nicht nur örtlich und politisch, sondern auch in den Köpfen der Menschen. Seit dem Sommer 2016 vergeht kaum eine Woche ohne Nachrichten über aktuelle Terroranschläge oder Terrorwarnungen, auch in Deutschland. Die anhaltende Bedrohung hinterlässt Spuren bei der Bevölkerung. Jens Gnisa erklärt: „Das Sicherheitsgefühl der Deutschen ist stark angeschlagen. Die Furcht vor islamischem Terror steigt nach einer Erhebung im Roland Rechtsreport (2017) stetig.“ Das ist nicht nur irgendeine abstrakte Einschätzung. Die Menschen beziehen die Gefahr auf sich persönlich und fühlen sich unmittelbar bedroht. Das beeinflusst auch ihr Verhalten: 45 Prozent sind in größeren Menschenansammlungen verunsichert. Jens Gnisa fordert, dass dies nicht so bleiben darf. Denn dann ginge die perfide Strategie der Terroristen auf, deren Ziel die Einschüchterung der Bevölkerung ist. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

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Hilal Sezgin fordert ein gemeinsames Handeln für eine bessere Welt

Die Philosophin Hilal Sezgin plädiert in ihrem neuen Buch „Nichtstun ist keine Lösung“ für eine Ethik, in der nicht Rechthaben, Konkurrenz und Verzicht im Vordergrund stehen, sondern gemeinsames Handeln für eine bessere Welt. Anders gesagt: Sie macht den Menschen Mut, sich auf ihre eigene Courage zu besinnen. Denn die Welt braucht ihrer Meinung nach mehr Gut-sein als weniger: „Wenn wir das Gute nicht tun, wird das Schlechte überhandnehmen und uns in den Abgrund reißen.“ Deshalb versucht sie herauszufinden, warum das Gute gegenwärtig einen so schlechten Leumund hat und warum es so viele Menschen verunsichert. Die Verunsicherten brauchen ein Verständnis des Guten, dass sie nicht abschreckt. Sie müssen den Stimmen nachgehen, die ihnen vorgaukeln, wenn wir das Gute nicht täten, ginge es uns besser. Die Philosophin Hilal Sezgin ist Buchautorin und freie Journalistin.

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Freude lässt sich durch zahlreiche Anreize erzeugen

Der große Universalgelehrte des 18. Jahrhunderts Jeremy Bentham beginnt sein einflussreichstes Werk mit den Worten. „Die Natur hat die Menschheit dem Regiment zweier oberster Gebieter unterstellt: Leid und Freude. Sie alleine legen uns nahe, was wir tun sollen, und sie alleine bestimmen, was wir dann wirklich tun. An ihrem Thron sind die Normen für Recht und Unrecht ebenso festgemacht wie die Kette von Ursachen und Wirkungen. Sie beherrschen in umfassender Weise unser Tun, unsere Reden, unser Denken.“ Tali Sharot nimmt sich die Freiheit zu vermuten, dass Jeremy Bentham die Begriffe „Freud“ und „Leid“ im weitesten Sinne benutzt hat, um gute und schlechte Gefühle zu beschreiben. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.

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Die Werte einer Beziehung sind durch den Zorn stark bedroht

Häufig heißt es, der Zorn – sei er bisweilen auch übermäßig und unangebracht – stellt in vertrauten und persönlichen Beziehungen einen wertvollen Ausdruck von Selbstachtung dar, der kultiviert werden soll, vor allem von Menschen mit leicht angreifbarem Selbstwertgefühl – Frauen werden oft als Beispiel angeführt. Martha Nussbaum wendet sich gegen diese Argumentation und behauptet, dass die für die persönliche Vertrautheit charakteristischen Werte auf den Zorn verzichten können und durch ihn sogar stark bedroht sind. Natürlich kommen Verletzungen und Vertrauensbrüche vor und sie sind oftmals Anlass für kurzeitigen Zorn oder langjährige Trauer. Dennoch ist die Trauer über einen Verlust besser als das sture Festhalten dran, den Verlust jemand anderem zuzuschieben. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Die Liebe befähigt einen Menschen zum Vergeben

„Ihr sind viele Sünden vergeben, denn sie hat viel geliebet; welchem aber wenig vergeben wird, der liebet wenig“: Hannah Arendt zitiert diesen Satz aus dem Lukasevangelium, den Jesus über die ehemalige Prostituierte Marin Magdalena sagt, in ihrem Buch „Vita activa“. Der Ausspruch Jesu, so die Philosophin, verweise auf ein Wesensmerkmal des Vergebens – richtet sich dieses doch bei näherem Hinsehen nicht auf die Tat selbst als vielmehr auf den Menschen, der sie begangen hat. Svenja Flaßpöhler fügt hinzu: „Nicht das Vergehen, sondern seinem Urheber wird vergeben, denn: Er ist größer als seine Tat. Die Liebe, die im Täter wohnt, erhebt ihn über das Unheil, das er angerichtet hat.“ Aber wie ist zu erkennen, ob eine Sünderin tatsächlich viel liebt oder nur vorgibt, dies zu tun? Dr. Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Alle Menschen können fehlerhafte Detektive sein

Das Gedächtnis eines Menschen arbeitet fast nie ganz zuverlässig. So sehr sich die meisten Menschen wünschen würden, dass die Justiz unfehlbar sei, dass die Polizei immer den tatsächlich Schuldigen fasst, wissen sie doch, dass das in Wahrheit nicht der Fall ist. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Menschen wegen schrecklicher Verbrechen zu Unrecht verurteilt und eingesperrt wurden. Julia Shaw nennt Zahlen: „Im Durchschnitt verbrachten diese Menschen 14 Jahre im Gefängnis, und das wegen eines Verbrechens, dass sie nicht begangen hatten. Fehlerhafte Erinnerung spielte in mindestens 75 Prozent der Fälle eine Rolle.“ Wenn solche Fälle später überprüft werden, wird häufig klar, dass die beteiligten Polizisten alles in ihrer Macht stehende getan haben, um einen Verdächtigen hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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„Verhärtete Selbstgerechte“ wollen mit Ausländern nichts zu tun haben

Ernst-Dieter Lantermann und sein Forscherteam haben im Rahmen einer bundesweiten Studie mehrere Bevölkerungsgruppen ausfindig gemacht, die besonders anfällig für fremdenfeindliche Haltungen sind. Die Mitglieder einer ersten fremdenfeindlichen Gruppe, die die Wissenschaftler die „verhärteten Selbstgerechten“ genannt haben, befinden sich in einer ökonomisch und beruflich gefestigten, wenn auch nicht üppigen Lage, verfügen über eine mittlere Bildung und empfinden sich als Gewinner der ökonomischen Entwicklung, sozial eingebunden und wertgeschätzt. Auf dieser Grundlage entwickeln sie ein recht robustes Selbstbewusstsein. Allerdings blicken sie pessimistisch in die Zukunft. Sie haben den Eindruck, dass sich die Gesellschaft zum Schlechteren hin entwickelt, und misstrauen dem Staat und seinen Institutionen, von denen sie sich für die Zukunft wenig Unterstützung und Verständnis erwarten. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Antibiotika helfen zuverlässig gegen Borreliose

Schätzungen zufolge erkranken in Deutschland pro Jahr 100.000 Menschen an Borreliose, einer von Zecken übertragenen Infektion mit Bakterien. Der Neurologe Dr. Tobias Rupprecht, der im Helios-Klinikum München West eine Spezialambulanz für Borreliose leitet, kann die meisten seiner Patienten beruhigen: „Der Verdacht erweist sich bei mehr als zwei Drittel als falsch. Gerade wegen der vielen möglichen Symptome vermuten Patienten und Ärzte manchmal auch bei unklaren Beschwerden: Das könnte eine Borreliose sein. Nicht selten zu Unrecht. Dr. Tobias Rupprecht erklärt allerdings: „Die Erkrankung muss man immer ernst nehmen. Ein darin erfahrener Arzt kann sie in den meisten Fällen gut erkennen.“ Antibiotika helfen zuverlässig, auch dann, wenn sich die Borrelien – so die Bezeichnung der Erreger – schon im Körper verteilt haben. Die Zecken schlagen fast immer im Grünen zu.

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Ein Leidender stößt in unbekannte Tiefen vor

Wenn die meisten Menschen an die Zukunft denken, wünschen sie sich einen Zustand stabiler Zufriedenheit im Leben. Aber es gibt ein interessantes Phänomen. Wenn sich Menschen an die entscheidenden Ereignisse erinnern, die ihre Persönlichkeit formten, sind dies in der Regel keine „Glücksmomente“. David Brooks erklärt: „Am prägendsten scheinen vielmehr die leidvollen Erfahrungen zu sein. Die meisten Menschen greifen nach dem Glück, haben aber das Gefühl durch Leiden geformt zu werden.“ Für die meisten Menschen ist Leiden nichts an sich Wertvolles oder Edles. So, wie Scheitern manchmal einfach nur Scheitern ist, so ist Leiden manchmal nur zerstörerisch und sollte so schnell wie möglich beendet oder therapeutisch behandelt werden. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Der Aufklärer Voltaire war ein Verfechter der Meinungsfreiheit

Im 18. Jahrhundert behaupteten einige Menschen mit Bestimmtheit, dass ihre Welt die beste aller möglichen sei. Der englische Dichter Alexander Pope (1688 – 1744) schrieb: „Was auch immer ist, ist richtig.“ Das heißt: Alles auf der Welt ist aus einem bestimmten Grund so, wie es ist. Nigel Warburton erklärt: „Es ist alles Gottes Werk, und Gott ist gütig und allmächtig. Selbst wenn die Dinge schlecht zu laufen scheinen, sind sie es nicht.“ Selbst Krankheiten und Umweltkatastrophen gehören nach dieser Ansicht zu Gottes Plan. Der Fehler der meisten Menschen besteht einzig und allein darin, das Augenmerk nur auf einzelne Details zu richten, statt das große Ganze zu sehen. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

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Viele Menschen wissen nicht um den Schmutz in ihrer Seele

Rotraud A. Perner kritisiert, dass leider die meisten Menschen auf die reinigende Kraft der Schuldverschiebung vertrauen. Der Psychologe Thomas Kornbichler mahnt: „Viele wissen nicht um den Schmutz in der eigenen Seele und projizieren ihn deshalb fanatisch auf ihre Feindobjekte.“ Denn das ist die Funktion von Feindbildern: Man kann ihnen leichter Schuld andichten als Nahestehenden, die einen zur Rechenschaft ziehen könnten. Da wird meist weitergelogen, obwohl das eine Chance wäre, sich echt zu entschuldigen. Unecht sind auch stellvertretende Entschuldigungen. Egal ob sich Politiker mit der Gnade der späten Geburt für den Holocaust entschuldigen oder irgendwelche Funktionsträger für katastrophale Fehlhandlungen ihrer Soldaten – es wird die direkte Konfrontation mit den Geschädigten oder ihren Nachfahren vermieden. Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Eines ihrer zahlreichen Bücher heißt „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

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Fast niemand mehr überblickt die Folgen seines Tuns

Im Zentrum des 18. Philosophicum Lech stand die Frage, wie es um die Verantwortung des Menschen für andere und seine Selbstverantwortung steht und was es bedeutet, angesichts einer zunehmenden Verantwortungslosigkeit, noch nach Schuld und Sühne zu fragen. Ein freier Mensch ist für seine Handlung verantwortlich und als mündige Person schuldfähig. Das heißt, er muss für das einstehen, was er getan oder unterlassen hat. Je mehr die moderne Wissenschaft den Menschen jedoch als ein durch Gene, Umwelt, das Unbewusste und Hirnfunktionen bestimmtes Wesen erkennt, desto fragwürdiger wird die These, dass der Mensch für sein Tun verantwortlich ist. Auch wenn jemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, stellt sich die Frage in einer Gesellschaft, in der fast niemand mehr die Folgen seines Tuns überblick, wer letztlich für eine Katastrophe verantwortlich ist. Gute Beispiele dafür sind Reaktorunglücke, Finanz- oder Wirtschaftskrisen bis hin zum Klimakollaps.

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Echte Freundschaft kann man für alles Geld der Welt nicht kaufen

Michael J. Sandel stellt sich die Frage, ob es Dinge gibt, die für Geld nicht zu kaufen sein sollten. Die meisten Menschen vertreten die Ansicht, dass es solche Dinge sehr wohl gibt. Als Beispiel nennt Michael J. Sandel die Freundschaft. Die wenigsten Menschen haben schon einmal daran gedacht, sich Freunde zu kaufen. Denn ein angeheuerter Freund ist nicht dasselbe wie ein echter. Michael J. Sandel schreibt: „Irgendwie scheint das Geld, mit dem Freundschaft erkauft wird, diese aufzulösen oder sie in etwas anderes zu verwandeln.“ Als zweites Beispiel nennt Michael J. Sandel den Kauf einer menschlichen Niere. Manchen Menschen befürworten den Handel mit Organen, andere finden solche Märkte moralisch verwerflich. Michael J. Sandel ist politischer Philosoph, der in Oxford studiert hat und seit 1980 in Harvard lehrt. Seine Vorlesungen über Gerechtigkeit machten ihn zu einem der bekanntesten Moralphilosophen der Gegenwart.

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