Experten müssen frei argumentieren können

Wenn sie über die Einführung neuer Normen, Gesetze oder Reformen diskutieren, wenden sich Entscheidungsträger und Journalisten oft an Experten. Meistens handelt es sich dabei um Intellektuelle, die sich in einem bestimmten Gebiet profiliert haben oder im Ruf stehen, über ein Thema kritisch nachzudenken. Experten und Intellektuelle haben einen Einfluss auf die Denkprozesse, die zu einer Entscheidung führen. Allan Guggenbühl erklärt: „Die Hoffnung ist, dass sie sich nicht durch kollektive Debatten und Standardparadigmen vereinnahmen lassen, sondern sich im öffentlichen Diskurs durch geistige Unabhängigkeit und kritischen Geist auszeichnen.“ Bei Experten sollte es sich um Menschen handeln, die sich zur Aufgabe gemacht haben, nachzudenken und frei von Abhängigkeiten zu argumentieren. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Das Dritte Reich begab sich auf Kriegskurs

Nach der Inkorporation des „Sudetenlandes“ ins Reichsgebiet richtete sich nun das Interesse des Deutschen Reichs auf die Tschechoslowakei beziehungsweise das, was von ihr nach der Münchener Konferenz übrig geblieben war. Ulrich Herbert erklärt: „Um das Land zu destabilisieren, unterstützte die deutsche Regierung die separatistische Bewegung in der Slowakei, die auf deutsches Drängen schließlich die Abtrennung vom tschechischen Teil des Landes und die Unabhängigkeit erklärte.“ Als die tschechische Regierung Truppen schickte, um die Unruhen niederzuschlagen, nutzte Adolf Hitler die so entstandene Situation der Unsicherheit, um den in Berlin weilenden tschechischen Staatspräsidenten Emil Hácha so stark unter Druck zu setzen, dass er sich bereit fand, Deutschland offiziell zu Hilfe zu rufen und das Schicksal seines Landes „vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches“ zu legen. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Die Vernunft führt zur Bildung von Urteilen

Weil der Mensch ein vernunftbegabtes Wesen ist, sollten auch vernünftige Erkenntnisse und Überlegungen dazu führen, dass man sich gegen Unrecht stellt. Der Duden definiert Vernunft als „geistiges Vermögen des Menschen Einsichten zu gewinnen und Zusammenhänge zu erkennen. Dazu kommt die Fähigkeit, etwas zu überschauen, sich ein Urteil zu bilden und sich in seinem Handeln danach zu richten“. Klaus-Peter Hufer stellt fest: „Demzufolge müsste Vernunft zu einer unabhängigen und reflektierten Urteilsbildung führen.“ Damit ist jedoch noch kein Ziel gegeben, in welche Richtung diese Bildung des Urteils führt. Ein vernünftiger Mensch sollte erkennen können, dass die Billigung individueller Gewalt das zwischenmenschliche Zusammenleben unmöglich macht. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Grenzenlose Freiheit ist nicht möglich

Abhängig zu sein, ist für den Menschen kränkend und wird bekanntlich, so gut es geht, verleugnet. Diese Kränkung macht verständlich, warum vielen der radikale Gegenentwurf völliger Unabhängigkeit und das damit verbundene Versprechen grenzenloser Freiheit verlockend erscheinen. Joachim Bauer erklärt: „Der geheime Wunsch, der Schwerkraft der Inter-Personalität zu entkommen, sich über andere erheben zu können und dadurch eine gewisse Großartigkeit zu erreichen, erinnert an Ikarus, der die Warnung seines Vaters missachtete, beim Fliegen mit den aus Wachs zusammengeklebten Federn der Sonne nicht zu nahe zu kommen.“ Dass Menschen autonom sein wollen, ist völlig legitim. Doch sosehr sie sich auch bemühen: Der Versuch, das in ihnen verankerte Du und die vielen äußeren und interpersonellen Abhängigkeiten loszuwerden, ist zum Scheitern verurteilt. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

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Die meisten Menschen führen ein weitgehend vermitteltes Dasein

Die Vorstellung von menschlicher Vortrefflichkeit zielt auf einen starken, unabhängigen Geist, der seine Möglichkeiten vollkommen ausschöpft. Eine solche Unabhängigkeit erlangt ein Mensch durch disziplinierte Aufmerksamkeit, durch Handeln, das ihn mit der Welt verbindet. Diese Aufmerksamkeit ist wichtig, um das Selbst in Übereinstimmung mit seiner Umwelt zu bringen. Matthew B. Crawford erklärt: „Wir sind in einer Welt verankert, die wir nicht gemacht haben – und diese „Situiertheit“ ist grundlegend für das menschliche Wesen.“ Matthew B. Crawford streicht drei Elemente der Situiertheit heraus: die Verkörpertheit des Menschen, seine zutiefst soziale Natur und die Tatsache, und dass er in einem bestimmten historischen Moment lebt. Außerdem möchte Matthew B. Crawford „Freiheit“ als positiven Begriff einfach fallen lassen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Martha Nussbaum erklärt den Zorn der Kinder auf ihre Eltern

Selbst erwachsene Kinder geraten manchmal in Zorn über ihre Eltern. Martha Nussbaum erläutert: „Sie stoßen sich an der elterlichen Autorität und empfinden das Bedürfnis, durch emotionale Konfrontation zur Selbstbestimmung zu gelangen.“ Zorn gehört tatsächlich eng zu dieser Beziehung, weil sich das Kind in seinem Bemühen um Unabhängigkeit schon am Dasein und an der Kompetenz des Elternteils stößt und gute Eltern fast unerträglicher sind als schlechte Eltern. Im Jugendalter ist Zorn in der Regel strategisch: Kinder nutzen ihre Emotionen, um sich loszulösen, eine Abgrenzung zu schaffen, auch wenn ihnen das selbst nicht klar ist. Bei Kindern ist dies gewöhnlich eine harmlose Strategie und eine vorübergehende Erscheinung. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Verzeihen ermöglicht einen Neuanfang

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2019 lautet: „Verzeihen. Gibt es einen Neuanfang?“ Wo Menschen handeln entsteht manchmal Schuld. Und in einzelnen Fällen wiegt sie so schwer, dass kein Heil mehr möglich scheint. Hier kommt das Verzeihen ins Spiel, als Weg das Gewesene zu verwandeln und neu zu beginnen: Darin waren sich Denker wie Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und Paul Ricœur einig. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Beitrag, dass es Verletzungen gibt, die ein Dasein ganz und gar bestimmen können. Schmerzhafte Erfahrungen fesseln das Selbst – und nicht selten auch ganze Nationen. Sie halten Menschen gefangen in einer Fixierung auf Taten, die das Leben tief erschüttern, vielleicht gar zerstören. Der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas schrieb: „Wer verzeiht, ist fähig, das Band mit der Vergangenheit neu zu knüpfen.“

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Zorn in der Ehe rührt oftmals von ungerechtfertigten Geschlechterrollen her

Zorn in vertrauten Beziehungen resultiert häufig aus einer der zahlreichen falschen Wertvorstellungen einer Gesellschaft in Bezug auf Fehlverhalten und die Schwere, mit der es ins Gewicht fällt. Beispielsweise das Streben nach Unabhängigkeit von Kindern und selbst ihre Suche nach bloßem Vergnügen häufig äußerste Missbilligung erfahren. Martha Nussbaum nennt ein weiteres Beispiel: „So verbindet sich auch der Zorn in der Ehe in vielen Fällen mit Annahmen und Erwartungen, die maßgeblich von ungerechtfertigten Geschlechterrollen herrühren; Männer haben namentlich das Streben der Frauen nach Unabhängigkeit und Gleichheit als besonders bedrohlich empfunden.“ Es ist oft schwierig zu trennen zwischen Fällen, in denen Zorn unangebracht ist, weil die betreffende Person gegen eine schlechte gesellschaftliche Norm verstoßen, aber nichts wirklich Falsches getan hat, und Fällen, in denen ein wirkliches Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Geistige Unabhängigkeit setzt ruhige Tapferkeit voraus

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter“, schrieb Kurt Tucholsky, „als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Zunächst einmal ist es intellektuell und psychologisch schwierig, sich außerhalb des tradierten Wissens seiner Zeit und eines Ortes zu stellen. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Die normative Kraft des Faktischen bringt uns dazu, dass wir die Bedingungen in unserem Umfeld, die alle anderen für normal zu halten scheinen, in mancher Hinsicht auch als ethische Norm betrachten.“ Zahlreiche Studien in Verhaltenspsychologie beweisen, dass eine individuelle Überzeugung, was wahr oder richtig ist, durch den massiven Druck der Mitmenschen erschüttert wird. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Die Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung

Die kämpferische Verschärfung der Beschwörung der Heimat geschieht durch Abspaltung. Christian Schüle weiß: „Ihre quasi heilige Berufung auf eine glorreiche Vergangenheit ist allen sezessionistischen und separatistischen Gruppierungen eigen.“ Fast immer sind ihre Argumente zugleich ökonomischer und ökologischer Natur: Wohlhabende Regionen grenzen sich gegen jene ab, die ihren Wohlstand von außen bedrohen und ihre Regionen einwandern, weil aus separatistischer Sicht Wohlstand und Region Synonyme sind. Einer politischen Abgrenzung entspricht als typische Geisteshaltung der Separatismus, vielfach zu studieren an Unabhängigkeitsgelüsten in Norditalien, im Baskenland, in Katalonien, in Schottland und in der Ost-Ukraine. Der Traum vom eigenen Ministaat, von der heilen Welt der unverdorbenen, autarken, autonomen Heimat, bringt die Selbstbestimmung der regionalen Bürger in Stellung gegen die Fremdbestimmung durch die eigene Nation oder etwa den „Suprastaat“ der Europäischen Union. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Einsamkeit kann tödlich sein

Die Einsamkeit kann jeden Menschen treffen. Und wer einsam ist, wird häufiger krank als andere. Im schlimmsten Fall kann Einsamkeit tödlich sein. Manfred Spitzer hat in seinem neuen Buch „Einsamkeit“ die neuesten Forschungsergebnisse ausgewertet und beschreibt, welchen gravierenden Einfluss die Einsamkeit auf den Körper und die Seele eines Menschen hat. Das Thema ist brandaktuell, da allein in Deutschland inzwischen rund 17 Millionen Menschen in Single-Haushalten leben. Für viele dieser Singles bedeutet ein solches Leben einen Zugewinn an Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Aber immer mehr von ihnen fühlen sich inzwischen auch einsam. Manfred Spitzer fordert die Einsamkeit nicht länger als „Nebensache“ abzutun. Denn sie ist gefährlicher als andere Krankheiten – sie ist die Todesursache Nummer eins in den westlichen Gesellschaften. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Die Weisheit der Vielen trifft nur manchmal zu

„Einstimmig“ klingt beruhigend. Wenn eine Jury einstimmig zu einer Entscheidung gekommen ist, nimmt man an, dass der Fall klar war. Und wenn Einstimmigkeit keine Option ist, würden die meisten Menschen die Mehrheit jederzeit der Minderheit vorziehen. Tali Sharon ergänzt: „Eine Lösung, die von der Mehrheit favorisiert wird, klingt sofort besser als eine, die von der Minderheit bevorzugt wird.“ Viele Menschen glauben, dass sie bessere Entscheidungen fällen, wenn sie auf die Weisheit der vielen achten und sich deren Credo zu eigen machen. Eine allgemein akzeptierte Meinung lautet: Je mehr Köpfe an einer Entscheidung beteiligt sind, desto besser – und zwar egal, ob es sich um die Entscheidung für eine Geschäftsstrategie oder die Speisenfolge eines Abendessens handelt. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.

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Die geistige Unabhängigkeit ist die Voraussetzung für politische Freiheit

Derjenige Mensch, der in Unverständnis verharrt, lebt in tiefster Sklaverei. In seinem Werk „Versuch über den menschlichen Verstand“ leistete John Locke einige seiner folgenreichsten Beiträge zur Befreiung des Menschen. Der kanadische Politikwissenschaftler und Philosoph Charles Taylor weist darauf hin, dass der ganze Essay gegen diejenigen gerichtet ist, die anderen Vorschriften machen wollen, indem sie trügerische und vermeintlich über jeden Zweifel erhabene Grundsätze anwenden, wie beispielsweise die angeblich angeborenen Prinzipien. Matthew B. Crawford erklärt: „Gemeint sind die Priester und Scholastiker, die Bewahrer einer verkalkten aristotelischen Tradition. Ungeachtet der Reformation waren politische und kirchliche Autorität in John Lockes Zeit eng verwoben und hingen voneinander ab.“ Folglich war die geistige Unabhängigkeit Voraussetzung für die politische Freiheit. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Es gibt immer mehr Grauzonen des Rechts

Eine Mehrheit der Deutschen, 62 Prozent, glaubt, dass die Menschen vor dem Gesetz nicht gleich sind, sondern es zum Bespiel von einem teuren Anwalt abhängt, ob man Recht bekommt. Jens Gnisa ergänzt: „Immer noch 57 Prozent gehen davon aus, dass der Ausgang eines Gerichtsverfahrens vor allem durch den Richter und nicht die Gesetze bestimmt wird.“ Fast zwei Drittel der Bevölkerung hält die Gerichte für überlastet, und ein noch größerer Anteil wünscht sich schnellere Prozessabläufe. Jens Gnisa gibt zu, dass es in der Tat immer mehr Grauzonen des Rechts gibt, die Raum für Interpretation in alle Richtungen lassen. Die aktuellen Ursachen dafür liegen vor allem in dem Verlust der inneren Sicherheit, der den Bürgern intuitiv immer deutlicher bewusst wird. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

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Der Mann hat seine privilegierte Stellung verloren

Ein kurzer Blick auf die Scheidungsraten zeigt, dass langfristige Beziehungen heute verglichen mit früher um einiges seltener geworden sind. Alle paar Wochen findet sich in einer Zeitschrift ein Artikel, in dem ein Wissenschaftler erklärt, warum das so ist. Paul Verhaeghe kennt die Veröffentlichungen: „Klinische Psychologen behaupten, junge Menschen hätten Probleme, sich zu binden, weil bei ihren Babyboom-Eltern einiges schief gelaufen ist. Die evolutionäre Psychologie vertritt die These, dass Männer vom Mars und Frauen von der Venus stammen – und sie konnten beisammen nicht kommen.“ Doch die auf der Hand liegende Erklärung ist viel weniger kompliziert und hat mit den gesellschaftlichen Veränderungen der letzten fünfzig Jahre zu tun. Die Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau haben sich grundlegend verändert. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Neugierde ist die beste Triebfeder für das Lernen

Die meisten Schüler starten voller Motivation in ihr erstes Schuljahr. Neugierig und lernbereit nehmen sie jedes Wissen gierig auf und erzählen voller Stolz zuhause von ihren neuen Erkenntnissen. Doch immer wieder geht diese Motivation nach einigen Jahren Schulbesuch verloren. Laut Untersuchungen von Psychologen spätestens ab der Pubertät, aber meist schon beim Wechsel in eine weiterführende Schule. Wie kann man also Schüler zum weiteren Lernen motivieren? Eltern sollten von Anfang an für ein optimales Lernklima sorgen. Zudem sollten sie ihren Kids eine gesunde Schulbrotzeit mitgeben, für einen aufgeräumten Schreibtisch sorgen, eine ruhige Lernumgebung herstellen und darauf achten, dass ihre Kinder ausreichend lange schlafen. Das fördert die Konzentration des Nachwuchses. Die Eltern sollten auch Ziele formulieren, die ihre Kinder so aufregend finden, dass sie sich selbst zum Lernen motivieren können.

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Sicherheit ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis

Wenn man in den allgemeinen Unsicherheiten eine vielversprechende Möglichkeit erkennt, seinen Bedürfnissen und Überzeugungen nachzugehen, dann sieht man sich im besten Sinne herausgefordert, fühlt sich wohl, ganz mit sich einverstanden und manchmal auch euphorisch. Erst-Dieter Lantermann ergänzt: „Unsere Selbstachtung und unser Selbstwertgefühl wachsen an diesen Herausforderungen, da wir uns selbst und anderen beweisen, dass wir aus eigener Kraft auch in dieser unsicheren Welt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Erlebt man die Unsicherheiten der eigenen Lebensverhältnisse hingegen als eine Gefährdung der eigenen Bedürfnisse, Werte und Überzeugungen, nimmt man diese Unsicherheit als einen bedrohlichen Angriff auf seine Selbstwertschätzung und Selbstwertgefühl wahr und wird alles unternehmen, um sich gegen diesen Angriff zu wehren. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Das Über-Ich nimmt an der Figur des Vaters Maß

Das Über-Ich steuert die moralische Bestimmung des Individuums nicht von außen, sondern entspringt einer subjektiven Idealisierung mit ambivalenten Bezügen. Prägend steht dabei im Hintergrund die Figur des Vaters, an dem das Über-Ich Maß nimmt. Peter-André Alt erläutert: „Im Laufe des Erwachsenwerdens löst es sich von dieser konkreten Bindung, beim Jungen durch die Überwindung des Ödipus-Komplexes, beim Mädchen durch die Suche nach einer neuen männlichen Bezugsperson, auf die sich das Liebesbegehren richtet.“ Auch das Über-Ich bleibt im Bann libidinöser Kräfte, weil die Idealisierungsarbeit, der es seine Existenz verdankt, das Resultat einer sexuell aufgeladenen Fixierung auf den Vater ist. Es wäre daher unzutreffend, dem Über-Ich Eigenständigkeit und Freiheit zuzusprechen. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Die Fähigkeit zum Genuss ist das höchste Glück des Menschen

Aristipp von Kyrene (435 – 350 v. Chr.) war ein Schüler des Sokrates und ein Zeitgenosse des Diogenes. Er verkehrte am Hof des Tyrannen Dionysios. Für Aristipp und seine Schule der Kyrenaiker können der Wahlfreiheit eines Menschen ausschließlich die eigenen Empfindungen als Richtschnur gelten. Ludger Pfeil ergänzt: „Aristipps Bedürfnisse gingen allerdings weit über Diogenes` minimalistisches Einfachstleben hinaus. Und Dionysios bot ihm die einträgliche Geldquelle zu deren Finanzierung.“ Die Fähigkeit zum Genuss erklärt Aristipp kurzerhand zum höchsten Glück des Menschen und zur einzigen Tugend, die er gelten lassen will. Lustgewinn heißt das von ihm ausgerufene Ziel, wobei die Lust des Augenblicks als einzig wirkliche angesehen wird und keine Vertröstungen duldet. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Thomas Junker ergründet die verborgene Natur der Liebe

Thomas Junker findet in seinem neuen Buch „Die verborgene Natur der Liebe“ überraschende Antworten auf Fragen wie „Warum küssen wir?“ oder „Warum ist das Leben in einer Zweierbeziehung so erstrebenswert und das Fremdgehen manchmal so unwiderstehlich?“ Außerdem zeigt der Autor welche Formen der Liebe den tiefsten menschlichen Wünschen entsprechen und welch nicht. Wie die meisten Menschen wissen dürften, ist die Liebe nicht ohne Risiken verbunden. Aber sie gibt dem Leben Sinn und verspricht unvergessliche Augenblicke der Lust. Thomas Junker warnt zudem seine Leser vor falschen Ideen über das menschliche Liebesleben. Der Autor deckt die Weltfremdheit der traditionellen Sexualmoral ebenso auf wie die Lebensfeindlichkeit angesagter gesellschaftspolitischer Vorstellungen. Die Biologie der Liebe lässt einen Menschen verstehen, warum er in Liebesdingen so von seinen Gefühlen übermannt wird. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Zum Glücklichsein braucht ein Mensch nicht viel

Durch seine Analyse verschiedener Kategorien von Bedürfnissen festigt Epikur seine Ansicht vom wahren Vergnügen als Freiheit von Schmerz und Sorge. Ludger Pfeil erläutert: „Wenn man die leibliche Unversehrtheit und den Seelenfrieden zum Maßstab nimmt, lassen sich die Begierden leicht sortieren. Weniges ist lebensnotwendig oder zur Erhaltung der Gesundheit erforderlich, zum Glücklichsein brauchen wir nicht viel mehr und schon gar keine unnatürlich erzeugten Genüsse.“ Wenn der Schmerz gestillt ist und die Wogen der inneren Unruhe geglättet sind, hat man das Entscheidende bereits erreicht. Die Freude kommt dann von selbst. Mehr sollte man laut Epikur nicht vom Leben erwarten. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Ulrich Schnabel stellt die Bedürfnispyramide vor

Die berühmte „Bedürfnispyramide“ geht auf den amerikanischen Psychologen Abraham Maslow zurück. Ihr zufolge gibt es verschiedene Hierarchiestufen menschlicher Bedürfnisse, und in der Regel tendiert man dazu, immer weiter an die Spitze zu gelangen. Ulrich Schnabel erklärt: „Zunächst geht es erst einmal darum, die biologischen Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen zu sichern sowie für eine gewisse materielle Stabilität zu sorgen – Dach über dem Kopf, Einkommen.“ Ist das gewährleistest, tritt der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Liebe und Freundschaft in den Vordergrund. Ist auch dieser erfüllt, beginnt man nach Anerkennung und Status zu streben, definiert sich über gesellschaftlichen Erfolg und materielle Unabhängigkeit. Kaum sind diese Ziele erreicht, treten neue an deren Stelle: persönliche Selbstverwirklichung, Glück und Erfüllung – sei es im Beruf, Hobby oder in der Partnerschaft. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Eltern müssen ihre Kinder „fit for life“ machen

Eltern haben einen Auftrag in Bezug auf ihre Kinder. Und auf den sollten sie sich bei aller Selbstinszenierung, eigener Bedürftigkeit nach Anerkennung und allem „modern sein Wollen“ auch tunlichst besinnen. Es ist ziemlich einfach und wenn man selbst genügend erwachsen ist, auch durchwegs erfüllbar. Martina Leibovici-Mühlberger erläutert: „Das ganze basiert auf einem einfachen und grundsätzlich unauflöslichen Vertrag, der in dem Moment in Kraft tritt, in dem wir Kinder in die Welt setzen. Wir sind für sie verantwortlich und müssen sie „fit for life“ machen. Wir müssen sie durch ihre Kindheit und Jugend begleiten, bis wir sie im jungen Erwachsenenalter endlich in die Unabhängigkeit entlassen können.“ Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung und Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

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Der Zusammenhalt in den modernen Gesellschaften geht verloren

Wenn an allen Orten und bei jeder Gelegenheit das Ideal des nur auf sich gestellten Individuums eingefordert wird, das sich allein seiner Selbstverwirklichung, Selbstoptimierung und Unabhängigkeit verpflichtet sieht, dann stellt sich für Ernst-Dieter Lantermann die Frage, wie unter diesen Bedingungen überhaupt noch so etwas wie sozialer Zusammenhalt zustande kommen kann. Untersuchungen zeigen in der Tat, dass moderne Gesellschaften sich immer rascher hin zu einer Auflösung des sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalts, zu eine fortschreitenden sozialen Desintegration entwickeln. Nicht wenige Menschen erkennen darin eine Chance, die in früheren Zeiten für sie undenkbar gewesen wäre: Unter der Voraussetzung, dass sie über die notwendigen Mittel und Ressourcen verfügen, dürfen und können sie selber entscheiden, welchen Organisationen, Institutionen, Lebensmilieus oder Gruppierungen sie sich zugehörig fühlen, wofür sie sich engagieren und wo sie sich integrieren möchten. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Die Epoche der Gegenwart heißt Anthropozän

Die Geschichte der Entwürfe eines Neuen Menschen ist eine Geschichte der Selbstermächtigungen. In ihrem Kern geht es um das Projekt einer Überschreitung von menschlichen Grenzen: seien es die seiner Bewegung im Raum, die Limitiertheit seiner Lebenszeit oder die Einschränkungen seiner Wahrnehmungs- und Denkfähigkeiten. Eva Horn erklärt: „Die Imperative dieses Steigerungsprogramms reichen vom Gebot eines „Ausgangs des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“ über die Anthropotechniken der Fremd- und Selbstdisziplinierung und die biopolitischen Träume einer forcierten Evolution bis zu den Versprechen einer technischen Auf- und Umrüstung des menschlichen Körpers und Geistes.“ Was sie hinter sich lassen, ist eine doppelte Natur: einerseits eine Natur des Menschen, die zur anthropologischen Grundausstattung erklärt wird, welche es zu überwinden oder zu erweitern gilt. Eva Horn ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur und Kulturtheorie an der Universität Wien.

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