Mythen prägten die griechische Tragödie

In der griechischen Tragödie spielte die Handlung in der mythologischen Vergangenheit, da man genau diese Vergangenheit am Ende überwand. Ágnes Heller ergänzt: „Bei Shakespeare spielte sich die Handlung hauptsächlich in der historischen Vergangenheit ab. Und nicht nur die aus der englischen Geschichte, sondern auch Hamlet, Macbeth oder König Lear – denn man kann die Geschichte nur hinter sich lassen, wenn man in ihr aufgeht. Die klassische französische Tragödie folgte beiden Vermächtnissen, ähnlich wie die Barockoper. Im griechischen Drama spielte der Chor immer eine entscheidende Rolle, nicht nur in Tragödien, sondern auch in Komödien des Aristophanes. Ab 1977 lehrte Ágnes Heller als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

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William Shakespeare schrieb Tragödien und Komödien

Ágnes Heller weiß: „In der Neuzeit war die strikte Trennung zwischen tragischem Dichter und komischem Dichter bereits überholt.“ Sokrates schlug vor, dass derselbe Dichter Tragödie und Komödie schreiben sollte. Dabei bezog er sich offensichtlich auf seine eigenen philosophischen Dialoge, die sowohl tragisch als auch komisch waren. Doch der erste Dichter, der sowohl Tragödien als auch Komödien und darüber auch „Romanzen“ schrieb, war William Shakespeare. Und er tat noch etwas Unerhörtes: Es gab komische Szenen in seinen Tragödien als auch tragische Szenen in seinen Komödien. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Hegel war der letzte Systembauer von Bedeutung

Heute geschieht mit der Philosophie etwas Ähnliches wie früher mit der Tragödie. Ágnes Heller erklärt: „Nach dem Zusammenbruch des hegelschen Systems traten mehrere repräsentative Denker in die Tradition der philosophischen Literaturgattung ein.“ Schon vor Georg Wilhelm Friedrich Hegel haben nicht alle Philosophen Systeme errichtet. Aber nach ihm gab es keine Systembauer von Bedeutung mehr. Was vom traditionellen philosophischen Denken blieb, ist die Trennung der empirischen und der transzendentalen Untersuchungsebene und die Hermeneutik als Interpretation des Anderen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Die Philosophie führt von der Dunkelheit zum Licht

Platon war der erste Philosoph, der sich theoretisch mit der Frage der Poetik auseinandersetzte. Für ihn ist die Mimesis verdächtig, ontologisch und moralisch gleichermaßen. Mimesis bezeichnet ursprünglich das Vermögen, mittels einer Geste eine Wirkung zu erzielen. Ontologisch, da die empirische Welt bereits eine Imitation ist, ein Schatten der Realität (Wahrheit) der Welt der Ideen. Ágnes Heller erklärt: „Ontologisch gesehen, so Platon, nehmen Philosophie und Dichtung zwei extreme Positionen des Kontinuums ein.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Alle Hochkulturen verfügen über Weisheitsliteratur

Jede Handlung, jeder Satz hat eine Bedeutung. Aber hat das Ganze auch einen Sinn im Leben eines Menschen? Warum ist etwas so und nicht anders? Warum gibt es etwas und nicht nichts? Solche und ähnliche Fragen und alle Antworten auf diese Fragen beruhen zum Teil auf Alltagserfahrungen, zum Teil auf den vorherrschenden Weltauffassungen. Ágnes Heller fügt hinzu: „Antworten auf diese und ähnliche Fragen, ob in Prosa oder Poesie, niedergeschrieben oder mündlich vermittelt, befriedigen das elementare Bedürfnis, die Welt zu erkennen.“ Alle bekannten Hochkulturen verfügen über Weisheitsliteratur, innerhalb der Religionen oder getrennt davon, die Antworten auf solche brennenden Fragen bieten. Ab 1977 lehrte Ágnes Heller als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York.

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Das Drama war ein Produkt der Stadtstaaten

Die Männer, die aus dem Trojanischen Krieg zurückkamen, waren Verändernde und Veränderte. Von den Erfahrungen auf dem Schlachtfeld gezeichnet, passten sie nicht mehr ins soziale Gefüge der Orte, von denen sie ausgezogen waren. Und doch blieben sie im Gedächtnis derer Leitfiguren. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Mit der Erfindung des Dramas findet im 5. Jahrhundert vor unserer Zeit ein entscheidender Medienwechsel statt.“ Natürlich gab es Rituale und kultische Vorführungen schon früher und an anderen Orten. Aber es ist sicher nicht übertrieben zu sagen, dass das Drama ein Produkt der noch jungen Stadtstaaten war. Es diente als zentrale öffentliche Form der kulturellen Selbstdarstellung. Unterhalb des Burghügels der Akropolis, kann man seine Reste noch heute besichtigen. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Der Tod ist nicht tragisch

Gibt es tragische Phänomene? Das hängt davon ab, was man als tragisch bezeichnet. Ágnes Heller stellt fest: „Der Tod ist nicht tragisch, denn wenn er es wäre, wären wir alle tragische Helden.“ Sokrates ist kein tragischer Held, Christus wurde nie als tragisch angesehen. Leiden ist nicht tragisch. Man spricht heute von einem tragischen Tod, wenn ein junger Mann bei einem Autounfall getötet wird oder Selbstmord begeht. Man empfindet Mitgefühl für einen gefallenen Soldaten oder einen verratenen Liebhaber, ohne ihr Schicksal als tragisch zu bezeichnen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Das Publikum der Tragödie erlebt eine Katharsis

Doch was ist mit den Tragödien? Sind sie Manifestationen des anthropologischen Universums des Weinens? Oder sind sie Ausdruck einer anderen „tragischen universellen Erfahrung? Identifizieren Tragödien einen Menschen mit sich selbst, wurzeln sie in Selbstmitleid? Ágnes Heller antwortet: „Es ist leicht zu erkennen, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch in diesem Punkt war Aristoteles das Genie, das das Offensichtliche erfand. Das Publikum, Zielgruppe einer Tragödie, erlebt eine „Katharsis“. Katharsis ist die Befreiung von unseren eigenen Ängsten und unserem Selbstmitleid, die „Reinigung unserer Seele“ von der Identifikation mit uns selbst.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Die griechische Tragödie befreit von Zwängen

Die griechische Tragödie ist der öffentlich vorgetragene Versuch, sich aus den Zwängen archaischer Rituale zu befreien. Außerdem will man Rachemechanismen und Schicksalsobsessionen, an deren Fäden die Menschen hängen zu scheinen, abschütteln. Jürgen Wertheimer erläutert: „Denn alle, die wir in ihr Unglück stürzen sehen, müssen so handeln, wie sie handeln.“ Klytämnestra muss ihren Mann, der als Sieger von Troja zurückkehrt, töten. Damit will sie den Berg an Schuld und Lügen, die sich zwischen beiden angehäuft hat, abtragen. Orest muss Klytämnestra, seine Mutter, töten, um dem Gesetz seiner Götter und der Ehre zu genügen. Kassandra muss ihre Warnungen herausschreien. Wohl wissend, dass ihr auch jetzt, wie einst vor Troja, niemand glauben wird. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Alle Lust will Ewigkeit

Für Friedrich Nietzsche will die Lust Ewigkeit, aber er meint damit nicht die Ewigkeit eines metaphysischen Elysiums. Sondern es ist die Ruhe, Stille, das glatte Meer und die Erlösung von sich durch die Kunst und die Erkenntnis suchen. Oder es kann auch der Rausch, der Krampf, die Betäubung sowie der Wahnsinn sein. Ger Groot stellt fest: „Es geht Friedrich Nietzsche also nicht um einen „romantischen“, sondern um einen „dionysischen“ Pessimismus, wie er ihn schon in „Die fröhliche Wissenschaft“ beschrieben hat.“ Er verfolgt dabei die Erkenntnis, die in den dionysischen Origen und später in der Tragödie zum Ausdruck kommt und der zufolge Leben, Lust und Leiden zusammengehören. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Platon verficht eine klare Ordnung des Diskurses

Das Theater setzt Gefühle frei und schafft sogar Momente der Empathie mit dem Abscheulichen. Es steuert, kommentiert, kontrolliert diese Gefühle, indem es mit ihnen artistisch jongliert. Jürgen Wertheimer stellt fest: „Wie alle wichtigen Spiele ist auch dieses ein sehr ernstes Spiel, wenngleich kein Spiel auf Leben und Tod. Stattdessen „nur“ eine Simulation – eine Simulation, in der es um Leben und Tod anderer geht.“ Aber genau deshalb konnte man in den Theatern Griechenlands gezielt Grenzen überschreiten. Schon damals nicht ohne den massiven Widerstand derer, die in einem solchen Spiel mit dem Feuer der Phantasie und der Emotionen Gefahren für die gesellschaftliche Ordnung sahen. Kein geringerer als Platon (428 – 348 v. u. Z.) war ein Verfechter einer klaren Ordnung des Diskurses. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Die Tragödie ist die Nachahmung der Natur

Die Tragödie ist nach Aristoteles eine Untergattung innerhalb der allgemeinen Gattung der Kunst. Sie ist Mimesis, also eine Art Imitation, und zwar in seinen Augen die Nachahmung der Natur. Ágnes Heller stellt fest: „Der Begriff umfasst nicht nur Poesie oder Drama oder Malerei, sondern auch Werkzeuge für den praktischen Gebrauch. Aristoteles betont das Offensichtliche: Von der frühen Kindheit an ahmen wir immer nach. Wir können nicht aufwachsen, ohne zu imitieren.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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So unterscheiden sich Tragödie und Philosophie

Was in einer Tragödie geschieht, entfaltet sich in der Handlung. Dagegen entfaltet sich in Argumenten und Beweisführungen, was in der Philosophie geschieht. Ágnes Heller fügt hinzu: „Beide – Geschichten und Argumente – führen zu einem Ergebnis, zum Ausgang, beide sind teleologisch konstruiert.“ Aristoteles setzte voraus, dass fast alle guten Tragödiendichter das Endergebnis ihrer Geschichte kennen, bevor sie zu schreiben beginnen. Er missbilligte Tragödienreihen. Wo etwas endet, da sollte es auch enden, es gibt nichts anderes mehr zu beginnen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Der Eros sorgte früh für Chaos

Am Anfang gehört die Liebe den Dichtern. Bevor die Philosophen sie entdecken, feiert man sie in Gedichten und Dramen. Vermutlich steckt hinter dieser historischen Tatsache mehr als nur ein chronologischer Zufall. Als würde erst das Leben sich selbst erzählen müssen, bis der Denker es begreift. Der Eros hatte bei den Denkerinnen schon früh für Chaos gesorgt. Peter Trawny nennt ein Beispiel: „Sappho, die sich selbst Psappho nannte, dichtet lesbische Liebe, hat sich aber der Legende nach wegen eines jungen Mannes namens Phaon von einem Felsen auf der Insel Lesbos ins Meer gestürzt.“ Die Dichterin stirbt im rhythmischen Element der Welle. Ebenso geht es in den Tragödien zu: Selbstmord und Todschlag, wohin das Auge blickt. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

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Die Philosophie ersetzt die Tragödie

Ágnes Heller erzählt in ihrem letzten Buch „Vom Ende der Geschichte“ von der Geburt und dem Tod der Tragödie, vom Anfang und vom Ende der Philosophie. Dabei erklärt sie die Geschichte der europäischen Kultur von ihrem Ende her. Denn sie vertritt die These, dass man eine Geschichte immer nur von ihrem Ende her versteht. Der Endpunkt ist der Ausgangspunkt der Rekonstruktion, des Verstehens des Ganzen. Gerade als die Tragödie in den Werken von Euripides zu Ende ging, wurde die Philosophie von Sokrates geboren und blühte auf, bis sie bei Aristoteles endete. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Als erster italienischer Humanist gilt Lovato de` Lovati

Der Florentiner Brunetto Latini (1220/30 – 1294), zur Zeit der Volksregierung Kanzler des zerspaltenen Florenz, war immer wieder in politische Auseinandersetzungen verstrickt und musste zeitweilig ins französische Exil weichen. Er übersetzte Texte Ciceros in die Volkssprache und sorgte so dafür, dass sie Verbreitung fanden. Bernd Roeck weiß: „Sein Cicero war weniger der Philosoph als der Staatsmann und Verteidiger republikanischer Freiheit, für die auch Latini leidenschaftlich eintrat.“ Auf den eigenen Kirchturm blickender Bürgerstolz, der aus dem Widerspruch gegen die Ritterkultur und die von ihr angefeuerten selbstmörderischen Parteienkämpfe in Italiens Stadtgesellschaften genährt wurde, zählte zu den wichtigsten Voraussetzungen des frühen Humanismus. Als dessen erster Vertreter gilt der Paduaner Lovato de` Lovati (1240 – 1309). Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Aristoteles zählt die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes

Aristoteles zählt in Übereinstimmung mit der griechischen Tradition die Dichter zu den besten Lehrern des Volkes. Dabei spricht er ihnen laut Otfried Höffe nachdrücklich die Aufgabe zu, starke emotionale Wirkungen hervorzurufen. Aristoteles billigt der Dichtung eine eigene vorrangig nicht intellektuelle, sondern affektive Form von Rationalität zu, was auf ein Plädoyer für ein erhebliches Maß an ästhetischer Autonomie hinausläuft. Der griechische Philosoph befasst sich mit dem Wesen der Dichtung, mit ihren verschiedenen Gattungen und mit ihrer anthropologischen Grundlage. Dabei sieht er das Wesen in jener Mimesis, Nachahmung, die nicht etwa täuschende Echtheit sucht. Vielmehr besagt die Mimesis, dass selbst eine geniale Fiktion an vorgängig existierende Wirklichkeit, insbesondere an die emotionale, soziale und politisch Natur und Kultur des Menschen, zurückgebunden bleibt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Bong Joon-ho gewann mit „Parasite“ die Goldene Palme von Cannes

Mit Thrillern wie „Memories of Murder“, „The Host“ und „Mother“ hat sich Bong Joon-ho eine Ruf als einer der aufregendsten Regisseure des modernen Kinos erarbeitet. Für „Parasite“, eine Familiengeschichte zwischen Komödie, Drama und Horrorthriller, wurde er im Mai in Cannes mit der Goldenen Palme für den besten Film geehrt. Das Werk geht für Südkorea ins Rennen um den Oscar. In „Parasite“ erzählt Bong Joon-ho von einer armen Arbeiterfamilie, die sich als Angestellte bei einer reichen Familie in einem schönen Haus einnistet und immer verbrecherischer deren Lebensstil ausbeutet. Die traurige Botschaft lautet: Mit legalen Mitteln hätten sie ewig arbeiten müssen, um sich dieses Leben leisten zu können. Bong Joon-ho hat nachgerechnet: „Also um genau zu sein, wären es 547 Jahre gewesen.“ Bong Joon-ho wurde 1969 in der südkoreanischen Stadt Daegu geboren und studierte Regie an der Filmhochschule in Seoul. Er ist einer der erfolgreichsten Regisseure seines Landes.

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Die Lust selbst ist weder gut noch böse

Für Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) gehört die zelebrierte Grausamkeit „zur ältesten Festfreude der Menschheit“. Die Lust am Anblick Gequälter rechtfertigte man lange damit, dass die Götter an Opfern und Märtyrern Gefallen fänden. Ludger Pfeil fügt hinzu: „Auch bei harmloseren Bosheiten geht es dem Täter nicht vorrangig um das Leiden der anderen, sondern um den eigenen Genuss daran, der dann allerdings den mitfühlenden Blick auf den anderen verstellt.“ Friedrich Nietzsche schreibt: „Schon jede Neckerei zeigt, wie es Vergnügen macht, am anderen unsere Macht auszulassen.“ Die Lust selbst ist weder gut noch böse; eventuell damit verbundene Unlust eines anderen macht den Menschen laut Friedrich Nietzsche nur im Hinblick auf mögliche Strafe oder Rache Sorgen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Johann Wolfgang von Goethe arbeitete über 50 Jahre am „Faust“

Als Krönung, nicht nur des Altersschaffens, sondern des Werks insgesamt, gilt die Faust-Dichtung, an der Johann Wolfgang von Goethe über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren als seinem „Hauptgeschäft“ gearbeitet hat. Noch vor 1775 schrieb der Schriftsteller einzelne Szenen nieder, die aber erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden und als „Urfaust“ bekannt geworden sind. Während seiner italienischen Reise (1786 – 88) arbeitete er erneut am „Faust“ und veröffentlichte 1790 „Faust, ein Fragment“. Um die Jahrhundertwende nahm er, inspiriert von Friedrich Schiller, die Arbeit am Faust-Thema wieder auf und veröffentlichte 1808 „Faust, der Tragödie erster Teil“. Dass für ihn das Thema keineswegs abgeschlossen war, macht nicht nur der Untertitel „erster Teil“ deutlich, sondern auch die Tatsache, dass Johann Wolfgang von Goethe sich damals bereits mit dem Helena-Akt beschäftigte.

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Eine Tragödie soll Furcht und Mitleid erregen

In den Dramen der französischen und englischen Schriftsteller fand Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) die Aufhebung der alten feudalen Ständeklausel, die das erwachende bürgerliche Selbstgefühl beleidigte, bereits in die Praxis umgesetzt: Der Bürger war dort tragödienfähig geworden. Gotthold Ephraim Lessing überwand die feudale Ständeklausel dadurch, dass er den Menschen abgelöst von seiner ständischen Gebundenheit zum Handelnden machen wollte: „Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stück Pomp und Majestät geben; zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muss natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleid haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen und nicht als mit Königen.“ Diese Berufung Gotthold Ephraim Lessings auf das Menschliche hing eng zusammen mit seinem Bemühen um eine neue, differenzierte Funktionsbestimmung der Literatur.

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Als Stammvater der Novelle gilt Johann Boccaccio

Der Roman als epische Großform stellte an Autor und Leserschaft gleichermaßen hohe Anforderungen. So beschäftigte zum Beispiel der „Wilhelm Meister“ Johann Wolfgang von Goethe fast fünfzig Jahre und wurde als ein äußerst durchdachtes, sorgfältig komponiertes, künstlerisch raffiniertes gearbeitetes Zeugnis der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Identitätsproblematik nur von einer schmalen Intellektuellenschicht verstanden. Sehr wenige Autoren waren – auch finanziell – in der Lage, ihre schöpferischen Kräfte so lange an ein Werk zu binden. Hier spielte die wirtschaftliche Sicherheit Johann Wolfgang von Goethes als Berater des Herzogs von Weimar eine entscheidende Rolle. Sie bot ihm Zeit, Muße und den langen Atem für literarische Großvorhaben dieser Art. Autoren, die stärker auf den literarischen Markt, das heißt auf den Verkauf ihrer Bücher angewiesen waren, mussten notgedrungen auf die Adressatenorientierung und die Verkaufschancen ihrer Werke achten.

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Das Nibelungenlied setzt sich aus zwei Liedfabeln zusammen

Das Nibelungenlied ist im Zeitraum der staufischen Literaturepoche das einzige Heldenepos geblieben, das erhalten wurde. Vom 13. bis ins 16. Jahrhundert sind drei Dutzend Handschriften bekannt. Wahrscheinlich ist das Nibelungenlied zwischen 1200 und 1210 entstanden. Der unbekannte Dichter war vielleicht zwischen Passau und Wien beheimatet. Er hat dem Nibelungenlied sein ritterlich-höfisches Gepräge gegeben und gleichzeitig zu einer Sprache gefunden, die sein höfisches Publikum mitreißen musste. Nicht nur der ungewöhnliche Stoff, deren heidnisch-germanischen Grundzüge immer wieder unter der ritterlichen Patina durchbrechen, sondern vor allem dessen Bändigung in einer schmucklos-klaren, selbstbewussten Strophik muss einen exotischen Reiz ausgeübt haben. Das Nebeneinander älterer und jüngerer Schichten ist für das Nibelungenlied charakteristisch. Es ist allerdings nicht aus einem Guss einer einmaligen und energischen Bearbeitung.

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Indien erlangt im August 1947 seine Unabhängigkeit

Indien hatte am 15. August 1947 eine „Verabredung mit dem Schicksal.“ So formulierte es Premierminister Jawaharlal Nehru in seiner brillanten Rede zur Erlangung der Unabhängigkeit Indiens vom britischen Empire. Mahatma Gandhi hatte es seit dem Jahr 1919 verstanden, die Massen zum gewaltfreien Widerstand gegen die Kolonialherren zu mobilisieren. Thomas Seifert erklärt: „Er protestierte mit dem berühmten Salzmarsch von 1930 gegen die Salzsteuer und wurde zur ersten Anti-Globalisierungs-Ikone, indem er das Spinnrad propagierte.“ Anstatt billige Baumwolle an die Briten zu liefern, denen man dann teure Hemden abkaufen musste, sollten seine Landsleute ihre Kleindung selbst herstellen. Sein Slogan lautete: Swaraj – Selbstbestimmung. Die britische Haltung gegenüber den Unabhängigkeitsbestrebungen Indiens verhärtete sich während des Zweiten Weltkriegs. Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

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Georg Ernst Stahl stellt eine Affektentheorie auf

Um das Jahr 1700 herum kommt in die Theorie über die Affekte in wörtlichem Sinne Bewegung. Der Naturforscher und Mediziner Georg Ernst Stahl, der von 1660 bis 1734 lebte, gilt als Erfinder des Panpsychismus oder auch des Vitalismus beziehungsweise des Animismus. Er verstand die Seele als Triebfeder, als inneres bewegendes Prinzip. Alle Lebenserscheinungen seien durch unmittelbares Eingreifen der „anima“ bedingt, die Georg Ernst Stahl von der unsterblichen Psyche trennt. Die Seele baue sich den Körper auf und bediene sich des Kreislaufs. Die verschiedenen Dispositionen des Körpers und seiner Säfte könnten oft Anlass verschiedenartiger Bewegungen des Gemüts sein. Die raschen Effekte würden buchstäblich von Bewegungen begleitet und durch Bewegungen des Herzens charakterisiert. So gibt es um die Jahrhundertwende das Stahlsche System der kontinuierlichen Bewegung im Körper und das Leibniz’sche System der Darstellungsbewegungen im Vorstellen von Welt.

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