Als Lebensweise ist Kultur nur eine Frage der Gewohnheit

„Kultur“ ist ein außergewöhnlich komplexes Wort, das vier Hauptbedeutungen beinhaltet: Erstens den Bestand an künstlerischen und geistigen Werken. Zweitens den Prozess geistiger und intellektueller Entwicklung. Drittens die Werte, Sitten, Überzeugungen und symbolische Praktiken, nach denen die Menschen leben. Und viertens eine komplette Lebensweise. Die Kultur eines Volkes kann also Dichtung, Musik und Tanz bezeichnen, aber auch die Lebensmittel, die es isst, die Sportarten, die es betreibt, die Religion, die es praktiziert. Sie kann sogar die Gesellschaft als Ganzes meinen, samt Verkehrsnetz, Wahl- und Müllbeseitigungssystem. Das mag alles typisch für diese Kultur sein, wird aber nicht immer zu ihren Besonderheiten gehören. Terry Eagleton ergänzt: „Kultur in der künstlerischen und intellektuellen Bedeutung des Wortes kann durchaus Innovation miteinbeziehen, während Kultur als Lebensweise im Allgmeinen nur eine Frage der Gewohnheit ist.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Im Rausch kann der Mensch aus sich selbst heraustreten

Stammestänze, Koka-Blätter, Weihrauch: Alle Kulturen finden Wege, die Sehnsucht nach dem Rausch zu befriedigen. Weil fast jeder Mensch Fluchtwege aus dem Alltag braucht. Das Leben eines Menschen wird bestimmt von Regeln, die eine Gesellschaft aufrechterhalten. Das bringt viele Zwänge mit sich. Zum Ausgleich gibt es die Freizeit. Die einen gehen tanzen, joggen bis zur Erschöpfung oder verbiegen sich beim Yoga. Die anderen gehen in die Kneipe, rauchen Haschisch oder pflegen ihre Briefmarkensammlung. Aber vielleicht wird auch die eigene Persönlichkeit als Zwang empfunden. Der Psychologe und Autor Dr. Jürgen vom Scheidt nennt eine der großen Sehnsüchte, die mit dem Rausch verbunden sind: „Wir können aus uns selbst heraustreten. Der Mensch braucht zwar eine stabile Umgebung, die unter gewissen Regeln funktioniert. Aber manchmal braucht er auch genau das Gegenteil.“

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Die einzige noble Kunst im Römischen Imperium war die Rhetorik

Im Römischen Imperium spielte die bildende Kunst nur eine untergeordnete Rolle. Die Fresken, Mosaiken und griechischen Statuen wurden im Auftrag der Römer von fremden Handwerkern geschaffen. Bildende Künstler, Architekten, Pädagogen und Ärzte spielten in der römischen Gesellschaft der damaligen Zeit nur eine bedeutungslose Rolle. Das ganze Mittelalter hindurch sollte sich dieser Zustand in ganz Europa nicht mehr wesentlich verändern. Musik und Tanz waren den Frauen und Kindern vorbehalten, Männer hätten mit einem solchen Firlefanz ihre Ehre aufs Spiel gesetzt. Auch die Wissenschaften wurden im Römischen Imperium nicht gepflegt, man war mit von den Griechen Überlieferten zufrieden. Die eingesetzte Technik entsprang der Erfahrung, nicht theoretischen Fragestellungen. Dadurch unterschieden sich die alten Römer grundlegend von den griechischen Denkern.

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Die Bildung in der Renaissance orientierte sich an der Antike

Das Bildungswesen der Renaissance zeichnete sich durch die Abwendung vom mittelalterlichen Lehrbetrieb und die Wiederbelebung der lateinischen und griechischen Sprache aus. Das Ideal der freien Persönlichkeit, den vollkommenen Edelmann zu erreichen, ist das Ziel diverser pädagogischer Einrichtungen, die ab dem frühen 16. Jahrhundert, vor allem in Italien entstanden. Gebildete Damen aus dem Adel wie Beatrice d`Este, die Künstler wie Bramante und Leonardo da Vinci nach Mailand an ihren Hof berief oder die geistvolle Isabelle d`Este in Mantua förderten an ihren Musenhöfen ein reges kulturelles Leben. Zur höfischen Erziehung gehörten neben den geistigen Disziplinen auch der Tanz, Reiten, Fechten, höfische Zucht und gesellschaftliche Pflichten. Die Söhne des reichen Bürgertums konnten an dieser Erziehung partizipieren oder konnten Schulen besuchen, die sie ihn ähnlicher Weise auf ihre Berufe vorbereiteten.

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Im Dionysoskult liegen die Ursprünge des antiken Theaters

Im 8. Jahrhundert vor Christus verbreitete sich in ganz Griechenland der Kult des Dionysos. Für ihn und sein ekstatisches Gefolge wurden rauschende Feste gefeiert. Peisistratos brachte zwei Jahrhunderte später den ländlichen Fruchtbarkeitsgott in die Städte, wobei er die sechs Frühlingstage währenden Dionysien zum Staatskult erklärte. Drei bis vier Tage davon waren für die Aufführung von Tragödien und Satyrspielen, im Rahmen eines Wettbewerbs, reserviert. Das griechische Theater entstand aus einer Synthese von Tanz, Gesang, Mimik und Rezitation. Unter der Leitung eines Flötenspielers zog zunächst der Chor feierlich tanzenden Schrittes in die kreisrunde Orchestra ein. Der Vorsänger stimmte dabei ein Kultlied an, das Leben, Tod und Wiederkunft des Dionysos verherrlichte. Die Mitglieder des Chors waren mit Maske und Bocksfell verkleidet und stellten die Fruchtbarkeitsdämonen dar und tanzten voller Ekstase um einen Altar.

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Platon entwickelte an seiner Akademie ein neues Erziehungsideal

Kalokagathia, also schön und gut zu sein und der Agón, sprich der Wettkampf, sind die beiden Begriffe, die das Denken im antiken Griechenland und sein Bildungsideal wesentlich bestimmten. Der Brauch, seien Kräfte und Fähigkeiten im Wettbewerb zu messen, beschränkte sich nicht auf den Sport, sondern schloss auch musische Elemente wie Theater, Gesang, Musik und Tanz mit ein. Sie wurden auch bei den großen Festen für die Götter in Athen, Isthmia oder Delphi mit unterschiedlichem Gewicht neben den körperlichen Leistungen gewürdigt. Eine Ausnahme in diesem attischen und gesamtgriechischen Konzept machte lediglich Sparta, dessen Jugend mit äußerster Härte einem militärischen Drill, im Sinne des Staates, unterzogen wurde. Eine geordnete Schulbildung stand üblicherweise nur den Söhnen zu, die Mädchen wurden im Hause und für das Haus erzogen.

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Die Kunst von Paul Klee hat dem fernen Osten viel zu verdanken

Schon im Jahr 1900, als Paul Klee als Auftragswerk eine Aarelandschaft auf einen fünfteiligen Wandschirm malte, ist in dieser Komposition der Einfluss fernöstlicher Kunst zu spüren. Dies bedeutet vor allem, dass die Höhe hier gleichzeitig der Tiefe des Raumes entspricht. In der frühen Entwicklung der Zeichnungen Paul Klees spielt die Kunst des japanischen Holzschnitts eine nicht zu unterschätzende Rolle. Osamu Okuda nennt ein Beispiel: „Für die Figuren auf dem Blatt „drei auf einem Bein tanzende Akte“ diente Klee eine Akrobatenstellung von Hokusai als Inspiration. Klee verfremdete die heiteren asiatischen Körperkunststücke zu skurrilen Tanzszenen mit abnormen Verrenkungseinlagen, versuchte dabei aber, die sparsame, stilisierte Darstellungsweise des fernöstlichen Künstlers zu bewahren.“ Auch die asiatische Tuschmalerei, mit der sich Paul Klee zwischen 1910 und 1914 beschäftigte, diente ihm in einigen seiner Bilder als Quelle neuer Gestaltungsmöglichkeiten.  

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Henri Lefebvre singt das hohe Lied auf die Feste des Frühlings

Seit den Anfängen der Kunst und der Literatur preisen und loben die Dichter den Frühling in den höchsten Tönen. Sie nennen ihn die Zeit der Liebe, die gewaltige Brunst der Natur, die Tage der Fruchtbarkeit und den Zeitraum der Herrschaft Aphrodites und der Venus. Das expressive Thema des Monats Mai zählt Henri Lefebvre zu jenen, die unerschöpflich scheinen. Die Lobgesänge der griechischen und lateinischen Texte hallen noch in seinem Gedächtnis nach. Von Anbeginn an bemächtigt sich auf die französische Literatur des Themas des Frühlings. Henri Lefebvre fügt hinzu: „Der antiken Vorstellung zufolge, die sich bis in die Naturphilosophie unserer Tage hinein verlängert, ist die Natur eine grundlegende Macht – Physis.“ In Raum und Zeit mit sich selbst identisch bleibend, impliziert sie seiner Meinung nach die Endlichkeit des Kosmos.

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Der Event ist zum Ritual der Konsumgesellschaft geworden

Wolfgang Schmidbauer meint, dass man die moderne Eventkultur nicht verstehen kann, ohne sich mit ihrem Paradox zu beschäftigen. Die Entwicklung der Kultur ist seit den Anfängen des Ackerbaus, der Gründung von Städten und der Einführung des Rechtsstaats eng mit dem Versuch verknüpft, möglichst wenig aufregende Ereignisse zuzulassen. Das Leben des Jägers und Sammlers während der Altsteinzeit war dagegen geradezu von Aufregungen geprägt. Wolfgang Schmidbauer schreibt: „Die Jagd tastete sich von einem Ereignis zum nächsten, große Beute ist ein großes Ereignis, alle Stammesangehörigen versammeln sich, um zu feiern und zu speisen.“ Der Bauer dagegen ist dankbar, wenn ihn das Wetter verwöhnt und er reiche Ernte einfahren kann. Wolfgang Schmidbauer arbeitet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch als Lehranalytiker und Paartherapeut in München.

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Francis Bacon erklärt die Eigenschaften eines guten Gesprächs

Es gibt laut Francis Bacon Menschen, die im Gespräch lieber ein Lob für ihre Klugheit einheimsen wollen, weil sie die Fähigkeit besitzen, allen Argumenten standzuhalten, als ein Lob für ihr Urteilsvermögen, weil sie Falsch von Richtig unterscheiden können, als ob es ein Vorzug wäre, immer eine passende Antwort zu haben anstatt eines klugen Gedankens. Francis Bacon fügt hinzu: „Manche kennen einige Allgemeinplätze und Themen, in denen sie gut sind, aber es mangelt ihnen an Abwechslung. Diese Art der geistigen Armut ist die lästigste und, sobald sie auffällt, auch die lächerlichste.“ Dagegen ist für Francis Bacon die ehrenhafteste Art ein Gespräch zu führen, ein Thema aufzubringen, es mit anderen zu besprechen und zu etwas Neuem überzuleiten, so wie man in einem Tanz führt.

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Max Frisch reflektiert über den Beruf des Schauspielers

Für Max Frisch ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Schauspieler, im Gegensatz zu jedem anderen Künstler, kein anderes Instrument hat als sich selbst, seine eigene leibliche Persönlichkeit. Auch die Maler, die Bildhauer, die Schriftsteller und die Musiker sind eitel. Aber in einer Gesellschaft treten sie immer ohne ihre Werkzeuge auf, das heißt sie kommen ohne Palette, ohne Meißel, ohne Computer und ohne Kontrabass. Der Schauspieler dagegen, ob er will oder nicht, kann sein Instrument nicht zu Hause lassen. Max Frisch schreibt: „So kommt der Schauspieler, wenn nicht gerade ein Haus einstürzt, nie ganz aus seiner Begabung heraus; das ist sein Fluch, sein Gehäuse, seine besondere Wirkung, die verblüfft und später langweilt, je mehr er nämlich, kraft seiner immer gegenwärtigen Mittel, die Gesellschaft dominiert.“

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Der Abenteurer und Romantiker Douglas Fairbanks sen.

Der Schauspieler Douglas Fairbanks sen. zeichnete sich durch seine tänzerische Vitalität, seine exzellente Körperbeherrschung und einem umwerfend guten Aussehen aus. Er hatte dunkle wallenden Locken, das Grinsen eines Piraten und attraktive Fältchen um die Augen. Wenn er einer Frau in seinen Filmen seine Liebe erklärte oder einen Heiratsantrag machte, gingen immer eine Reihe von Schwertkämpfen, Reisen voller Gefahren oder hervorragende Leistungen im Bergsteigen oder Reiten voraus. Er war zwar auf der einen Seite der geborene Haudegen, konnte aber auch mit Ehrwürdigkeit eines Priesters in das Schlafzimmer der Prinzessin schleichen, wie er es zum Beispiel in dem Film „Der Dieb von Bagdad“ tat.

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Die Unwiderstehlichkeit der Corrida

In dem Bildband „Corrida“ von Anja Bartels-Suermondt gibt es nur tolle Aufnahmen. Und dennoch ragen diejenigen heraus, in denen die kraftvollen Stiere und die geschmeidigen Toreros das grandiose Ballett des Todes in der Arena tanzen. Es ist ein prächtiges Schauspiel von höchster Eleganz, der jeden Augenblick zu Ende sein kann. Auf manchen Bildern erkennt der Betrachter in den Gesichtern der Toreros die ungezügelte Freude über eine gelungene Pirouette, die den wütend angreifenden Stier ins Leere laufen lässt. Auf einem anderen Foto ist dem Matador aber auch die höchste Anspannung ins Gesicht geschrieben, wenn er die Oberlippe so fest nach oben zieht, dass der Torero durch die Nasenlöcher fast keine Luft mehr bekommt.

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