Philipp Hübl erklärt den ästhetischen Kapitalismus

Besonders verfeinerte Speisen und Getränke sind Teil eines größeren Phänomens der Moderne, nämlich der Individualisierung. Philipp Hübl stellt fest: „Sobald wir alles besitzen, müsste unser Konsum eigentlich deutlich nachlassen.“ Das ist aber nicht der Fall, denn in diesem Moment setzt der „ästhetische Kapitalismus“ ein. Jetzt will man das ästhetisch Neue und Besondere, die „Singularitäten“, wie der Soziologe Andreas Reckwitz sagt. Man wünscht sich originelle oder seltene Einzelstücke und unwiederholbare Ereignisse. Und daher konsumiert man immer weiter. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat schon vor einem halben Jahrhundert in seiner Studie „Die feinen Unterschiede“ herausgearbeitet, dass es beim Konsum genau darauf ankommt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Das Subjekt will einzigartig sein

Die digitalen Technologien transformieren, was es heißt, ein Subjekt zu sein. Andreas Reckwitz erläutert: „Sie unterwerfen das spätmoderne Selbst einer spezifischen Form von Singularisierung, die es zugleich selbst aktiv betreibt.“ Das Subjekt arbeitet nun an sich selbst als etwas Einzigartigem. Die Außenwelt betrachtet es als potenziell Singuläres. Andreas Reckwitz unterscheidet zwei Formen der Singularisierung des Subjekts. Erstens die kulturelle Singularisierung seiner öffentlichen Darstellung, die von einem Publikum zertifiziert wird. Zweitens die maschinelle Singularisierung des Subjekts, die gewissermaßen „hinter seinem Rücken“ abläuft. In beiden Prozeduren werden Subjekte als einzigartige fabriziert, und zwar als eine modularische oder kompositorische Singularität. Diese ergibt sich dadurch, dass sie aus einzelnen unterschiedlichen Elementen – Modulen – zusammengesetzt wird. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Kultur spielt eine zentrale Rolle

Bereits wenn man die Ökonomie und Technologien betrachtet – den Kulturkapitalismus und die Kulturmaschine – wird deutlich, dass die Gesellschaft der Singularitäten einer Dimension, die in der alten Industriegesellschaft von Marginalisierung bedroht war, einen zentralen Ort verschafft: der Kultur. Andreas Reckwitz erläutert: „Kultur spielt für die Art und Weise, in der sich die Spätmoderne strukturiert, eine ungewöhnliche Rolle.“ Singuläre Objekte, Orte, Zeiten, Subjekte und Kollektive sind heutzutage mehr als bloße Mittel zum Zweck beziehungsweise werden nicht mehr als solche wahrgenommen. Indem ihnen ein eigener Wert zugeschrieben wird, etwa in ästhetischer oder ethischer Weise, sind sie vielmehr in einem starken Sinn Kultur. Wenn Menschen, Dinge, Orte oder Kollektive einzigartig erscheinen, wird ihnen ein Wert zugeschrieben. Dadurch erscheinen sie gesellschaftlich wertvoll. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Einzigartigkeit und Authentizität sind eng miteinander verknüpft

Während der Konsument von funktionalen Gütern erwartet, dass sie einen Nutzen erfüllen, erwartet er von kulturell-singulären Gütern Authentisches. Andreas Reckwitz nennt Beispiele: „Authentisch soll der Urlaubsort sein – und ebenso die Politikerin, der Yoga-Kurs, die Musik oder das Essen.“ Entsprechend ist der Prozess der Singularisierung der Güter zugleich immer ein Prozess der Authentifizierung, das heißt der Beobachtung, der Bewertung, Hervorbringung und Aneignung als authentisch. Die spätmoderne Ökonomie ist eine Ökonomie von Authentizitätsgütern. Nun ist Authentizität ein vieldeutiger Begriff, der nicht zufällig aus dem semantischen Pool der Romantik stammt. Bereits in diesem historisch-kulturellen Kontext waren Einzigartigkeit und Authentizität eng miteinander verknüpft. Das Authentische erscheint beispielsweise bei Jean-Jacques Rousseau als das Gegenteil des Künstlichen. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Drei Faktoren transformieren die Moderne zur Spätmoderne

In der Spätmoderne wird die soziale Logik der Singularisierungen, die zugleich eine der Kulturalisierung und der Intensivierung der Affekte ist, zu einer für die gesamte Gesellschaft strukturbildenden Form. Andreas Reckwitz erläutert: „Die Transformation von der organisierten Moderne zur Spätmoderne verdankt sich einer historischen Koinzidenz dreier Faktoren, die sich seit den 1970er Jahren gegenseitig verstärken. Die drei Faktoren sind: die sozio-kulturelle Authentizitätsrevolution, getragen vom neuen Stil der Mittelklasse; die Transformation der Ökonomie hin zu einer postindustriellen Ökonomie der Singularitäten; und die technische Revolution der Digitalisierung.“ Seit den 1970er Jahren findet in der bisherigen Industriegesellschaften ein fundamentaler sozialstruktureller Wandel statt, der zugleich ein Kultur- und Wertewandel ist. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Andreas Reckwitz stellt die soziale Logik des Allgemeinen vor

Die soziale Logik des Allgmeinen, die mit der formalen Rationalisierung der Moderne einhergeht, betrifft sämtliche Einheiten des Sozialen. Andreas Reckwitz erläutert: „Der Begriff „soziale Logik“ soll sich auf eine solcherart umfassende Strukturierungsform beziehen, die zum einen die genannten Praktiken der Beobachtung, der Bewertung, der Hervorbringung und der Aneignung umfasst und zugleich alle Einheiten des Sozialen einschließt.“ In analoger Weise gilt da auch für die soziale Logik der Singularitäten. Die Plausibilisierung einer Sozial- und Gesellschaftstheorie ist generell darauf angewiesen, dass Aussagen über sämtliche Elemente oder Einheiten des Sozialen gemacht werden. Aus der Perspektive von Andreas Reckwitz lassen sich mindestens fünf Einheiten des Sozialen unterscheiden, die durch eine soziale Logik auf bestimmte Weise formatiert werden: Objekte, Subjekte, Räumlichkeiten, Zeitlichkeiten und Kollektive. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Singularitäten sind durch und durch sozial fabriziert

Die mystifizierende Haltung gegenüber Besonderheiten, die in der sozialen Welt der Kunstbetrachter und religiösen Gläubigen, den Bewunderern von Charisma und Liebenden, der Musikfans, Fetischisten von Markten und unbeirrbaren Lokalpatrioten verbreitet ist, setzt voraus, dass das, was ihnen wertvoll ist und sie fasziniert, gewissermaßen in ihrer natürlichen Essenz und unabhängig vom Betrachter wirklich authentische und einzigartige Phänomene sind. Andreas Reckwitz erläutert: „Mit Blick auf diese Mystifizierung des Authentischen hat die soziologische Analyse eine Aufklärungsfunktion. Einzigartigkeiten sind gerade nicht als vorsoziale Gegebenheiten vorauszusetzen, vielmehr gilt es, die Prozesse und Strukturen der sozialen Logik der Singularitäten zu rekonstruieren.“ „Soziale Logik“ heißt: Die Singularitäten sind nicht kurzerhand objektiv oder subjektiv vorhanden, sondern durch und durch sozial fabriziert. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Singularität meint das Streben nach Einzigartigkeit

Singularität meint laut Andreas Reckwitz mehr als Selbstständigkeit und Selbstoptimierung: „Zentral ist ihr das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist.“ Markant ausgeprägt ist dies in der neuen, der hochqualifizierten Mittelklasse, also in jenem Produkt von Bildungsexpansion und Postindustrialisierung, das zum Leitmilieu der Spätmoderne geworden ist. An alles in der Lebensführung legt man den Maßstab des Besonderen an: wie man wohnt, wie man isst, wohin und wie man reist, wie man den eigenen Körper oder den Freundeskreis gestaltet. Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das spätmoderne Subjekt performed sein besonderes Selbst vor den anderen, die zum Publikum werden. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Einsamkeit kann tödlich sein

Die Einsamkeit kann jeden Menschen treffen. Und wer einsam ist, wird häufiger krank als andere. Im schlimmsten Fall kann Einsamkeit tödlich sein. Manfred Spitzer hat in seinem neuen Buch „Einsamkeit“ die neuesten Forschungsergebnisse ausgewertet und beschreibt, welchen gravierenden Einfluss die Einsamkeit auf den Körper und die Seele eines Menschen hat. Das Thema ist brandaktuell, da allein in Deutschland inzwischen rund 17 Millionen Menschen in Single-Haushalten leben. Für viele dieser Singles bedeutet ein solches Leben einen Zugewinn an Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Aber immer mehr von ihnen fühlen sich inzwischen auch einsam. Manfred Spitzer fordert die Einsamkeit nicht länger als „Nebensache“ abzutun. Denn sie ist gefährlicher als andere Krankheiten – sie ist die Todesursache Nummer eins in den westlichen Gesellschaften. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Eine Gesellschaft der Singularitäten kennzeichnet die Spätmoderne

Andreas Reckwitz entwickelt in seinem neuen Buch „Die Gesellschaft der Singularitäten“ eine Theorie der Moderne, die eine spätmoderne Gesellschaft in all ihren Facetten beschreibt, in der das Singuläre überall die Herrschaft übernommen hat. Ein Mensch mit einer Normalbiografie mit seinem Durchschnittsleben ist im Ansehen seiner Mitmenschen ganz unten angesiedelt. An der Spitze der Gesellschaftspyramide stehen authentische Subjekte mit originellen Interessen und ungewöhnlicher Biografie. Nur noch das Besondere zählt, das Normale ist völlig out. Das gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für Guter und Events, die unverwechselbar sein müssen. Selbst Communities und Städte sind diesem scheinbar allesumfassenden Trend unterworfen. Die Gesellschaft der Singularitäten zeichnet sich nicht nur durch seine Dynamik und seinen durch nichts zu erschütternden Fortschrittsglauben aus. Sie hat auch ihre Schattenseiten, indem sie ihre ganz eigenen Ungleichheiten, Paradoxien und Verlierer produziert. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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