Eine kitschige Weltsicht verspricht Halt und Orientierung

Die Rationalität ist der Treibstoff des wissenschaftlichen Denkens, von sachlicher Abwägung und nutzenorientiertem Pragmatismus. Genau hierin aber wittert die sentimentale Seele die Ursache für die Ausbeutung, Ungleichheit, der Unfähigkeit zum Frieden und die Zerstörung der Natur. Alexander Grau fügt hinzu: „Diesem imaginierten Szenario der Entfremdung setzt das kitschige Bewusstsein eine Version absoluter Empathie, Gefühligkeit und Harmonie entgegen.“ Nur sie sind in der Lage, bestimmte Normen und Verhaltensweisen zu entwickeln. Diese sollen nicht nur einen schonenden Umgang der Menschen untereinander ermöglichen, sondern auch des Menschen mit der Natur. Dass in der Natur selbst Kategorien wie Empfindsamkeit, Empathie und Achtsamkeit überhaupt nicht vorkommen, stört das kitschige Gemüt naturgemäß wenig. Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist.

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Zärtlichkeit ist der Schlüssel zu einem sinnerfüllten Leben

In ihrem neuen Buch „Zärtlichkeit“ zeigt Isabella Guanzini, dass es möglich ist, über Zärtlichkeit zu sprechen, ohne sentimental oder kitschig zu klingen. Für die italienische Philosophin ist sie der Schlüssel zu einem sinnerfüllten Leben und einem guten Miteinander. Denn das ist heute notwendiger denn je. Denn viele Menschen leben in einer Welt, die immer mehr von ihnen fordert, um im Konkurrenzkampf mithalten zu können. Härte, Überreiztheit und Erschöpfung sind die Folge. Die meisten Menschen haben verlernt, auf die sanfte Macht der Zärtlichkeit zu vertrauen. Zärtlichkeit ist für die Autorin mehr als nur ein Wohlgefühl. Sie ist eine geistige Haltung zur Welt, mit der sich Menschen aus der zermürbenden Erschöpfung der Gegenwart befreien können. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Die Kultur des Rokoko bevorzugt die Sphäre des Weiblichen

Im 18. Jahrhundert nehmen die leidenschaftlichen Versuche kein Ende, die überkommenen Ordnungen und Einrichtungen auf allen Gebieten des öffentlichen und privaten Lebens zu reformieren, die verkrusteten Traditionen in der Politik, den Wissenschaften und Künsten aufzulösen und das Festgefahrene wieder in Fluss zu bringen. Diese Innovationen vollziehen sich in mehreren Phasen an den höfischen Zentren und großen europäischen Residenzen, unter denen die bedeutendsten Paris, München, Berlin, Dresden und Wien sind. Innerhalb einer feudalen Gesellschaft von geistigen und weltlichen Würdenträgern, innerhalb des Hofadels selbst, werden die Umwälzungen, die neuen Denkformen und Lebensstile entwickelt und entfaltet. Dies ist die erste Etappe einer sanften und unblutigen Revolution: die Zeit des Rokoko. Sie bevorzugt im Gegensatz und Widerspruch zum männlich-heroischen Zeitalter des Barock alles, was aus der Sphäre des Weiblichen und aus den Bereichen eines kunstvollen Gefühls für die Natur stammt.

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Für Erich Fromm sind viele Menschen weder lebendig noch tot

Erich Fromm glaubt, dass die grundlegende Alternative des Menschen die Wahl zwischen Leben und Tod ist. Bei allem, was der Mensch tut, muss er diese Entscheidung treffen. Bei der Wahl ist er frei, allerdings nur in begrenztem Maß. Erich Fromm nennt Gründe für diese Einschränkung: „Es gibt zahlreiche günstige und ungünstige Bedingungen, die ihn beeinflussen: seine psychologische Konstitution, die speziellen Bedingungen der Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde, seine Familie, seine Lehrer und die Freunde, denen er begegnet und die er sich auswählt.“ Laut Erich Fromm ist es die Aufgabe des Menschen, seinen Raum der Freiheit zu erweitern und sich um Bedingungen zu bemühen, die zum Leben und nicht zum Tode führen. Mit Leben und Tod meint Erich Fromm keinen biologischen Zustand, sondern eine Verfasstheit des Seins, in dem die Art der Beziehung zur Welt zum Ausdruck kommt.

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