Der Mensch erkennt sich selbst in seinem Handeln

Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel beschäftigte sich eingehend mit den Wechselwirkungen zwischen der Welt im Inneren und der Außenwelt. Zudem untersuchte er ihre Funktion für die Selbsttäuschung. Nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel erkennen wir uns selbst in unserem Handeln. Und das Handeln ist an sich sozial. Seine Bedeutung hängt weitgehend davon ab, wie es von anderen wahrgenommen wird. Matthew B. Crawford erläutert: „Die wesentliche Frage der Selbsterkenntnis lautet, wie wir uns anderen durch unser Handeln verständlich machen können. Nur dann können sie uns ein Spiegelbild von uns vorhalten.“ Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel gibt es kein Selbst zu entdecken, das vor dem in der Welt seienden Selbst oder auf einer „tieferen Ebene“ als dieses existieren würde. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Kein Mensch kann multitasken

Die Meinungen der Menschen über aktuelle Ereignisse wurden und werden zutiefst vom Internet beeinflusst. Viele Menschen lassen sich auf einen ständigen Nachrichtenstrom ein, der zweifellos beeinflusst, wie sie die Welt sehen, und auch prägt, auf welche Weise sie einander ihre Erfahrungen mit der Welt mitteilen. Julia Shaw weiß: „Soziale Medien steigern unsere Möglichkeiten, unabhängige Bestätigungen dafür zu finden, dass unsere Erinnerungen stichhaltig sind, haben aber auch das Potenzial, sie zu verfälschen und zu verzerren.“ Menschen denken über Dinge nach, die sich gerade ereignet haben, sie dokumentieren Dinge, von denen sie denken, sie würden die meisten Likes bekommen, sie filtern ihr Leben so, dass es erstrebenswert und interessant aussieht. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Die meisten Menschen beherrschen die Kunst der Verstellung

Wenn Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Gründe oft und systematisch auftauchen, dann stellt sich für Philipp Hübl die Frage, wie sie evolutionär von Vorteil gewesen sein können. Als Antwort darauf gibt es mehrere Vorschläge. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers nimmt an, dass Selbsttäuschung sich im Dienste der sozialen Täuschung entwickelt hat. Friedrich Nietzsche hat diese soziobiologische Grundidee schon 150 Jahre früher so zusammengefasst: „Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen … die Regel und das Gesetz.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Die Kontrollierbarkeit von Ereignissen ist oft eine Illusion

Illusionen der Kontrolle sind scheinbar gut für das Wohlbefinden eines Menschen. Viele Studien zeigen, dass die sogenannten Überzeugungen der Selbstwirksamkeit – also die Überzeugung, in einer schwierigen Situation das tun zu können, was nötig ist – stark beeinflussen, wie man sich in einer Situation verhält. Interessant ist, dass Menschen außerordentlich raffiniert darin sein können, sich ihre Illusionen der Kontrolle auch dann zu erhalten, wenn einige Beweise gegen sie sprechen. Selbsttäuschungen, mit deren Hilfe sich Menschen von nicht mehr haltbaren Kontrollillusionen verabschieden, kommen durchaus häufig vor. Nach dem Motto: Wenn man etwas nicht haben kann, will man es plötzlich auch gar nicht mehr. Illusionen der Kontrolle sind in der Sprache der Psychologie adaptiv. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Thomas Junker kennt die Macht der Liebe

Viele Dichter haben die Macht der Liebe besungen und bewundert, religiöse und politische Weltverbesserer haben sie gefürchtet und verfolgt, und noch heute verzweifeln wohlmeinende Eltern am romantischen Eigensinn ihrer Kinder. Thomas Junker betont: „Und doch waren es diese scheinbar irrationalen Formen der Verliebtheit, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.“ Einige der faszinierendsten körperlichen und geistigen Anlagen der Menschen haben sich nur deshalb in der Evolution durchgesetzt, weil Frauen über viele hunderttausend Jahre Partner mit bestimmten Eigenschaften bevorzugten. Und weil die Männer nicht unterschiedslos mit allen Frauen schliefen, sondern eine sorgfältige Auswahl trafen. Durch die Partnerwahl haben sich die Geschlechter gegenseitig geformt. „Geformt“ ist im übertragenen Sinn gemeint, wenn es um den Charakter und die Talente geht. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Man kann Menschen sehr einfach falsche Erinnerungen einpflanzen

Aus der Forschung weiß man, dass so gut wie jede vermeintliche Erinnerung vor dem dritten Lebensjahr eine Fiktion ist, weil alle Menschen an „infantiler Amnesie“ leiden. Man hat so gut wie keine autobiografischen Erinnerungen an seine ersten drei Lebensjahre. Philipp Hübl erklärt: „Viele von uns kennen sicherlich ähnliche Pseudoerinnerungen, die sich später anhand von Fotos oder Aufzeichnungen der Eltern eindeutig als falsch erwiesen haben.“ Die eigentliche Spannung zwischen Pseudoerinnerungen und der Wirklichkeit besteht darin, dass man sich subjektiv sicher ist, sich also von innen echt und real anfühlt, aber die Fakten eindeutig die Geschichte widerlegen. Auch Erwachsene sind anfällig für solche Irrtümer, und zwar so sehr, dass man nach einem Einblick in die Forschung seinen eigenen Lebenserinnerungen plötzlich skeptisch gegenübersteht. Er Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Die Frage „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ wirft viele Rätsel auf

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2017 beschäftigt sich mit der Frage: „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ Eigentlich beruht die gesamte Lebensweise der modernen Staaten des Westens auf dem Imperativ des immer Mehrwollens. Sowohl im privaten Bereich als auch im Beruf führt dieser Wille oft zu einer dauerhaften Selbstüberforderung. Die Lust am Leben wird so eher gemindert anstatt gesteigert. Aus beglückender Fülle werden Leere und Angst. Scheinbar ist also klar: Wer weniger will, wird seltener enttäuscht, ist also entspannter und lebt so möglicherweise zufriedener. Das Wollen selbst sei die Wurzel allen Unglücks – das behaupten zumindest Denker von der Stoa bis zu Arthur Schopenhauer. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ist es nicht gerade die Suche nach mehr Intensität, die dem eigenen Leben erst Spannung und Sinn gibt?

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Menschen mit Charakter haben Selbstachtung

Menschen führen sehr unterschiedliche Leben. Doch bei der Formung eines guten Charakters gibt es ein gemeinsames, immer wiederkehrendes Muster. Man muss erst eine Niederlage erleiden und in die Täler der Demut hinabsteigen, ehe man emporstreben und die Höhen des Charakters erklimmen kann. David Brooks fügt hinzu: „Der Weg zum Charakter geht oft mit Momente einer moralischen Krise, Auseinandersetzung und Besserung einher.“ Manchen Menschen sind vor einer entscheidenden Bewährungsprobe plötzlich in der Lage, ihre eigene Natur deutlicher zu erkennen. Die alltäglichen Selbsttäuschungen und Illusionen der Selbstbeherrschung sind dann von ihnen zerstört worden. Sie mussten sich in Selbsterkenntnis demütigen, wenn sie die geringste Hoffnung haben wollten, sich verwandelt daraus zu erheben. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Die Würde hat in den meisten Fällen sehr viel mit Mut zu tun

Es gibt Situationen im Leben, in denen Menschen eine Würde ausstrahlen, die sie ihrer Aufrichtigkeit und dem Mut verdanken, zu sich selbst zu stehen, auch vor anderen. Erfahrungen der Würde durch Aufrichtigkeit macht man nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch im Privatbereich. Peter Bieri nennt Beispiele: „Nach langer Zeit und heftigem Widerstand bringen wir den Mut auf, uns schwierige Dinge einzugestehen: die Erleichterung bei einem Tod oder einer Trennung; das Bedürfnis nach Vergeltung bei einer Kränkung; die Kränkung selbst; eine Wut eine Eifersucht.“ Und auch noch etwas anderes gibt es: sich einzugestehen, dass man ein Gefühl nicht besitzt, beispielsweise Zuneigung oder Mitleid. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Ernst Fraenkel seziert die Rolle des deutschen Parlaments

Im Gegensatz zum englischen beruht das kontinentaleuropäische parlamentarische Denken laut Ernst Fraenkel auf dem Gedanken der Delegation. Er zitiert L.S. Amery, der in seinem Buch „Thoughts on the Constitution“ diesen Gegensatz mit provozierender Schärfe herausgearbeitet hat. Dieser hat zwar das britische Regierungssystem ausdrücklich als Demokratie bezeichnet, aber auch gesagt: „Es ist eine Demokratie, die nicht auf Delegation, sondern auf Zustimmung beruht.“ Nach den dem kontinentaleuropäischen parlamentarischen Regierungssystem zugrunde liegenden Vorstellungen delegiert das Volk seine Machtbefugnisse seinen gewählten Repräsentanten, dem Parlament, und das Parlament delegiert sie der Regierung mit der Wirkung, dass das Volk sich durch Vermittlung seines Parlaments selbst regiert. Das Parlament präsentiert also einen vorgegebenen Allgemeinwillen des Volkes. Es ist nur dazu berufen, diesen zu finden, aber nicht zu formen.

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Friedrich Nietzsche sucht nach dem Sinn des Lebens

Auch im vielfältigen, sprunghaften und teilweise widersprüchlichen Denken Friedrich Nietzsches lassen sich immer wiederkehrende Motive und dominierende Fragen erkennen. So steht beispielsweise die erste Phase seines philosophischen Denkens, die mit den ersten „Baseler Vorträgen“ beginnt und mit der „Morgenröthe“ endet, unter der Leitfrage nach dem Wert und Sinn der menschlichen Existenz. Im 9. Abschnitt seiner zweiten „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ zieht er die metaphysische Reichweite der Frage nach der Welt auf den Punkt einer existentiellen Frage nach dem Sinn des Lebens eines einzelnen Individuums zusammen. Er schreibt: „Wozu die Welt da ist, wozu die Menschheit da ist, soll uns einstweilen gar nicht kümmern, … aber wozu du Einzelner da bist, das frage dich.“

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Tim Jackson stellt seine Vorstellung vom Wohlstand vor

Die Grundlage für die Vorstellung von Wohlstand ist laut Tim Jackson die Fähigkeit des Menschen zu gedeihen, und zwar innerhalb der ökologischen Grenzen eines endlichen Planeten Erde. Er gibt zu, dass diese Vorstellung zweifellos materielle Aspekte beinhaltet. Denn es wäre seiner Meinung nach absurd zu behaupten, alles sei bestens, wenn es an Essen und Obdach mangelt. Milliarden von Menschen in den Entwicklungsländern müssen immer noch auf diese Grundbedürfnisse verzichten. Zugleich ist für Tim Jackson unschwer zu erkennen, dass die einfache Gleichsetzung von Quantität mit Qualität, von mehr ist besser, grundsätzlich falsch ist. Er schreibt: „Dinge allein lassen uns nicht gedeihen. Manchmal stehen sie uns dabei sogar im Weg.“ Tim Jackson ist Professor für Nachhaltige Entwicklung am Zentrum für Umweltstrategien der Universität Surrey.

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Wolfgang Hetzer enthüllt die Macht der Finanzmafia

Die Weltwirtschaftskrise ist laut Wolfgang Hetzer kein schicksalhaftes Verhängnis, sondern setzt sich aus den Faktoren politischer Fehlentscheidungen, wirtschaftlicher Inkompetenz und krimineller Energie zusammen. In seinem Buch „Finanzmafia. Wieso Banker und Banditen ohne Strafe davonkommen“ sagt er der übermächtigen Finanzwelt den Kampf an. Hinter dem Begriff einer Krise verstecken sich für den Autor individuelle und kollektive Selbsttäuschungen, wirtschaftliche Interessen sowie politisches Kalkül. Wolfgang Hetzer schreibt: „Der Sprachgebrauch unterstellt den periodischen Charakter der Entwicklung und gaukelt Beherrschbarkeit vor.“  Die internationale Finanzwirtschaft wird seiner Meinung nach von überforderten Amtsinhabern und kriminellen Gestalten beherrscht, die in dem Habitus des seriösen Bankers auftreten. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitet seit 2002 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Die gesellschaftliche Welt ist immer wieder erneuerbar

Die Gesellschaft steckt für Tim Jackson in einer Zwickmühle. Der Professor für Nachhaltige Entwicklung am Zentrum für Umweltstrategien der Universität Surrey erklärt: „Dem Wachstum abzuschwören bedeutet, einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruch zu riskieren. Hemmungsloses Streben nach Wachstum bedeutet, die Ökosysteme zu gefährden, von denen langfristig unser Überleben abhängt.“ Tim Jackson behauptet, dass dies vom normalen Politikbetrieb meist überhaupt nicht wahrgenommen und in der öffentlichen Debatte an den Rand gedrängt wird. Die wenigsten Politiker gestehen sich überhaupt die Größe der Aufgabe zu, die da auf die Menschheit zukommt. Tim Jackson schreibt: „In einer Welt mit neun Milliarden Menschen, die alle einen westlichen Lebensstil anstreben, müsste die Kohlenstoffintensität jedes einzelnen Dollars der Wirtschaftsleistung im Jahr 2050 mindestens hundertdreißigmal niedriger sein als heute.“

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