Der Mensch erschafft sich sein Weltbild selbst

Im zweiten Hauptfach von Senecas Seelenschulung geht es um den Umgang mit sich selbst. Albert Kitzler meint: „In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass es das wichtigste Hauptfach ist.“ Alle Wahrnehmungen, jegliche Welterfahrung, ja auch die Selbstwahrnehmung gehen durch den Filter des eigenen Vorstellens, Denkens, Bewertens und Wollens. Seit der Antike bis heute haben Philosophen daher immer wieder betont, dass der Mensch sich sein Weltbild selbst erschafft. In einem selbst liegt der Schlüssel zu allem. Die Arbeit an einem selbst macht es möglich, mit anderen Menschen und zum äußeren Geschick einen Umgang zu finden, der einen selbst nicht belastet. Sondern dieser Umgang kann die eigene Person sogar erfüllt und glücklich machen. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Die Klugheit sprengt die Fesseln der Unmündigkeit

Denken bedeutet, im mentalen Innenraum zu experimentieren. Menschen bedienen sich ihres immensen Erinnerungsschatzes, den sie über ihre Erziehung, Kultur und Bildung erworben haben, und erleben ihre Gedanken als persönliche Kreationen. Meistens merken sie nicht, dass sie der Erfahrung eines Mitmenschen nachplappern oder durch ein unbewusstes Motiv beeinflusst werden. Denn das Denken ist immer beeinflusst vom Milieu und der Geschichte eines Menschen. Allan Guggenbühl rät: „Um aus dieser Falle herauszukommen, müssen wir es wagen, unseren Irritationen zu folgen, das Außergewöhnliche anzudenken. Klugheit bedeutet, sich immer wieder aus der selbst auferlegten Unmündigkeit zu befreien, Nischen zu entdecken und Rituale zu entwickeln, in denen die Vorgaben des politisch korrekten Denkens und persönlicher Prägungen abgelegt werden.“ Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Der Traum ist der „Königsweg“ zum Unbewussten

Träume spielen sich nach Sigmund Freuds Auffassung nicht im Unbewussten ab, sondern im Gegenteil im Bewusstsein. Ihre Verbindung zum Unbewussten ist seiner Meinung nach anderer Natur. Philipp Hübl erklärt: „Die Trauminhalte, die bizarren Bilder und Eindrücke in Träumen, haben Sigmund Freud zufolge ihren Ursprung im Unbewussten. Um dem näher zu kommen, muss man die Inhalte der Träume sorgfältig analysieren, denn darin zeigen sich die unbewussten Wünsche.“ Weil Wünsche sich im Schlaf besonders auffällig umformen, hielt Sigmund Freud den Traum für den „Königsweg“ zum Unbewussten. Im Traum brodeln die Energien des Es so stark, dass der Zensor überlastet ist. Am Tag kann er zwar fast alle geheimen Wünsche zurückhalten, doch jetzt drängen sie mit Macht ins Bewusstsein. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Die Religion ist nichts weiter als eine Illusion

Sigmund Freud leitete die Religion aus der kulturellen Entwicklung ab, als deren Bestandteil sie die Zumutungen der Natur und der Gesellschaft gleichermaßen zu bewältigen gestattet. Gegen die Zufälle und Gefahren der Natur erzeugt sie die Illusion, dass alles nach Plan erbaut und durch den Willen des Schöpfers kontrolliert wird. Peter-André Alt ergänzt: „Gegen die sozialen Zwänge setzt sie den Gedanken der Belohnung für entgangene Befriedigung in der Idee der Erlösung nach dem Tod.“ Betrachtet man den Kern religiöser Aussagen über Jenseits und ewiges Leben, Gottes Schöpfungsidee und die Segnungen des Paradieses genauer, dann kommt man allerdings schnell zur Einsicht in ihren irrationalen Charakter. Die religionsimmanenten Argumente, die ihrer Absicherung dienen, lassen sich, so Sigmund Freud, durchgehend als bedenklich bezeichnen. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Mit jeder Tugend geht ein Laster einher

Augustinus, der lateinische Kirchenlehrer der Spätantike, glaubte nicht daran, dass die Welt feinsäuberlich in die Kräfte des reinen Guten und des reinen Bösen geschieden werden könne. Vielmehr gehe jede Tugend mit einem Laster einher – Selbstvertrauen mit Stolz, Aufrichtigkeit mit Brutalität, Mut mit Leichtsinn und so weiter. Der Ethiker und Theologe Lewis Smedes beschreibt die menschliche Natur der Innenwelt wie folgt: „Unser Seelenleben ist nicht so scharf geschieden wie Tag und Nacht – mit reinem Licht auf der einen Seite und totaler Finsternis auf der anderen. Unsere Seelen sind überwiegend Schattenräume; wir leben an der Grenze, wo unsere dunklen Seiten uns Licht blockieren und einen Schatten auf unsere inneren Plätze werfen. Wir können nicht immer sagen, wo unser Licht endet und unser Schatten beginnt und wo unser Schatten endet und unsere Finsternis beginnt.“

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Sigmund Freud revolutionierte das Verständnis vom Seelenleben

Peter-André Alt erzählt in seinem neuen Buch „Sigmund Freud“ von der Bewegung der Psychoanalyse, ihrem Siegeszug und ihren Niederlagen. Er porträtiert Sigmund Freud als selbstkritischen Dogmatiker und wissenschaftlichen Eroberer. Der Begründer der Psychoanalyse war auch selbst ein Zerrissener, der die Nöte der Seele, von denen seine neue Therapie die neurotischen Menschen befreien sollte, aus eigener persönlicher Erfahrung kannte. Der Nervenarzt Sigmund Freud arbeitete in Wien an seinen wegeweisenden Theorien zu Sexualität und Neurose, Traum und Unbewusstem, Familie und Gesellschaft, Märchen und Mythos. In seinen Behandlungsräumen in der Berggasse 19 vollzog sich die Erfindung einer neuen Lehre vom Menschen, die das Verständnis des Seelenlebens umfassend und eingreifend veränderte. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Philipp Hübl begibt sich auf die Spur des unbewussten Denkens

Der niederländische Psychologe Ap Dijksterhuis hat in einem vieldiskutierten Experiment die Vernunft des Abwägens in Frage gestellt. Seine provokante These lautet: Bei komplexen Entscheidungen wie einem Autokauf hilft bewusstes Nachdenken nicht weiter. Besser sei, sich keinen Kopf zu machen, eine Nacht darüber zu schlafen und dann spontan zu entscheiden. Ap Dijksterhuis erklärt dies damit, dass dem unbewussten Denken mehr Kapazitäten zur Verfügung stünden und es daher dem bewussten Abwägen überlegen sei. Seinen Ansatz nennt er „Theorie des unbewussten Denkens.“ Philipp Hübl hält diese Theorie für fragwürdig. Denn es gibt etwa ein Dutzend Experimente anderen Forschern, die den Annahmen des Niederländers widersprechen. Denn in der Regel entscheidet derjenige am besten, der bewussten Zugriff auf alle verfügbaren Informationen hat. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Nur der menschliche Geist kann gänzlich Neues schaffen

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis künstliche Intelligenz auch das menschliche Bewusstsein überformt – so das Credo der Naturwissenschaften. Doch David Gelernter, der „Rockstar der Computerwissenschaften“ so die New York Times, stellt in seinem neuen Buch „Gezeiten des Geistes“ dieser pessimistischen Annahme die Vielgestaltigkeit, Einzigartigkeit und Freiheit des menschlichen Geistes entgegen. Kreativität und die Fähigkeit zur Introspektion sind nur dem Menschen gegeben. Das zeigen beispielsweise die literarischen Werke von William Shakespeare, Homer und Marcel Proust. Die Erkenntnisse von René Descartes, John Searle und Sigmund Freud haben im digitalen Zeitalter eine größere Bedeutung denn je. In einer interdisziplinären Analyse zeigt David Gelernter, was das menschliche Bewusstsein auszeichnet und worauf es für den Menschen in Zukunft wirklich ankommen wird. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

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Die Midlife-Crisis führt zur Egozentrierung

Es gibt verschiedene heikle Phasen im Leben, in denen die Menschen erheblich selbstbezogener sind als sonst. Ein Höhepunkt der Egozentrierung ist neben der Pubertät sicherlich die Midlife-Crisis. Werner Bartens erklärt: „Man kreist nur noch um sich, um die nachlassende Spannkraft, fehlende Energie und weniger Leistungsfähigkeit.“ Und nur mühsam stellt sich die Erkenntnis ein, dass es fortan nicht nur körperlich, sondern auch beruflich nicht zwangsläufig weiter aufwärtsgeht und manche Möglichkeiten im Leben unwiderruflich vorbei sind. Wer damit hadert, findet wenig Muße, sich auch noch in das Seelenleben anderer einzufühlen. Werner Bartens rät, dieses Selbstmitleid auf keinen Fall zu kultivieren. Denn nach einer Krise geht es in der Regel auch wieder aufwärts. Werner Bartens ist Autor von Bestsellern wie „Das Ärztehasser-Buch“, „Körperglück“ und „Was Paare zusammenhält“.

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Die Deutschen wollen das lang verpasste Glück suchen

Helfen macht die meisten Menschen glücklich. In einem solchen Fall ist es ein beinahe anarchisches Glück. Eigentlich ist die Bundesrepublik Deutschland ein ziemlich glückliches Land. Es gibt seit sieben Jahrzehnten keinen Krieg und keine Diktatur. Deutschland und seine Bürger sind wohlhabend wie nie. Die Korruption ist auf einem niedrigen Level, das Bildungsniveau ist ganz ordentlich, die meisten Straßen sind in einem guten Zustand und in der Regel kommen auch die Züge pünktlich an. Und dennoch scheint die Hälfte der Bevölkerung gerade das Glück zu suchen: In Yogakursen, in Gruppen zur Selbsterfahrung und beim individuellen Coaching. Oder sie fahnden nach dem Glück auf Reisen in ihr Inneres, in der Wildnis oder in einem Wellnesshotel. Wieder andere hoffen das Glück an der Bar, beim Dating oder wenigstens mit einem Buch auf dem Sofa zu finden.

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Die Tätigkeit des Verstehens hat einen ambivalenten Charakter

Mit dem Wunsch, verstanden zu werden, ist immer das Verlangen nach Einverständnis, manchmal nach Verzeihen verbunden. „Ich verstehe Dich!“, „Ich habe Verständnis für Dich!“ Wer diese Sätze hört, muss laut Wilhelm Berger allerdings oft einen hohen Preis dafür bezahlen, nämlich den Preis der Abhängigkeit und der Unterwerfung. Die Tätigkeit des Verstehens steht seiner Meinung nach auch theoretisch in einer tiefen Ambivalenz. Prinzipiell gilt das Verstehen im Verhältnis zum Beschreiben als tief und im Verhältnis zum Erklären als weich. Wilhelm Berger erläutert: „Während das Erklären seinen Gegenstand als Objekt sieht und zu einem sicheren, definitiven Ergebnis kommen will, scheint das Verstehen von Zuwendung und gutem Willen getragen zu sein.“ Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Sokrates wendet in seiner Philosophie die Technik der Mäeutik an

Von Sokrates, der von 469 bis 399 vor Christus lebte, gibt es keine schriftlichen Überlieferungen. Deshalb wird er gerne als der „sprechende Philosoph“ bezeichnet. Über seine Gedanken und sein Leben wissen wir durch seinen Schüler Platon. Sokrates wandte in seiner Philosophie als zentrale Methode nicht die Lehre eines systematischen Denkens an, das den Gesetzmäßigkeiten der Logik und Kausalität folgt, sondern er benutzte eine dialogische Technik, die den Gesprächspartner selbst durch die Fragen des Philosophen zu den richtigen Erkenntnissen führt. Den Prozess der Erkenntnisgewinnung machen dabei die Antworten und weitere Fragen aus. Es kommt hierbei auf die genaue Einschätzung des Lehrers in Bezug auf die Antworten des Schülers an, um im Fortlauf des Dialogs den Wandel von Nichtwissen in Wissen zu befördern.

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Rudolf Eucken erklärt die Außenwelt und die Innenwelt

Nichts treibt den Menschen laut Rudolf Eucken mit so zwingender Kraft zur Philosophie als ein Widerspruch, der sich bei ihm selbst eröffnet und ihm sein eigenes Wesen und Leben unsicher macht. Der Mensch begreift sich zunächst als sinnliches Wesen, als ein Bestandteil einer sichtbaren Welt, die ihn mit unablässigen Eindrücken und Forderungen umgibt. Zugleich lehrt den Menschen aber jede Selbstbesinnung, dass er direkt nie Dinge draußen, sondern stets nur seinen eigenen Zustand erleben, dass daher was sich ihm als eine jenseitige Wirklichkeit darstellt, von innen her entwickelt sein muss. Rudolf Eucken erklärt: „So entstehen zwei Reiche und Welten, die sich nicht unmittelbar zusammenfügen lassen, deren eine die andere unter sich zu bringen, ja möglichst ganz in sich aufzunehmen beflissen ist: die sinnliche Welt behandelt das Seelenleben als ein natürliches Erzeugnis oder auch als ein bloßes Spiegel- und Schattenbild, die seelische möchte umgekehrt die sinnliche zu einer bloßen Erscheinung herabsetzen, die den Kreis des Inneren nicht überschreitet.“

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Claude Simon revolutioniert die europäische Romankunst

Der Schriftsteller Claude Simon entwickelt in seinen Geschichten Erzählformen und Satzkonstruktionen, die nach Marcel Proust und James Joyce, dem europäischen Roman eine neue Form geben. Dafür hat Claude Simon im Jahr 1985 den Nobelpreis für Literatur erhalten. In den Romanen „Der Wind“ (1957) und „Das Gras“ (1960) wendet der Autor schon die für ihn typischen langen Sätze an, die alle Konventionen des Satzbaus zertrümmern. In seinem siebten Werk „Die Straße in Flandern“ (1960) löst Claude Simon auch die überkommene Form des Romans ab. Er nimmt Abschied von psychologisch kausaler Schlüssigkeit, Chronologie und Handlung. Stattdessen konfrontiert er seine Leser mit in einen suggestiven Mahlstrom rotierender und immer wieder variierten Bilder, der in die Tiefen des Lebens vordringt, wie es zuvor in der europäischen Literatur nicht dagewesen ist.

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Rudolf Eucken stellt den Grundcharakter des geistigen Lebens vor

Den Ausgangspunkt zur Selbstbestimmung bildet für Rudolf Eucken die Frage, ob das Leben eines Menschen gänzlich innerhalb der Natur verläuft oder ob es darüber hinaus eine eigentümliche Art entwickelt. Rudolf Eucken hegt keinen Zweifel daran, dass der Mensch auch innerlich zunächst der Natur angehört, die ihn nicht nur von außen her umfängt, sondern sich auch tief in sein seelisches Leben hinein erstreckt. Aber das Seelenleben erschöpft sich nicht allein darin. Es durchbricht vielmehr in allen seinen Hauptentfaltungen wie dem Erkennen, dem Fühlen und dem Streben den dort gezogenen Rahmen der bloßen Natur. Die Erkenntnis im Bereich der Natur besteht für Rudolf Eucken in der Verknüpfung von einzelnen Eindrücken, dem Beharren und Speicherung dieser Empfindungen, woraus sich eine gewisse Verwebung und eine Art von Erfahrung ergeben.

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Rudolf Eucken stellt die Lebensordnung des Naturalismus vor

Eine Lebensordnung des Naturalismus konnte nach der Auffassung von Rudolf Eucken nicht eher entstehen und sich in voller Klarheit zeigen, bevor das Bild der Natur alle Zutat seelischen Lebens verbannte. Zum Hauptziel der Forschung wird, seit dem Beginn der Neuzeit, die Natur in ihrer reinen Tatsächlichkeit zu erfassen. Alle innere Eigenschaft und seelenartiges Streben wird als eine Verfälschung aus ihr entfernt. Die Natur wird in ein Reich unbesselter Massen und Bewegungen umgewandelt, worin alles in einfachen und durchgehenden Formen, nach unveränderlichen Gesetzen geschieht. Dies vollzieht sich aus eigener Notwendigkeit, wobei die Sorge um das Wohl des Menschen ausgeklammert bleibt. Rudolf Eucken schreibt: „Von Anfang an bestand viel Neigung, dies Reich der Natur für das Ganze der Wirklichkeit auszugeben und zugleich alle Wissenschaft nach Art der Naturwissenschaft zu gestalten.“

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