Die Kultur spielt eine zentrale Rolle

Bereits wenn man die Ökonomie und Technologien betrachtet – den Kulturkapitalismus und die Kulturmaschine – wird deutlich, dass die Gesellschaft der Singularitäten einer Dimension, die in der alten Industriegesellschaft von Marginalisierung bedroht war, einen zentralen Ort verschafft: der Kultur. Andreas Reckwitz erläutert: „Kultur spielt für die Art und Weise, in der sich die Spätmoderne strukturiert, eine ungewöhnliche Rolle.“ Singuläre Objekte, Orte, Zeiten, Subjekte und Kollektive sind heutzutage mehr als bloße Mittel zum Zweck beziehungsweise werden nicht mehr als solche wahrgenommen. Indem ihnen ein eigener Wert zugeschrieben wird, etwa in ästhetischer oder ethischer Weise, sind sie vielmehr in einem starken Sinn Kultur. Wenn Menschen, Dinge, Orte oder Kollektive einzigartig erscheinen, wird ihnen ein Wert zugeschrieben. Dadurch erscheinen sie gesellschaftlich wertvoll. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Jean-Jacques Rousseau misstraut der Aufklärung

Die Rebellion gegen eine alles zermalmende Moderne ist kein Phänomen der Gegenwart. Sie hat ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung und beginnt mit einem erbitterten Streit zwischen zwei brüderlichen Freunden, Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot. Philipp Blom weiß: „Persönliche und intellektuelle Fragen vermischen sich in diesem jahrelangen Disput, aber sie brachten Rousseau dazu, den aufgeklärten Idealen seiner Freunde zu misstrauen.“ Die Zivilisation, die Großstadt und die Unterdrückung aller Menschen gehören zusammen, räsonierte er, die Aufklärung befreit nicht, sondern entfernt die Gesellschaft mit ihrer kultivierten Kompliziertheit immer weiter von ihrer ursprünglichen Tugend und versklavt sie gleichzeitig durch Mode, gesellschaftliche Anerkennung und Lohnarbeit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Markus Gabriel denkt über das Denken nach

Was ist Denken? Diese Frage ist so alt wie die Philosophie und hat nichts von ihrer Bedeutung verloren. Markus Gabriel vertritt in seinem neuen Buch „Der Sinn des Denkens“ die These, dass sie im digitalen Zeitalter, in dem Denken oft gleichgesetzt wird mit Künstlicher Intelligenz (KI), aktueller und dringender denn je ist. Er lädt seine Leser dazu ein, über das Denken nachzudenken und erklärt, warum sich menschliches Denken niemals durch intelligente Maschinen ersetzen lässt. Dagegen dominiert im Zeitalter der Digitalisierung die Vorstellung, dass Künstliche Intelligenz denken könne. Diese Annahme verkennt allerdings, dass das menschliche Denken unüberwindbar an biologische Bedingungen gebunden ist und nicht als ein Vorgang der Datenverarbeitung verstanden werden darf. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Johann Gottfried Herder prägte die europäische Ideengeschichte

Terry Eagleton ist davon überzeugt, dass der deutsche Philosoph Johann Gottfried Herder ein Autor war, dessen Bedeutung für die Ideengeschichte kaum zu überschätzen ist: „Er war einer der erste historistischen Denker mit einem wachen Sinn für die geschichtliche Bedingtheit von Kulturen, Texten, Ereignissen und Individuen. Man hat diesen Ansatz als eine der großen intellektuellen Umwälzungen des europäischen Denkens bezeichnet.“ Darüber hinaus wurde er als Vater des modernen Nationalismus gepriesen und sogar gerühmt, den Begriff der Kultur als umfassende Lebensweise in das europäische Denken eingeführt zu haben. Und als ob das noch nicht alles eindrucksvoll genug wäre, war Johann Gottfried Herder auch einer der Begründer der modernen Literaturtheorie sowie einer der ersten Denker, der die Bedeutung der Populärkultur für das soziale Leben erkannte. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Frühromantik will Poesie und Mythologie miteinander verbinden

Zu den zentralen Forderungen der Frühromantik gehört die nach einer neuen Mythologie. Dadurch unterschied sich die frühromantische Bewegung an einem entscheidenden Punkt von der Aufklärung, zu der sonst durchaus Verbindungslinien bestanden. Gerade die Skepsis gegen den Mythos gehörte zu den entscheidenden Elementen der aufklärerischen Weltanschauung. Die Frühromantiker versuchten, Poesie und Mythologie wieder miteinander zu verbinden. Friedrich Schlegel schrieb in seinem „Gespräch über die Poesie“ (1800) folgendes: „Dann das ist der Anfang aller Poesie, den Gang und die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft aufzuheben und uns wieder in die schöne Verwirrung der Phantasie, in das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur zu versetzen, für das ich kein schöneres Symbol bis jetzt kenne, als das bunte Gewimmel der alten Götter.“ Auch Friedrich Wilhelm Joseph Schelling wandte sich in seiner „Philosophie der Kunst“ (1802/03) ausführlich dem Verhältnis von Dichtung und Mythologie zu.

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Die Literatur von 1789 bis 1815 ist von hoher Qualität

Die Zeit zwischen 1789 und 1815 – dem Ausbruch der Französischen Revolution und der konservativen Neuordnung Westeuropas durch den Wiener Kongress – gehört zu den fruchtbarsten Perioden der deutschen Literaturgeschichte. In etwas mehr als 25 Jahren wurde eine Literatur geschaffen, die sowohl von ihrer Quantität als auch von ihrer Qualität her beeindruckend ist. Die klassischen Werke von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, die Werke der Romantiker und die heute weitgehend vergessene jakobinische Literatur bilden eine verwirrenden Komplex von unterschiedlichen Themen und Formen, der kaum auf einen Nenner gebracht werden kann. Den Eindruck der Vielfalt, den die Kunstepoche vermittelt, wird noch durch zwei weitere Faktoren verstärkt. Zum einen gab es neben den Autoren, die sich den großen literaturhistorischen Lagern ziemlich eindeutig zuordnen lassen, Autoren wie Friedrich Hölderlin, Heinrich von Kleist und Jean Paul, die Einzelgänger waren und sich von den literarischen Parteien der Zeit weitgehend fernhielten.

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Die Unausdrückbarkeit des Individuellen könnte ein Denkfehler sein

Wer überhaupt nie etwas gefühlt hat, dem kann man keine Gefühle erklären – so wie man einem Blinden nicht erklären kann, was Farben sind. Aber was ist hier mit „erklären“ gemeint. Philipp Hübl beantwortet die Frage wie folgt: „Erst einmal bloß so viel wie: Man sagt etwas, damit der andere sich einen Begriff davon machen kann.“ Und dazu braucht man Vorwissen. Doch bei Gefühlen wie Verliebtheit erwarten manche noch mehr. Sie behaupten nämlich, diese phänomenalen Erlebnisse sind prinzipiell unausdrückbar. Der Mensch kann zwar viele umschreibende Worte finden, aber er kommt niemals nah genug an die Erlebnisse heran, denn seine Worte bleiben Schall und Rauch. Von dieser Unausdrückbarkeit des Individuellen waren neben Johann Wolfgang von Goethe vor allem die Romantiker fasziniert. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Für den Maler Théodore Géricault ist das Leben ein ewiger Kampf

Der französische Maler und Romantiker Théodore Géricault, der von 1991 bis 1824 lebte, hat eines der bedeutendsten Schlüsselbilder des 19. Jahrhundert gemalt: „Das Floß der Medusa“. Das Werk wird zu den größten Kunstwerken Frankreichs gezählt und gehört ohne Zweifel auch zu den meistbewunderten Gemälden der französischen Kunst. Es beeindruckt den Betrachter durch seine visionäre Malerei, die ins Kosmische und Endzeitliche vorzudringen scheint und durch den dramatischen Furor, mit dem im Bild Hoffnung und Verzweiflung aufeinanderprallen. Nicht nur in diesem berühmten Bild ist für den Maler Théodore Géricault das Leben ein ewiger Kampf, sondern generell eine einzige physische wie psychische Bedrohung. Körper, Geist und Psyche sind immer von Angriffen bedroht, von Schlägen des Schicksals, die schwere Traumata hinterlassen, ja zu langem Leiden oder zum plötzlichen Tode führen können.

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Gordon A. Craig analysiert das unpolitische Wesen der Romantiker

Das Zeitalter der Romantik begann in den Jahren zwischen 1770 und 1830 als Protest der Jugend gegen die Normen der älteren Generation. In der Literatur und in der Kunst war sie ein Gegenentwurf zum Klassizismus, der in den Augen der Aufständischen alles Schöpferische und Spontane im künstlerischen Ausdruck abwürgte. Gordon A. Craig definiert die Romantik als eine Reaktion gegen den Rationalismus und das systematische Denken des 18. Jahrhunderts und der Aufklärung mit ihrer Vergötterung des Intellekts, ihrem utilaristischen Vorurteil, das alle Ansprüche der Tradition zugunsten jener der Effizienz und Relevanz zurückwies. Außerdem wandten sich die Romantiker gegen den optimistischen Fortschrittsglauben. Gordon A. Craig, der von 1913 bis 2005 lebte, war amerikanischer Historiker und Schriftsteller schottischer Herkunft. Er erhielt im November 1981 für sein Werk „Deutsche Geschichte 1866-1945“ den Historikerpreis der Stadt Münster.

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Hans Blumenberg denkt über drei Wassermetaphern nach

Um mit den Ungewissheiten der Realität leben zu können, erschaffen sich die Menschen Bilder und Mythen, die ihnen Orientierung bieten, auch wenn sich ihr Wahrheitsgehalt kaum beweisen lässt. Der Philosoph Hans Blumenberg beschäftigte sich sein ganzes Leben lang mit bestimmten Metaphern, die als wegweisende Ideen dem Denken einen Halt geben, ohne es völlig einzuschränken. Metaphern bilden laut Hans Blumenberg den Unterbau der Ideengeschichte. Seit 1978 wollte er ein Buch über die drei Wassermetaphern Quellen, Ströme und Eisberge veröffentlichen. Der nahezu druckfertig ausgearbeitete Text, der sich in seinem Nachlass fand, ist jetzt zum ersten Mal im Suhrkamp Verlag unter dem Titel „Quellen, Ströme, Eisberge“ herausgegeben worden. Beim Lesen des Buches wird man feststellen, dass Wasser, auch als Metapher buchstäblich lebensnotwendig ist.

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