Hans-Peter Nolting erklärt den Unterschied zwischen Abwehr und Vergeltung

Von Schulkindern bis zur großen Politik werden Akte der Vergeltung immer wieder damit begründet, man wehre sich nur gegen das üble Verhalten der anderen Seite. Zwischen den Begriffen Vergeltung und Abwehr gibt es Überschneidungen, aber ebenso wichtige Unterschiede. Hans-Peter Nolting erklärt: „Die echte Abwehr beziehungsweise Verteidigung will eine Bedrohung oder Belästigung beenden.“ Ganz anders verhält es sich aber zum Beispiel bei einer nachträglichen Tracht Prügel. Sie ist ein Racheakt, und Rache ist ein Akt der Bestrafung. Die reine Vergeltung will weder einen Vorteil erlangen noch einen Nachteil abwenden, sondern sie möchte den Übeltäter leiden sehen. Denn dies verschafft die eigentliche Befriedigung – die Genugtuung. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Der Kapitalismus durchdringt alle Gesellschaftsbereiche

Innerhalb der Wirtschaft spielt die Finanzwirtschaft eine sehr bedeutende Rolle. Stürzt sie in Krisen, etwa in die gravierenden Finanzkrisen der letzten Jahre, so sind viele betroffen: von privaten Anlegern über institutionelle Anleger wie Staatsfonds und Pensionskassen bis zu ganzen Volkswirtschaften. Otfried Höffe definiert den Finanzkapitalismus wie folgt: „Eine erste Gestalt, der (Finanz-) Kapitalismus, ist eine Wirtschaftsform, in der es auf Geld im Großmaßstab, das Kapital, ankommt und dieses Geld nicht länger lediglich ein Tauschmittel, sondern vor allem eine Handelsware ist.“ In der zweiten Gestalt, beim Kapitalismus als allgemeiner Wirtschafsform, lässt man gegenwärtiges Geld in Investitionen arbeiten, um zukünftig einen höheren Ertrag zu erhalten. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Nicht nur die Ängstlichen sind misstrauischer geworden

Der Angstpegel der Deutschen ist laut einer Studie der R+V-Versicherung auf den höchsten Stand seit 25 Jahren gestiegen. Wie stark die Angst bei jedem einzelnen Menschen ausgeprägt ist und ob sich daraus Angststörungen entwickeln können, lässt sich nicht generalisieren. Georg Pieper ergänzt: „So führen die derzeit größten Ängste wie jene vor Terror, vor den Folgen der Flüchtlingskrise und vor politischem Extremismus bei jedem zu anderen Reaktionen.“ Wenn jemand Angst vor dem Autofahren hat, generell Risiken scheut, immer besorgt ist, dass den Liebsten etwas Schlimmes zustoßen könnte, wirkt sich die momentane existierende Bedrohungssituation aus jeden Fall angstverstärkend aus. Diese Menschen sind, das lässt sich genau beobachten, viel sensibler für die aktuelle Entwicklung und reagieren darauf schneller und heftiger. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

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Der Optimist ist ein lächelnder Siegertyp

Fast jeder würde lieber mit einem Optimisten zusammenarbeiten als mit einem mürrischen Realisten. Der Optimist bringt Farbe in den gemeinsamen Arbeitsalltag, erkennt sich bietende Chance und tut fast alles dafür, sie zu realisieren. Jens Weidner fügt hinzu: „Bei gleicher Qualifikation wird der Optimist fast immer bevorzugt, wusste schon Niccolò Machiavelli, der ihn einen modernen Condottiere, einen lächelnden Siegertyp nannte.“ Denn er ist nicht nur erfolgsorientiert, sondern es macht zudem einfach Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten. Optimismus ist die Verheißung, dass alles gelingen könnte, im Beruflichen ebenso wie im Privaten und schon dafür sollte man ihn lieben. Optimisten fühlen sich demnach auf der Gewinnerseite des Lebens – unabhängig davon, ob sie es objektiv gerade sind, denn es könnte ja noch werden. Jens Weidner ist seit 1995 Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg.

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Über moralische Werte herrscht eine deprimierende Sprachlosigkeit

Viele Menschen hören sich oft so an, als seien ästhetische Urteile rein subjektiv, weshalb sie nicht öffentlich in Frage gestellt werden können. Diese Anschauung hat eine lange Tradition: „Über Geschmack lässt sich nicht streiten“, meinten schon die alten Römer. Matthew B. Crawford stellt fest: „Aber in Wirklichkeit denken wir anders. Wer in der Öffentlichkeit ein positives ästhetisches Urteil fällt, geht ein Risiko ein.“ Denn in Wirklichkeit sagt er: „Das hier ist gut.“ In einer 2008 durchgeführten Studie befragten die Soziologen Christian Smith und seine Kollegen von der University of Notre Dame 230 junge Amerikaner zur Bedeutung moralischer Werte für ihre Lebensführung. Sie fanden nichts so Spektakuläres wie moralische Verkommenheit, sondern stießen vielmehr auf deprimierende Sprachlosigkeit. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Sex ist gefährlich und mit Schmerz verbunden

Sex kann einzigartige Empfindungen der Lust erzeugen, aus Fremden Liebende werden lassen und einer Zweierbeziehung Dauer und Leidenschaft verleihen. In den Medien wird er oft als harmloses Vergnügen präsentiert, das für Fitness, Gesundheit und Wellness sorgt. Ihn darf nichts stören, weder Eifersucht noch Liebeskummer, noch Scham, noch die Angst vor dem Versagen. Thomas Junker fügt hinzu: „Für die negativen Seiten hat man oft die traditionelle, vor allem die religiöse Sexualmoral verantwortlich gemacht und sich von einer liberaleren Gesellschaft eine bessere, angst- und stressfreiere Sexualität erhofft.“ Ganz falsch ist das sicher nicht. Aber es ist für Thomas Junker auch nicht die ganze Wahrheit. Denn die Tatsache, dass Sex gefährlich, anstrengend und mit Schmerz verbunden ist, liegt in seiner biologischen Natur.“ Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Anja Förster und Peter Kreuz liefern Zündstoff für Andersdenker

In ihrem neuen Buch „Zündstoff für Andersdenker“ liefern Anja Förster und Peter Kreuz, die zu den profiliertesten Managementvordenker in Deutschland zählen, Zündfunken für Menschen, die ihr Leben verändern möchten. Unter echten Helden stellen sich die Autoren Menschen vor, die mutig und neugierig sind, enge Grenzen nicht akzeptieren, altgediente Standards in Frage stellen und Neues vorantreiben. Sonja Förster und Peter Kreuz schreiben: „Fortschritt, Entwicklung und neues Wissen entstehen, weil es Menschen gibt, die nicht ängstlich vor dem Unbekannten weglaufen, sondern stehen bleiben, genauer hinschauen, experimentieren und Veränderungen vorantreiben. Ohne Abweichung von der Norm ist Fortschritt nicht möglich. Noch nie haben die Angepassten die Welt verändert. Wer jegliches Risiko vermeidet, bewegt überhaupt nichts. Gegen diesen Stillstand wenden sich Anja Förster und Peter Kreuz auch in ihrem neuen Buch.

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Sicherheit ist ein fundamentales menschliches Bedürfnis

Wenn man in den allgemeinen Unsicherheiten eine vielversprechende Möglichkeit erkennt, seinen Bedürfnissen und Überzeugungen nachzugehen, dann sieht man sich im besten Sinne herausgefordert, fühlt sich wohl, ganz mit sich einverstanden und manchmal auch euphorisch. Erst-Dieter Lantermann ergänzt: „Unsere Selbstachtung und unser Selbstwertgefühl wachsen an diesen Herausforderungen, da wir uns selbst und anderen beweisen, dass wir aus eigener Kraft auch in dieser unsicheren Welt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen.“ Erlebt man die Unsicherheiten der eigenen Lebensverhältnisse hingegen als eine Gefährdung der eigenen Bedürfnisse, Werte und Überzeugungen, nimmt man diese Unsicherheit als einen bedrohlichen Angriff auf seine Selbstwertschätzung und Selbstwertgefühl wahr und wird alles unternehmen, um sich gegen diesen Angriff zu wehren. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Menschen wollen ihren Körper und Geist verbessern

Mehr als 13 Prozent der Studenten in den USA werden verdächtigt, das Medikament Ritalin vor Examina einzunehmen. Bernward Gesang kennt den Grund dafür: „Sie hoffen, dass dieses eigentlich für hyperaktive Kinder konzipierte Medikament willkommene Nebenwirkungen hat und die Konzentration fördert.“ In den USA ist deshalb eine Debatte um Dopingtests für Studenten entbrannt. Ob Ritalin wirklich diese Wirkung hat, ist umstritten. Aber die Pharmaindustrie hat die Bedürfnisse erkannt und Forschungsprojekte gestartet. Es werden Pillen entwickelt, die das Gedächtnis verbessern sollen. Schon im Jahr 2004 lag der Umsatz mit Medikamenten gegen das Vergessen bei rund 10 Milliarden Dollar. Vielfach gibt es jedoch noch nicht viel mehr als Tierversuche. Richtig schlau haben die Forscher bisher nur Mäuse und Taufliegen machen können. Professor Dr. Bernward Gesang lehrt Philosophie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsethik in Mannheim.

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Die Reue konfrontiert einen Menschen mit seiner Selbstverantwortung

Wikipedia erklärt Reue als „das Gefühl […] der Unzufriedenheit, der Abscheu, des Schmerzes und Bedauerns über das eigene fehlerhafte Tun und Lassen, verbunden mit dem Bewusstsein oder „der Empfindung) von dessen Unwert […]“ Und die Reue stellt sich häufig ein, wenn Menschen über sich und ihr Leben nachdenken. Reue ist sozusagen ein retrospektiver Zweifel. Anja Förster und Peter Kreuz nennen Beispiele: „Ach hätte ich damals bloß … den Traumjob angenommen, mehr Risiko gewagt, um die große Liebe gekämpft.“ Der entscheidende Punkt bei der Reue ist: Ein Mensch wird im Nachhinein nicht die Entscheidungen bereuen, die er trotz seiner Zweifel getroffen hat, sondern er wird die Momente bereuen, in denen sie zurückgewichen ist und das Risiko gescheut hat. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Thomas Junker ergründet die verborgene Natur der Liebe

Thomas Junker findet in seinem neuen Buch „Die verborgene Natur der Liebe“ überraschende Antworten auf Fragen wie „Warum küssen wir?“ oder „Warum ist das Leben in einer Zweierbeziehung so erstrebenswert und das Fremdgehen manchmal so unwiderstehlich?“ Außerdem zeigt der Autor welche Formen der Liebe den tiefsten menschlichen Wünschen entsprechen und welch nicht. Wie die meisten Menschen wissen dürften, ist die Liebe nicht ohne Risiken verbunden. Aber sie gibt dem Leben Sinn und verspricht unvergessliche Augenblicke der Lust. Thomas Junker warnt zudem seine Leser vor falschen Ideen über das menschliche Liebesleben. Der Autor deckt die Weltfremdheit der traditionellen Sexualmoral ebenso auf wie die Lebensfeindlichkeit angesagter gesellschaftspolitischer Vorstellungen. Die Biologie der Liebe lässt einen Menschen verstehen, warum er in Liebesdingen so von seinen Gefühlen übermannt wird. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Jeder Mensch hat das Recht auf Liebe

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 04/2017 dreht sich um das schönste Thema der Welt: die Liebe. Die Liebe ist vielleicht das stärkste Gefühl, das der Mensch kennt: magisch, mitreißend, buchstäblich unbeschreiblich. Chefredakteur Wolfram Eilenberger schreibt in seinem Editorial: „Zu keinen Zeitpunkt der Existenz erfahren wir uns als verletzlicher, unsicherer, ausgesetzter, machtloser als in dem Moment, indem wir einem anderen Menschen anvertrauen, ihn zu lieben, ohne dessen Antwort bereits zu kennen.“ Die Liebe hat das Potential – ob als romantisches Glück oder freundschaftliche Tiefe – die Menschen vor dem zu retten, was sie derzeit am meisten bedroht: Vereinzelung, Effizienzdenken und Identitätswahn. Das romantische Liebesideal der absoluten Einheit beruhte auf extremer Intensität und schloss Risiken bis hin zum Liebestod nicht aus. Heutzutage entsteht im Zeichen einer Schmalspurromantik der Dating Portale ein destruktiver Erwartungsdruck, die die Liebe erstickt, ja zur völligen Beziehungslosigkeit führen kann.

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In Deutschland herrscht eine große Angst

Weil Ängste zunehmend den Alltag der Deutschen bestimmen, erforscht Georg Pieper diese. Er warnt davor, sie zu verdrängen und empfiehlt Politikern, Sicherheit gegen Freiheit zu setzen. Georg Pieper stellt fest: „Es ist mir bei meiner Arbeit an Patienten, aber auch privat immer häufiger aufgefallen, wie präsent Angst plötzlich im Leben vieler Menschen ist.“ Die Angst im Alltag vor möglichen Terroranschlägen hat scheinbar tatsächlich merklich zugenommen. Doch nicht alle bezeichnen das selbst als Angst. Aber es fällt dann an Äußerungen auf wie: „Ich gucke mich genauer um“, ich fühle mich unwohl“, „ich passe besser auf“. Solche Aussagen hört Georg Pieper ständig. In diesem Sinne kann man durchaus von einem Klima der Angst sprechen. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

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Das Deutsch Reich betrieb eine Politik der Täuschung

Die seit 1934 forcierte Aufrüstungspolitik des Dritten Reichs trug das Risiko in sich, dass die Westmächte, vor allem Frankreich, auf diesen Bruch des Versailler Vertrags mit Druck, womöglich mit dem Einmarsch in Deutschland reagierten. Das hätte vermutlich auch das Ende des nationalsozialistischen Regimes bedeutet. Ulrich Herbert ergänzt: „Deshalb begann Adolf Hitler mit einer nach Osten wie nach Westen gerichteten Beschwichtigungspolitik und der unablässigen Bekundung seines Friedenswillens und war sogar bereit, eine Ausgleich mit Polen zu finden.“ Zugleich verließ Deutschland jedoch die Genfer Abrüstungsverhandlungen und den Völkerbund, um gegen den Versuch der Rüstungskontrolle zu protestieren. Um diesen Schritt zu legitimieren, wurden erneut „Neuwahlen“ ausgeschrieben und mit einem Volksentscheid über die Politik der Reichsregierung verbunden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Ulrich Schnabel untersucht den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl

Psychologen machen einen Unterschied zwischen den Begriffen „Mitleid“ und „Mitgefühl“. Das reine Mitleid ist dabei jene Art von teilnahmsvollen Kummer, die sich auf eine Zuschauerrolle beschränkt, passiv bleibt und einen sicheren emotionalen Abstand wahrt – es entspricht also jener Haltung, die die meisten Menschen zum Beispiel gegenüber Obdachlosen einnehmen. Ulrich Schnabel ergänzt: „Man fühlt sich betroffen, hat eventuell auch ein schlechtes Gewissen, spürt aber nicht den Antrieb oder hat nicht die nötigen Mittel, einzugreifen und die Situation des anderen substanziell zu verbessern.“ Anders hingegen ist es beim Mitgefühl, das mit der Bereitschaft einhergeht, sich persönlich zu engagieren – was zum beispielsweise der Fall ist, wenn ein naher Verwandter obdachlos wird. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Das Zeitalter der politischen Unsicherheit hat begonnen

Für den Ökonomen Nicholas Bloom werden Politik und Wirtschaft mit der Amtseinführung von Donald Trump als amerikanischen Präsidenten unberechenbar: „Die Werte, mit denen wir politische Unsicherheit messen, waren noch nie so hoch wie heute.“ Das liegt seiner Meinung allerdings nicht allein an der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten. Auch die Entscheidung der Briten, die Europäische Union (EU) zu verlassen, spielt dabei eine Rolle. Diese beiden Phänomene sind Ausdruck eines grundlegenden Problems: Der Aufstieg populistischer Parteien wie der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und des Front National in Frankreich erschüttert die politischen Gewissheiten der vergangenen Jahrzehnte. Das bleibt laut Nicholas Bloom nicht ohne Folgen für die Wirtschaft. Auf die Frage, wann die Unsicherheit steigt, antwortet Nicholas Bloom: „Vereinfacht gesagt gilt folgende Gleichung: Sinkendes Wirtschaftswachstum und steigende Ungleichheit führen zu mehr Unsicherheit.“ Nicholas Bloom lehrt Ökonomie an der Stanford University.

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Autorität beruht immer auf Moral

In einer verunsicherten Gesellschaft wird der Ruf nach Autorität immer lauter: nach einem starken Staat und klar definierten Werten und Normen – die nicht zuletzt in der Kindererziehung wieder für klare Verhältnisse sorgen soll. Der belgische Psychoanalytiker Paul Verhaeghe untersucht in seinem Buch „Autorität und Verantwortung“ den rasanten Wandel der Werte in den westlichen Gesellschaften unter dem Diktat der neoliberalen Ökonomie und analysiert, warum sich viele Menschen eine neue Form von Autorität wünschen. Wie sie funktionieren kann, zeigt er an ermutigenden Beispielen von Netzwerken und Gruppen mit flachen Hierarchien. Für Paul Verhaeghe betrachtet die Identität eines Menschen als ein Konstrukt, das sich lebenslang entwickelt. Die Identität entwickelt sich aus zwei sehr unterschiedlichen, sogar entgegengesetzten Prozessen. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Belohnungen blockieren die Motivation

Alle Menschen handeln immer sinnvoll. Ihr Handeln ist in jedem Augenblick voller Sinn. Aus ihrer Sicht. Mag es aus der Sicht eines anderen noch so verrückt aussehen. Aus ihrer eigenen Perspektive ist es wichtig und richtig, so zu handeln. Die Strategie „Belohnen“ und „Bestrafen“ kümmert sich nicht um Gründe. An dem Warum ist sie nicht interessiert. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Sie will Anpassung.“ Oft wird deshalb nicht getan, was sinnvoll ist, sondern was belohnt wird. Belohnungen verführen Menschen dazu, auch etwas völlig Sinn- und Freudloses zu tun, wenn nur die Belohnung hoch genug ist. Die Belohnung bestimmt, was zu tun ist. Das erzeugt gegenüber der Sache selbst eine Haltung der Gleichgültigkeit und des Desinteresses. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Depressionen erhöhen das Risiko für Herzerkrankungen

Forscher aus München haben herausgefunden, dass Depressionen bei Männern ein ähnlich großes Risiko für Herzkreislauferkrankungen bergen wie die klassischen körperlichen Faktoren Übergewicht und erhöhtes Cholesterin. Nur Bluthochdruck und Rauchen brächten ein noch höheres Risiko mit sich, berichtet Studienleiter Karl-Heinz Ladwig. Betroffene beschreiben ihren Zustand als schwarzen, bleischweren Vorhang, der sich auf ihr Leben legt. Sie fühlen sich müde, freudlos und denken sogar daran, ihr Leben zu beenden. Depression wird als Volkskrankheit teils bis heute unterschätzt. Dabei hat sie unbehandelt mitunter schwere körperliche Folgen. Auf die Dauer kann sie auch das Herz schädigen – und zwar stärker als bisher angenommen. Karl-Heinz Ladwig betont: „Ein psychisches Phänomen kann größere Einflüsse auf den Körper haben, als man bisher dachte.“ Folglich könnte eine Therapie der Depression in manchen Fällen Herzinfarkte vermeiden helfen und im Extremfall sogar Leben retten.

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Heidi Kastner hält Paartherapien für pompöse Begräbnisse

In ihrem neuesten Buch „Tatort Trennung. Ein Psychogramm“ beschäftigt sich Heidi Kastner mit der Liebe, zu hohen Erwartungen und dem Mord an ehemals geliebten Menschen. Ihrer Meinung nach kann man sich auf eine Trennung nicht wirklich vorbereiten, da die meisten asymmetrisch verlaufen: „Meistens ist es einer, der sich innerlich zu trennen beginnt und das nicht kommuniziert. Der Überrumpelte reagiert dann natürlich mit Entsetzen, Überraschung, Kränkung.“ In dieser akuten Phase ist alles eine Überforderung. Aber wenn das vorbei ist, sollte man laut Heidi Kastner nicht hergehen und dieses ganze Kapitel der eigenen Biografie als fatalen Irrtum abschreiben. Man sollte sich vergegenwärtigen, was es in der Beziehung an Gutem gegeben hat. Heidi Kastner ist seit 2005 Chefärztin der forensischen Abteilung des Landesnervenklinik Linz.

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Die Natur ist weder Feind noch Lehrmeister

Beim Thema „Natur“ prallen zwei Meinungen hart aufeinander. Für die einen gilt uneingeschränkt: „Macht euch die Erde untertan.“ Sie wollen den Pfad der Technik weiterbeschreiten und die Natur so vollständig wie möglich beherrschen. Bernward Gesang fügt hinzu: „Natur erleben sie vorrangig als eine Grenze. Eine Grenze unserer Freiheit und unseres Körpers, die uns Krankheiten und Tod bringt.“ Die Menschheit hat die Natur in der Geschichte der Zivilisation enorm verändert, und in der westlichen Welt, also da, wo der Mensch die Natur konsequent beherrscht, geht es fast jedem besser als je zuvor. Das ist das Fazit: Keiner muss mehr hungern, viele Seuchen sind verschwunden und die Lebenserwartung steigt stetig. Hat der Wohlstand die Menschen nicht glücklicher gemacht? Professor Dr. Bernward Gesang lehrt Philosophie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsethik in Mannheim.

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Die Stabilisierung des Klimas ist die größte Aufgabe der Menschheit

Ostafrika und das südliche Afrika waren in diesem Jahr sehr stark von den Folgen El Niños betroffen. Vielerorts wurde durch Dürrekatastrophen der Ausnahmezustand ausgerufen, auch zum Beispiel in Malawi, einem der ärmsten Länder der Welt. Laut der Vereinten Nationen waren im Sommer 40 Prozent der Menschen in dem kleinen afrikanischen Land von einer Hungersnot bedroht. Hans Joachim Schellnhuber erklärt: „Das geht auch auf die gravierenden Auswirkungen des Klimaphänomens El Niño zurück, das durch Veränderungen der Wasser- und Luftströmungen im Pazifik auf dem ganzen Erdball Extremwetterereignisse bewirkt.“ Ostafrika und das südliche Afrika sind davon besonders betroffen und haben mit Trockenheit und Dürre, aber auch heftigen Regenfällen und Überschwemmungen zu kämpfen. Dr. Hans Joachim Schellnhuber ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

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Die Sehnsucht nach Stille ist weit verbreitet

Kaum irgendwann ist die Sehnsucht nach Stille größer als in der betriebsamen Weihnachtszeit. Doch viele sind ständig auf Durchzug und nur selten bei sich. Das stete Dabeisein, am besten mitten im Getümmel, ist kräfteraubend. In einer immer urbaneren Welt, in der sich Geräusche zu einem fortwährenden Grundrauschen verdichten, bleiben kaum noch Orte zum Innehalten. Wenn die Stille dann doch unverhofft einkehrt, ertragen sie viele Menschen kaum. Der Wiener Umweltmediziner Dr. Hanns Moshammer erklärt: „Manche sind so an ihr hektisches Leben angepasst, dass sie meinen, auch diese ständige zunehmende Informationsflut von außen zu benötigen, um weiterhin die nötige Stimulation zu erhalten.“ Diese Hektik führt aber langfristig zu Erschöpfung. Bis weit in das 19. Jahrhundert stammten mehr als zwei Drittel aller Geräusche aus der Natur, heute ist ein vergleichsweise großer Anteil zivilisationsbedingt.

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Soziale Verbundenheit senkt das Sterblichkeitsrisiko

Der menschliche Körper ist keine dumpfe Biomaschine, die stets im selben Rhythmus stampft, sondern ein sensibles System, das auf alle psychischen und geistigen Einflüsse empfindlich reagiert. Das hat William Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufs, schon 1628 erkannt: „Jede Gemütserregung, die entweder von Schmerz oder Lust, Hoffnung oder Furcht begleitet wird, ist die Ursache einer Erregung, deren Einfluss sich bis auf das Herz erstreckt.“ Die enge Verbindung von Geist, Gefühl und Körper zeigt sich nicht nur bei schmerzhaften Trennungen, sondern genauso im umgekehrten Fall. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „Kaum etwas ist der Gesundheit zuträglicher als das freundvolle Zusammensein mit anderen Menschen. Wer etwa frisch verliebt ist, fühlt sich in der Regel nicht nur emotional, sondern auch körperlich grandios.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch Individualisierung aus

Der Prozess der Modernisierung hat zu einer grundlegenden Öffnung der Gesellschaft für neue, Lebens- und Ordnungsentwürfe geführt. Ernst-Dieter Lantermann erklärt: „Überkommene Traditionen und Gewissheiten werden infrage gestellt und büßen ihre Verbindlichkeit ein, die Offenheit für alternative, selbstbestimmte Lebensentwürfe jenseits traditioneller Bahnen durchzieht sämtliche Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens.“ Jeder Einzelne kann und muss sich für seinen Lebensweg selbst entscheiden. Der berühmte deutsche Soziologe Ulrich Beck hat für diese Entwicklung den Begriff „Individualisierung“ geprägt. Nach welchen Vorstellungen ein Mensch sein Leben gestalten, welche Lebensweise er für angemessen oder falsch hält, welche Ziele er verfolgt, welchen Vorlieben er nachgeht oder welche Abneigungen er pflegt, liegt immer mehr auch in seinen eigenen Händen, in seiner eigenen Verantwortung. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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