Manchmal entsprechen die eigenen Vorstellungen nicht der Realität

Es kommt vor, dass Dinge den Vorstellungen nicht entsprechen, die Menschen sich von ihnen machen. Eine davon abweichende Realität zu akzeptieren, kann schwerfallen, auch wenn sie nicht zu leugnen ist. Wilhelm Schmid nennt ein Beispiel: „Im Privaten kann beispielsweise ein Ärger, der gemäß der Vorstellung von einer harmonischen Beziehung nicht vorkommen sollte, aus diesem Grund auch nicht bewältigt werden.“ Den verengten Blick etwas zu erweitern, sodass mehr Realität darin Platz hat, könnte Beziehungen alltagstauglicher machen. Schließlich ist eine Verengung möglich, weil Dinge den eigenen Interessen nicht entsprechen. Zwar liegt es nahe, den täglichen Strom von Informationen zügig nach dem Prinzip zu kanalisieren: „Das geht mich etwas an, jenes nicht.“ Beziehungen jeder Art sind jedoch darauf angewiesen, Informationen über die Interessen anderer an sich herankommen zu lassen. Wilhelm Schmid lebt als freier Philosoph in Berlin.

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Die Redefreiheit hat sich als robust erwiesen

Jonathan Rauch ist kein Alarmist. Ganz im Gegenteil, er schreibt sein Buch „Die Verteidigung der Wahrheit“ in einem Geist der Hoffnung und des vorsichtigen Optimismus. Denn in der digitalen Medienwelt geht man mit beeindruckendem Engagement und neuen Ansätzen gegen Desinformationsangriffe vor. Und der Feind hat nicht mehr den Vorteil der Überraschung auf seiner Seite. Jonathan Rauch ergänzt: „In der akademischen Welt gibt es immer noch große Bestände von wissenschaftlicher Integrität, die man anzapfen kann. Die heutigen Herausforderungen für die Verfassung der Erkenntnis sind unter historischen Gesichtspunkten betrachtet vergleichsweise harmlos. Das eigentliche Wunder ist, als wie robust sich die Redefreiheit und die liberale Wissenschaft erwiesen haben. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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Es gibt nicht nur eine Wahrheit

Eine Definition der Wahrheit ist, dass sie die möglichst hohe Übereinstimmung einer Information über einen Sachverhalt mit der Wirklichkeit, also der objektiven Realität, beschreibt. Leider begegnet der Mensch in seinem Alltag nicht nur Wahrheiten. Sondern er trifft auf eine Vielzahl von Informationen unterschiedlicher Qualität. Der Verstand des Empfängers nimmt dieses Sammelsurium von Informationen auf und bewertet sie hinsichtlich Relevanz und Wahrheitsgehalt. Ille C. Gebeshuber ergänzt: „Und hier spielt das Glauben an den Wert der Information beziehungsweise an deren Quelle eine wichtige Rolle. Die subjektive Wahrheit und somit unser ganzes Wissen ergibt sich aus Informationen, an die wir glauben.“ Die Tugend der Ehrlichkeit verliert hier an Wert, denn meist stehen die Vermittler von Informationen in einer Vertrauenskette. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Die Philosophie führt von der Dunkelheit zum Licht

Platon war der erste Philosoph, der sich theoretisch mit der Frage der Poetik auseinandersetzte. Für ihn ist die Mimesis verdächtig, ontologisch und moralisch gleichermaßen. Mimesis bezeichnet ursprünglich das Vermögen, mittels einer Geste eine Wirkung zu erzielen. Ontologisch, da die empirische Welt bereits eine Imitation ist, ein Schatten der Realität (Wahrheit) der Welt der Ideen. Ágnes Heller erklärt: „Ontologisch gesehen, so Platon, nehmen Philosophie und Dichtung zwei extreme Positionen des Kontinuums ein.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Die Welt und ihre Dinge sind Erscheinungen

Die Welt ist nicht wesentlich phänomenologisch. Die Dinge sind nicht das Sinnliche. Sie müssen erst sichtbar, hörbar, tastbar werden, und das tun sie nur immer außerhalb von sich selbst. Die Welt und ihre Dinge entstehen und sind Erscheinungen. Dies geschieht immer nur anderswo als am Ort ihrer Existenz und in einer anderen Materie als jener, der sie ihre Existenz verdanken. Dieser Ort, an dem die Realität erkennbar und phänomenal wird, ist der nichtdingliche, aber auch nicht notwendige psychologische Raum. Emanuele Coccia erklärt: „Nur in den Medien und dank der Medien wird die Welt zum Phänomen. Wenn das wahr ist, sollte das Projekt der Phänomenologie, das die Philosophie so lange beschäftigt hat, sofort abgebrochen werden.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Das Wort „problema“ hat zwei Bedeutungen

Der moderne Mensch ist versessen darauf, Probleme zu lösen. Er ist darauf konditioniert. Dass es überhaupt Probleme gibt, ist aber keineswegs klar. Jedenfalls gibt es sie nicht wie Bäume, Garagen oder Handys. Ein Mann der nicht einparken kann, ist zunächst nichts anderes als ein Mann, der nicht einparken kann. Rebekka Reinhard weiß: „Seine fehlende Einparkkompetenz wird erst dann zum Problem, wenn er und andere es so interpretieren.“ Hinter dem altgriechischen Wort „problema“ stecken zwei Bedeutungen. Erstens ein Ding, das man aufnimmt, um sich – wie mit einem Schild – zu schützen. Zweitens eine Sache, die man einem anderen hinwirft, damit er sie aufnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Die Raumzeit existiert in ihrer Gesamtheit

Die meisten Menschen nennen diejenigen Dinge „real“, die jetzt, in der Gegenwart existieren. Nicht das jedoch nennen sie „real“, was vor einiger Zeit existiert hat oder in der Zukunft existieren wird. Sie sagen, dass die Dinge in der Vergangenheit real „waren“ oder dass es die in der Zukunft „sein werden.“ Sie sagen aber nicht, dass sie real sind. Carlo Rovelli erläutert: „Die Philosophen nennen Präsentismus die Vorstellung, dass nur die Gegenwart real sei.“ Real seien aber nicht die Vergangenheit und die Zukunft, denn die Realität entwickelt sich von einer Gegenwart zur nächsten. Diese Art Denken funktioniert nur dann, wenn Gegenwart global definiert wird. Nicht aber, wenn man sie nur für das nähere Umfeld eingrenzt. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Menschen brauchen Geschichten

Der Primatologe Frans de Waal beschreibt den unter Schimpansen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und Fairness. Es ist also durchaus möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass auch Homo sapiens über einen solchen angeborenen Sinn verfügt. Und es ist für Philipp Blom denkbar, dass hier der Beginn des Erzählens liegt: „Menschen brauchen Geschichten, denn statt Sinn und Ordnung bietet die erlebte Realität immer wieder Chaos und Ungerechtigkeit.“ Immer wieder werden Wünsche enttäuscht, überall entsteht unnötiges Leid, die wenigsten Menschen erfahren Gerechtigkeit. Dadurch entsteht das menschliche Bedürfnis nach einem Gegenentwurf zu diesem ambivalenten Erleben in der Sinnlosigkeit. Geschichten schaffen Handlung und Struktur, Sinn und Zweck, Tugend und Laster, Lohn und Strafe. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

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Der Geist besitzt eine zweiteilige Realität

Der Geist ist ein Zimmer mit Aussicht: Aus dem Zimmer beobachten die Menschen sowohl die Außenwelt als auch die private Innenwelt. David Gelernter erläutert: „Mental sind wir in unserem Zimmer eingeschlossen, genau wie wir physisch in unserem Körper eingeschlossen sind.“ Die Aussicht ist großartig. Und das ist auch sehr gut so, denn die Menschen können das Zimmer niemals verlassen. In der Philosophie drehen sich viele große, tiefgreifende Fragen um die zweiteilige Realität des Geistes. Immanuel Kant stützt seine beiden grundlegenden, ewig wahren Anschauungen auf den Gegensatz von „innerer“ und „äußerer“ Realität. Die Idee des Raumes unterliegt der Anschauung der Außenwelt. Aber noch vor dem Raum kommt die Zeit, und sie ist eine Anschauung der inneren Welt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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Das Leben ist eine ständige Reise in die Zukunft

Die Zukunft ist allen Menschen wohlbekannt. Ille C. Gebeshuber erläutert: „Denn zu leben bedeutet, sich auf einer ständigen Reise in die Zukunft zu befinden. Mit jeder Sekunde, die vergeht.“ Es gibt Erinnerungen an die Erfahrungen, die man in der Vergangenheit machte. Sie formen jenen Menschen, der man heute ist und der den immer neuen Herausforderungen des Lebens im Jetzt begegnen muss. Dabei schaffen die vergessene Vergangenheit, die verkannte Gegenwart und die verborgene Zukunft Probleme, die einem im Alltag ständig begegnen. Und so kompliziert diese Probleme oft für den einzelnen Menschen sind, umso schwerwiegender sind sie für die ganze Menschheit. Scharen von Experten versuchen den Weg der Zivilisation in der Zeit zu ordnen. Ille C. Gebeshuber ist Professorin für Physik an der Technischen Universität Wien.

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Ohne Schemata würde Chaos herrschen

Ohne Schemata wäre das Leben der Menschen, in William James` berühmten Worten, ein „blühendes, brummendes Durcheinander“. Verfügten sie nicht über Schemata für Hochzeiten, Beerdigungen oder Arztbesuche, würden sie ständig ein Chaos anrichten. Dazu gehören implizite Regeln, wie man sich in solchen Situationen zu verhalten hat. Richard E. Nisbett fügt hinzu: „Diese Generalisierung betrifft auch unsere Stereotype oder Schemata in Bezug auf bestimmte Typen oder Personen. Dazu gehören „Introvertierte“, „Feierbiest“, „Polizeibeamter“, „Elitestudentin“, „Arzt“, „Cowboy“, „Pfarrerin.“ Solche Stereotype beinhalten Regeln über die übliche Art und Weise, wie man sich gegenüber Personen, die den Stereotyp verkörpern, verhält oder verhalten sollte. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das Wort „Stereotyp“ oft abwertend verwendet. Richard E. Nisbett ist Professor für Psychologie an der University of Michigan.

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Johannes Kepler begründet die Astrophysik

Der deutsche Astronom und Physiker, Mathematiker und Naturphilosoph Johannes Kepler ist für Maria Popova der vielleicht glückloseste Mann der Welt. Vielleicht war er aber auch der größte Wissenschaftler aller Zeiten. Er lebt in einer Zeit, in der Gott mächtiger ist als die Natur und der Teufel den Menschen realer und Vertrauter als das Konzept der Schwerkraft. Johannes Kepler lebte von 1571 bis 1630. Die meisten seiner Zeitgenossen glauben, dass sich die Sonne alle vierundzwanzig Stunden um die Erde dreht. Ein allmächtiger Schöpfer hat sie auf eine perfekte Kreisbahn geschickt. Nur wenige wagen es, die abtrünnige Idee zu vertreten, dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht und zugleich um die Sonne. Die Bulgarin Maria Popova ist eine in den USA wohnhafte Autorin, Intellektuelle und Kritikerin. Sie ist bekannt als Gründerin der Online-Plattform Brain Pickings.

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Friedrich Schiller setzt auf das Erhabene

Ger Groot weiß: „Wie viele Denker seiner Generation, versucht auch Friedrich Schiller, Immanuel Kant weiterzudenken.“ Für den Romantiker, der er ist, ist es bedeutsam, dass er dabei Immanuel Kants Idee des Erhabenen mehr Beachtung schenkt als dem Schönen. Das Schöne ist der klassische Gegenstand der Ästhetik. In seiner Schrift „Über das Erhabene“ schreibt Friedrich Schiller: „Das Überwältigende in der Natur wird das Milieu, in dem der Mensch die Unendlichkeit, in die er sich hineingestellt sieht, erfährt.“ Diese Unendlichkeit übersteigt seine Vernunft und erschüttert ihn zutiefst in seinem Wesen. Sie schleudert den Menschen aus dem begrenzten Horizont seines alltäglichen Lebens heraus. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Wahrheit befindet sich in einer tiefen Krise

Es ist schwer und oft prinzipiell unmöglich, unter der herrschenden Flut von Informationen zu entscheiden, was denn nun stimmt und was nicht. Bernhard Pörksen schreibt: „In der Situation einer allgemeinen Verunsicherung wuchert der Verdacht, regiert der Zweifel und dominiert das Geraune. Es suggeriert den Durchblick, aber offenbart eigentlich doch nur Verwirrung und Verstörung.“ Zudem kommuniziert der vernetzte Mensch unter den gegenwertigen Medienbedingungen konstant mit „Entitäten“. Deren Absichten und Interessen, deren Integrität oder Status – Mensch oder Maschine, neutraler Beobachter oder Propagandist – lassen sich nicht sicher einschätzen. Daher stellt sich die Frage, was überhaupt als echte, wahrheitsgetreue und authentische Kommunikation betrachtet werden kann – und was eben nicht. Die digitale Öffentlichkeit stellt den vernetzten Menschen also vor das Problem, die zahlreich verbreiteten Falsch- und Fehlinformationen überhaupt zu erkennen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Menschen lernen durch Vergessen

Menschen erinnern sich an viele Einzelfälle und verbinden sie. Das Ergebnis ist eine komprimierte, zusammengefasste, verschmolzene Übererinnerung. Zum Beispiel an ein nicht existierendes Objekt wie einen abstrakten oder beispielhaften Baum. In der Regel werden solche Abstraktionen hinter den Kulissen im Rahmen der unbewussten geistigen Routinevorgänge erzeugt … und zwar in der Kindheit. Im 19. Jahrhundert schrieb der Essayist und Maler William Hazlitt: „Objekte, wie sie uns zuerst begegnet sind, besitzen diese Einzigartigkeit und Vollständigkeit des Eindrucks, dass es scheint, als könne nichts sie zerstören oder auslöschen – so fest sind sie ins Gehirn eingeprägt und mit ihm verbunden.“ David Gelernter fügt hinzu: „Wenn sich dann aber Erinnerungen auf Erinnerungen häufen, sind Verfestigung und Kompression natürliche Vorgänge. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

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Fake-News sind der Versuch einer gezielten Verwirrung

Bei aller Unsicherheit ist eines sicher: Irgendwo da draußen wird gerade jetzt, in diesem Moment, ziemlich intensiv daran gearbeitet, die traditionelle Idee einer Nachricht, Inbegriff seriöser Information, nach allen Regeln der Kunst zu zersetzen. Bernhard Pörksen erläutert: „Es kursieren in den sozialen Netzwerken jede Menge frei erfundene Behauptungen, die als Nachrichten präsentiert und als solche ausgeflaggt werden.“ Die Welt der Fake-News bildet eine eigene Realitätssphäre, ein sehr spezielles, von Fieberschüben der Erregung geprägtes Sinnbiotop, in dem das Drama die neue Normalität geworden ist und die spektakuläre Enthüllung zur alltäglichen Erfahrung. Wie aber funktioniert das Geschäft mit den Falschnachrichten? Das zentrale Prinzip ist der Versuch einer gezielten Verwirrung, die letztlich die Unterscheidbarkeit von belegbaren Annahmen und bloßen, gänzlich haltlosen Gerüchten unterminiert. Prof. Dr. Bernhard Pörksen lehrt Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Es gibt nicht nur eine einzige Wirklichkeit

Es ist ein Vorurteil, dem zufolge ein Mensch nur Dinge wahrnehmen kann, die seine Nervenenden reizen. Markus Gabriel weiß: „Unsere Gedankenwelt setzt sich nicht nur aus Nervenkitzel zusammen, den das Gehirn weiterverarbeitet.“ Dazu muss man sich klarmachen, dass ein Mensch nur äußerst selten nur einfache Dinge beziehungsweise Fragmente auffasst. Das Grundmuster des Neuen Realismus stellt sich wie folgt dar: Es gibt nicht nur eine einzige Wirklichkeit – die Welt, die Wirklichkeit, das Universum, die Realität im allumfassenden Sinn –, sondern unendlich viele. Da nicht alle Wahrnehmungen in einer einzigen Wirklichkeit untergebracht werden müssen, ist es möglich, viele Wirklichkeiten einzuräumen, die von verschiedenen Lebewesen ebenso wie Individuen einer Art wahrgenommen werden. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die ersten Selbstbilder schwelgen in Möglichkeiten

Neben dem, was Menschen von sich beschreibend festhalten können, gibt es sicher einiges, was sie ausmacht, auch wenn es nicht sichtbar ist. Ina Schmidt erläutert: „Unsere Erfahrung zeigt, dass wir oft etwas oder jemand sein wollen, das beziehungsweise der wir noch nicht sind. Wir haben also offenbar eine Vorstellung, ein Bild davon, was wir gern wären, und das, was uns fehlt, ist die Übereinstimmung von ebendieser Vorstellung mit unserer erlebten Realität.“ Dem kann nur zweierlei zugrunde liegen: dass Menschen in dieser Realität noch nicht angekommen sind oder dass der Philosoph Marcus Steinweg mit dem Gedanken recht hatte, dass Realität ein „Konsistenzversprechen“ ist, das ständig gebrochen wird. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Der Mensch erlebt Vertrautheit durch Bindung

Als „animale sociale“, als soziales Tier, ist dem Menschen von Geburt an das Bedürfnis nach Beziehung eingeschrieben. Christian Schüle erklärt: „Die sogenannte „attachment“-Theorie der Entwicklungspsychologie macht in der Bindung des Kindes an die Mutter die basale Identitätserfahrung eines Menschen aus – Sicherheit und Kontinuität des Ur-Vertrauens in den guten Gang der Dinge.“ Gemäß der Bindungstheorie des Psychoanalytikers und Arztes John Bowlby wird in der frühkindlichen Sozialisation mit dem Selbstbild ein spezifischer Bindungsstil generiert, der auch das spezifische Glaubensmuster prägt. Kinder übernehmen die Bewertungsmuster der Eltern. Jeder Mensch strebt nach einem positiven Selbstbild. Kein System funktioniert ohne Vertrauen. Das System ist eine Art objektive Wahrheit, und keine Wahrheit funktioniert ohne Glauben an ihre Tatsächlichkeit. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt er Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Der freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus

Matthew B. Crawford erklärt: „Die Vorstellungen Immanuel Kants sind der philosophische Ursprung der modernen Gleichsetzung von Freiheit und Wahlmöglichkeit, wobei die Wahl als bloßer Ausdruck des unbedingten Willens verstanden wird.“ Das ist grundlegend für das Verständnis der gegenwärtigen Kultur, denn der so verstandene freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus, und viele Menschen halten jene, die ihnen die Wahlmöglichkeiten anbieten, für Diener ihrer Freiheit. Wenn man von der Prämisse ausgeht, die stumpfsinnige Natur bedroht die menschliche Freiheit als vernünftige Wesen, ist die Verlockung groß, eine virtuelle Realität zu konstruieren, die weniger real ist und in der das Selbst nicht mit der Welt kollidiert. Immanuel Kant versuchte, die Freiheit des Willens gegen äußere Einflüsse abzuschotten und zu einem „unbedingten“ apriorischen Gesetz zu machen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Yuval Noah Harari erteilt 21 Lektionen für das 21. Jahrhundert

In seinem neuen Buch „21 Lektionen über das 21. Jahrhundert lädt Yuval Noah Harari seine Leser ein, in einer Zeit voller Aufruhr und Ungewissheit über Werte und persönliches Engagement nachzudenken. In einer Welt, die überschwemmt wird von bedeutungslosen Informationen, ist Klarheit im Denken eine machtvolle Fähigkeit. Doch leider können sich die meisten Menschen nicht den Luxus leisten, sich mit den drängenden Fragen der Gegenwart zu beschäftigen, weil der Alltag ihnen kaum eine Verschnaufpause bietet und sie meist Dringenderes zu erledigen haben. Aber die Geschichte gewährt keinen Rabatt. Kein Mensch wird von den Folgen verschont bleiben, wenn über die Zukunft der Menschheit von anonymen Eliten entschieden wird. Yuval Noah Harari lehrt Geschichte an der Hebrew University in Jerusalem mit einem Schwerpunkt auf Weltgeschichte. Seine Bücher „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ und „Homo Deus“ wurden zu Weltbestsellern.

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Nassim Nicholas Taleb kennt das Risiko und seinen Preis

Bestsellerautor Nassim Nicholas Taleb zeigt in seinem neuen Buch „Das Risiko und sein Preis“ aus vielen Beispielen aus dem Alltag, wo Fairness, Verantwortungsgefühl, Anstand fehlen und stattdessen billiges Geschwätz, Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Blenderei die Oberhand behalten. Es ist auch eine Kombination aus praktischen Erörterungen, philosophischen Geschichten sowie wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit. Und es dreht sich um die Frage wie Menschen unter dem Vorzeichen der Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, sich amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. „Das Risiko und sein Preis“ handelt von vier Themen: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Meditation führt zu innerem Frieden und Harmonie

Buddha wurde einst gefragt, was es ihm gebracht habe, zu meditieren. Er antwortete: „Nichts! Aber ich kann dir berichten, was ich verloren habe: Zorn, Ängstlichkeit, Furcht, Depression, Unsicherheit und die Angst vor dem Tod.“ Klaus Biedermann fügt hinzu: „Meditation führt zu Konzentration, Achtsamkeit, innerer Ruhe, inneren Frieden und Harmonie.“ Meditation ist geistige Hygiene und bringt einen Menschen dazu, die Aufmerksamkeit auf den jeweiligen Augenblick seines Lebens zu richten und diesen auszukosten. Meditation lässt den „Felsen in der Brandung“ in ihm wachsen und gibt ihm so einen ruhigen Fixpunkt, um den herum er seinen Alltag in Ruhe und Übersicht gut bewältigen kann. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.

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Alexandria war der bedeutendste Wissenschaftsstandort des Altertums

Unter Ptolemaios I. Soter, „dem Retter“ (305 – 283/82 v. Chr.), einem von Alexanders Erben, wurde die Stadt Alexandria, berühmt durch ihren Leuchtturm, zum bedeutendsten Wissenschaftsstandort des Altertums. Bernd Roeck erläutert: „Ihre Bibliothek soll zusammen mit den im Heiligtum des Serapis gelagerten Werken über eine halbe Million Schriften umfasst haben.“ Nicht einmal China dürft damals über einen vergleichbar großen Wissensspeicher verfügt haben. Alexandrias „Museion“, nach Cicero eine „Werkstatt aller Künste“, war, was man heute ein interdisziplinäres Forschungszentrum nennen würde. Die ägyptischen Könige ernannten seine Mitglieder, bezahlten sie und gewährten ihnen Privilegien, etwa Steuerfreiheit. Gewöhnlich ermöglichten die Herrscher den Gelehrten dort freies Forschen und Diskutieren. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Platon hat mit seiner Politeia ein ideales Gemeinwesen entworfen

Um 387/385 gründete Platon im Hain des Heros Hekademos am Stadtrand von Athen eine Institution, die zur Mutter aller Forschungs- und Lehreinrichtungen der folgenden Jahrtausende wurde: die Akademie. Bernd Roeck weiß: „Platon hat hier mit seiner „Politeia“ ein ideales Gemeinwesen entworfen, das nicht zuletzt, wie später die „Utopia“ Thomas Mores, ein Gegenbild zum realen Staat bot.“ Die Atmosphäre in der Akademie muss weltoffen und tolerant gewesen sein. Platon duldete abweichende Meinungen, so die seines nachmals berühmtesten Schülers Aristoteles. Kritischer Diskurs, ob im Schatten der Bäume im Freien oder in einem Vortragssaal unter den Statuen der neun Musen, war wohl alltäglich. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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