Im Traum und im Rausch erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins

Der Rausch beschäftigt die Philosophie, auch die Theologie, die Physiologie und die Psychiatrie gleichermaßen. Reinhard Haller fügt hinzu: „In manchen Religionen ist er die Brücke zum Himmlischen.“ Für Friedrich Nietzsche war der Rausch ein Mittel, soziale und religiöse Fesseln zu sprengen: „In zwei Zuständen nämlich erreicht der Mensch das Wonnegefühl des Daseins, im Traum und im Rausch“, schreibt er in der „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Und an anderer Stelle, in den „Streifzügen eines Unzeitgemäßen“, seinen kreativen Effekt betonend: „Damit es Kunst gibt, damit es irgendein ästhetisches Thun und Schauen gibt, dazu ist eine physiologische Vorbedingung unumgänglich: der Rausch.“ Abgeleitet aus dem Mittelhochdeutschen, haben die Begriffe „rüsch, riuschen“ mit ungestümen Bewegungen, Anstürmen, zu tun. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Der Süchtige pendelt zwischen Himmel und Hölle

Die Begriffe Himmel und vor allem Hölle werden außerhalb des Religiösen kaum irgendwo so häufig gebraucht wie im Zusammenhang mit Sucht. Reinhard Haller nennt Beispiele: „Drogen als Himmelsgabe, göttliches Elixier oder Angels Dust auf der einen und Heroinhölle, Drogenhölle, Spielhölle, Hölle des Entzugs, sogar Hölle als Kombination dieser Vorstellungen auf der anderen Seite.“ Rausch und Sucht sind ein Modell des Zusammenspiels, ja der Zusammengehörigkeit von elysischem Glück und quälendem Siechsein, aber auch für die Limitierung dieser beiden Pole durch den jeweils anderen. Die Sucht und ihre Qualen scheinen am besten geeignet zu sein, ein zeitgemäßes greifbares Bild dessen liefern zu können, wie man sich heute die Hölle und ihre Qualen konkret vorstellen kann. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Bei Auguste Rodin bricht die Leidenschaft aus dem Marmor hervor

Der Mann, der für die berühmteste Plastik von Auguste Rodin „Denker“ Modell stand, war kein Intellektueller, sondern der französische Preisboxer Jean Baud, ein Mann aus dem Pariser Rotlichtmilieu, der im Hauptberuf Holzbauer war. Als Thema für seinen Denker hatte Auguste Rodin Dantes göttliche Komödie ausgewählt; sein Denker sollte den Autor Dante Alighieri darstellen. Doch der geniale Bildhauer bricht mit der Tradition des melancholischen, erschlafften Grübler, die sonst die Darstellungen des Denkens in der Kunstgeschichte prägen, und hat auch nichts mit den gelassen auf antiken Treppen lagernden Denkern der Schule von Athen zu tun: Auguste Rodins martialisch, muskulöse, kauernde Gestalt erinnert viele Kunstexperten eher an einen Athleten, der jeden Augenblick lossprinten könnte. Die ganze Figur ist reine Anspannung und Verzerrung und Energie vor dem Aus- und Aufbruch. Mit einer gewaltigen Schau im Grand Palais begehrt Paris den hundertsten Todestag des Bildhauers Auguste Rodin.

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Ernst-Dieter Lanterman analysiert den Typ des Fremdenhassers

Mit seinem Hass auf Fremde kompensiert der Fanatiker Defizite, die ihn in der Vergangenheit bedrückten und an seinem Selbstwertgefühl nagten. Ernst-Dieter Lantermann erläutert: „Sein Fanatismus stillt sein lange unerfülltes Bedürfnis nach Klarheit, Einfachheit und festen Wahrheiten. Er gewährt ihm ein Sicherheits- und Verankerungssystem, das ihn gegen alle Zweifel und Unsicherheiten abschottet.“ Sein Fanatismus verschafft ihm eine unerschütterliche Identität, da er sich in seinen Gleichgesinnten wiedererkennt, sich mit ihnen zutiefst verbunden, von ihnen anerkannt und wertgeschätzt erlebt und gleichzeitig in den Ausländern das abstoßende Zerrbild eines anständigen Menschen sieht. Sein Hass gibt seinem Leben endlich wieder eine Bedeutung, einen tiefen Sinn und eine klare, selbstgewisse Orientierung des eigenen Weges. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Im Rausch kann der Mensch aus sich selbst heraustreten

Stammestänze, Koka-Blätter, Weihrauch: Alle Kulturen finden Wege, die Sehnsucht nach dem Rausch zu befriedigen. Weil fast jeder Mensch Fluchtwege aus dem Alltag braucht. Das Leben eines Menschen wird bestimmt von Regeln, die eine Gesellschaft aufrechterhalten. Das bringt viele Zwänge mit sich. Zum Ausgleich gibt es die Freizeit. Die einen gehen tanzen, joggen bis zur Erschöpfung oder verbiegen sich beim Yoga. Die anderen gehen in die Kneipe, rauchen Haschisch oder pflegen ihre Briefmarkensammlung. Aber vielleicht wird auch die eigene Persönlichkeit als Zwang empfunden. Der Psychologe und Autor Dr. Jürgen vom Scheidt nennt eine der großen Sehnsüchte, die mit dem Rausch verbunden sind: „Wir können aus uns selbst heraustreten. Der Mensch braucht zwar eine stabile Umgebung, die unter gewissen Regeln funktioniert. Aber manchmal braucht er auch genau das Gegenteil.“

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Die Deutschen wollen das lang verpasste Glück suchen

Helfen macht die meisten Menschen glücklich. In einem solchen Fall ist es ein beinahe anarchisches Glück. Eigentlich ist die Bundesrepublik Deutschland ein ziemlich glückliches Land. Es gibt seit sieben Jahrzehnten keinen Krieg und keine Diktatur. Deutschland und seine Bürger sind wohlhabend wie nie. Die Korruption ist auf einem niedrigen Level, das Bildungsniveau ist ganz ordentlich, die meisten Straßen sind in einem guten Zustand und in der Regel kommen auch die Züge pünktlich an. Und dennoch scheint die Hälfte der Bevölkerung gerade das Glück zu suchen: In Yogakursen, in Gruppen zur Selbsterfahrung und beim individuellen Coaching. Oder sie fahnden nach dem Glück auf Reisen in ihr Inneres, in der Wildnis oder in einem Wellnesshotel. Wieder andere hoffen das Glück an der Bar, beim Dating oder wenigstens mit einem Buch auf dem Sofa zu finden.

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Siegfried Kracauer untersucht den schillernden Begriff der Liebe

Das Wort Liebe bezeichnet für Siegfried Kracauer sehr verschiedene seelische Wirklichkeiten. Der Sprachgebrauch gestattet die breiteste Anwendung des Begriffs. Bei der Untersuchung der Liebe geht es Siegfried Kracauer nicht um die Vereinigung der Liebenden, die sich nur mit dem Rausch der Sinne begnügt, ein Zusammensein und Verschmelzen zweier Leiber, aber nicht der Menschen ihrem vollen Umfang nach. Auch die eheliche Gemeinschaft kommt für ihn nicht in Betracht, da in ihr sich niemals die Liebe rein, sondern nur in unlöslichem Gemisch mit zahlreichen anderen Gefühlen und Strömungen auswirkt. Der deutsche Journalist, Soziologe, Filmkritiker und Geschichtsphilosoph Siegfried Kracauer, der von 1889 bis 1966 lebte, gilt als Autor der ersten empirisch-soziologischen Studie in Deutschland, die den Titel „Die Angestellten“ trug und gehört zu den Begründern der Filmsoziologie.

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Ray Robertson nennt 15 Gründe am Leben zu bleiben

Den Tod kann man nicht vergessen und auch nicht wegdiskutieren. Ray Robertson rät in seinem Buch „Warum nicht? 15 Gründe doch am Leben zu bleiben, dass man den Tod einfach akzeptieren und dahin gehend nutzen sollte, die menschliche Glückseligkeit zu Lebzeiten zu erhöhen. Wenn man sich schmerzliche Wahrheiten eingesteht, sei es über den eigenen oder den Zustand der Welt, dann ist das laut Ray Robertson nur der erste Schritt beim Aufbau eines glücklichen Lebens, das diesen Namen wirklich verdient. In seinem neuen Buch beschreibt Roy Robertson in fünfzehn Essay die Dinge, die für ihn den Sinn des Lebens ausmachen. Dazu zählt er unter anderem wie nicht anders zu erwarten die Liebe, aber auch unerwartete wie die Einsamkeit und den Rausch. Ray Robertson, geboren 1966 in Ontario, zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Romanciers Kanadas. Er lebt in Toronto.

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Walter Benjamin klärt über die dunkle Seite der Erfahrung auf

Den Kampf um Verantwortlichkeit kämpft der Mensch laut Walter Benjamin mit einem Maskierten. Die Maske des Erwachsenen heißt für ihn „Erfahrung“. Sie ist ohne Ausdruck, undurchdringlich, hat immer das gleiche Aussehen. Walter Benjamin schreibt: „Alles hat dieser Erwachsene schon erlebt: Jugend, Ideale, Hoffnungen, das Weib. Es war alles Illusion.“ Oft sind die Menschen eingeschüchtert und verbittert. Vielleicht sogar mit Recht. Immer mehr befällt Walter Benjamin das Gefühl, dass die Jugend nur eine kurze Nacht sei, die mit Rausch erfüllt werden müsse. Danach kommt seiner Meinung nach nur noch die große „Erfahrung“, die Jahre der Kompromisse, die Armut der Ideen und eine zermürbende Schwunglosigkeit. So ist das Leben. Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.

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José Ortega Y Gasset seziert die Undankbarkeit

Für José Ortega Y Gasset ist die Undankbarkeit das schwerste Gebrechen des Menschen. Diese Behauptung stützt er darauf, dass jedes widergeschichtliche Verhalten des Menschen, dessen Wesen gleichbedeutend mit seiner Geschichte ist, eine Art Selbstmord bedeutet. Der spanische Philosoph schreibt: „Der Undankbare vergisst, dass das meiste von dem, was er besitzt, nicht sein Werk ist, sondern dass es ihm von andern geschenkt wurde, die sich bemühten, es zu schaffen und zu erhalten.“ Indem der Mensch das vergisst, verkennt er von Grund aus die wahre Beschaffenheit dessen, was er besitzt. Er glaubt an das freie Geschenk der unzerstörbaren Natur.

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Ulrich Schnabel will einen anderen Umgang mit der Zeit

Nach Ulrich Schnabel leben die Menschen der Gegenwart in einer Epoche der rasant zunehmenden Aufmerksamkeitsstörungen. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat herausgefunden, dass fast 70 Prozent der Bundesbürger die ständige Hektik und Unruhe als den größten Stressauslöser betrachten. Die Menschen fühlen sich ständig getrieben, nicht nur in Deutschland. In ganz Europa sind es etwa 50 Prozent, die darüber klagen, dass sie mindestens in der Hälfte ihrer Zeit sehr schnell arbeiten müssten. Und es sieht nicht so aus, als wäre Besserung in Sicht. Ulrich Schnabel schreibt: „Und bei jeder Studie klagen mehr Menschen über ein zu hohes Arbeitstempo und eng gesetzte Termine.“ Ulrich Schnabel studierte Physik und Publizistik und arbeitet als Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „DIE WELT“.

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Die Phantasiewelt der Dichterin Else Lasker-Schüler

Die Dichterin Else Lasker-Schüler war eine leidenschaftlich Liebende, die sich immer wieder aufs Neue verliebte, funkelnd und glühend. Die Liebe zu einem Menschen, wie beispielsweise zu dem Maler Franz Marc, war für sie ein Rauschzustand, aber viel überwältigender als dieser, ihr Gefühl des Glücks im Zentrum ihrer Dichtkunst. Sie war die berühmte Kaffeehausliteratin Berlins, die gerne ihren Kaffee oder Wein im „Romanischen Café“ oder dem „Café des Westens“ genoss. In der Phantasie von Else Lasker-Schüler war nichts unmöglich. Sie beschrieb sich einmal selbst in einer Kurzbiographie mit folgenden Worten: „Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande und seitdem vegetiere ich.“

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Seneca philosophiert über die Vorzüge des Alters

Seneca fordert die Menschen auf, dem Alter eine ihm gebührende Aufmerksamkeit und Liebe zu schenken. Denn wer das Alter verständig nutzt, dem bietet es eine Fülle an Genuss. Wie die meisten wissen, schmecken überreife Früchte am besten. Auch die Kindheit übt ihren stärksten Reiz kurz vor ihrem Abschluss aus. Und der letzte, umwerfende Schluck, der der Rausch aufs höchste steigert, gibt dem echten Zecher ein unendliches Gefühl der Zufriedenheit. Seneca schreibt: „Jede Lust spart sich ihre höchste Wonne bis zum Ende auf. Und so ist das Alter dann am angenehmsten, wenn es schon zur Neige geht, aber noch nicht jäh abstürzt.“

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Das lustvolle Risiko des selbstbestimmten Lebens

Laut Frank Böckelmann muss der moderne Mensch ständig Entscheidungen treffen, die eigentlich seinen Horizont übersteigen. Herrschte früher über bestimmte Werte und Normen gesellschaftlicher Konsens vor, ist heute nichts mehr allgemeinverbindlich und die Menschen sind ständig gezwungen, weitreichende Urteile zu fällen, ohne die Risiken und Nebenwirkungen auch nur im entferntesten zu kennen. Frank Böckelmann glaubt nicht, dass die Heerscharen von Beratern den Betroffenen wirklich helfen können, sondern im Extremfall die Lage sogar verschlimmern. Der Autor ist davon überzeugt, dass sich viele Schwierigkeiten von selbst in Luft auflösen, wenn man bereit ist, das eigene Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen und voller Lust Neues auszuprobieren.

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Durch Weisheit entsteht gleichbleibende Freude

Der Weise ist laut Seneca voller Freude, heiter, zufrieden und lebt unerschütterlich mit den Göttern auf gleichem Fuß. Wer niemals niedergeschlagen ist, nie voll banger Hoffnung die Zukunft erwartet, sich zu jeder Tages- und Nachtzeit vollkommener Ausgeglichenheit erfreut, der hat seiner Meinung nach die höchste Stufe des menschlichen Glücks erreicht. Menschen, die dagegen überall Vergnügungen suchen und noch dazu keine davon auslassen können, sind gleichweit sowohl von der Freude als auch von der Weisheit entfernt. Die Quelle des Genusses und der guten Laune ist auch die des Kummers. Seneca schreibt: „Freude ist jedermanns Losungswort; soll sie jedoch unwandelbar und erhaben sein, findet keiner den Weg zu ihr.“

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Die amerikanische Schriftstellerin Jane Bowles

Das kleine, aber doch großartige schriftstellerische Werk der Jane Bowles wurde von prominenten Kollegen hoch gelobt. Zu ihren Bewunderern zählten unter anderen Truman Capote, John Ashbery und Tennessee Williams. Jane Bowles schrieb fast ausschließlich über Frauen. Ihre Romanfiguren glichen überbelichteten Porträts, die viel Platz für die Phantasie des Lesers ließen. In dem Roman „Zwei sehr ernsthafte Damen“ beschreibt Jane Bowles die Ehefrau Frieda Copperfield wie folgt: „Für Mrs. Copperfield war das einzige Lebensziel, glücklich zu sein; Leute allerdings, die ihr Verhalten über einige Zeit hin beobachtet hatten, wären angesichts einer solchen Feststellung überrascht gewesen.“

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