Der Mensch ist mehr als sein Schein

Søren Kierkegaard wirft sich im Namen der Leidenschaft in die Arme der Religion. Friedrich Nietzsche wendet sich im Namen des Willens zur Macht gerade von ihr ab. Beide sehen sich aber gezwungen die Vernunft zu relativieren und sie etwas Größerem, Stärkerem und Mächtigerem unterzuordnen. Auch das zeichnet sich für Ger Groot seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ab: „Im Spieltrieb sucht Friedrich Schiller nicht länger nach einer Annäherung an die Wirklichkeit, sondern sieht darin eine Hinwendung zum Schein.“ Der Kunst des noch nicht Wirklichen wird dabei eine höhere Wahrheit zugeschrieben als dem Reellen. Die Rationalität kann nicht länger als Prüfung gelten. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Das Absolute ist relativ

Wozu dient Strafrecht? Sogenannte absolute Theorien beantworteten das früher mit Verweisen auf überhistorische, natürliche und religiöse Prinzipien. Dazu zählten Vergeltung, Ausgleich von Schuld und anderes. Thomas Fischer stellt fest: „Solche Theorien halten der Überprüfung nicht stand, weil sie sich auf einer rein begriffsfixierten Ebene bewegen. Sie nehmen die Worte und Begriffe für die Wirklichkeit.“ Denn was zum Beispiel Schuld und was Ausgleich ist, ist ja gerade die Frage. Und diese ist nicht absolut zu beantworten, sondern nur nach Maßgabe der jeweils historisch geltenden Rationalität. Das „Absolute“ in der menschlichen Zivilisation ist, wie die Geschichte lehrt, in jeder Hinsicht relativ. Die Gerechtigkeit durch das Strafrecht muss man daher anders definieren. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Rationalität ist keine absolute Größe

Der destruktive Umgang mit Konflikt resultiert aus der insgeheimen Übereinkunft, dass es nur eine einzige Rationalität gibt. Nämlich die eigene. Reinhard K. Sprenger stellt fest: „Wenn ich nur einen Grund nennen müsste, warum Konflikte eskalieren, dann genau deshalb. Darum: Anerkennen Sie, dass Rationalität keine absolute Größe ist. Dass es mehrerlei Vernunft gibt.“ Es gibt auch scheinbar unvernünftige Ordnungen, die allerdings erfahrungsgesättigt sind und deshalb Geltung beanspruchen dürfen. Man sollte jedoch die Spielräume nutzen, die jede noch so rigide Dogmatik zulässt. Wie der Volksmund sagt: „Etwas geht immer.“ Es gibt beispielsweise Felder, auf denen sich ökologische und wirtschaftliche Logik nicht widersprechen. Wichtig ist zudem, dass man einen soliden Selbstzweifel an der Einzigrichtigkeit seiner Erkenntnisfähigkeit nie verlieren sollte. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Das rationale Tier ist allgegenwärtig

Ludwig Huber will in seinem Buch „Das rationale Tier“ nicht nur zeigen, was die Forschung heute über den Geist der Tiere weiß und wie sie es herausgefunden hat, sondern auch, wozu das gut ist. Neben der zweckfreien Befriedigung der Neugierde treibt ihn auch ein moralischer Imperativ. Ludwig Huber schreibt: „Um sie zu retten, müssen wir uns kümmern, und kümmern können wir uns nur, wenn wir sie verstehen.“ Dazu stellt er die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Diese verlangen eine entschiedene Revision der irrationalen und ethisch fragwürdigen Einstellungen der Menschen gegenüber Tieren. Intelligenzbestien in der Tierwelt findet man an Land, in der Luft und auch unter Wasser. Ludwig Huber ist Professor und Leiter des interdisziplinären Messerli Forschungsinstituts für Mensch-Tier-Beziehungen an der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

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Das Orakel von Delphi sagte die Zukunft voraus

Im alten Orient trafen die Könige und ihre Berater wichtige Entscheidungen des Gemeinwesens nicht ausschließlich nach ihrem Sachverstand. Sondern sie bedienten sich unabhängiger Sachverständigenräte. Über Jahrhunderte ermittelte man wichtige Entscheidungen durch die Deutung der Eingeweide eines extra dafür geschlachteten Schafs. Paul Kirchhof weiß: „Auch in der Antike haben die Menschen ein Orakel befragt, das ihnen die Zukunft voraussagen und Entscheidungshilfen geben sollte. In Delphi saß Pythia auf einem Dreifuß über einer Erdspalte. Aus dieser Spalte sollen Dämpfe aufgestiegen und sie in einen Trancezustand versetzt haben.“ Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Die Kommunikation ist extrem schnell geworden

Ein Klima der Kälte, Härte und Strenge schafft effiziente Apparate und Programme für die maximale Optimierung von Ressourcen. Dabei entsteht eine perfekte rationale Ordnung von Raum und Zeit. Diese ist verbunden mit extrem schnellen Formen der Kommunikation. Isabella Guanzini kritisierte: „Doch dies garantiert keine menschenwürdige Situation für die Beteiligten und auch keinen gemeinsamen Horizont, in dem man einen Sinn fürs Leben und für das Zusammenleben finden könnte.“ Die jüngeren Generationen erleben hautnah die Kluft zwischen Zweckrationalität und symbolischer Verantwortung. Diese wird in dieser Rationalität so gut wie systematisch annulliert. Die Wegscheide nimmt der Einzelne im Innersten wahr, auch wenn er dies nicht oft zum Ausdruck bringt. Die Überproduktion von Sprachen und Strategien der Kommunikation dient der Werbung und dem Marketing der Dinge und Informationen. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Künstliche Intelligenz hat nichts mit Vernunft zu tun

Richard David Precht fragt sich in seinem neuen Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ was die Künstliche Intelligenz mit dem persönlichen Selbst- und Menschenbild macht. Es geht dabei um die Frage eines zukünftigen Menschseins und Selbstverwirklichung in einer immer technisierteren Welt. In Zukunft greift die Automation selbsttätig in das menschliche Leben ein. Richard David Precht stellt und beantwortet folgende Fragen: „Was bedeutet das für uns? Welcher Sinn wird dadurch gestiftet und welcher genommen? Und vor allem: Welche Grenzen müssen wir ziehen, damit unsere Zukunft tatsächlich human wird?“ Die Künstliche Intelligenz (KI) hat für Richard David Precht zwar einiges mit Intelligenz zu tun, aber kaum etwas mit Verstand und nicht entfernt etwas mit Vernunft. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Kurzfristiges Glück ist kein gutes Lebensziel

Immanuel Kant (1724 – 1804) stellte die scharfe Waffe seines Verstandes auch in den Dient der Moralphilosophie. Auch persönlich brachte er einen wesentliche Grundvoraussetzung mit, an der Möchtegern-Pflichtbewusste scheitern: Selbstdisziplin. Ludger Pfeil erklärt: „Er hatte sich aufgrund seiner kränklichen Konstitution an strengste Regeln im Tagesablauf gewöhnen müssen. Die Königsberger sollen ihre Uhren nach seinem Spaziergang gestellt haben.“ Erstaunlicherweise war Immanuel Kant alles andere als eine Spaßbremse. Seine täglichen Mittagsgesellschaften, bei denen Neuigkeiten aller Art durchgekaut wurden, galten als unterhaltsame und beliebte Veranstaltungen. Immanuel Kants Ethik vollzieht jedoch als Lebensziel nicht die kurzfristige gesellige Glückseligkeit, sondern die Glückswürdigkeit, die nur durch Pflichterfüllung zu erreichen sei. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Die vorsokratische Philosophie revolutioniert das Denken

Das eigenständige Denken hat seinen Ursprung in Griechenland, zumindest in der Form eines eigenen Leitprinzips. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Völker und Epochen vor den Griechen nicht auch eigenständig gedacht hätten. Silvio Vietta erläutert: „Sie haben anders gedacht. Das Denken vor der Revolution der Rationalität war mythisch geprägt. Das Denken erklärte die Welt aus mythischen Mächten der Götter oder eines Gottes.“ Die griechische vorsokratische Philosophie dagegen definiert die Welt aus erkennbaren irdischen Ursachen und Kräften wie Wasser (Thales von Milet), Luft (Anaximenes), Feuer (Heraklit), dem Sein (Parmenides), Atomen (Demokrit). Zudem war das Wissen um Götter, Menschen und Welt nicht für die Masse der Menschen bestimmt, sondern nur für einen ausgewählten Kreis von Priestern und Herrschern. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Kunst hat einen außerordentlichen Aufschwung erlebt

Kunst dient unter anderem dem Vergnügen und der Unterhaltung. Kunst kann aber auch Ängste hervorrufen oder steigern, ähnlich kann sie Gefühle von Mitleid erzeugen oder verstärken und beide, Ängste und Mitleid, in gewisse Bahnen lenken. Im Fall des Vergnügens und der Unterhaltung dient Kunst der Entlastung. Je nach Intension und Rang kann Kunst zum vergnüglichen Schmunzeln anregen, gelegentlich sogar zum befreienden Lachen, dabei von den Mühen und Plagen der Arbeitswelt und des Alltags, auch von Sorgen befreien, wenn auch in der Regel nur vorübergehend. Otfried Höffe ergänzt: „In glücklichen Fällen vermag Kunst neue Lebenskraft zu schenken oder den Blick für entsprechende Möglichkeiten zu öffnen.“ Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Das eigenständige Denken ist der Ursprung der Kultur der Rationalität

Das, was die europäische Kultur am nachhaltigsten von allen anderen Weltkulturen unterscheidet, ist der hohe Wert, den sie von ihren frühen Anfängen in der griechischen Antike auf das eigenständige Denken legte. Silvio Vietta erläutert: „Das eigenständige Denken ist eines der höchsten Werte der abendländischen Kulturgeschichte und zugleich Ursprung und Grund einer ganzen Kultur des Abendlandes: der Kultur der Rationalität.“ Die Aufforderung zum eigenständigen Denken findet sich bereits formuliert in dem Gebot „Erkenne dich selbst“, das über dem Eingang des Apollotempels in Delphi eingemeißelt war und dem Weltweisen Chilon von Sparta zugeschrieben wird. Der Spruch, der den Menschen auch an seine Endlichkeit und Sterblichkeit mahnen soll, bekundet den Anfang des philosophischen Denkens im frühen Griechenland bei den vorsokratischen Philosophen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Jean-Jacques Rousseau misstraut der Aufklärung

Die Rebellion gegen eine alles zermalmende Moderne ist kein Phänomen der Gegenwart. Sie hat ihre Wurzeln in der Zeit der Aufklärung und beginnt mit einem erbitterten Streit zwischen zwei brüderlichen Freunden, Jean-Jacques Rousseau und Denis Diderot. Philipp Blom weiß: „Persönliche und intellektuelle Fragen vermischen sich in diesem jahrelangen Disput, aber sie brachten Rousseau dazu, den aufgeklärten Idealen seiner Freunde zu misstrauen.“ Die Zivilisation, die Großstadt und die Unterdrückung aller Menschen gehören zusammen, räsonierte er, die Aufklärung befreit nicht, sondern entfernt die Gesellschaft mit ihrer kultivierten Kompliziertheit immer weiter von ihrer ursprünglichen Tugend und versklavt sie gleichzeitig durch Mode, gesellschaftliche Anerkennung und Lohnarbeit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren

Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Volker Gerhardt erforscht die Natur des Menschen

In seinem neuen Buch „Humanität“ entwickelt der Philosoph Volker Gerhardt ein radikal neues Verständnis der Beziehung von Natur und Kultur. Auch dieses Werk lässt sich als Versuch verstehen, der Antwort auf die Frage nach der Natur des Menschen näherzukommen. Der Mensch ist ein Naturwesen, das sich bis heute nicht aus den unbarmherzigen Gegensätzen der Natur befreit hat. Volker Gerhard schreibt: „Er bleibt ihnen nicht nur ausgesetzt, sondern auch in ihnen befangen, obgleich er sich im Laufe der Jahrtausende mit der Kultur selbst einen Raum eröffnet hat, der ihn vor einem Teil der Widrigkeiten bewahren und sich auch vor sich selber schützen kann.“ Gleichwohl hat die Kultur mit der Sensibilität für den Schmerz und für feinste Unterschiede auch das Potenzial verstärkt, grausam und gefühllos zu sein. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Nassim Nicholas Taleb kennt das Risiko und seinen Preis

Bestsellerautor Nassim Nicholas Taleb zeigt in seinem neuen Buch „Das Risiko und sein Preis“ aus vielen Beispielen aus dem Alltag, wo Fairness, Verantwortungsgefühl, Anstand fehlen und stattdessen billiges Geschwätz, Verantwortungslosigkeit, Egoismus und Blenderei die Oberhand behalten. Es ist auch eine Kombination aus praktischen Erörterungen, philosophischen Geschichten sowie wissenschaftlichen und analytischen Kommentaren zu den Problemen der Zufälligkeit. Und es dreht sich um die Frage wie Menschen unter dem Vorzeichen der Ungewissheit leben, essen, schlafen, diskutieren, kämpfen, Freundschaften schließen, arbeiten, sich amüsieren und Entscheidungen treffen sollen. „Das Risiko und sein Preis“ handelt von vier Themen: a) Ungewissheit und die Zuverlässigkeit von Wissen; b) Symmetrie in zwischenmenschlichen Angelegenheiten: Fairness, Gerechtigkeit, Verantwortung und Gegenseitigkeit; c) Informationsaustausch bei Transaktionen und d) Rationalität in komplexen Systemen und in der Realität. Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Kultur setzt sich in ihrem Zentrum aus Singularitäten zusammen

Die soziale Logik der Singularitäten ist eng mit jener Dimension des Sozialen verknüpft, für die man klassischerweise den Begriff der Kultur vorgesehen hat. Für Andreas Reckwitz lautet dabei der entscheidende Punkt: „Kultur setzt sich in ihrem Zentrum aus Singularitäten zusammen. Jene Einheiten des Sozialen, die als einzigartig anerkannt werden – die singulären Objekte und Subjekte, die singulären Orte, Ereignisse und Kollektive – bilden gemeinsam mit den zugehörigen Praktiken des Beobachtens und Bewertens, des Hervorbringens und Aneignens die Kultursphäre einer Gesellschaft.“ Die Logik des Besonderen gehört zur Kultur wie die Logik des Allgemeinen zur formalen Rationalität. Rationalisierung und Kulturalisierung sind die beiden konträren Formen von Vergesellschaftung. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Stephan Lessenich begibt sich auf die Spur des pätmodernen Kapitalismus

Mitte der 1970er Jahre veröffentlichte der amerikanische Soziologe Daniel Bell unter dem Titel „The Cultural Contradictions of Capitalism“ eine zeitdiagnostische Streitschrift zum Zustand der US-Gesellschaft. Stephan Lessenich erläutert: „Wenn man so will, dann sah Daniel Bell die USA seiner Zeit von einer Art nicht spätrömischer, sondern spätmoderner Dekadenz ergriffen, deren Wurzeln er in der systematischen – oder genauer: normativen – Entkopplung von Kultur und Ökonomie verortete.“ Durch die Entstehung und gesellschaftliche Verbreitung einer „postmaterialistischen“ Kultur, so Daniel Bells Kernaussage, werde die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Ökonomie systematisch unterminiert. Dabei sei es der der durch die lange Phase wirtschaftlicher Prosperität der Nachkriegszeit gewissermaßen selbst induzierte Verlust des die kapitalistische Wirtschaft seit ihren Anfängen durchdringenden und tragenden „Geistes“, der die stabile Reproduktion der industriekapitalistischen Gesellschaftsformation und ihrer Sozial- beziehungsweise Klassenstruktur grundlegend in Frage stellte. Dr. Stephan Lessenich ist Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Die unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung

Es gibt Schulden, die sind schlechterdings nicht abzahlbar. So gewaltig ist ihr Umfang, dass sie nie und nimmer zu begleichen sind. Für viele Ökonomen ist in derartigen Fällen ein Schuldenschnitt die einzig rationale Lösung. Auch moralische Schuld ist mitunter nicht wiedergutzumachen. Weder durch so genannte Reparationszahlungen noch durch Schmerzensgeld oder noch so aufrichtige Bekundungen des Bedauerns. Gerade eine solche im Grunde nie zu begleichende Schuld ist für den französischen Philosophen Jacques Derrida Gegenstand des Verzeihens. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Nur eine unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung, weil jede verzeihliche Schuld sich sehr einfach begleichen lässt.“ Nur das Unverzeihbare, so Jacques Derrida wörtlich, „rufe“ nach Verzeihung. Dr. Svenja Flaßpöhler ist seit Dezember 2016 leitende Redakteurin im Ressort Literatur und Geisteswissenschaften beim Sender „Deutschlandradio Kultur“.

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Die meisten Männer haben keinen besten Freund

Die entscheidenden Schwachstellen des sogenannten „neuen Manns“ sind der untrainierte Zustand zu seinen Gefühlen und die alten Männlichkeitsbilder, mit denen er diesen Gefühlen begegnet. Richard Schneebauer fügt hinzu: „Was ihnen jedoch – von Beginn ihres Lebens an – dabei am meisten fehlt, sind offene und wertschätzende Gespräche mit anderen Männern.“ Das Fehlen ist ihnen aber zumeist gar nicht bewusst, denn sie erleben es ja als normal, dass Männer nicht über ihre Gefühle sprechen. Dadurch erleben sie den Druck, ihre Sorgen, Nöte und Ängste, das Versagen bei all diesen Ansprüchen als individuelles Phänomen, als persönliches Scheitern. Die wichtigste und größte Quelle für offene, wertschätzende Gespräche wären natürlich Freude. Da zeigt die Männerforschung aber ein trauriges Bild: 80 bis 85 Prozent der haben demnach keinen besten Freund, definiert als einen Mann, dem sie erzählen wie es ihnen wirklich geht. Dr. Richard Schneebauer ist Soziologe und seit 17 Jahren in der Männerberatung tätig.

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Eyal Winter stellt das Gefangenendilemma vor

Das sogenannte „Gefangenendilemma“ ist das vielleicht meiststrapazierte Paradox in der sozialwissenschaftlichen Literatur. Eyal Winter betrachtet kurz die Elemente des Gefangenendilemmas: „Zwei des Bankraubs Verdächtigte werden verhaftet. Der Polizei fehlt es jedoch an ausreichenden Beweisen. Ohne Geständnis von mindestens einem der Tatverdächtigen muss die Polizei beide zwangsläufig freilassen.“ Beide Gefangenen sind in separaten Zellen eingesperrt. Dabei bietet man jedem folgenden Deal an: Wenn einer von beiden gesteht, während der andere schweigt, wird der Geständige freigelassen. Der Nichtgeständige wird verurteilt und muss eine fünfjährige Haftstrafe verbüßen. Wenn beide gestehen, werden beide verurteilt, allerdings nur zu vier Jahren Gefängnis. Die Verdächtigen wissen auch, dass die Polizei sie nicht des Bankraubs überführen kann, wenn beide schweigen, sondern sie nur wegen Raserei bei der Verfolgung belangen kann, wofür sie einen Monat absitzen müssten. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Sigmund Freud unterscheidet zwischen Sexualtrieb und Todestrieb

In der Philosophie der Gegenwart wurden verschiedene Modelle entwickelt, um in der Struktur dessen, was Sigmund Freud „das Ich“ nennt, die menschliche Rationalität auszumachen. Der amerikanische Philosoph Robert Brandom spricht hier vom „Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen“ und er hat auch dafür plädiert, das Ich gleichsam als den allgemeinen Namen für Mitspieler an diesem Spiel aufzufassen. Markus Gabriel erklärt: „Ein Ich zu sein heißt, für die Beschreibungsebene zugänglich zu sein, auf der wir unsere Einstellungen zu uns selbst und zu anderen durch Gründe stützen und rechtfertigen.“ Sigmund Freud selber neigt leider häufig dazu, das Ich wie einen Homunculus zu behandeln, der seines Erachtens dadurch auf die Bühne tritt, das Wahrnehmungen im Menschen durch Reizungen entstehen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die meisten Menschen können die Gefühle ihrer Mitmenschen erkennen

Die Wirksamkeit rationaler Emotionen hängt in hohem Maße davon ab, ob andere Menschen solche Emotionen erkennen können und – was sogar noch wichtiger ist – ob sie von deren Aufrichtigkeit überzeugt sind. Eyal Winter weist darauf hin, dass Menschen manchmal bewusst authentische Gefühle in sich erwecken können, und sei es aus strategischen Gründen. Die meisten Menschen können die Gefühlszustände ihrer Mitmenschen erkennen. Eyal Winter betont: „Ohne diese Befähigung wären wir in unserem Interaktionsvermögen stark eingeschränkt. Unsere Fortpflanzungsfähigkeit wäre beschnitten, wenn wir nicht merken würden, ob andere uns anziehend finden.“ Selbst das rein physische Überleben, das zu einem großen Teil von gesellschaftlichen Beziehungen abhängt, wäre gefährdet, wenn man die Gefühle anderer nicht wahrnehmen und deuten könnte. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Eyal Winter unterscheidet zwischen autonomen und sozialen Emotionen

Emotionen bilden einen Mechanismus, der Menschen dazu befähigt, Entscheidungen zu treffen. Sie wurden im Lauf der Evolution geformt und entwickelt, um die Überlebenschancen des Menschen zu verbessern. Eyal Winter fügt hinzu: „Die Menschheit verfügt neben den Emotionen über einen weiteren wichtigen Mechanismus, der uns bei der Entscheidungsfindung hilft, nämlich die Fähigkeit zur rationalen Analyse.“ Im Gegensatz zu Gefühlen wie Angst, Betrübtheit und Bedauern, die als autonome Emotionen bezeichnet werden können, sind Gefühle wie Wut, Neid, Hass und Mitgefühl soziale Emotionen. Sie sind per Definition interaktiv. Wut oder Mitleid empfindet ein Mensch gegenüber anderen; Bedauern dagegen empfindet er über eigene Handlungen. Die Unterscheidung zwischen autonomen und sozialen Emotionen ist besonders wichtig, um den Begriff der „klugen Gefühle“ zu verstehen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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