Die Psychotherapie geht auf Sigmund Freud zurück

Die Psychotherapie ist im Gesundheitswesen ein relativ neues Berufsfeld. Die kaum hundert Jahre alte Bezeichnung hat die Menschheit Sigmund Freud zu verdanken. Die Psychoanalyse war nach Sigmund Freud bis zur Hälfte des vorigen Jahrhunderts die vorherrschende Behandlungsform, wenn auch nur für ausgewählte Patienten. Der Durchbruch gelang der Psychotherapie in den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als völlig verschiedene psychotherapeutische Methoden nebeneinander, durcheinander und vor allem auch gegeneinander angeboten wurden. Paul Verhaeghe ergänzt: „Wenn die verschiedenen Therapeuten überhaupt etwas gemein hatten, dann war es ihre Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft, zu der sie übrigens auch die Psychoanalyse zählten.“ Ihr Ziel war es, die Patienten von bevormundenden Strukturen zu befreien, Gesundheitssystem inklusive. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Das Zeitalter des Narzissmus ist ausgebrochen

Eine gewisse Form von Ich-Bezogenheit kann überhaupt erst entstehen, wenn ein Mensch ein Bild von sich sieht, ein Spiegelbild, ein Porträt oder ein Foto. Konrad Paul Liessmann erläutert: „Denn nur dann sehe ich etwas, was ich ansonsten nicht sehen kann: mich. Das „Mich der Wahrnehmung“, wie es der Philosoph Lambert Wiesing genannt hat, ist mir immer nur als Bild zugänglich.“ Ohne dieses sieht ein Mensch nur Teile seines Körpers – nie den Rücken, nie das Gesicht – und dass man sich in den Reaktionen und Verhaltensweisen anderer spiegeln kann, ist eine Metapher, die die Erfahrung des Selbst im Bild schon voraussetzt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Die Selbstverwirklichung wird durch äußere Hindernisse eingeschränkt

Das romantische Konzept der Selbstverwirklichung geht generell davon aus, dass die Fähigkeiten des Selbst von Natur aus positiv sind. Das einzige Problem besteht darin, dass sie durch irgendwelche äußeren Hindernisse eingeschränkt werden: Staat, Gesetz, Despotismus, Patriarchat, Über-Ich, imperiale Autorität, herrschende Klasse, bürgerliche Moral und so fort. Terry Eagleton ergänzt: „Nach Sigmund Freuds Auffassung verinnerlichen wir das Gesetz in Gestalt des Über-Ichs, das heißt, wenn wir uns über seine Anweisung hinwegsetzen, laufen wir Gefahr, uns selbst zu schaden.“ Auch Edmund Burke ist sich bewusst, dass die einzige echte Souveränität diejenige ist, die man sich selbst zu eigenen macht. Es ist jene Macht, die Antonio Gramsci später als Hegemonie bezeichnet und gegen den Zwang abgrenzt. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die Erscheinungsformen und die Motive der Aggression sind vielfältig

Aggression ist nicht gleich Aggression: Die Erscheinungsformen sind vielfältig und ebenso die zugrunde liegenden Motive. Hans-Peter Nolting fügt hinzu: „Menschen unterscheiden sich in der Art ihrer Aggressivität, und es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen individueller und kollektiver Aggressivität.“ Zudem hängt das Auftreten aggressiven Verhaltens nicht nur von Personen ab, sondern auch von den jeweiligen Faktoren der Umgebung, und ihnen wiederum kommt in einem Fall eine entscheidende, im anderen Fall nur eine unwesentliche Rolle für die Erklärung des Verhaltens zu. Weil der Begriff der Aggression ein breites, heterogenes Spektrum umfasst, erscheint es aussichtslos, eine allgemeine Antwort auf die Frage nach „angeboren oder erworben?“ zu geben. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Eine homogene Gesellschaft garantiert Identität und Zugehörigkeit

Homogenität einer Gesellschaft bedeutet nicht einfach Vereinheitlichung. Isolde Charim erläutert: „Homogenität einer Gesellschaft bedeutet vielmehr die Sekundarisierung der Unterschiede. Homogen ist eine Gesellschaft nicht, wenn es keine Unterschiede mehr gibt. Homogen ist eine Gesellschaft, wenn die Unterschiede zweitrangig werden – angesichts des Gemeinsamen.“ Dieses Gemeinsame, das der nationale Typus bereitstellt, beruht auf dem Prinzip der Ähnlichkeit: In dessen Gestalt können sich alle Mitglieder der Nation wiedererkennen. Die „imagined community“ ist eine Gemeinschaft der Ähnlichen. In diesem Sinne war die Nation der Versuch, die Gemeinschaft unter den Bedingungen der Moderne in die Gesellschaft einzuführen – eine vorgestellte Gemeinschaft, die suggeriert, einander völlig Unbekannte würden einen Verbund von Gleichen, von Ähnlichen bilden. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Die Weisheit wird von der Gesellschaft zu wenig geschätzt

Die Psychologie ist eine relativ junge Wissenschaft, die sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts als eigenständige Disziplin aus der Philosophie sowie der Medizin und Biologie entwickelt hat. Interessanterweise hat sich die Philosophie, die „die Liebe zur Weisheit“ sogar im Namen trägt, selten und in der Neuzeit noch weniger als vorher mit der Weisheit als menschlicher Eigenschaft befasst. Judith Glück erklärt: „Von Anfang an ging es ihr eher darum, weise Gedanken und Ideen zu beschreiben. Auch der Psychologie lag die Beschäftigung mit so komplexen Eigenschaften lange Zeit eher fern; sie befasste sich zunächst vor allem mit Prozessen, die bei allen Menschen gleichartig ablaufen und also bestimmten Regelhaftigkeiten folgen, wie etwa der menschlichen Wahrnehmung.“ Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Die Körpersprache ist ein sehr präzises System der Kommunikation

Gesicht und Körper können ein sehr nuancenreiches, präzises System der Kommunikation sein. Aufmerksame Beobachter lauschen sogar auf die Obertöne einer Stimme und erkennen Feinheiten in den Bewegungen der Augenbrauen. Menschen erleben Gefühle körperlich und teilen sie auch körperlich mit. David Gelernter ergänzt: „Die verbale Sprache ist ein mangelhaftes Mittel, gegenüber anderen Menschen auszudrücken, was wir fühlen – und sie ist im Grunde auch unnötig, denn wenn die anderen auch nur halbwegs aufmerksam sind, wissen sie es ohnehin.“ Wenn das Gefühl den Körper erfasst und wie eine Fahne umherweht, ist die daraus entstehende Geste in der Regel eindeutig – allerdings nicht immer. Manchmal sieht man nur die schiere Kraft eines Gefühls, die wie eine Hochspannungswelle bis in die Füße und Finger und von dort hinaus ins Universum schießt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale Universität.

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Friedrich Nietzsche will denkend die Welt umgestalten

Friedrich Nietzsche stellt alles in Frage. Andreas Urs Sommer vertritt in seinem Buch „Nietzsche und die Folgen“ die These, dass ihm im Übergang vom letzten Ernst der ersten Werke zu ausgelassener Heiterkeit in späten Schriften die Lust zu unbedingten Festschreibungen immer mehr abhandenkam. Dennoch scheint er ein Denker zu sein, der zu Vereinseitigungen einlädt. Andreas Urs Sommer arbeitet in seinem Buch heraus, was seinen Lesern heute noch von Friedrich Nietzsches Denken bleibt. Das Buch erschließt, welchen Rollen Friedrich Nietzsche auf so unterschiedlichen Feldern wie der Literatur und der bildenden Kunst oder der Religion und der Politik bis heute spielt. Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

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Der Glauben entspringt demselben Boden wie die seelische Pathologie

Sigmund Freud war fest davon überzeugt, dass der Mensch die Verantwortung für sein Schicksal tragen muss, ohne dass er sie an andere Instanzen abtreten darf. Peter-André Alt erklärt: „Allein dort, wo die Annahme von der Existenz guter oder böser Übermächte durchbrochen wird, kann das gelingen.“ Dass der Einzelne nicht selten durch seinen Glauben wie seinen Aberglauben an der Selbstbestimmung gehindert wird, gehört zu Sigmund Freuds tiefsten Überzeugungen: „Ich halte mich für einen sehr moralischen Menschen, betrachte aber jede Form öffentlicher Zurschaustellung sittlicher Tugenden, wie sie in religiösen Bekenntnissen erfolgt, als peinlich.“ Die Trennung von Ethik und Religion gehörte zu den systematischen Prinzipien, die Sigmund Freud zeitlebens verteidigte. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Das Über-Ich unterdrückt die aggressiven Triebe

Je höher der Kulturgrad des Menschen ist, desto mächtiger wird sein Über-Ich, das die Unterdrückung der Triebaggression sichert, zugleich aber selbst herrische Züge trägt. Das Ich-Ideal des kultivierten Individuums lädt sich mit jener Gewaltsamkeit auf, die es gerade bannen sollte. Peter-Andre Alt ergänzt: „Dort, wo Mangel existiert, verliert das Über-Ich dagegen seinen Einfluss.“ Sigmund Freund schreibt dazu: „Man denke an die Proletarier, deren Leben eine Häufung von Versagungen ist. Folge davon ist nicht ein besonders großartiges Schuldgefühl, sondern, was viel näher liegt, ein ungestillter Hunger nach Befriedigung mit Neigung zur rücksichtslosen Verleugnung der moralischen Schuld.“ Das Über-Ich leistet Widerstand gegen eine allzu direkte Triebabfuhr, was aber voraussetzt, dass das System der Überhöhung, Sublimierung und Idealisierung ausgebildet ist. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Die Literatur der Spätromantik war düster und sarkastisch

Die frühromantische Aufbruchsstimmung wich in der Spätphase der Romantik einer eher düsteren, sarkastischen und gebrochenen Sicht auf die Verhältnisse. Beispielhaft für diese neue Phase der romantischen Bewegung ist das Werk von E. T. H. Hoffmann(1776 – 1822), das schon bald über Deutschland hinaus beachtet wurde und auf Autoren wie Nikolai Wassiljewitsch Gogol, Charles Baudelaire und Edgar Allan Poe entscheidende Wirkung hatte. E. T. H. Hoffmann führte ein Doppelleben wie so viele seiner Figuren, die sich in verschiedene Ichs aufspalten. Tagsüber arbeitete er in dem ungeliebten Beruf eines Kammergerichtsrats, nachts führte ein sein „eigentliches“ Leben. Seine Begabungen waren weit gespannt und machten es ihm schwer, sich zu entscheiden. Er zeichnete, musizierte und komponierte und schrieb immer wieder über jenen Zwiespalt zwischen „Künstler“ und „Philister“, dem nicht nur er, sondern dem sich auch andere romantische Autoren ausgesetzt fühlten.

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Sigmund Freud revolutionierte das Verständnis vom Seelenleben

Peter-André Alt erzählt in seinem neuen Buch „Sigmund Freud“ von der Bewegung der Psychoanalyse, ihrem Siegeszug und ihren Niederlagen. Er porträtiert Sigmund Freud als selbstkritischen Dogmatiker und wissenschaftlichen Eroberer. Der Begründer der Psychoanalyse war auch selbst ein Zerrissener, der die Nöte der Seele, von denen seine neue Therapie die neurotischen Menschen befreien sollte, aus eigener persönlicher Erfahrung kannte. Der Nervenarzt Sigmund Freud arbeitete in Wien an seinen wegeweisenden Theorien zu Sexualität und Neurose, Traum und Unbewusstem, Familie und Gesellschaft, Märchen und Mythos. In seinen Behandlungsräumen in der Berggasse 19 vollzog sich die Erfindung einer neuen Lehre vom Menschen, die das Verständnis des Seelenlebens umfassend und eingreifend veränderte. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Die Bibel ist auch ein Denkraum für die Philosophie

In der neuen Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Die Bibel und die Philosophen“ interpretieren berühmte Denker die zentralen Passagen des Alten Testaments. Dazu zählen unter anderem Immanuel Kant, Hans Blumenberg, Hannah Arendt, Baruch de Spinoza, Umberto Eco, Walter Benjamin und Søren Kierkegaard. Für die Chefredakteurin der Sonderausgabe, Catherine Newmark, steht fest: „Ohne Zweifel, die Bibel ist die einflussreichste Schrift unserer Geschichte; Malerei, Musik, Literatur, Film sind von ihr inspiriert bis zum heutigen Tag.“ Wenn Glauben archetypisch Passivität und Hingabe bedeutet, so steht die Philosophie umgekehrt für die Selbstermächtigung des Menschen durch Vernunft, hin zu Aktivität und Freiheit. Die in der Sonderausgabe versammelten philosophischen Betrachtungen zeigen: Das Alte Testament ist nicht nur eine Heilige Schrift für Gläubige oder eine Schatzkammer schöner Geschichten für Kulturhistoriker, sondern auch ein ungeheuer bezugsreicher Denkraum, ein Raum für Philosophie.

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Sigmund Freud entdeckt das Unbewusste

Sigmund Freud (1856 – 1939) war der Entdecker des Unbewussten. Er erkannte, dass vieles von dem, was ein Mensch tut, von versteckten Wünschen motiviert wird, zu denen man keinen direkten Zugang hat. Aber trotzdem beeinflussen sie die menschlichen Handlungen. Nigel Warburton erklärt: „Es gibt Dinge, die wir tun wollen, dies aber nicht erkennen. Diese Wünsche üben großen Einfluss auf unser Leben aus und auf unsere Art und Weise, die Gesellschaft zu organisieren. Sie sind die Quelle der besten und schlimmsten Aspekte der menschlichen Zivilisation.“ Sigmund Freud war verantwortlich für diese Entdeckung, auch wenn sich ähnliche Vorstellungen schon in einigen Schriften von Friedrich Nietzsche finden. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.

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Friedrich Nietzsche: „Sei dir selber treu!“

Friedrich Nietzsche war der Meinung, dass Menschen ihr eigenes Leben erschaffen, aber er behauptet, dass nicht alle Lebenssinne gleichrangig seien. Wenn man eine kritische Messlatte anlegt, seien manche grundsätzlich besser als andere. Daniel Klein beschreibt, was Friedrich Nietzsche meinte: „Manche von uns haben das Potential, auf eine Weise zu leben, die weit jenseits des Gewöhnlichen liegt, und es ist unsere Pflicht, nach einem solchen Leben zu streben, uns voll und ganz auf das einzulassen, was er das „Ja zu Leben“ nannte.“ Friedrich Nietzsche nennt Menschen Schwächlinge, die das Drehbuch, das ihnen die Gesellschaft in die Hand gedrückt hat, einfach nur abnicken und nach dessen Vorgaben leben. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Das limbische System steuert die Triebe und Emotionen

Walter Mischel und sein Team wissen heute inzwischen, dass die Art und Weise, wie Kinder äußere Belohnungen mental repräsentieren, vorhersagbar die Länge ihrer Wartezeit verändern. Andere Studien belegen auch, dass die Kinder es mit zunehmendem Alter besser schaffen, Belohnungen aufzuschieben; ebenso nimmt das Spektrum von Strategien zu, die sie dafür anwenden. Neunjährige Kinder können in unglaublich kreativer Weise ihre Fantasie dazu nutzen, sich abzulenken und die Zeit zu vertreiben, wenn sie in Situationen wie dem Marshmallow-Test die Belohnung aufschieben müssen. Bis zum Alter von zwölf Jahren scheinen die meisten Kinder allerdings nicht zu erkennen, dass kühle Gedanken nützlicher sind als erregende, heiße Gedanken. Die heiße emotionale Region im Gehirn ist das sogenannte limbische System. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

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Den Menschen ist das Erlebnis der Humanität verloren gegangen

Die ganze Vorstellung der Humanität und des Humanismus gründet in der Idee der menschlichen Natur, die allen Menschen gemeinsam ist. Das war laut Erich Fromm die Prämisse des buddhistischen wie des jüdisch-christlichen Denkens. Der Buddhismus entwickelte ein Bild vom Menschen in existentialistischen und anthropologischen Begriffen und nahm an, dass die gleichen psychischen Gesetze für alle Menschen gelten. Denn die conditio humano ist für alle die gleiche, da alle Menschen in der Illusion der Getrenntheit und Unzerstörbarkeit des eigenen Ichs leben. Jedes Individuum sucht eine Antwort auf das Problem seiner Existenz zu finden, indem es versucht, sich gierig an allen Dingen, einschließlich des Ichs, festzuklammern. Alle Menschen leiden und können nur vom Leiden erlöst werden, wenn sie die Illusion ihres Abgetrenntseins und ihre Gier überwinden.

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Die Erkenntnis des Ichs bei René Descartes und Immanuel Kant

Der Weg zur Wahrheit führt für den Philosophen Herbert Schnädelbach in der Regel über den Ausschluss des Irrtums. Indem ausgeschlossen wird, was aller Wahrscheinlichkeit nicht wahr sein kann, wird die Anzahl der möglichen Wahrheitskandidaten eingegrenzt. Herbert Schnädelbach fragt zum Beispiel, ob es wahr ist, was mache Philosophen über „das Ich“ behaupten. Zunächst stellt er fest, dass dieser Begriff im alltäglichen Gespräch kaum vorkommt, und wenn, dann nur in Wendungen wie: „Er oder sie hat ein starkes Ich.“ Herbert Schnädelbach ergänzt: „Damit ist entweder ein stabiles Selbstbewusstsein oder ein ausgeprägter Egoismus gemeint. Im ersten Fall handelt es sich meist um herabgesunkenes Bildungsgut, beispielsweise aus der Psychoanalyse Sigmund Freuds, wo vom Es, Ich und Überich die Rede ist, oder aus der Tradition der Ich-Psychologie Alfred Adlers und Anna Freuds.“ Vor seiner Emeritierung war Herbert Schnädelbach Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Robert Pfaller klärt über die Kunst des klaren Wollens auf

Für viele Menschen ist es heutzutage sehr schwer, zu wissen, was sie eigentlich wollen. Das liegt unter anderem daran, dass die Individuen heute viel mehr Möglichkeiten haben als noch vor sehr kurzer Zeit, zumindest in den westlichen Gesellschaften. Es ist aber laut Robert Pfaller nicht die Zahl der Wahlmöglichkeiten, die eine Person überfordert, sondern es ist die Einbildung, es gäbe eine Wahl, die dem eigenen Ich genau entspricht – und das nur in der Personalisierung das Glück zu finden wäre. Robert Pfaller glaubt dass sich die Gesellschaften verändert haben, von denjenigen, in denen Leute etwas wollten, es aber von der Gesellschaft verboten bekamen und sich dafür schuldig fühlten, hin zu Gesellschaften, die stimulierend auf die Individuen einwirken im Sinne von: „Du sollst es ruhig wollen!“ Robert Pfaller ist Ordinarius für Philosophie an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

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Kurt Tucholsky ist dem Erbe der Aufklärung verpflichtet (3. Teil)

Bereits im Jahr 1913 steigt Kurt Tucholsky zum wichtigsten Autor der „Schaubühne“ auf, obwohl es erst das erste Jahr seiner Mitarbeit ist. Er schreibt nicht nur unter seinem eigenen Namen, sondern auch unter den Pseudonymen Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel. Kurt Tucholsky verbirgt sich hinter seinen verschiedenen Namen, sucht damit auch sein eigentliches, verletzliches Ich unsichtbar zu machen. Er legt auch falsche Spuren für die, die den Menschen Kurt Tucholsky hinter dem Schriftsteller suchen. Er ist ein Mann, der zwar in der Öffentlichkeit steht und doch meist Sehnsucht nach der Zurückgezogenheit hat, nach der Geborgenheit der Einsamkeit und Stille, die er sucht, während er sich aber gleichzeitig darüber beklagt, dass sein tiefstes Gefühl sei, immer allein zu sein.

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Erich Fromm stellt das Paradoxe und Wesen der Hoffnung vor

Die Hoffnung ist für Erich Fromm von paradoxer Gestalt. Sie ist weder ein untätiges Warten noch ein unrealistisches Herbeizwingenwollen von Umständen, die nicht eintreffen können. Sie gleicht seiner Meinung nach einem kauernden Tiger, der erst losspringt, wenn der Augenblick zum Springen gekommen ist. Erich Fromm fügt hinzu: „Weder ein müder Reformismus noch ein pseudo-radikales Abenteurertum ist ein Ausdruck von Hoffnung. Hoffen heißt, jeden Augenblick bereit sein für das, was noch nicht geboren ist, und trotzdem nicht verzweifeln, wenn es zu unseren Lebzeiten nicht zur Geburt kommt.“ Es hat für ihn keinen Sinn, auf etwas zu hoffen, was bereits existiert oder was nicht sein kann. Erich Fromm behauptet, dass ein Mensch mit einer schwachen Hoffnung, sich entweder für das Bequeme oder für die Gewalt entscheidet.

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Thomas Rentsch erklärt die Philosophie des 20. Jahrhunderts

Thomas Rentsch erklärt in seinem Buch „Philosophie des 20. Jahrhunderts“ die Höhepunkte der modernen und gegenwärtigen Philosophie wie zum Beispiel die Sprachkritik Ludwig Wittgensteins, die Onotologiekritik Martin Heideggers, die Verdinglichungskritik Theodor W. Adornos sowie die französisch geprägte Postmoderne. Dabei zeigt er, wie sich die auf den ersten Blick gegensätzlichen Philosophierichtungen immer wieder ergänzen und so produktiv fortentwickeln. Die Philosophie des 20. Jahrhunderts ist für Thomas Rentsch ein Höhepunkt der 2500-jährigen Philosophiegeschichte: „Geprägt sowohl durch eine weitreichende Ausdifferenzierung der thematischen Schwerpunkte und Schulbindungen als auch durch eine Radikalisierung der Vernunftkritik auf allen Ebenen – vom Unbewussten über die menschliche Existenz und die Sprache bis zu Gesellschaft und Wissenschaft.“ Thomas Rentsch ist Professor für Philosophie an der TU Dresden. Er arbeitet vor allem zur Hermeneutik, zur Sprachphilosophie und zur praktischen Philosophie.

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Neurowissenschaftler erntschüsseln die Geheimnisse des Traums

 

Gerade erlebt die Traumforschung eine Renaissance. Wissenschaftler wollen herausfinden, wie und warum ein Mensch träumt und versuchen mit Hilfe von Computern zu ergründen, welche Vorgänge sich im Gehirn bei einem Traum abspielen. Große Datenmengen liefern inzwischen Apps, mit denen Menschen ihre Träume aufzeichnen und Muster erkennen können. Nicht nur Neurowissenschaftler, sondern auch Psychologen, Ärzte und Normalbürger wollen die Geheimnisse der Träume aufdecken. Der Neurowissenschaftler Patrick McNamara von der Universität in Boston ist sich sicher, dass es in der Traumforschung bald bahnbrechende neue Ergebnisse geben wird. Denn dank neuer Computer-Apps wie beispielsweise „Dreamboard“ stehen den Wissenschaftlern auf einmal riesige Datenmengen zur Verfügung. Solche Apps lassen sich bequem auf das Smartphone oder den Tablet-PC herunterladen. Wer sich anschließend registriert, kann dann immer und überall seine Träume eintragen und alles was damit zusammenhängt.

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Für Erich Fromm sind viele Menschen weder lebendig noch tot

Erich Fromm glaubt, dass die grundlegende Alternative des Menschen die Wahl zwischen Leben und Tod ist. Bei allem, was der Mensch tut, muss er diese Entscheidung treffen. Bei der Wahl ist er frei, allerdings nur in begrenztem Maß. Erich Fromm nennt Gründe für diese Einschränkung: „Es gibt zahlreiche günstige und ungünstige Bedingungen, die ihn beeinflussen: seine psychologische Konstitution, die speziellen Bedingungen der Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde, seine Familie, seine Lehrer und die Freunde, denen er begegnet und die er sich auswählt.“ Laut Erich Fromm ist es die Aufgabe des Menschen, seinen Raum der Freiheit zu erweitern und sich um Bedingungen zu bemühen, die zum Leben und nicht zum Tode führen. Mit Leben und Tod meint Erich Fromm keinen biologischen Zustand, sondern eine Verfasstheit des Seins, in dem die Art der Beziehung zur Welt zum Ausdruck kommt.

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Eugen Drewermann prangert den tödlichen Fortschritt an

Die natürlichen Grundlagen der Erde sind durch die ungezügelte Vermehrung der Menschheit vor der Vernichtung bedroht. Die Urwälder und die letzten verbliebenen Naturreservate schrumpfen. Nur wenige Menschen äußern darüber Bedauern. Eugen Drewermann schreibt: „Wachstum ist das Mantra, mit dem unsere Politik heute alles zu lösen unternimmt, sowohl um Arbeitsplätze zu schaffen, als auch um Schulden abzubauen. Wachstum, auch als Druck der Bevölkerung durchaus gewollt, als Absatzmarkt, als Konsumentenwerbung. Wenn das so ist, haben die Tiere keine Chance mehr.“ Schon heute gibt es in Deutschland seiner Meinung nach zwischen den Alpen und dem Wattenmeer nichts mehr, was noch Natur wäre. Eugen Drewermann ist Theologe und Psychotherapeut. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen: „Strukturen des Bösen“, „Psychoanalyse und Moraltheologie“, „Tiefenpsychologie und Exegese“ sowie „Die sieben Tugenden.“

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