Johannes Böhm untersucht die Sitten der Deutschen

Das tiefere Empfinden einer deutschen Nation begann mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit für das deutsche Volk. Das dreibändige Werk „Omnium gentium mores, leges et ritus“, das 1520 erschien, gilt als eine der ersten modernen Überblicksdarstellungen zu Völkern auf der ganzen Welt. Und es erhält die erste ernsthafte Untersuchung zu den Sitten und Gebräuchen des „vierten Standes der Deutschen“. Helmut Walser Smith weiß: „Verfasst hat dieses Opus ein Deutschordensbruder namens Johannes Böhm.“ Dabei knüpfte er an die Renaissance der klassischen Literatur des 15. Jahrhunderts an, insbesondere an Lorenzo Vallas Übersetzung von Herodot ins Lateinische. Johannes Böhm übernahm Herodots Verständnis der Völker und orientierte sich an der Neugier seines antiken Vorbilds für Dinge wie Kleidung, Ernährung und Wohnung. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Die Reichsfürsten hatten kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat

Der Traum von der deutschen Nation ist älter als der deutsche Nationalstaat. Thea Dorn weiß: „Und diejenigen, die ihn träumten, waren mitnichten die deutschen Reichsfürsten.“ Im Gegenteil: Die Feudalherren im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation hatten wenig bis gar kein Interesse an einem deutschen Nationalstaat. Das Heilige Römische Reich deutscher Nationen hatte sich im 10. Jahrhundert unter der Dynastie der Ottonen herausgebildet und bestand auf dem Papier bis 1806. Den deutschen Reichsfürsten war viel mehr daran gelegen, unter dem Schutzmantel des Heiligen Römischen Reichs ihre lokale Macht auf den klein- und kleinstaatlichen Schollen zu erhalten. Der Träger und Verfechter des nationalen Gedankens in deutschen Landen war zuallererst das Bürgertum. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Die Frage: Was ist deutsch? ist schwer zu beantworten

Es gibt eine Frage, die endlos diskutiert wird und die lautet: „Was ist deutsch?“ Bis zum Jahr 1800 bezog sich die Antwort auf diese Frage in erster Linie auf die Sprache, nachdem die Reformation, im Gegensatz zur territorialen und konfessionellen Zersplitterung, das Deutsche als gemeinsame Sprache etabliert hatte. Jenseits dessen allerdings wurde es schnell diffus. Andreas Rödder ergänzt: „Und so wurde die Debatte über die deutsche „Identität“ zu einem Wesensmerkmal der deutschen Identität.“ „Redlich, rechtschaffen, unverstellt“ – in Johann Christoph Adelungs Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von 1811 wurden individuellen Charaktereigenschaften als Merkmale der Deutschen als Volk aufgeführt. Andreas Rödder zählt zu den profiliertesten deutschen Historikern und Intellektuellen. Seit 2005 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

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Die Naturverbundenheit der Bayern ist legendär

Der Stolz auf die Heimat, Freistaats-Patriotismus und die Verhaftung an Traditionen führen vornehmlich im Bundesland Bayern zu einem, man darf schon sagen, überaus „angemessenen Selbstbewusstsein“. Christian Schüle schreibt: „Der Bezug zur vermeintlichen Ewigkeit des eigenen Existierens lässt sich bis heute am ostentativen Sprachgebrauch des latinisierten Begriffs „Bavaria“ ablesen, als wäre man auf Augenhöhe mit dem längst untergegangenen Römischen Reich, das bekanntlich nur wenige ausgesuchte Volksgruppen überdauert haben.“ Das so geschichtsträchtige wie stolze Bayern ist jene deutsche Region mit dem stärksten Bewusstsein seiner eigenen Sichtbarmachung. In Bavaria übersetzt man den Begriff der Heimat bündig mit „Dahoam“ und meint nicht das Heim, sondern vor allem das „Da!“, nämlich: dort in Bayern. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Ab 1860 prägten die Liberalen die Entwicklung Wiens

Die österreichische Hauptstadt Wien war im Jahr 1860 eine aufblühende Stadt, das schnell gewachsene Zentrum einer Vielvölkermonarchie mit moderner Architektur und vielfältigem Kulturleben. Peter-André Alt erläutert: „Wirtschaftliche Macht, technischer Fortschritt und eine euphorische Gründerstimmung zogen Menschen aus allen Teilen des großen Kaiserreichs an.“ Die äußerliche Situation, die von Dynamik und Aufbruchswillen zeugte, verbarg jedoch, dass das Kaiserreich eine krisenhafte Phase durchlief. Seit Dezember 1848 regierte Franz Joseph I. im Zeichen eines Neoabsolutismus, der jegliche parlamentarische Kontrolle ausschloss und die Errungenschaften der Märzrevolution kassierte. Der Deutsche Bund gegen Preußen verkörperte eine immer instabilere Allianz, die 1866 aufgelöst wurde. Außenpolitisch war Österreich in den 1860er Jahren an die Grenzen seiner Expansionsfähigkeit gelangt. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Die deutsche Revolution hat eine neue Welt geschaffen

Die Einigung Deutschlands hat Europa verändert. Mit der spektakulären Niederlage Frankreichs und der Ausrufung eines geeinten deutschen Reiches im Spiegelsaal von Versailles im Januar 1871 war ein neuer Koloss in der Mitte Europas entstanden. Wo es vierhundert Jahre lang einen Flickenteppich von Kleinstaaten und noch sieben Jahre zuvor fast vierzig Einzelstaaten gegeben hatte, herrschte jetzt eine einzige Macht. Hans Kundnani erklärt: „Deutsche Macht und französische Schwäche erschütterten das europäische Gleichgewicht, das seit dem Ende der Napoleonischen Kriege bestanden und für Frieden in Europa gesorgt hatte.“ Der britische Premierminister Benjamin Disraeli erklärte in einer berühmt gewordenen Rede vor dem Unterhaus im Februar 1871, die „deutsche Revolution“ habe eine „neue Welt“ geschaffen. „Das Gleichgewicht der Macht ist völlig zerstört worden“, sagte er. Der Politikwissenschaftler Hans Kundnani ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund.

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Im 18. Jahrhundert beginnt die moderne Zeit

Das 18. Jahrhundert ist von den Zeitgenossen und später von Historikern als eine Epochenwende und als Beginn der modernen Zeit empfunden worden. Das Deutsche Reich war seit dem Dreißigjährigen Krieg in eine Vielzahl von kleinen und kleinsten Territorien zersplittert und war in seiner Form weit von einem modernen Staat entfernt. Neben über dreihundert souveränen Territorien gab es eine Fülle von halbautonomen Gebieten und Städten, die eine kaum zu entwirrende Parzellierung des Reichsgebietes bewirkt hatten. Die Reichsgewalt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation lag zwar bis zum Jahr 1806 beim deutschen Kaiser, sie war aber auf ganz wenige Rechte beschränkt und hatte eine mehr symbolische Bedeutung. Die wichtigen politischen Entscheidungen lagen bei den Territorialstaaten, die ihre Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, Landesverteidigung, Polizeigewalt und so weiter unabhängig von der Reichsgewalt ausübten.

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Der Kaiser wurde zum Symbol der neuen deutschen Nation

Mit der Gründung des Deutschen Reichs im Januar 1871 war das seit Beginn des Jahrhunderts offene Problem eines deutschen Nationalstaats mit dem Schwert gelöst worden. Alle anderen Anläufe, insbesondere der bürgerlich-revolutionäre Versuch von 1848/49 waren vorher gescheitert. Ulrich Herbert erläutert: „Das Reich war von Fürsten, Beamten und Militärs geschaffen worden, nicht von Bürgern, Bauern oder Arbeitern. Das spiegelte sich in Verfassung und politischer Struktur ebenso wider wie in den gesellschaftlichen Rangordnungen.“ Das politische Herrschaftssystem basierte auf vier Verfassungsorganen: Kaiser, Kanzler, Reichstag und Bundesrat. Das Parteiensystem setzte sich aus fünf relativ stabilen Parteirichtungen zusammen: Konservative, Nationalliberale, Linksliberale, Zentrum und Sozialdemokratie. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Die Reichsgründung 1871 ist die Geburt einer verspäteten Nation

Mit der Reichsgründung von 1871 holten die Deutschen nach, was in Westeuropa sich schon einige Zeit früher und unter anderen Bedingungen vollzogen hatte: die Verwirklichung eines Nationalstaates. Das Deutsche Reich von 1871 war, im Sinne der demokratischen Idee der nationalen Selbstbestimmung der europäischen Völker, kein reiner Nationalstaat. Er war auch kein ausgeprägter Verfassungsstaat im Sinne der konstitutionellen Selbstbestimmung. Aber zur Zeit seiner Entstehung war das Deutsche Reich außenpolitisch die naheliegende und realistische Form, die sogenannte deutsche Frage zu lösen. Nur die kleindeutsche Lösung war mit den Interessen der übrigen Staaten in Europa eben noch zu vereinbaren. Die Alternative eines alle Deutschen umfassenden demokratisch-republikanischen Einheitsstaates oder einer großdeutschen Föderation war zur damaligen Zeit nicht zu verwirklichen. Nur das Bündnis der geschwächten Nationalbewegung mit der nationalen Führungsmacht Preußen, versprach noch die Realisierung der nationalen Einheit.

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