Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der Flüchtlinge

Seit Jahrzehnten sind die Wohlfahrtsstaaten Europas an die Aufnahme größerer Flüchtlingsscharen in den eigens dafür geschaffenen Asylsystemen gewöhnt. Die Öffentlichkeit begreift das als eine moderne Form der Armenfürsorge, die nicht, wie es früher die Regel war, nur den eigenen Staatsbürgern zuteil wird, sondern Hilfsbedürftigen aus fernen Ländern und Kulturen. Hans-Peter Klein blickt zurück: „Im ersten Vierteljahrhundert der noch jungen Bundesrepublik galt die Asylpolitik lange als ein Problem von drittklassiger Dringlichkeit. Seit Mitte der 1970er Jahre lässt sich ein wachsender Andrang von Flüchtlingen beobachten. 1976 lag die Zahl der Asylbewerber bei 57.000. Zehn Jahre später waren es rund 100.000.“ Das Thema rückte damals auf der politischen Agenda nach oben, wurde dann aber von einem anderen Vorgang verdrängt, der alle Aufmerksamkeit auf sich zog: von der Wiedervereinigung. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

Weiterlesen

Ulrich Schnabel untersucht den Unterschied zwischen Mitleid und Mitgefühl

Psychologen machen einen Unterschied zwischen den Begriffen „Mitleid“ und „Mitgefühl“. Das reine Mitleid ist dabei jene Art von teilnahmsvollen Kummer, die sich auf eine Zuschauerrolle beschränkt, passiv bleibt und einen sicheren emotionalen Abstand wahrt – es entspricht also jener Haltung, die die meisten Menschen zum Beispiel gegenüber Obdachlosen einnehmen. Ulrich Schnabel ergänzt: „Man fühlt sich betroffen, hat eventuell auch ein schlechtes Gewissen, spürt aber nicht den Antrieb oder hat nicht die nötigen Mittel, einzugreifen und die Situation des anderen substanziell zu verbessern.“ Anders hingegen ist es beim Mitgefühl, das mit der Bereitschaft einhergeht, sich persönlich zu engagieren – was zum beispielsweise der Fall ist, wenn ein naher Verwandter obdachlos wird. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Die heilende Effekte des Mitgefühls sind ziemlich unerforscht

Das Mitgefühl hilft dem Einzelnen, akute Belastungen und Anforderungen besser zu meistern, und macht ihn psychisch robuster. Er ist resistenter gegen Stress und andere damit zusammenhängende Krankheiten. Werner Bartens fügt hinzu: „Auch chronische Schmerzen, multiple Sklerose, Depressionen und sogar Krebs können gelindert werden, wenn die Erkrankten besonders achtsam und mitfühlend mit sich selbst und anderen umgehen, auch wenn die genauen Hintergründe für diese heilenden Effekte noch unklar sind.“ Stress hingegen beeinträchtigt die Fähigkeit des Menschen hingegen enorm, sich in andere einzufühlen, und er vermindert die Resonanz, das heißt die Fähigkeit, emotional mit anderen mitzuschwingen. Akuten Problemen begegnet der menschliche Organismus zwar meist angemessen. Ist die Lage jedoch chronisch schwierig, kann man den Körper vergessen. Werner Bartens ist Autor von Bestsellern wie „Das Ärztehasser-Buch“, „Körperglück“ und „Was Paare zusammenhält“.

Weiterlesen

Der Krieg in der Ukraine ist ein Vorbote künftiger Krisen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird klar, dass der von 1947 bis 1989 andauernde „Kalte Krieg“ wie ein gigantisches Kühlhaus wirkte, das viele der politischen Leidenschaften, die vorher in Europas Bevölkerungen vorherrschten, tiefgefroren hat. Micha Brumlik ergänzt: „Seit 1989 herrscht Tauwetter, in dem Nationalismen wie Zombies wiederauferstehen. Jeder Blick in die Medien bestätigt die Aktualität dessen, was abwertend als „Nationalismus“ und wohlwollend als „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ bezeichnet wird.“ Davon zeugen nicht nur die Euroskeptiker in den politischen Parteien, sondern vor allem die Unabhängigkeitsbewegungen der Katalanen, der Schotten, der Flamen sowie der Basken. Vor allem aber der Krieg in der Ukraine macht dies mehr als deutlich. Micha Brumlik ist emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main sowie Publizist.

Weiterlesen

Francis Bacon erkennt im Reichtum keine wirklichen Nutzen

Francis Bacon kann den Reichtum nicht besser definieren als das Gepäck der Tugend. Großer Reichtum hat für den englischen Philosophen und Staatsmann, dessen Schriften maßgeblich zur Begründung des Empirismus beitrugen, keinen wirklichen Nutzen, es sei denn man würde ihn verschenken. Ansonsten dient er seiner Meinung nach nur der eigenen Vergötterung. Francis Bacon schreibt: „Kein Mensch kann den wahren Umfang großer Reichtümer je ganz ermessen; er kann sie höchstens bewahren oder verteilen oder sich des Ruhmes freuen, die sie ihm verleihen, aber sie haben keinen praktischen Nutzen für den Eigentümer.“ Francis Bacon gibt zu, dass man einwenden könnte, der Reichtum könnte dazu dienen, Menschen aus Gefahren und Schwierigkeiten zu befreien. Für ihn allerdings gilt mit Sicherheit, dass große Reichtümer mehr Menschen versklavt als befreit haben.

Weiterlesen

Schon die mittelalterlichen Städte regierten Stadträte

Durch ihre Sozialstruktur unterschied sich die mittelalterliche Stadt sehr deutlich von ihrer ländlichen Umgebung. Ein gegenseitiger Friedensschwur verband die Bürger zu einer Eidgenossenschaft auf der Basis gleicher Rechte und Pflichten. Eine eigene Gerichtsbarkeit, das Recht Steuern einzuziehen, die Stadt durch Befestigung und Wehrpflicht der Bürger zu schützen, waren bedeutende Schritte zur Befreiung der Städte vor landesherrlichem Zugriff. Das galt auch für die Verwaltung, die in den Städten Oberitaliens ab etwa dem Jahr 1100 von gewählten Konsuln geleitet wurde, woraus sich in Deutschland rund 100 Jahre später die Stadträte entwickelten. Diesem Gremium konnten nur Männer von Umsicht, gutem Ruf und einigem Vermögen angehören. Meist waren es Fernhändler, mit deren Hilfe zum Beispiel Heinrich der Löwe die Neugründung Lübecks vollzog und ihr das Soester und somit Kölner Stadtrecht verlieh.

Weiterlesen

Wolfgang Hetzer untersucht die Überproduktion im Kapitalismus

Die Entwicklung des Kapitalismus ist in den letzten 180 Jahren krisenhaft verlaufen. Nach wie vor ist es allerdings unter Ökonomen umstritten, wodurch diese Krisen verursacht wurden. Bei einer Wirtschaftskrise handelt es sich laut Wolfgang Hetzer um eine schwere Störung der ökonomischen Produktion einer Gesellschaft. Das bedeutet seiner Meinung nach nichts anderes, als dass ein großer Teil der produzierten Warenmenge nicht absetzbar ist, weil kein zahlungsfähiges Bedürfnis vorhanden ist. Wolfgang Hetzer erklärt: „Das Warenkapital lässt sich also nicht mehr vollständig in Geldkapital verwandeln. Das vorgeschossene Kapital wird immer schlechter verwertet. Die Akkumulation nimmt ab.“ Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

Weiterlesen

Die sieben Kriterien für ein gutes Konjunkturprogramm

Ein gut konzipiertes Konjunkturprogramm sollte laut Joseph Stiglitz sieben Kriterien erfüllen. Erstens sollte es schnell wirksam werden. Seiner Meinung darf man in Krisenzeiten nicht warten, sonder muss sehr schnell Kapital in die Wirtschaft pumpen, damit es nicht Monate dauert, bevor die wirtschaftspolitischen Maßnahmen greifen. Zweitens sollte es wirksam sein. Wirksamkeit bedeutet für Joseph Stiglitz, dass jeder ausgegebene Dollar oder Euro die Beschäftigung und die Produktion einer Volkswirtschaft stark erhöhen sollte. Der Betrag, um den sich das Nationaleinkommen für jeden ausgegebenen Dollar erhöht, heißt Multiplikator. Joseph Stiglitz erläutert: „Im Durchschnitt beträgt der kurzfristige Multiplikator für die US-Wirtschaft etwa 1,5. Wenn die Regierung heute eine Milliarde Dollar ausgibt, wird sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 1,5 Milliarden Dollar erhöhen.“

Weiterlesen

Eine Milliarde Menschen haben kein sauberes Wasser

Wasser bedeutet Leben. Kein anderer Rohstoff ist so wichtig für das Überleben eines Menschen wie das Wasser. Dennoch wird es misshandelt und verschwendet. Deshalb nimmt die Knappheit der lebenswichtigen Ressource überall auf der Welt zu. Die geringen Süßwasserreserven der Erde werden erbarmungslos ausgebeutet und verunreinigt. Obwohl rund 75 Prozent des Planeten mit Wasser bedeckt sind, beträgt der Süßwasseranteil nur ein Prozent! 70 Prozent davon werden von der Landwirtschaft verbraucht, 20 Prozent von der Industrie. Das unheilvolle Duo gilt auch als weltweit größter Wasserverschmutzer. Nur zehn Prozent der Wasserreserven verbrauchen die privaten Haushalte.

Weiterlesen

Hartz IV soll ein menschenwürdiges Leben sichern

Der kommissarische Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, fordert, dass Politiker damit aufhören müssen, Hilfsbedürftige, die von Hartz IV leben, pauschal zu verdächtigen. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV geht hervor, dass der Sozialstaat eine Grundsicherung für alle Bürgerinnen und Bürger zu organisieren habe, sodass ihnen ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert ist. Für Nikolaus Schneider ist die Menschenwürde der zentrale Orientierungsgedanke für alles rechtliche und staatliche Handeln in Deutschland. Zur Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums ist eine materielle Basis notwendig.

Weiterlesen

Julian Baggini: "Ist Altruismus ein Mittel zur Selbsthilfe?"

Der Motivationstrainer Zig Ziglar prägte den Ausspruch, dass der Mensch alles im Leben erreichen kann, was er will, wer er nur genügend anderen Leuten hilft zu erreichen, was diese haben wollen. Indem der Mensch anderen Menschen hilft, kann er seine eigenen Sorgen, die seine Existenz einengen, vorübergehend vergessen und hat zusätzlich an einem größeren Wohl teil. Wenn also die Hilfe für andere primär dem eigenen Leben einen Sinn verleiht, ist sie dann nicht lediglich ein Mittel zur Selbsthilfe? Das ist die Frage, die der Philosoph Julian Baggini sich stellt. Viele Menschen haben also das Gefühl, dass ihr Leben sinnvoll ist, wenn sie anderen Menschen helfen.

Weiterlesen