In Europa konkurrieren viele verschiedene Identitäten miteinander

Andreas Wirsching zweifelt daran, dass sich die Frage nach einer europäischen Identität überhaupt sinnvoll beantworten lässt. Für ihn ist allzu offenkundig, dass es in Europa zumindest viele und miteinander konkurrierende Identitäten gibt und dass sich diese Identitäten seit dem Ende des Kommunismus nachhaltig gewandelt haben. Andreas Wirsching ergänzt: „Überdies scheint auch die kulturelle Identifikation der Bürger in Europa mit ihrem Kontinent noch nicht soweit vorangeschritten zu sein, dass sich ohne weiteres ein Gemeinschaftsgefühl, europäischer Zugehörigkeit, geschweige denn von Öffentlichkeit sprechen ließe.“ Andreas Wirsching ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen „Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert“ und „Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit.“

Weiterlesen

Wie aus Deutschland eine Tugendrepublik geworden ist

Der Journalist Harald Martenstein vertritt die These, dass der Glaube an das aufgezwungene Gute mit der Hilfe von Gesetzen, Verordnungen und Überwachung durch die modernen Medien einen Terror der Tugend erschafft. Jede Gesellschaft hat Normen, Vorstellungen von Moral, Ideen von Gut und Böse. Gleichzeitig hat es laut Harald Martenstein noch nie eine Gesellschaft gegeben, in der sich alle ständig an diese Normen gehalten hätten. Das vermutet jeder, und jede Gesellschaft akzeptiert dies bis zu einem gewissen Grad. Harald Martenstein fügt hinzu: „Moralische Normen und Gesetze können nämlich keine perfekten Menschen aus uns machen. Sie verhindern lediglich durch Sanktionen, zu denen auch der Gesichtsverlust und die Blamage gehören, dass allzu viele allzu sehr über die Stränge schlagen.“

Weiterlesen

Hermann Hesse liebt als einzige Tugend den Eigensinn

Für Hermann Hesse gibt es nur eine einzige Tugend, die er sehr liebt. Sie heißt Eigensinn. Von den anderen Tugenden hält der weltberühmte Schriftsteller nicht viel. Hermann Hesse nennt den Grund dafür: „Und doch könnte man alle die vielen Tugenden, die der Mensch sich erfunden hat, mit einem einzigen Namen umfassen. Tugend ist: Gehorsam.“ Es stellt sich nur die Frage, wem der Mensch gehorchen soll. Denn selbst der Eigensinn ist für Hermann Hesse, der 1946 den Nobelpreis für Literatur erhielt, nichts anderes als Gehorsamkeit. Der Eigensinn gehorcht allerdings einem anderen Gesetz, einem einzigen, unbedingt heiligen, dem Gesetz in sich selbst, dem Gesetz des Eigenen, während alle anderen mensachlichen Tugenden Gehorsam gegenüber Gesetzen sind, die von anderen Menschen erlassen wurden.

Weiterlesen

Die Systeme des Empirismus und des Rationalismus

Die englische und französische Philosophie der Aufklärung war laut Herbert Schnädelbach, der vor seiner Emeritierung Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin war, wesentlich durch den Empirismus geprägt, das heißt durch die Überzeugung, dass ausschließlich unsere sinnliche Erfahrung die Grundlage und den Inhalt des Wissens bereitstellt. Herbert Schnädelbach fügt hinzu: „Dies richtete sich gegen den Rationalismus der Cartesianer, die in den erfahrungsabhängigen, „eingeborenen“ Vorstellungen der Vernunft das Fundament aufzufinden meinten, auf dem man ein System des Wissens nach dem Vorbild der euklidischen Geometrie aufbauen könne.“ Dass dieses Vorhaben auf empirischer Basis nicht umsetzbar war, darin stimmten Rationalisten und Empiristen überein.

Weiterlesen

Eine Gesellschaft braucht Abweichler und Auffaller

Viele unterschiedliche Begabungen in einem Gesellschaftssystem erhöhen die Chance, dass ein Mensch dabei ist, der eine Antwort auf die aus der oder in der Zukunft kommenden neuen Fragestellungen hat. Markus Hengstschläger schreibt: „Man muss die Verschiedenartigkeit, die Individualität fördern und fordern, weil „gleichgeschaltet“ bedeutet, dass die Varianz unserer Antworten gering ist.“ Auf die Frage, woher der Durchschnitt eigentlich herkommt, antwortet Markus Hengstschläger, dass der Durchschnitt bereits erzielte Erfahrungswerte voraussetzt, ansonsten aber nicht bestimmbar ist. Mit 16 Jahren war Markus Hengstschläger als Punk unterwegs. Mit 24 Jahren promovierte er zum Doktor der Genetik und 35-jährig zum jüngsten Universitätsprofessor für Medizinische Genetik berufen.

Weiterlesen

Ein Skandal muss nicht zum Verfall der Sitten führen

Skandale können laut Professor Dr. Ingo Pies, der Wirtschaftsethik an der Universität Halle-Wittenberg lehrt, gesellschaftliche Lernprozesse fördern und dazu beitragen, dass sich das Zusammenleben der Bürger verbessert. Skandale können seiner Meinung nach aber auch zu unnötigen persönlichen Verletzungen führen oder gesellschaftlichen Blockaden im Denken und Handeln zementieren. Professor Dr. Ingo Pies hat einige Thesen aufgestellt, die dazu beitragen sollen, den gesellschaftlichen Umgang mit Skandalen zu kultivieren. Seine erste These lautet: „Skandale sind nicht mit Sittenverfall gleichzusetzen. Das Gegenteil ist richtig. Eine Skandaliserung kommuniziert im Modus öffentlicher Entrüstung, dass eine bestimmte Norm unnötigerweise verletzt wurde. Auf diese Weise trägt der Skandal zur kollektiven Selbstvergewisserung bei, dass die Norm weiterhin Geltung haben soll.“

Weiterlesen

Die Kriterien der Zumutbarkeit von Nebenwirkungen

Für den Philosophen Robert Spaemann stellen moderne Technologien auf physikalischem und biologischem Gebiet, insbesondere die Atomspaltung und die genetische Manipulation, moralische Probleme dar. Deren Lösung mit traditionellen philosophischen und theologischen Argumenten kann seiner Meinung nach nur gelingen, wenn man sie in ihren abstraktesten und allgemeinsten Formen heranzieht. Robert Spaemann schreibt: „Das gilt insbesondere dort, wo die moralischen Probleme sich mit den politisch-rechtlichen überschneiden, das heißt mit der Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates für die möglichen Folgen und Nebenfolgen der Anwendung dieser Technologien.“ Er liegt zufolge von Robert Spaemann im Wesen menschlicher Handlungen, dass sie Nebenwirkungen hervorbringen und Handeln auf Zwecke ausgerichtet ist.

Weiterlesen

Verzweifelte Eltern zittern um die Karrieren ihrer Kinder

Ehrgeizige Eltern befürchten, dass selbst ein Bachelor nicht mehr für einen guten Job reicht. Sie klagen, dass es in Deutschland nicht genügend Master-Studiengänge gibt. Die Sorgen der Eltern beginnen oft schon bei der Auswahl des richtigen Kita-Platzes. Es folgt die Suche nach der passenden Grundschule und einem angesehenen Gymnasium. Meist befinden sie sich zwischen Hoffen und Bangen, das richtige Plätzchen für ihren Nachwuchs zu ergattern. Viele Eltern, die immer nur das Beste wollen, haben Angst, sind nervös und angespannt, wenn es um die Ausbildung ihrer Kinder geht. In England hat der Soziologe Frank Furedi von der University of Kent für dieses Elternverhalten den Ausdruck „Paranoid Parenting“ geprägt.

Weiterlesen

Jürgen Habermas nennt die Schuldigen der Europakrise

Der weltberühmte deutsche Philosoph Jürgen Habermas ist der festen Überzeugung, dass Europa eine gemeinsame Sozialpolitik braucht. Er fordert eine wohlfahrtsstaatliche Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Euro-Zone herzustellen und lehnt sich dabei an den Artikel 106 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland an. Erst dann kann sich laut Jürgen Habermas ein europäisches Bürgerbewusstsein bilden, das zugleich der Ausdruck einer europaweiten staatsbürgerlichen Solidarität wäre. Für ihn ist die gegenwärtige Krise weniger eine ökonomische als vielmehr ein normatives Versagen. Er klagt an: „Europa versagt vor dem demokratischen Pensum, das es seinem Begriff nach zu leisten hat.“ Seine Kritik richtet sich dabei sowohl gegen die politischen Eliten, das Bundesverfassungsgericht als auch gegen die Medien.

Weiterlesen

Harry Gordon Frankfurt – Willensfreiheit und Liebe

Harry Gordon Frankfurt bezeichnet einen Menschen, der frei ist, so zu handeln, wie er es will als handlungsfrei und denjenigen, der darüber hinaus frei ist, zu wollen, was er wollen will, als willensfrei. Kleine Kinder, Tiere aber auch manche Erwachsene gelten nicht als willensfrei, weil sie moralisch nicht für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können. Er lehnt zwei weit verbreitete Auffassungen über die Willensfreiheit ab: erstens die Auffassung, dass ein Mensch nur dann frei gehandelt hat, wenn er anders hätte handeln können und zweitens, dass ihm Verantwortung für sein Handeln zukommt, wenn er zwischen mehreren Möglichkeiten wählen kann. Anders handeln zu können, stellt für Harry Gordon Frankfurt keine notwenige Bedingung für die Freiheit des Willens dar.

Weiterlesen