Das Grundgesetz hat Deutschland ganz wesentlich geeint

Pluralistische Gesellschaften, wie die deutsche, werden nicht mehr vorrangig durch gemeinsame Tradition, Religion oder Kultur zusammengehalten. Hans-Jürgen Papier weiß: „Sie finden stattdessen in der Anerkennung der Verfassung, ihrer Werteordnung und des demokratisch gesetzten Rechts ihre verbindende Grundlage. Auf sie kann sich die Mehrheit der Bevölkerung beziehen, genau wie es die Minderheiten können.“ Für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich sagen, dass das Grundgesetz die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte ganz wesentlich geeint hat. Es hat die Freiheiten definiert und Verfahrensweisen vorgegeben, die es Politik und Gesetzgebung ermöglichen, den sozialen Konsens im Abgleich mit den zivilgesellschaftlichen Diskursen weitgehend offen zu gestalten. Auch heute noch erweist sich die deutsche Verfassung als tragfähiges Gebäude mit den Grundrechten als stützende Pfeiler. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Es gibt viele Spielarten des Rassismus

Der Begriff „Rassismus“ ist für viele in Deutschland ein rotes Tuch für den gerne extremistische Menschen verantwortlich gemacht werden. Man redet nicht gerne darüber, weil viele ihn mit den Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus assoziieren. Hadija Haruna-Oelker weiß: „Doch finden sich rassistische Menschen, Strukturen und Sprache bis heute in unserer Mitte. Rassismus zeichnet sich durch seine Permanenz, Vielgestaltigkeit und Widersprüchlichkeit aus.“ Nach dem Soziologen Robert Miles machte man mit dem Rassismus-Begriff erstmals auf die rassistischen Vorgänge im 18. und 19. Jahrhundert aufmerksam. Das damalige Europa war das Zentrum in der Entstehung rassistischer Ideologie. Er etablierte sich als europäische Denktradition unter dem Schirm der Wissenschaft. Hadija Haruna-Oelker lebt als Autorin, Redakteurin und Moderatorin in Frankfurt am Main. Hauptsächlich arbeitet sie für den Hessischen Rundfunkt.

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Deutschland war einst eine „Kulturnation“

Thea Dorn beschäftigt das gemeinsame Erbe der „Reue“, das der Nationalsozialismus und der Holocaust den Deutschen hinterlassen haben. Sie geht der Frage nach, worin das gemeinsame Erbe des „Ruhms“ für die Deutschen liegen könnte. Herfried Münkler hat sich in seinem Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“ ausführlich mit dem schwierigen Thema befasst. Bei sämtlichen Mythen kommt er zu dem Ergebnis, dass sie für Zwecke der heutigen deutschen Selbstverständigung nicht mehr zu brauchen sind. Der aus Thea Dorns Sicht wichtigste und fruchtbarste Mythos der deutschen Geschichte war der, eine „Kulturnation“ zu sein. Unter Kultur versteht sie sie in engem Sinne das Musische, das Geistige und das Künstlerische. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Der Faschismus war totalitär

Der Aufstieg politischer Regime mit dem Anspruch, das gesamte Leben der Bürger uneingeschränkt zu bestimmen und zu kontrollieren, zählt zu den bemerkenswertesten Kennzeichen des 20. Jahrhunderts. Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini schrieb im Jahr 1932: „Alles ist im Staat beschlossen und nichts Menschliches oder Geistiges existiert außerhalb des Staates.“ In dieser Hinsicht erklärte er, sei der Faschismus totalitär. Der faschistische Staat dominiere als die Summe und Einheit aller Werte die Gesamtheit des Lebens. Christopher Clark stellt fest: „Liberale Kritiker des italienischen Regimes erkannten schon bald die Ähnlichkeiten zwischen Mussolinis System und dem kommunistischen Regime in Russland.“ Amerikanische Politologen erkannten bei der Betrachtung der neuen europäischen Regime – seien sie stalinistisch, faschistisch oder nationalsozialistisch – eine qualitativ neue Form der Politik. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

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Das Böse ist eine spezielle Form der Blindheit

Es gibt das konzentrierte Bestreben zur Nivellierung der Urteilskraft und damit auch die Gleichmachung jeder Individualität. Dies geschieht im Namen eines stets werthaft überhöhten und letztlich anonymen Kollektivs. Das nennt Ayn Rand nun im eigentlichen Sinne „böse“. Wolfram Eilenberger erklärt: „Denn es ist aus ihrer Sicht ein Streben, das sich mit destruktivster sozialer Macht gegen all das wendet, was unsere Lebensform eigentlich gelingend und lebenswert macht.“ Das Böse ist also nicht eine metaphysische Kraft, ein transzendentes Prinzip oder ein ewiges „Nein“. Sondern es ist eine von anderen Menschen gezielt erzeugte und erwünschte Unfähigkeit, relevante Unterschiede auch als solche zu erkennen und vor allem anzuerkennen. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

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Ohne Mündigkeit droht die Entmenschlichung

Ulf Poschardt klagt an: „In der Erziehung kommt der mündige Einzelne zu kurz.“ Auch das versteht Theodor W. Adorno als etwas sehr Deutsches. In der Bildung scheinen Autonomie und Mündigkeit oft das Ideal zu sein. Aber zu oft sind Autorität und Bindung die Realität. Mündigkeit durch Bildung lässt sich nur in einer freien Gesellschaft vermitteln. Theodor W. Adorno versteht Bildung auch als eine Art Immunisierung gegen den Drang zum Kollektiv. Denn beim Aufgehen in einem Kollektiv kommt es zum Verlust der Mündigkeit und Autonomie. Theodor W. Adorno schreibt: „Menschen, die blind in Kollektive sich einordnen, machen sich selbst schon zu etwas mit Material, löschen sich als selbstbestimmte Wesen aus.“ Ohne Mündigkeit droht die Entmenschlichung. Für Ayn Rand war das Individuum „the smallest minority on earth“. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Die Autoritären sehnen sich nach Stärke

Die Wähler von rechtspopulistischen Parteien hegen eine besondere Faszination für autokratische Führungspersönlichkeiten. Dazu zählt Philipp Hübl den Russen Wladimir Putin, den Ungarn Viktor Orbán und den Türken Recep Tayyip Erdoğan. Die Alternative für Deutschland (AfD) lehnt zwar den Internationalismus und damit oft auch den Amerikanismus ab. Sie bewundert aber gleichzeitig Donald Trump für sein autoritäres Auftreten. Einige Forscher beobachten bei den Neuen Rechten eine heimliche Eifersucht gegenüber den islamisch regierten Ländern. Diese sind zwar ihre erklärten Feinde, aber mit ihrer streng patriarchalischen Gesellschaftsform haben sie dennoch eine Vorbildfunktion inne. Die Autoritären sehnen sich nicht nur nach einem starken Herrscher, sondern auch nach einer starken eigenen Nation. Diese sollte auf jeden Fall internationale Bedeutung haben. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Der Autoritarismus war in Deutschland immer da

Die AfD sitzt heute als drittstärkste Partei im Deutschen Bundestag und ist in allen deutschen Landtagen vertreten. Trotz aller Wahlerfolge der Rechten haben die rechtsautoritären Haltungen in der deutschen Gesellschaft insgesamt abgenommen. In den USA bevorzugen 22 Prozent der erwachsenen Bürger einen politischen Führer, der ohne Parlament und ohne die Intervention von Gerichten regieren kann. In Deutschland teilen nur sechs Prozent diese Meinung. Noch im Jahr 1967 gab die Hälfte der Deutschen an, dass der Nationalsozialismus im Grunde eine gute Idee gewesen sei. Herbert Renz-Polster ergänzt: „In den 1960er Jahren saß die NPD in sieben von zehn Landesparlamenten.“ Selbst in der Mitte der Gesellschaft waren damals autoritäre und selbst rassistische Haltungen noch immer gang und gäbe. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

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Der Krieg legitimierte alles

Der Krieg war das ureigenste Moment des Nationalsozialismus. Die Abwägung von Interessen, die schwierige Organisation einer vielgestaltigen modernen Industriegesellschaft, die Verwaltung des Mangels, der Ausgleich von Widersprüchen – das alles schien nun obsolet. Ulrich Herbert erklärt: „Fortan ging es nur noch um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Untergang. Das vereinfachte alles und legitimierte alles. Ethische Normen, geschriebene Gesetze, internationale Verpflichtungen konnte man fortan ignorieren, wenn es nur dem Sieg diente.“ Auch jenseits des Militärischen unterschied sich dieser Krieg von allen bisherigen. Schon vor dem Einmarsch in Polen hatte Adolf Hitler betont, es gehe gar nicht um Danzig: „Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraums im Osten.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Die deutsche Arbeiterklasse leistete keinen Widerstand gegen den Faschismus

Am 13. März 1933 wurde über dem Frankfurter Rathaus die Hakenkreuzfahne gehisst. Am selben Tag schloss die Polizei das Institut für Sozialforschung. Lediglich zwei Jahre nach der Antrittsvorlesung Max Horkheimers, in welcher er die multidisziplinäre Ausrichtung der Arbeit am Institut dargelegt hatte, aus der sich die Kritische Theorie entwickeln sollte, wurden er und seine Institutskollegen ins Exil gezwungen. Stuart Jeffries stellt fest: „Erich Fromms Ergebnis seiner Forschungen über die deutsche Arbeiterklasse hatte sich bestätigt: Was den Widerstand gegen Adolf Hitler betraf, war mit den deutschen Arbeitern nicht zu rechnen.“ Warum hatte der Faschismus in Deutschland triumphiert? An Theorien dazu gab es keinen Mangel, und tatsächlich sollte die Frage zu einer tiefen Spaltung der Frankfurter Schule führen. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

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Die deutsche Politik war immer von Angst geprägt

Frank Biess erzählt in seinem Buch „Republik der Angst“ die Geschichte der Bundesrepublik als eine Epoche kollektiver Ängste. Dazu zählt er die Furcht vor der Vergeltung in der unmittelbaren Nachkriegszeit, die Angst vor einem Atomkrieg und kommunistischer Infiltration in den fünfziger Jahren, vor Arbeitslosigkeit durch Automatisierung und autoritären politischen Tendenzen. Schließlich die apokalyptischen Befürchtungen der achtziger Jahre: Immer waren die politischen Debatten und die deutsche Politik von Angst geprägt, nicht zuletzt von der vermeintlichen Allgegenwart der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die gewaltsamen Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten also die Vorstellungen der Deutschen von der Zukunft. Die darin enthaltenen Ängste waren Ausdruck eines geschärften Bewusstseins für die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften. Frank Biess ist Professor für Europäische Geschichte an der University of California, San Diego.

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Die Hetze gegen die Juden begann schon vor 1933

Die Nationalsozialisten hatten schon in den Jahren vor der Machtübernahme 1933 keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die kleine jüdische Minderheit in Deutschland für einen Großteil aller Probleme verantwortlich machten, denen sich die Deutschen gegenübersahen. Zwar hatte die NSDAP-Führung die Zahl der extrem judenfeindlichen Ausfälle in den Wahlkämpfen der Jahre 1930 bis 1933 etwas reduziert, um auch Wähler über die antisemitisch Eingestellten hinaus zu gewinnen.“ Ulrich Herbert fügt hinzu: „Aber es war doch für jedermann offensichtlich, dass wer die Hitlerpartei wählte oder mit ihr sympathisierte, damit die am stärksten antijüdische Gruppierung unterstützte, die in Deutschland je aufgetreten ist.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Die Moderne erinnert an einen Marsch in die Knechtschaft

In seinem neuen Buch „Traurige Moderne“ erkennt Emmanuel Todd in den Familienstrukturen den unbewussten Motor der Geschichte. Von dieser Beurteilung aus erzählt er die Geschichte der Menschheit neu: Vom frühen Homo sapiens, der in Kleinfamilien lebte, über die großen Kulturen des Altertums mit ihren immer komplexeren Großfamilien bis zur Rückkehr des Homo americanus zur Kernfamilie der Steinzeit. Emmanuel Todd zeigt, wie sich seit der Steinzeit unterschiedliche Familiensysteme verbreitet haben, die bis heute die Mentalitäten der Menschen zutiefst prägen. Er beschreibt die Dynamik der amerikanischen Gesellschaft mit ihren primitiven Kleinfamilien und die Unbeweglichkeit von Kulturen mit hochkomplexen patriarchalischen Großfamilien, und er erklärt den europäischen Konflikt zwischen einer deutschen Stammfamiliengesellschaft und Gebieten mit egalitären Familienstrukturen. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

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Georg Baselitz zählt zu den erfolgreichsten Künstlern der Welt

Deutschland beschäftigt sich mit wenigen Künstlern so eingehend wie mit Georg Baselitz. Museen widmen ihm wie jetzt 2016 in Frankfurt am Main, große Ausstellungen. Und doch hat Georg Baselitz gegenüber Deutschland ein tief sitzendes Unsicherheitsgefühl. Sogar Angst, eine geradezu physische Angst. Er traut diesem Land nicht, er traut dem Frieden nicht. Georg Baselitz sagt: „Ich habe Angst vor der Politik, die mir nicht behagt. Ich habe zwei Gesellschaftsordnungen hinter mir gelassen, den Nationalsozialismus, dann den Sozialismus beziehungsweise Kommunismus. Und die deutsche Neigung sich einzumischen in das Leben der Menschen, ist im Moment wieder sehr groß.“ Georg Baselitz hat einfach Angst vor einem Polizeistaat. Manchmal macht der Staat auf ihn einen sehr schwachen Eindruck, aber wenn es darauf ankommt, dann ist er das nicht.

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Mit dem Staunen beginnt für Platon die Philosophie

Aus der Vergangenheit sind fast nur Zeiten bekannt, in denen das Fragen nicht gern gesehen war. Das gilt auch heute noch für viele Gegenden auf der Welt. Wer zu den Zeiten des Nationalsozialismus und Stalinismus oder in den Diktaturen der Gegenwart viel fragt, riskiert sein Leben. In den entwickelten Sphären der Gegenwart dagegen scheint das Fragen angesagt zu sein. Wilhelm Berger nennt Beispiele: „Keine Talkshow, in der nicht oberflächlich informierte Moderatoren ihre Gäste mit Fragen bedrängen. In sogenannten Kreativkonferenzen werden Fragen aufgeworfen und in innerhalb von Minutenfrist beantwortet: Alles ist möglich, man muss es nur wollen. Die Lehrer wollen Fragen provozieren. Die Quizmaster fragen, die Soziologen fragen.“ Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Einzelinteressen und Gemeinwohl müssen einen Ausgleich finden

Was die meisten Menschen unter der sogenannten westlicher Demokratie verstehen ist laut Ernst Fraenkel weitgehend durch eine Angleichung englischen und französischen Staatsdenkens und staatlicher Institutionen der beiden Länder zustande gekommen. Das Bekenntnis zu einer solchen Form von Demokratie erfordert gleichermaßen die Anerkennung der Befugnisse der Bürger, ihre Interessen frei und ungehindert vertreten zu können, wie die Achtung der Rechte der Gesamtheit, den Vorrang des Gemeinwohls gegenüber allen Interessengruppen durchzusetzen. Ernst Fraenkel schreibt: „Die Aufdeckung der dialektischen Spannung zwischen Interessenpräsentation und volonté générale, das niemals endende Bemühen, mittels freier und offener Auseinandersetzungen einen Ausgleich zwischen diesen beiden Prinzipien herzustellen, bildet eines der kennzeichnenden Merkmale der westlichen Demokratie.“

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Die Frauenbewegung ist die größte Revolution der Menschheit

Die ungarische Philosophin Agnes Heller, die zu den bedeutendsten Philosophinnen des 20. und 21. Jahrhunderts zählt, konnte man zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens zu etwas zwingen. Auch wenn sie schlechte Dinge getan hat, hat sie sie freiwillig getan. Gerne zitiert sie ihren Lehrer, den Philosophen Georg Lukács, der immer gesagt hat: „Unglück trifft jeden, aber ein gescheiter Mensch kann daraus Nutzen ziehen.“ Der Nationalsozialismus war für Agnes Heller allerdings kein Unglück, sondern die Hölle. Die Jahre von 1949 bis 1953 in Ungarn waren für die Philosophin zwar ein Unglück, aber auch die Zeit in der ihre Tochter geboren wurde. Agnes Heller erklärt. „Nicht ist nur schwarz oder weiß, alles ist schwarz mit weißen oder weiß mit schwarzen Punkten. Es gibt keinen Gewinn ohne Verlust. Und keinen Verlust ohne Gewinn.“

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Die deutschen Philosophie ist ein artifizielles Konstrukt

 Vittorio Hösle beschreibt in seinem Buch die Geschichte der deutschen Philosophie vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ihr Sonderweg beginnt mit Meister Eckardt und Nicolaus Cusanus. Gottfried Wilhelm Leibniz und Immanuel Kant und die Fundierung der Geisteswissenschaften sind für Vittorio Hösle die Voraussetzung für die Synthese des Deutschen Idealismus. Arthur Schopenhauer, Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Friedrich Nietzsche lösen anschließend das Christentum und die bisher gültige Vernunftmetaphysik auf. Es folgen im frühen 20. Jahrhundert die Neubegründungen der Philosophie bei Gottlob Frege, bei den Neukantianern und in der Phänomenologie eines Edmund Husserl. Zur Philosophie des Nationalsozialismus zählt der Autor Martin Heidegger, Arnold Gehlen und Carl Schmitt. Georg Gadamer, Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas und Hans Jonas sind für Vittorio Hösle die großen Philosophen der Bundesrepublik. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame in den USA.

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Dominik Geppert erklärt die europäische Integration nach 1945

Die europäische Integration nach dem Zweiten Weltkrieg hatte laut Dominik Geppert verschiedene Ursachen. Zum einen gab es die wirtschaftliche Notwendigkeit, die organische Verbindung zwischen den Industrieregionen an Rhein und Ruhr, im Saarland, in Luxemburg und in Lothringen wiederherzustellen. Zum anderen hatten die beiden Supermächte USA und Sowjetunion den Europäern im Rahmen des Kalten Kriegs eine Ordnung der Stabilität und Passivität aufgezwungen, die auf der Drohung gegenseitiger nuklearer Vernichtung beruhte. Der amerikanische Historiker James Sheehan stellte fest: „Die Entstehung eines neuen Europas war nicht die Ursache für einen langen Frieden nach 1945; der Friede war die notwendige Voraussetzung für das neue Europa.“ Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Die Nationalsozialisten verabscheuten die Demokratie

Die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland seit dem Jahr 1933, die sich im Zweiten Weltkrieg auch über weite Teile Europas ausdehnte, der Massenmord an sechs Millionen Juden, steht für einen Tiefpunkt in der Geschichte der Menschheit und bildet zugleich den extremsten Gegensatz zur Staatsform der Demokratie. Die Diktatur des Nationalsozialismus ist aber laut Paul Nolte weder als Schicksal noch als historischer Unfall über Deutschland gekommen. Adolf Hitlers Machtübernahme wurde in Deutschland von einer breiten Zustimmung der Bevölkerung getragen und von vielen Menschen als eine angemessene Antwort auf die langgehegten Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der Demokratie gesehen. Paul Nolte schreibt: „Ohne die Loyalität und Mitarbeit von Teilen der Bevölkerung ist eine Diktatur nicht vorstellbar, schon gar nicht eine moderne des 20. Jahrhunderts.“ Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Paul Nolte beschreibt die scheinbaren Vorzüge der Diktatur

Selbst in Großbritannien und Amerika kamen in der Zwischenkriegszeit neue Zweifel an der Demokratie auf, doch diese Zweifel griffen im kontinentalen Europa viel weiter und grundsätzlicher um sich und mündeten häufiger, über Skepsis hinaus, in Gegnerschaft gegen die Demokratie oder jedenfalls Gleichgültigkeit gegenüber ihrer möglichen Zerstörung. Die Aussicht auf eine Diktatur erschien in den 1920er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht so schrecklich wie in der Gegenwart. Erst aus der konkreten Erfahrung des Nationalsozialismus, der für Verfolgung und Massenmord verantwortlich war, teils auch aus den parallelen Gegebenheiten im Stalinismus der Sowjetunion, entstand laut Paul Nolte jenes Bild der Diktatur als alles umgreifender und kontrollierender, totaler Herrschaft, die sich auf Willkür und die Entfesslung von Gewalt stützt. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Ralf Dahrendorf seziert den Totalitarismus in Europa

Der Totalitarismus fällt für Ralf Dahrendorf aus dem Bild des Forschritts heraus, sowohl von der traditionellen zur rationalen Herrschaft als auch vom Autoritarismus zur Verfassung der Freiheit. Die viel zitierte Definition des Totalitarismus von Carl Friedrich lautet: „Der Totalitarismus ist eine Ideologie, eine typisch von einem Mann geführte Einheitspartei, eine terroristische Polizei, ein Kommunikationsmonopol und eine zentral verwaltete Wirtschaft.“ Beim Begriff des Totalitarismus denkt man sofort an Adolf Hitlers deutschen Nationalsozialismus und Josef Stalins sowjetischen Kommunismus. In beiden Systemen war das Ziel der totalen Kontrolle durch Mobilisierung erkennbar. Autoritäre Regimes gestatten dennoch große Bereiche der Privatheit und der Apathie. Ralf Dahrendorf schreibt: „Demokratie mobilisiert, tut dies aber, um Kontrolle zu dezentralisieren. In totalitären Regimes ist Mobilisierung das Instrument der zentralisierten Kontrolle.“

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Die Volksparteien sind in ihrer Existenz bedroht

In seinem Buch „Parteiendämmerung. Oder was kommt nach den Volksparteien“ analysiert Christoph Seils den gegenwärtigen Umbruch der politischen Verhältnisse und beschreibt, wie eine neue Demokratie in Deutschland aussehen könnte. Die politischen Milieus der so genannten Volksparteien CDU und SPD haben sich seiner Meinung nach aufgelöst und an die Stelle ideologischer Konflikte des 20. Jahrhunderts sind egoistische Gruppeninteressen getreten. Themen wie Einwanderung, Globalisierung oder digitale Revolution beherrschen heute die politische Agenda. Zugleich haben die Deutschen laut Christoph Seils das Vertrauen in den Gestaltungswillen der Politik verloren. Er stellt die These auf, dass sich die Volksparteien überlebt haben und die Parteiendämmerung einher geht mit einer Zunahme an Populismus, Lobbyismus, Medienmacht und politischer Instabilität.

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Die drei spezifischen Merkmale der Bürgergesellschaft

Der Bürgerstatus markiert für Ralf Dahrendorf eine tief greifende Veränderung der sozialen Dinge, auch wohl einen bemerkenswerten Fortschritt im Sinne der Erweiterung der menschlichen Optionen. Als solcher begründet er allerdings noch nicht die Art von Gesellschaft, in der die Freiheit verankert ist. Ralf Dahrendorf schreibt: „Er ist ein Element der Bürgergesellschaft, doch verlangt diese andere, subtilere Bedingungen.“ Bei der Bürgergesellschaft geht es um das schöpferische Chaos der vielen, vor dem Zugriff des Staates geschützten Organisationen und Institutionen. Die Bürgergesellschaft als Medium der Freiheit hat für Ralf Dahrendorf drei spezifische Merkmale.

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Die Gliederung der Gesellschaft bei Aristoteles

Gemeinschaft bedeutet für Aristoteles immer eine Vielheit, eine Pluralität. Die Polis ist für ihn eine Gesellschaft der vielen freien Bürger, die gleichberechtigt sind und die Gemeinschaft des Stadtstaates begründen. Der Philosoph definiert den Menschen als ein Wesen, das auf die Gemeinschaft der Polis hin angelegt ist. Der Mensch ist für ihn auf der einen Seite an die Gesellschaft der Mitmenschen gebunden, auf der anderen Seite ist die Gemeinschaft auf jeden einzelnen freien Menschen angewiesen, da sie sich aus der Vielzahl der Individuen zusammensetzt. Aristoteles gliedert die Gesellschaft aufsteigend von der kleineren zur größeren Gemeinschaft.

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