Im Rechtsstaat ist Freiheit ein Angebot

Eine Gesellschaft erträgt die krassesten Unterschiede, weil alle frei sind und deshalb jeder Bürger bestimmte Unterschiede anstrebt. Paul Kirchhof weiß: „Der soziale Rechtsstaat allerdings sichert ähnliche Freiheitsbedingungen im Elementaren für jedermann.“ Freiheit ist ein Angebot. Auch die Demokratie ist darauf angelegt, dem Bürger die Freiheit der Mitwirkung im Staat zu belassen. Sie ist aber auch darauf angewiesen, dass der Bürger sich aus eigenem Freiheitsverständnis an Wahlen, Abstimmungen, auch an der öffentlichen Debatte beteiligt. Der freiheitliche Staat setzt sein Vertrauen in die Freiheitsfähigkeit und Freiheitsbereitschaft der Menschen. Freiheit ist zudem das Recht zur Beliebigkeit, soweit die kleinen Alltagsfreiheiten wahrgenommen werden. Der Mensch entscheidet nach eigenem Gutdünken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Mut ist eine Form der Selbstüberwindung

Das neue Philosophie Magazin 06/2022 gibt in seinem Titelthema Antworten auf die Frage, was es heutzutage bedeutet, mutig zu sein. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler vertritt die Meinung, dass die Existenz an sich schon Mut erfordert: „Zumindest dann, wenn man sie nach eigenen Vorstellungen leben will.“ Wer mutig ist, wagt ganz neue Wege zu gehen, utopisch zu denken, anstatt mutlos vermeintliche Sachzwänge abzunicken. Wer mutig handelt, weiß nicht wie die Sache ausgeht. Viel kann auf dem Spiel stehen: Glück, soziales Ansehen, sogar das Leben. Friedrich Weißbach, der seit 2020 politische Theorie an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt, schreibt: „Mut ist die treibende Kraft, mit unliebsamen Umständen aufzuräumen, Veränderungen voranzubringen und einen Neufanfang zu machen.“ Demokrit sagt: „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende.“

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Freiheit braucht beherzte Gelassenheit

Freiheit ist für Paul Kirchhof stets ein Wagnis. Denn die freie Entscheidung ist nicht immer richtig. Sie folgt ohnehin selten den Kategorien Richtig oder Falsch, entspricht aber dem Willen des Entscheidenden. Paul Kirchhof ergänzt: „Würde er sein Leben der grüblerischen Selbstvergewisserung über den gewählten Lebensweg widmen, tauschte er Freiheitsmut gegen Freiheitsängstlichkeit, Entschlossenheit gegen Zögerlichkeit, Selbstgewissheit gegen Unsicherheit, Freiheit gegen Antriebslosigkeit.“ Die Freiheit würde den Menschen überfordern, wenn er nicht Entschiedenes als Vergangenes hinter sich lässt, Gegenwärtigem selbstbewusst begegnet, Zukünftiges erhofft, aber nicht mit verlässlicher Gewissheit voraussehen will. Freiheit braucht beherzte Gelassenheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Maren Urner: „Alles beginnt in unserem Kopf!“

Wie können sich Menschen aus der Endlosschleife von Krisen befreien? Antworten auf diese Frage gibt Maren Urner in ihrem neuen Buch „Raus aus der ewigen Dauerkrise“. Dabei muss man lernen, die gewohnten Denkmuster hinter sich zu lassen. Die Autorin stellt dazu die neuesten Erkenntnisse der neurowissenschaftlichen und psychologischen Forschung vor. Maren Urner zeigt, wie man sein Gehirn besser verstehen und nutzen kann, um den Krisenmodus zu überwinden. Ihr Credo lautet: „Alles beginnt in unserem Kopf!“ Außerdem beschreibt sie die Denkfallen, die Menschen gerade in Krisenzeiten das Leben schwer machen und sie von einem Missverständnis zum nächsten stolpern lässt. Deshalb stellt Maren Urner das Konzept eines neuen, dynamischen Denkens vor, das den Weg aus der Endlosschleife des vermeintlich alternativlosen Denkens weist. Dr. Maren Urner ist Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Köln.

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Das Klima formt Köper und Geist

Abgeleitet von κλίνω – das griechische Wort für neigen – meint Klima zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als den Einfallswinkel der Sonne an einem gegebenen Ort. Klima ist also ursprünglich, bei Eratosthenes, Hipparchos und Aristoteles, eine geographische Kategorie, ein Breitengrad. Eva Horn fügt hinzu: „Es bezeichnet Zonen oder, mit einem Ausdruck des 18. … Weiterlesen

Glück hat mit Geld nichts zu tun

Geld macht weder glücklich noch unglücklich. Glück hat mit Geld nichts zu tun, sondern mit den eigenen Entscheidungen. Auf den Einwand: „Ich habe keine Zeit!“, antwortet Reinhard K. Sprenger: „Zeit kann man nicht haben. Zeit ist eine Frage der Priorität: Was ist Ihnen wichtig?“ Jeder Mensch hat immer, ausnahmslos immer Zeit für das, was ihm wirklich wichtig ist. „Keine Zeit“ heißt: Es ist Ihnen nicht wichtig.“ Der europäische Osten besaß vor dem Fall der Mauer einen schier unermesslichen Reichtum an Zeit. Im Westen haben die Menschen für ihren materiellen Wohlstand schon immer Zeitarmut in Kauf genommen. Dem liegt eine Entscheidung zugrunde, wie „Reichtum“ zu definieren ist. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Gewalt kann eine legitime Funktion haben

Nelson Mandela setzte bei seinem Widerstand gegen die Apartheid in Südafrika strategisch auf Gewaltlosigkeit und Verhandlungen. Er sagte aber auch, dass diese Strategien aufgegeben werden müssen, wenn sie über einen längeren Zeitraum nicht zum gewünschten Erfolg führen. Martin Luther King bescheinigt der Gewalt eine moralisch legitime Funktion. Wobei er in den entsprechenden Zusammenhängen allgemein die Selbstverteidigung anführt. Martha Nussbaum ergänzt: „Er spricht sich nicht gegen alle Kriege aus und schon gar nicht gegen jede Form von Gewalt zur Verteidigung der eigenen Person.“ Wenn Menschen sich allerdings zur Rechtfertigung rachsüchtiger Handlungen ohne Weiteres auf die Selbstverteidigung berufen können, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie den inneren Wandel vollziehen, den Martin Luther King von ihnen einforderte. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Der Westen steckt in einer Krise

In seinem neuen Buch „Das grosse Welttheater“ erklärt Phillip Blom, wie es möglich ist, dass der Westen nicht trotz, sondern wegen Frieden und Wohlstand in einer Krise steckt. Seiner Meinung nach stehen die Zeichen auf Sturm, und der Kampf um die Zukunft wird auch ein Kampf der Geschichten sein. Die Narrative spielen sich vor aller Augen ab, auf der Bühne des Welttheaters. Max Reinhardt, einer der Gründerväter der Salzburger Festspiele, schrieb 1917, er glaube nicht, dass „der ungeheure Weltenbrand für die Dauer ohne dichterischen Wiederschein bleiben wird“. Heute droht laut Phillip Blom ein neuer Weltenbrand. Und die Welt braucht nicht nur poetische Resonanz, sondern schöpferischen Mut. Denn nur so lässt sich die neue globale Krise mit politischen Fantasie bewältigen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

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Jeder kann Zivilcourage im Alltag zeigen

Es bedarf schon einer erheblichen Stärke, eine eigene, nicht allseits gebilligte Meinung zu haben und zu vertreten. Auch das ist eine Form von Zivilcourage, allerdings eine sehr anspruchsvolle. Klaus-Peter Hufer fügt hinzu: „Der Alltag bietet darüber hinaus viele konkrete Möglichkeiten, Mut zu zeigen, „Nein“ zu sagen, beispielsweise um Menschen in Bedrängnis beizustehen.“ Doch allzu oft werden diese Möglichkeiten nicht genutzt. Ein mustergültiges Exempel für zivilcouragiertes Verhalten sieht wie folgt aus. Ein Opfer wird unterstützt, die Bedrohung von ihm abgelenkt, andere Menschen folgen dem Beispiel, die bedrohte Person wird angesprochen und schließlich die Polizei verständigt. Was sind die Gründe für das Wegschauen in einem Fall und für das Eingreifen im anderen? Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Mündigkeit ist nichts für Feiglinge

In seinem neuen Buch „Mündig“ gibt Ulf Poschardt provokante Antworten auf die Frage: „Stehen wir vor der Rückkehr des Menschen in seine selbst verschuldete Unmündigkeit?“ Er beschreibt, wie an Mündigkeit erleben und feiern kann. Die Mündigkeit ist ein Begriff aus der Aufklärung. Schon damals war sie nichts für Feiglinge und das gilt heute umso mehr. Der Wohlstand des Westens ist nicht zuletzt eine Rendite der Mündigwerdung vieler seiner Bürger. Die Mündigkeit ist nicht nur eine existenzielle, sondern auch eine intellektuelle Herausforderung. Sie korrespondiert mit ihrem Optimismus mit der Wissenslandschaft und Wissensmenge. Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Mündigkeit jedoch aufs Ungenaueste vorausgesetzt, während die Fundamente des Mündigseins still und leise erodieren. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Michael Wolffsohn fordert den Mut zum Denken

Das neue Buch „Tacheles“ von Michael Wolffsohn ist nichts für Fachidioten oder eindimensionale Menschen. Der Autor redet nicht gern um den „heißen Brei“ herum. Sein Credo lautet: Erst denken, dadurch erkennen. Dann das Gedachte benennen und sich auch dazu bekennen. Somit Tacheles reden und schreiben. Auch wenn es nicht allen gefällt. Michael Wolffsohn fordert Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen. Nicht taktisch denken, sondern faktisch lautet seine Devise. Er steht der Wahrheit unerbittlich zur Seite und räumt mit Klischees, Legenden und Lebenslügen in den politischen und historischen Debatten auf. Michael Wolffsohn kritisiert pointiert den aktuellen Antisemitismus in Deutschland. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Widerstand

Das neue Buch „Zivilcourage“ von Klaus-Peter Hufer handelt vom Mut zu Widerspruch und Widerstand. Zu Beginn nähert sich der Autor der Bedeutung des Wortes an, indem er das inhaltliche und begriffliche Feld definiert. Das Recht auf Widerstand ist ausdrücklicher Bestandteil des Grundgesetzes der Bundesrepublik. Folgendes Zitat von Kurt Tucholsky macht deutlich, dass es schon einer erheblichen Stärke bedarf, eine eigene, nicht allseits gebilligte Meinung zu haben und zu vertreten: „Denn nichts ist schwieriger und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein.“ Wobei der Alltag viele konkrete Möglichkeiten bietet, Mut zu zeigen, „Nein“ zu sagen, beispielsweise um Menschen in Bedrängnis beizustehen. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Hegel denkt und lebt die Freiheit

Klaus Vieweg zeichnet in seiner großartigen Biographie „Hegel“ ein neues Bild des bedeutendsten Vertreters des deutschen Idealismus, der nicht zuletzt auch der Begründer einer modernen Logik und Gedankens eines sozialen Staates ist. Nach Kindheit und Jugend in Stuttgart und Studium im benachbarten Tübingen ging der junge Philosoph Hegel zunächst als Hauslehrer nach Bern und Frankfurt am Main. Seine akademische Laufbahn begann Hegel mit einer Privatdozentur in Jena, wo er eng mit dem einstigen Tübingern Kommilitonen Schelling zusammenarbeitete und eines seiner berühmtesten Werke, die „Phänomenologie des Geistes“, schrieb. Erst nach Stationen in Franken als Zeitungsredakteur und als Direktor eines Gymnasiums wurde er an die Philosophische Fakultät in Heidelberg berufen. Im Jahr 1818 schließlich wurde Hegel Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Johann Gottlieb Fichte in Berlin, wo er zum herausragenden Philosophen des Zeitalters aufstieg. Klaus Vieweg ist Professor für klassische deutsche Philosophie an der Friedrich-Schiller Universität Jena und einer der international führenden Hegel-Experten.

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Die Tugend des Muts kann niemand vortäuschen

Man kann zweifellos davon ausgehen, dass die Tugend mit dem Einsatz für das Kollektiv zusammenhängt, vor allem wenn ein solcher Einsatz mit seinen eigenen eng definierten persönlichen Interessen kollidiert. Man wird nicht dadurch tugendhaft, dass man einfach nur nett zu Menschen ist, um die sich auch andere Leute kümmern. Nassim Nicholas Taleb betont: „Wahre Tugend besteht ganz überwiegend darin, nett zu denen zu sein, die von anderen vernachlässigt werden – die weniger offensichtlichen Fälle, diejenigen, die im Wohltätigkeits-Business übersehen werden. Oder Leute, die keine Freunde haben und lediglich wollen, das sie hin und wieder von jemanden angerufen werden, der mit ihnen redet oder mit ihnen einen Kaffee aus frisch gerösteten Bohnen im italienischen Stil trinkt.“ Nassim Nicholas Taleb ist Finanzmathematiker, philosophischer Essayist, Forscher in den Bereichen Risiko und Zufall sowie einer der unkonventionellsten Denker der Gegenwart.

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Michel Foucault befreit das Denken

Die neue Sonderausgabe des Philosophie Magazins ist dem Philosophen Michel Foucault gewidmet. In ihrem Editorial beschreibt Chefredakteurin Catherine Newmark den französischen Denker und Intellektuellen als einen Menschen, der die Philosophie gerade nicht als ein Gespräch mit den komplizierten Gedanken weiser alter Männer betrieb, sondern als ein einziges großes Warum-Fragen: „Warum ist unsere Idee von Wahrheit so, wie sie ist, und nicht anders? Wie sind überhaupt unsere Kategorien des Wissens und der Weltwahrnehmung entstanden?“ Michel Foucault interessierte es überhaupt nicht, sich in ein bestehendes philosophisches Systemdenken mit einem weiteren Argument einzumischen. Ihm ging es ums große Ganze: „Wie kommt es, dass wir so denken, wie wir denken?“ Und ebenso: „Wie hat sich unser kompliziertes Verhältnis zu uns selbst und zu unserem Körper historisch entwickelt?“

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Niemand sollte sich in objektiv hoch riskante Situationen begeben

Die neuen Ängste wie zum Beispiel vor einem Terroranschlag bewirken, dass Menschen, bei vielem was sie tun, das Gefühl haben, ein gestiegenes Risiko einzugehen. Und sie sorgen sich, einem Menschen, den sie lieben, könnte etwas zustoßen. Aus psychologischer Sicht ist es immer gesünder, ein gewisses Restrisiko zu akzeptieren. Georg Pieper ergänzt: „Und da ist noch etwas, was wir uns klarmachen müssen: Wenn wir Angst erleben, fühlt sich das oft dramatischer an, als es, rein physisch betrachtet, tatsächlich ist.“ Angstpatienten empfinden ihre Angst als unheimlich intensiv. Wenn man sie fragt, was sie dabei an sich beobachten, berichten sie von dem Gefühl, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Ihr Körper, so glauben sie, befindet sich in solchen Momenten in einem absoluten Ausnahmezustand. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Die Freiheit schützt die Vernunft

In der Antike, im Mittelalter und am Beginn der Neuzeit forderte die Freiheit vor allem den Mut, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Paul Kirchhof erläutert: „Mit Vernunft werde die Natur beherrscht, Frieden gesichert, Herrschaft gemäßigt, eine Gleichheit der Lebensverhältnisse für alle erstrebt.“ Heute in Zeiten dominanter teilrationaler Eigensysteme – der ökonomischen, technischen und sozialen Vernunft – muss man für eine ganzheitliche Freiheit kämpfen, die Folgen wettbewerblichen Gewinnstrebens, algorithmischer Folgerichtigkeit und sozialen Erwartungen in Frage stellen. Die Freiheit schützt die Vernunft, gewährt aber auch das Recht unvernünftig sein zu dürfen. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Die Wahrheit wird von einem sozialen Dialog bestimmt

Wer anderen mit Vorurteilen begegnet, ist selbst bereits einer Beeinflussung seiner freien Willensbildung erlegen. Der freie Wille, so würde man es sich auf den ersten Blick wohl wünschen, sollte aber nicht auf Beeinflussungen, sondern auf der Erkenntnis der Wahrheit beruhen. Allerdings gilt: Alle Meinungs- und Willensbildungen, an deren Ende man etwas als wahr und gültig erkennt, resultieren aus sozialen Prozessen der Verständigung, die unausweichlich immer auch mit Beeinflussungen verbunden sind. Joachim Bauer fügt hinzu: „Diese Beeinflussungsprozesse sind Teil des natürlichen Bedingungsgefüges, in dem sich der freie Wille formiert. Sie sind teils offener, teils verborgener Natur.“ Das Ziel kann nicht sein, sie zu verhindern, denn dies wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

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Die Todesgefahr ist die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit

„Wenn du das sagst, bringen wir dich um.“ Dieser Satz verkörpert die extremste Bedrohung der Meinungsfreiheit. In Europa leben Tausende von Menschen versteckt oder fürchten um ihr Leben, weil sie von gewaltbereiten Islamisten, Mafiosi unterschiedlicher Couleur, mächtigen Interessengruppen, gewalttätigen Verwandten oder unterdrückerischen Regimen Todesdrohungen erhalten haben. Noch sehr viel höher sind diese Zahlen in Afrika, im Nahen Osten und in Teilen Asiens. Timothy Garton Ash formuliert dagegen folgendes Prinzip: „Weder drohen wir mit Gewalt, noch akzeptieren wir gewaltsame Einschüchterung.“ Doch in der Politik kann eine solche Strategie der Beschwichtigung am Ende auch den gegenteiligen Effekt bewirken. In diesem Sinne kann, wer sich gewaltsamer Einschüchterung beugt, eben dadurch den Anreiz liefern, noch mehr mit Gewalt zu drohen. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Paul Kirchhof stellt das Ideal der Freiheit vor

Freiheit ist ein Ideal. Der Mensch soll selbstbestimmt, unbedrängt von fremden Mächten, sein Leben gestalten und sein Handeln verantworten. Paul Kirchhof weiß: „Dieses Ideal greift über das in der Wirklichkeit mögliche hinaus, setzt ein Ziel, das stetig verfolgt, aber nie gänzlich erreicht wird.“ Die Freiheit wird den Menschen nicht vor Krankheit noch Gebrechlichkeit bewahren, nicht Krieg und Hunger fernhalten, nicht gegen Hass und Häme abschirmen. Doch gibt das Ideal der Freiheit dem Menschen täglich den Impuls, sich seiner selbst und seiner Verantwortung anzunehmen. Dieser Leitstern des freiheitsfähigen und freiheitsbereiten Menschen formt die Freiheitsidee, die dem Menschen Rechte gibt. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Verzeihen ermöglicht einen Neuanfang

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2019 lautet: „Verzeihen. Gibt es einen Neuanfang?“ Wo Menschen handeln entsteht manchmal Schuld. Und in einzelnen Fällen wiegt sie so schwer, dass kein Heil mehr möglich scheint. Hier kommt das Verzeihen ins Spiel, als Weg das Gewesene zu verwandeln und neu zu beginnen: Darin waren sich Denker wie Friedrich Nietzsche, Hannah Arendt und Paul Ricœur einig. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Beitrag, dass es Verletzungen gibt, die ein Dasein ganz und gar bestimmen können. Schmerzhafte Erfahrungen fesseln das Selbst – und nicht selten auch ganze Nationen. Sie halten Menschen gefangen in einer Fixierung auf Taten, die das Leben tief erschüttern, vielleicht gar zerstören. Der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Lévinas schrieb: „Wer verzeiht, ist fähig, das Band mit der Vergangenheit neu zu knüpfen.“

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Hilfe für andere stabilisiert die eigene Psyche

Wer sich weniger hilflos fühlen will, hilft sich selbst, indem er anderen hilft. Georg Pieper erläutert: „Das Bewusstsein, ich bin solidarisch, ich setze mich dafür ein, dass wir diese Situation gemeinsam meistern, lässt die eigene Angst und das eigene Ohnmachtsgefühl in den Hintergrund treten.“ Wer anderen hilft und sie unterstützt, stabilisiert damit gleichzeitig seine eigene Psyche. Besonders beeindruckend findet Georg Pieper in diesem Zusammenhang die Geschichte des berühmten österreichischen Neurologen und Psychiaters Viktor Frankl, der 1942 von den Nationalsozialisten deportiert und Gefangener in mehreren Konzentrationslagern war. In seinem Buch über diese furchtbare Zeit erzählt er immer wieder von seinem starken inneren Bedürfnis, Mitgefangene zu unterstützen und sich um sie zu kümmern, denen es noch schlechter ging als ihm selbst. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

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Seneca war ein großer Freund der Worte

Obgleich Seneca wusste, dass es bei der Art der Lebensbewältigung durch Philosophie auf Denken, Erkenntnis und begriffliches Erfassen der Wirklichkeit ankommt, warnte er davor, sich im Gestrüpp der Begriffe und formal-logischen Ableitungen zu verlieren. Albert Kitzler erläutert: „Nach Seneca deuten die Begriffe nur auf die Sachen hin, die es zu verstehen gilt. Ob wir Angst von Furcht unterscheiden, was wir dem einen oder anderem zuordnen, ob wir eine möglichst exakte, lexikalische Definition finden, das sei nur von relativem Wert.“ Wichtiger sei es die Sache selbst zu begreifen und zu lernen, mit ihr umzugehen. Seneca hielt sich mehr an die Erscheinungen, die Phänomene, denen die Worte sich anschmiegen sollten und die er immer wieder mit unterschiedlichen Worten und Bildern möglichst umfassend und genau um- und beschreiben wollte. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Geistige Unabhängigkeit setzt ruhige Tapferkeit voraus

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter“, schrieb Kurt Tucholsky, „als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Zunächst einmal ist es intellektuell und psychologisch schwierig, sich außerhalb des tradierten Wissens seiner Zeit und eines Ortes zu stellen. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Die normative Kraft des Faktischen bringt uns dazu, dass wir die Bedingungen in unserem Umfeld, die alle anderen für normal zu halten scheinen, in mancher Hinsicht auch als ethische Norm betrachten.“ Zahlreiche Studien in Verhaltenspsychologie beweisen, dass eine individuelle Überzeugung, was wahr oder richtig ist, durch den massiven Druck der Mitmenschen erschüttert wird. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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