Es gibt nicht die eine Wahrheit

In den letzten zwei Jahren der Coronakrise sind viel Unwörter wie etwa Inzidenz, R-Wert oder 2G in den Lebensalltag gelangt. Sie prägen und regulieren seither das Zeitgeschehen. Ulrike Guérot erklärt: „Seit Neuestem bestimmen zwei Maximen das demokratische Miteinander, die in Demokratien eher unüblich sind: von der Wahrheit und der Pflicht.“ Der demokratische Staat geht – im Gegensatz zu totalitären Regimen oder Gottesstaaten – nicht davon aus, dass es eine Wahrheit gibt.“ Im Gegenteil: Er garantiert Glaubensfreiheit und verhandelt unterschiedliche Meinungen zu einem Thema in einem Diskurs. Die Pflicht ist in einer Demokratie in erster Linie die Einhaltung des Rechts. Das geltende Recht, vor allem die Grundrechte der Bürger, wurden wegen Corona für lange Zeiträume stark eingeschränkt. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

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Finanzielle Anreize sind stärker als Motivationen

Es kann sein, dass finanzielle Anreize bereits vorhandene Motive für ein bestimmtes Verhalten verdrängen. Diese Verdrängung oder Ersetzung dieser vorherigen Motivation kann sogar permanent sein. Das kann dazu führen, dass selbst wenn die finanziellen Anreize zurückgezogen werden, das ursprüngliche Verhalten sich nicht wieder einstellt. Einer der Gründe, warum die durch Anreize erfolgte Prägung selbst nach deren Wegfall anhalten kann, liegt für Jonathan Aldred auf der Hand: „Die Betroffenen erinnern sich an die Botschaft, die den Anreizen zugrunde lag, dass sie unzuverlässig, inkompetent oder Ähnliches seien.“ Aber selbst wenn den ausdrücklichen Anreiz nicht solche negativen Signale begleiten, kann der Verdrängungseffekt auch dann noch anhalten, wenn der Anreiz weggefallen ist. Jonathan Aldred ist Direktor of Studies in Ökonomie am Emmanuel College. Außerdem lehrt er als Newton Trust Lecturer am Department of Land Economy der University of Cambridge.

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Reaktionäre arbeiten mit Schuldzuweisungen

Autoritäre und Nationalisten transformieren die Politik in Narrative der Schuldzuweisung. Roger de Weck erläutert: „An allem sind alle anderen schuld, dieser Refrain erschallt von den USA bis Ungarn. Reaktionäre Politik braucht die Endlosschleife des Schmähens unguter Ausländer, unbelehrbarer Feinde, unfairer Kritiker, unfähige Eliten, unheimliche Drahtzieher.“ Andersdenkende sind automatisch Verräter, weil das neurechte Machtdenken einzig Loyale und Illoyale kennt, Gefügige und Schädlinge, Rückendeckung oder Dolchstoß. Und das hat die politische Sprache mit Hass erfüllt, aber solche Aggressivität scheint je länger, desto weniger zu entrüsten. „Der Hasser lehrt uns immer wehrhaft bleiben“, heißt es in Goethes Trauerspiel „Die natürliche Tochter“. Doch auch die Gleichgültigkeit ist ein Kind des Hasses. Der gesunde Schutzinstinkt gegen diese allenthalben erhältliche Droge schwindet – Hass-Dealer setzen bewusst auf diesen Gewöhnungseffekt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Friedrich Nietzsche sagt ja zum Übermenschen

Friedrich Nietzsche nimmt in „Jenseits von Gut und Böse“ an, dass es gewisse Moralen gäbe. Mit deren Hilfe über deren Urheber an der Menschheit Macht und schöpferische Laune aus. Für Christian Niemeyer ist der Eindruck hier kaum vermeidbar, Friedrich Nietzsche spräche hier von sich und der Motivstruktur. Diese wurde ihm zum Anlass, als Menschenersatz den Übermenschen zu konzipieren. Der österreichische Arzt und Psychoanalytiker Paul Federn betrachtete Friedrich Nietzsches Philosophie als eine Kontrastbildung gegen seine eigene Existenz. In dieser Logik geriet Nietzsches Übermensch sehr schnell zum „Wunschtraum einer kranken Seele“. Friedrich Nietzsche selbst etikettiert sich selbst als „Dynamit“. Respektive auch als eines Denkers, „der die Geschichte der Menschheit in zwei Hälften spaltet“. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Der „Übermensch“ riskiert seinen eigenen Untergang

Die Welt existiert nur in Form von Interpretationen, die immer unter einem bestimmten Blickwinkel vorgenommen werden. Diese Ansicht bezeichnet man Friedrich Nietzsches „Perspektivismus“. Dieser Perspektivismus hat eine Ähnlichkeit mit einer erkenntnistheoretischen Strömung, die in etwa zur gleichen Zeit in Amerika Denker wie Charles Sanders Peirce und William James entwickeln. Dabei handelt es sich um den Pragmatismus, nach dem die Wahrheit das ist, was funktioniert. Doch für Friedrich Nietzsche ist das alles zu kleinkrämerisch. Seine Philosophie ist auf viel mehr aus als Selbsterhaltung. Ger Groot erklärt: „Wie Zarathustra wird der „Übermensch“ – der die Frucht dieses Abschieds von der Wahrheit ist – dazu bereit sein, für dieses „mehr“ möglicherweise sogar seinen eigenen Untergang zu riskieren.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Autoritäre brauchen fremde Feinde

Auch in Europa brauchen Autoritäre fremde Feinde, um ihren Autoritarismus zu rechtfertigen. Immer aus dem Ausland – in Gestalt von „Eurokraten“ und Migranten – brechen die Katastrophen herein. Roger de Weck ergänzt: „Um sie abzuwenden, ist eine Politik der harten Hand das Allheilmittel. Überrollen uns „islamische Invasoren“, drängt sich eine geistig-moralische Wende auf.“ Was in friedlichen Zeiten verboten war, gebietet nunmehr der Existenzkampf. Es ist nun an der Zeit, sich moralischen Bedenken zu entledigen. Das christliche Abendland braucht unbarmherzige Retter. Für den nüchternen Hanseaten Helmut Schmidt war Politik „pragmatisches Handeln zu sittlichen Zwecken“. Für die Neue Rechte ist Politik die Freiheit der Macht. Helmut Schmidt verwarf gleichermaßen eine Moral ohne Politik und eine Politik ohne Moral. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Markus Gabriel weist den Wertepluralismus zurück

Der Wertepluralismus meint, in der Moral gelte: Andere Länder, andere Sitten. Jedes Land werde von einer Kultur geprägt, die einen eigenen Moralkodex habe. Und einige Länder bildeten Gruppen, die miteinander kommunizieren können. Markus Gabriel erläutert: „So stellt man sich dann den Westen im Unterschiede zum Osten oder Europa im Unterschied zu Afrika als Werteordnungen vor.“ Der Irrtum besteht seiner Meinung nach jedoch in der Annahme, es gäbe voneinander abgegrenzte Wertesysteme. Diese Überzeugung führt schnell zur zurückweisenden Annahme der Inkommensurabilität. Also der Vorstellung, es gäbe radikal voneinander verschiedene und nicht mit demselben Maß messbare Moralsysteme. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Philosophie muss eine andere Welt entdecken

Friedrich Nietzsches Annahme, dass es für die Philosophie noch eine „andere“ Welt zu entdecken gäbe, beschließt den Aphorismus „Auf die Schiffe!“ aus „Die fröhliche Wissenschaft. Die „andere“ Welt auf die Friedrich Nietzsche abzielt, ist identisch mit einem neuen, sinngebenden philosophischen Grundgedankengang. Dieser ist tauglich zu einer alternativen, aus herkömmlichen Philosophien nicht beziehbaren Daseinsberechtigung. Insbesondere für den Bösen, den Unglücklichen, den Ausnahme-Menschen, den Übermenschen. Christian Niemeyer ergänzt: „In „Jenseits von Gut und Böse“ sehen wir Nietzsche erneute auf „die Schiffe gehen“, nun ein – wie er es nennt – fast noch neues Reich gefährlicher Erkenntnisse entdeckend.“ Dabei handelt es sich um ein Reich psychologischer Erkenntnisse. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Viktor Orbán verbreitet Judenhass

Der Judenhass führt kein Schattendasein mehr, wieder einmal sucht er das Licht der Öffentlichkeit. Roger de Weck nennt ein Beispiel: „Aktueller Codename für das ewige Feindbild ist „Soros“, nämlich der jüdische Amerikaner und gebürtige Ungar, der Bürgerrechtler Georg Soros.“ Viktor Orbán stempelte ihn zum Bösewicht, und seither nutzen Reaktionäre seinen Namen als Chiffre einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“. Orbán hat die antisemitische Häme als uraltes, brandneues Mittel der Politik weidereingeführt. Er liegt damit auf einer Linie mit dem deutschen Rechtsextremisten und Verleger Götz Kubitschek. Dessen Antaios-Verlag erzielte einen Verkaufserfolg mit dem antisemitischen Buch „Finis Germania“. „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte“, befindet die AfD-Politikerin Alice Weidel. Reaktionäre trauern der Zeit nach, in der die weiße Mehrheit das Vokabular bestimmte. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom

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Zarathustra ist nicht Friedrich Nietzsche

Die vom persischen Religionsstifter Zoroaster inspirierte Figur des Zarathustra erscheint nicht nur als Verkünder großer Wahrheiten und Prediger. Sondern er tritt auch als Philosoph in Erscheinung, der sich radikal einer skeptischen Selbstvergewisserung aussetzt. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „So wenig Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ ein philosophisches Werk im traditionellen Sinne ist, so wenig handelt es sich um eine poetische Fiktion.“ Der eher an der Sprache der Evangelisten denn an orientalische Vorbilder gemahnende Stil ist von einer außergewöhnlichen Geschmeidigkeit. Der Duktus oszilliert zwischen übersteigertem Pathos und nüchterner Selbstbefragung. Die Figur des Zarathustra darf man jedoch nicht mit Friedrich Nietzsche identifizieren. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Die Moral unserer Zeit ist sensibel für Schmerzen

Die Moralvorstellungen haben sich verändert. Alexander Somek stellt fest: „Das betrifft nicht nur ihren Inhalt, sondern auch das Gehabe, die Art also, wie sie auftreten. Mehr als je zuvor ist die Moral unserer Zeit sensibel für das Auftreten von Verletzungen und Schmerzen.“ Das geht so weit, dass allem, was verletzbar und leidensfähig gilt, moralischer Status zugeschrieben wird, selbst wenn es nicht menschlich ist. Tiere haben unterdessen ihren festen Platz in der Moral bekommen. Was zwischenmenschliche Beziehungen angeht, hat die Moral ein Gespür für Formen des Leidens entwickelt, die auf symbolischer Distanzierung und mehr oder weniger subtiler Herabsetzung beruhen. Rassistische Sprüche, sexistische Bilder oder verächtliche Gesten werden zur Zielscheibe von Kritik und Ächtung. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Ein Herrscher muss sich selbst im Griff haben

Institutionen allein – Verfassungen und Gesetze – genügen nicht. Mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, ist die Moral der Herrschenden selbst. Für Aristoteles stellen neben der Fähigkeit und der Leistung der Herrschenden vor allem ihr Charakter, ihre Tugenden, die eigentliche Voraussetzung für ihre Sonderstellung dar. Ihre Herkunft ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für ihre Herrschaftsposition. Diese Überlegung ist für Katja Gentinetta so einfach wie einleuchtend: „Man stelle sich vor, ein Herrscher habe nicht einmal sich selbst, seine Emotionen und Triebe im Griff: Wie soll er dann über ein ganzes Volk herrschen?“ Außerdem ist – und darauf legt Aristoteles großen Wert – jeder für seine Tugenden verantwortlich. Die Politikphilosophin und Publizistin Katja Gentinetta ist Lehrbeauftragte an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Luzern.

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Alle Lust will Ewigkeit

Für Friedrich Nietzsche will die Lust Ewigkeit, aber er meint damit nicht die Ewigkeit eines metaphysischen Elysiums. Sondern es ist die Ruhe, Stille, das glatte Meer und die Erlösung von sich durch die Kunst und die Erkenntnis suchen. Oder es kann auch der Rausch, der Krampf, die Betäubung sowie der Wahnsinn sein. Ger Groot stellt fest: „Es geht Friedrich Nietzsche also nicht um einen „romantischen“, sondern um einen „dionysischen“ Pessimismus, wie er ihn schon in „Die fröhliche Wissenschaft“ beschrieben hat.“ Er verfolgt dabei die Erkenntnis, die in den dionysischen Origen und später in der Tragödie zum Ausdruck kommt und der zufolge Leben, Lust und Leiden zusammengehören. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Zudem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Moral fügt Schmerzen zu

In seinem neuen Buch „Moral als Bosheit“ beschreibt Alexander Sobek seine Auffassung über das Verhältnis von Recht und Moral. Dazu verwendet er als Instrument eine rechtsphilosophische Analyse. Dabei beschäftigt es sich auch mit der Figur des alten weißen Mannes. Denn für manche, und das sind nicht wenige, ist er das Wahrzeichen aller Übel. Und er eignet sich wunderbar dazu, gehasst zu werden. Obwohl er stereotypisch festgelegt ist, bleibt dieser Ungeliebte dennoch eine Rätselgestalt. Könnte es sich bei ihm nicht sogar um einen Wiedergänger von Vernunft und Aufklärung handeln? Immerhin tritt er so auf. Der Autor weiß, dass er für diesen inopportunen Gedanken mit allerlei Angriffen rechnen muss. Er nimmt sich jedoch vor, sie demütig zu ertragen. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

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Klaus-Peter Hufer stellt Definitionen von Moral vor

Eine Definition von Moral stammt von Detlef Horster, der Philosophie-Professor in Hannover ist: „Moral ist die Gesamtheit der Regeln, die zur Realisierung der Werte oder zum Wohl der Menschen beitragen. Man kann auch sagen, dass die moralischen Regeln, wenn sie angewendet werden, die Menschen, die vom Handeln anderer betroffen sind, schützen sollen.“ Nach einer anderen Definition wäre Moral jenes Regelwerk, das auf die zwingende Einhaltung von menschlichem Verhalten gemäß der erstellten Normen achtet. Klaus-Peter Hufer stellt sich dazu unter anderem folgende Fragen: „Doch wer stellt die Regeln auf, und mit welcher Begründung? Welche Normen sollen eingehalten werden? Gibt es dafür qualitative Kriterien?“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Moralische Werte sind universal

Ein Wissensanspruch ist fallibel, das heißt fehleranfällig, wenn man mit ihm etwas behauptet, was durchaus auch falsch sein kann. Und wenn keine zwingenden Gründe existieren, um den Anspruch einzulösen. Markus Gabriel weiß: „Die meisten Wissensansprüche sind fallibel, weil wir niemals alle Umstände überblicken, um uns mit unseren Urteilen ganz sicher sein zu können.“ Je komplexer die Wirklichkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass selbst die am besten abgesicherten Wissensansprüche letztlich falsch sind. In moralischen Fragen ist das nicht anders, denn auch dort geht es darum, wie die Wirklichkeit beschaffen ist. Moralische Werte sind universal. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Freiheit ist tief im Leben verankert

Verschiedene Freiheitsaspekte sind für die Moderne wesentlich. Dazu zählt die Gedankenfreiheit, die jenseits von Autoritäten selbst zu denken erlaubst. Sie beschert als Freiheit von Wissenschaft und Forschung diesen eine nie nachlassende Blüte. Und jene Freiheit der Person, die sich mit den anderen Freiheitsbereichen, etwa der sozialen und politischen Freiheit, nicht zufriedengibt, sondern eine „Willensfreiheit“ innere Freiheit meint. Otfried Höffe fügt hinzu: „Zu den Merkwürdigkeiten unserer Zeit gehört, dass sich die erstgenannte Freiheit gegen die zweite wendet. Denn im Rahmen der Forschungsfreiheit werden gegen die Annahme der inneren, personalen Freiheit Einwände laut.“ Zunächst sind es Philosophen, später Einzelwissenschaftler, die sich der Annahme, der Mensch sei frei, widersetzen und die personale Freiheit rundum leugnen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Recht und Moral sind nicht deckungsgleich

Moral und Recht hängen zwar zusammen, sind aber weit davon entfernt, deckungsgleich zu sein. Markus Gabriel erläutert: „Die Geltung rechtlicher Normen, ihre Macht über Akteure, besteht selbst dann fort, wenn die faktische Rechtsprechung und die ihr zugrunde liegenden Gesetze erkennbar unmoralisch sind.“ Stalinistische Schauprozesse waren „rechtlich legal“, auch wenn man sie für „moralisch illegitim“ hält. Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Legalität und Legitimität. Die Moral artikuliert Regeln, die konkret festlegen, welche Handlungen verboten und welche erlaubt sind. Auf diese Weise kann man exakt zwei Extrempunkte, zwei Pole, und eine moralische Mitte markieren. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Alle Zwecke sind auf Mittel angewiesen

Das entscheidende Moment des moralischen Handels liegt in dem durchgängig von allen Beteiligten verfolgten Bemühen, sich wechselseitig durch Leistungen zu verbinden. Diese kann man aus freien Stücken derart erbringen, dass der Begünstigte einen merklichen Vorteil hat. Aber der moralisch Handelnde darf sich dabei nicht selbst in seiner Existenz vernichten. Volker Gerhardt erläutert: „Nur so kann die Freiwilligkeit beider Seiten eingebunden und das niemals bloß als Mittel verständlich gemacht werden.“ Ein Mensch muss sich nicht vom Leben distanzieren, um moralisch zu sein. Im Gegenteil: Er hat auch hier auf die durchgängige Vermittlung von Zwecken und Mitteln zu vertrauen. Zudem muss er wissen, dass alle Zwecke auf Mittel angewiesen sind, damit er sie erreichen kann. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Aus den Grundrechten folgen auch Pflichten

Für den Philosophen Markus Gabriel ist die heutige Wertekrise zugleich eine Krise der Demokratie. Wer den Universalismus beschädigt, wendet sich gegen die Idee, dass eine Gemeinschaft darauf aufbaut, dass alle Menschen den gleichen Wert besitzen. Schon allein deshalb haben sie bestimmte Rechte und Pflichten. Markus Gabriel erläutert: „Dazu gehören das Recht auf freie Entfaltung unserer Persönlichkeit, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Außerdem gehören dazu die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Recht darauf vor Gericht nicht aufgrund von Geschlecht, Sprache, Herkunft, Einkommen usw. benachteiligt zu werden. Gerne übersieht man, dass aus den Grundrechten auch Pflichten folgen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Mäßigung ist eine Tugend

Seine Nächsten zu respektieren ist relativ einfach und die allermeisten Menschen haben ein begründetes Interesse daran. Schwieriger ist es Lebewesen zu respektieren, die einem selbst weniger nahestehen und zu einer anderen Spezies gehören. Wer dieser Aufgabe gewachsen ist, kann sich völlig selbstlos um andere sorgen. Inwieweit hilft die Mäßigkeit dabei, wirklich menschlich zu handeln? Frédéric Lenoir antwortet: „Mäßigung ist eine Tugend, mit der wir unsere nie ganz gestillten Begierden regulieren können. Anders als ein weit verbreitetes Bild suggeriert, bedeutet Mäßigung keineswegs Askese, also den Verzicht auf Genuss.“ Schon Epikur kämpfte gegen diesen Hass auf die Sinnenfreuden. Ebenso wie Baruch de Spinoza, der die Askese heftig anprangerte: „Fürwahr nur ein finsterer und trübseliger Aberglaube verbietet, sich zu freuen.“ Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Jeder Mensch ist für alle und alles verantwortlich

Die Geschwister Scholl und ihre Freunde von der Weißen Rose folgten ihren moralischen Prinzipien und ihrem Gewissen. Sie bezahlten dafür mit dem Tod. Klaus-Peter Hufer erklärt: „Das zu tun, was ihnen als richtig geboten erschien, stand für sie höher als das eigene Leben. Sie übernahmen Verantwortung.“ Verantwortung meint laut Duden die „Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen“. Synonyme von Verantwortung sind Moral, Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl. Doch wie weit geht die persönliche Verantwortung? Der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 – 1861) war der Ansicht, dass die Verantwortung eines jeden Menschen sehr weit reicht. Ein berühmter Satz von ihm lautet: „Jeder Mensch ist für alle und alles verantwortlich.“ Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Der Tod Gottes bringt die moderne Kultur hervor

Ein Ursprung des modernen Begriffs der Kultur ist der Tod Gottes. Vielleicht kann die Kultur die gottesförmige Lücke füllen, welche die säkulare Moderne gerissen hat. Terry Eagleton weist allerdings darauf hin, dass die Neuzeit gepflastert ist mit gescheiterten Gottessurrogaten. Nämlich von Vernunft, Geist, Kunst, Wissenschaft und Staat bis hin zu Volk, Nation, Menschheit, Gesellschaft, dem Unbewussten und Michael Jackson. Terry Eagleton ergänzt: „Unter diesen verpfuschten Ersatzangeboten für den Allmächtigen nimmt der Kulturbegriff einen besonderen Platz ein. Denn er ist einer der plausibelsten Versuche ist.“ Tatsächlich gibt es eine offenkundige ideologische Beziehung zwischen dem Wort „Kultur“ und dem religiösen Begriff „Kult“. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Eliten sehen sich einer scharfen Kritik ausgesetzt

Über Eliten wird wieder gesprochen. Spitzenpolitiker, Topmanager, Meinungsführer und prominente Intellektuelle sehen sich einer scharfen Kritik ausgesetzt. Diese wird allerdings nicht wie in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von links, sondern von Rechtspopulisten und Neokonservativen vorgetragen. Konrad Paul Liessmann kennt die Vorwürfe: „Die Eliten agierten selbstgerecht und abgehoben. Sie hätten den Kontakt zu den Sorgen und Nöten der Menschen verloren. Die Eliten trügen bei zur Spaltung der Gesellschaft und akkumulierten deren Reichtum auf ihrer Seite.“ Eliten seien vor allem eitel, unfähig zur nüchternen Selbsteinschätzung, gierig, rücksichtslos, unverschämt und bigott. Vor allem aber leisten sie nicht das, was sie gerne als Grund für ihre Auserlesenheit angeben. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Das Gewissen ist ein „innerer Richter“

Es gibt vier Kriterien des Gewissens: Erstens kommt es aus dem Inneren des Menschen heraus. Zweitens geht es um Ethik beziehungsweise Moral. Drittens verschafft es sich Geltung und hat einen Anspruch. Viertens ist es eine Richtschnur für richtiges und gutes Beurteilen und Handeln. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, wo das Gewissen herkommt und worauf es sich begründet. Es gibt verschiedene Begründungen. Klaus-Peter Hufer erläutert: „Nach der christlichen Religion ist das Gewissen den Menschen gegeben, muss vor Gott gerechtfertigt werden und kann auch von ihm erbeten werden.“ Es gibt Überschneidungen zu den Vorstellungen von Philosophen darüber, was das Gute und Böse unterscheidet und wie demgemäß zu handeln ist. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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