Das Grundgesetz hat Deutschland ganz wesentlich geeint

Pluralistische Gesellschaften, wie die deutsche, werden nicht mehr vorrangig durch gemeinsame Tradition, Religion oder Kultur zusammengehalten. Hans-Jürgen Papier weiß: „Sie finden stattdessen in der Anerkennung der Verfassung, ihrer Werteordnung und des demokratisch gesetzten Rechts ihre verbindende Grundlage. Auf sie kann sich die Mehrheit der Bevölkerung beziehen, genau wie es die Minderheiten können.“ Für die Bundesrepublik Deutschland lässt sich sagen, dass das Grundgesetz die deutsche Gesellschaft über die Jahrzehnte ganz wesentlich geeint hat. Es hat die Freiheiten definiert und Verfahrensweisen vorgegeben, die es Politik und Gesetzgebung ermöglichen, den sozialen Konsens im Abgleich mit den zivilgesellschaftlichen Diskursen weitgehend offen zu gestalten. Auch heute noch erweist sich die deutsche Verfassung als tragfähiges Gebäude mit den Grundrechten als stützende Pfeiler. Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier war von 2002 bis 2014 Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

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Minderheiten betreiben Identitätspolitik

Phillip Hübl stellt fest: „Als Angehörige von Minderheiten und diskriminierten Gruppen betreiben Menschen oft Identitätspolitik. Sie wollen dabei die Besonderheiten ihrer Gruppe gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sichtbar machen.“ Die Grundidee dieser Selbstbehauptung ist nicht primär, dass sie die anderen als „gleichwertig“ akzeptieren. Sondern es geht vor allem darum als „anders“, also im gleichwertig im Anderssein anerkannt zu werden. Auch wenn der Name es nahezulegen scheint, geht es Identitätspolitikern nicht darum, was einen Menschen als Individuum einzigartig macht. Sondern es geht um das, was die besonderen Gruppen definiert, denen sie angehören. Während in den USA Weiße bis heute Afroamerikaner aufgrund ihrer Hautfarbe ausgrenzen, grenzen sich Afroamerikaner nun als Gegenstrategie selbst über ihre Hautfarbe von der weißen Mehrheit ab. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Bürgerbewegungen verändern die Gesellschaft

In den sechziger Jahren entstanden in den westlichen liberalen Demokratien eine Reihe machtvoller neuer Gesellschaftsbewegungen. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA verlangte, das Versprechen auf Rassengleichheit zu erfüllen. Denn dies war in der Unabhängigkeitserklärung und in der Verfassung seit dem Bürgerkrieg verankert. Francis Fukuyama ergänzt: „Bald darauf schloss sich die Frauenbewegung an, die ebenfalls Gleichbehandlung forderte. Eine Thematik, die durch den starken Zustrom von weiblichen Arbeitskräften sowohl angeregt als auch gestaltet wurde.“ Eine parallel verlaufende soziale Revolution zerschmetterte traditionelle Normen der Sexualität und der Familie. Und die Umweltschutzbewegung veränderte die Ansichten über die Beziehung zur Natur. Weitere Bewegungen folgten, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung, ethnischen Minderheiten, homosexuellen Männern und Frauen und schließlich Transgendern einsetzten. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Der Nationalismus ist eine Inszenierung der Macht

Die Gründe für den Aufstieg des Rechtspopulismus sind für Jan-Werner Müller keineswegs identisch. Radikale Rechtspopulisten haben allerdings ähnliche Strategien entwickelt. Und vielleicht könnte man sogar von einer gemeinsamen autoritär-populistischen Regierungskunst sprechen. Vereinfacht gesagt basiert diese auf Nationalismus, durch die Aneignung des Staates durch eine Partei und auf der Nutzung der Wirtschaft als Waffe zur Sicherung der politischen Macht. Das führt zu einer Mischung aus Kulturkampf, Patronage und dem, was Politikwissenschaftler Massenklientelismus nennen würden. Wobei der Nationalismus oft mehr eine Art Stimulierung von Souveränität ist. Er ist eine Inszenierung der Macht des „Volkswillens“ in Form von vermeintlich starken Gesten starker Männer. Tatsache ist, dass die heutigen Gefahren für die Demokratie mit vielen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein haben. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Die Aufklärung ist das Erbe der Demokratie

Wer in einem Gemeinwesen die verschiedensten Interessen austarieren möchte, der hat nur eine Versuchsanordnung: die liberale Demokratie. Roger de Weck fordert: „Sie muss laufend weiterentwickelt und jetzt renoviert werden, um auch weiterhin zweckdienlich zu sein.“ Aber der Grundgedanke bleibt bestehen. Ihre sämtlichen Einrichtungen dienen dem Zweck, unnötige schwere Konflikte in der Gesellschaft zu vermeiden oder zu vermindern. Das ist das große Potenzial der liberalen Demokratie. Derzeit schöpft sie es schlechter aus, als es ihr in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gelang. Jederzeit ruft jede politische Ordnung Frust hervor. Aber der ist alles in allem kleiner, wenn an die Stelle der Menschenverachtung die Menschenwürde tritt. Wenn man Minderheiten einbezieht statt ausgrenzt und ein Rechtsstaat vor Willkür schützt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Persönliche Freiheit entsteht aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung

Überlegungen zur personalen Freiheit, die nur Vorteile in Betracht ziehen, bleiben einseitig, sogar naiv. Denn auch die personale Freiheit gibt es nicht ohne negative Kehrseiten. Otfried Höffe erläutert: „Ein freier Mensch ist nicht, wer nur in gewissen Augenblicken bewusst und freiwillig handelt, sondern wer beide Momente, Freiwilligkeit und Bewusstheit, in seiner gesamten Lebensführung realisiert. Frei ist also jemand, dem es gelingt, aus eigenem Antrieb und eigener Überlegung zu leben.“ Durch die gesellschaftliche und politische Entwicklung wird ihm dieses Gelingen teils erleichtert, aber auch erschwert. Der Grund liegt nicht außerhalb der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, er kommt von innen. Verantwortlich sind nämlich die rechtliche und die soziale Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Martha Nussbaum beschreibt wichtige Facetten des Ekels

Martha Nussbaum schreibt: „Ekel ist eine starke Abneigung gegenüber Aspekten oder Teilen des Körpers, die als „animal reminders“ bezeichnet werden – das heißt Aspekten von oder Seiten an uns selbst, die uns daran erinnern, dass wir sterbliche und animalische Wesen sind.“ Seine primären Objekte sind Fäkalien und andere körperlichen Ausscheidungen, die Verwesung und Tiere oder Insekten, die schleimig, schmierig oder übelriechend sind bzw. anderweitig an die abgelehnten Körperflüssigkeiten oder -ausscheidungen erinnern. Der Kerngedanke des Ekels ist der an eine (potenzielle) Verunreinigung durch Kontakt oder Nahrungsaufnahme: Wer das Unedle, das Niedrige zu sich nimmt, zieht in das auf sein Niveau hinunter. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Die Normen einer Gesellschaft muss man immer wieder infrage stellen

Die Normen einer Gesellschaft und einer Kultur ändern sich mit der Zeit. Man muss sie immer wieder infrage stellen. Timothy Garton Ash erklärt: „Darum geht es bei der Redefreiheit: dass man die normative Kraft des Faktischen nicht ohne weiteres akzeptiert.“ Wenn man Probleme, die real sind oder von vielen für real gehalten werden, in der Öffentlichkeit und vor allem in der Berichterstattung nicht anspricht, etwa im Zusammenhang mit Einwanderern, dann bricht plötzlich etwas hervor – explosionsartig, wie zum Beispiel in Form dieses wirklich schlechten und giftigen Buchs „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Es wäre viel besser gewesen, diese schwierigen Themen viel früher anzusprechen, aber eben auf der Basis von Tatsachen und mit der Haltung robuster Zivilcourage. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Hans-Peter Nolting sucht nach den Wurzeln der Gewalt

Die Suche nach einer gemeinsamen Wurzel von menschlicher Aggression und Gewalt weckt immer großes Interesse. Es ist faszinierend, wenn man eine breite Vielfalt auf ein einziges Grundprinzip zurückführen kann. Von solchen Bemühungen war auch die Aggressionspsychologie lange Zeit geprägt. Hans-Peter Nolting erklärt: „Ein angeborener Aggressionstrieb, Aggression als Reaktion Frustrationen oder Aggression als erlerntes Verhalten – das sind drei Grundideen von bekannten Theorien.“ Inzwischen hat sich die wissenschaftliche Debatte von der Suche nach einer generellen Aggressionserklärung für die Gattung Mensch weitgehend verabschiedet und sich stattdessen vielfältigen Ausschnitten aus dem breiten Spektrum zugewandt. „Ausschnitte“ können vor allem sein: spezielle Erscheinungsformen oder Typen hochaggressiver Menschen oder einzelne Kontextbereiche wie die Familie, die Arbeitswelt, der Sport, die Politik und so weiter. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Die Reichsgründung 1871 ist die Geburt einer verspäteten Nation

Mit der Reichsgründung von 1871 holten die Deutschen nach, was in Westeuropa sich schon einige Zeit früher und unter anderen Bedingungen vollzogen hatte: die Verwirklichung eines Nationalstaates. Das Deutsche Reich von 1871 war, im Sinne der demokratischen Idee der nationalen Selbstbestimmung der europäischen Völker, kein reiner Nationalstaat. Er war auch kein ausgeprägter Verfassungsstaat im Sinne der konstitutionellen Selbstbestimmung. Aber zur Zeit seiner Entstehung war das Deutsche Reich außenpolitisch die naheliegende und realistische Form, die sogenannte deutsche Frage zu lösen. Nur die kleindeutsche Lösung war mit den Interessen der übrigen Staaten in Europa eben noch zu vereinbaren. Die Alternative eines alle Deutschen umfassenden demokratisch-republikanischen Einheitsstaates oder einer großdeutschen Föderation war zur damaligen Zeit nicht zu verwirklichen. Nur das Bündnis der geschwächten Nationalbewegung mit der nationalen Führungsmacht Preußen, versprach noch die Realisierung der nationalen Einheit.

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Jonathan Wolff nähert sich dem Begriff der Freiheit an

In liberalen Demokratien wird der Freiheit laut Jonathan Wolff, der am University College London Philosophie lehrt, oft der höchste Wert beigemessen. Aber was ist Freiheit überhaupt? Jonathan Wolff nähert sich der Antwort über die Unfreiheit, indem er sagt: „Alles, was mich davon abhält, etwas zu tun, verringert meine Freiheit.“ Dabei muss man allerdings zwischen dem Mangel an Fähigkeit und einem Defizit an Freiheit unterscheiden. Zu einer genaueren Bestimmung des Freiheitsbegriffs zitiert Jonathan Wolff den litauischen Philosophen Isaiah Berlin, der von 1909 bis 1997 lebte. Dieser unterschied zwischen negativer Freiheit, die die Abwesenheit äußerlicher Zwänge ist, und positiver Freiheit, die rationale Selbstbeherrschung und Meisterung der eigenen Begierden verlangt.

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