Bewusstsein ist eine Art mentale Berührung

David Gelernter vertritt die These, dass man ein Thema wie das Bewusstsein, das von seinem Wesen her subjektiv ist, nicht ohne Introspektion untersuchen kann. Die Phänomenologen erinnern an etwas Wichtiges: Wenn Introspektion erforderlich ist, muss man dabei sorgfältig und systematisch vorgehen – man muss sich laut Edmund Husserls Worten immer darum bemühen, zu „sehen“ oder zu „schauen“, welche allgemeinen Gesetzte sich im eigenen Erleben offenbaren. In jeder Erfahrung spiegeln sich nämlich die grundlegenden Gesetze des jeweiligen Wissensgebiets wieder – falls es solche Gesetze gibt. Durch das Schlüsselloch seines Erlebens kann man erkennen, wie das Bewusstsein strukturiert sein muss, damit es das Erlebnis möglich machen kann. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University. In seinem jüngsten Buch „Gezeiten des Geistes“ erklärt David Gelernter, warum Computer und künstliche Intelligenz die Tiefen der menschlichen Subjektivität nicht ausloten können.

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Forscher bezweifeln die Freiheit des menschlichen Willens

Seit einigen Jahren erhitzt eine auch in Deutschland zwischen einigen Neuronenwissenschaftlern und Philosophen heftig geführte Debatte die Gemüter. Unter anderem geht es um die Frage, ob der menschliche Wille wirklich frei ist. Einige neuere Befunde aus der Hirnforschung schienen eine Zeitlang nahezulegen, dass selbst Entscheidungen, die man bewusst fällt und die dann das Handeln bestimmen, bereits unbewusst im Gehirn vorbereitet werden. Markus Gabriel ergänzt: „Es sieht so aus, als ob unsere Entscheidungen damit nicht in unserer Hand lägen. Hierher rührt die Idee, unser Gehirn könnte uns steuern.“ Diese Debatte ist nicht neu. Sie wurde vorwiegend schon im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert geführt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Nach innen schauend sah Augustinus eine unermessliche Welt

Mit Ende zwanzig hatte Augustinus das Gefühl, von sich selbst entfremdet zu sein. Er führte ein beschwerliches Leben, und es verschaffte ihm nicht jene tiefere Sättigung, die er sich wünschte. Er hatte Begierden, deren Befriedigung ihn nicht glücklich machte, und dennoch folgte er weiterhin seinen Lüsten. Augustinus reagierte auf diese Lebenskrise, indem er seinen Blick nach innen richtete. Eigentlich sollte man meinen, dass jemand, der über seine Ichbezogenheit entsetzt ist, nach Selbstvergessenheit strebt. David Brooks fügt hinzu: „Sei Rat wäre: Sieh von dir selbst ab und wende deine Aufmerksamkeit anderen zu.“ Aber Augustinus unternahm zunächst eine beinahe wissenschaftliche Entdeckungsreise in sein Inneres. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Das Begehren ist eine Quelle unaufhörlichen Leides

Gerade in der Liebe und in der Paarbeziehung ist etwas erlebbar, das die moderne Konsumgesellschaft standhaft leugnet. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Erfahrung, dass Leben eben keine Frage der Glücksmaximierung ist, sondern dass unsere Existenz unausweichlich durch Aporien gekennzeichnet ist, durch Widersprüche und Begrenzungen, die sich nicht auflösen, sondern allenfalls aushalten oder transzendieren lassen.“ Eine dieser Aporien (die Unmöglichkeit, in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung zu treffen) ist etwa das sexuelle Begehren, zu dem gut ein Satz passt, der der heiligen Teresa von Avila zugeschrieben wird: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.“ Tatsächlich haftet dem sexuellen Begehren von seiner Natur her stets etwas Widersprüchliches, Unauflösbares an. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Philipp Hübl stellt den Vertrautheitseffekt vor

Auf die Frage, warum man sich zu Hause besonders geborgen fühlt, antwortet der amerikanische Psychologe Robert Zajonc: „Durch bloße Wiederholung.“ Alles, was ein Mensch mehrmals sieht, hört und erlebt, bekommt allein dadurch einen positiven Wert, sofern er damit keine Gefahr oder andere negative Dinge verbindet. Robert Zajonc nennt dieses Phänomen „Mere-Expose-Effekt“, also in etwa „Effekt durch bloßen Kontakt“ oder kürzer „“Vertrautheitseffekt“. Vorlieben oder Präferenzen, wie die Psychologen sagen, können sich auf vielen Wegen formen. Einige sind angeboren, wie die Lust auf Süßes oder die Abneigung gegenüber bitteren Speisen. Andere werden erlernt. Philipp Hübl erklärt: „Das wiederholte Lob der Eltern beispielsweise verstärkt in Kindern die Neigung, alles aufzuessen. Wieder andere entstehen durch Nachahmung oder Gruppenzwang, man denke dabei an Modesünden aus der eigenen Jugend.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Die Aufklärung sucht nach einem Ausgleich zwischen „Kopf“ und „Herz“

Als literarische und philosophische Epoche, die vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Ausbruch der Revolution in Frankreich reicht, ist die Aufklärung keine einheitliche Bewegung, sondern lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen. Gotthold Ephraim Lessing ist Fortführer der literarischen Aufklärung, die mit Johann Christoph Gottsched begonnen hatte, und ist zugleich ihr schärfster Kritiker. Auch die Stürmer und Dränger setzen eine Tradition fort, die Gotthold Ephraim Lessing, aufbauend auf Johann Christoph Gottsched, geschaffen hat; sie sind zugleich Begründer einer neuen Tradition, in der Genie und das Gefühl die beherrschende Rolle spielten. Der empfindsame Mensch hatte damals in der deutschen Sprache eine sehr edle Bedeutung gewonnen. Auch in Deutschland bildete sich eine neuartige literarische und soziale Strömung aus, für die sich der Begriff „Empfindsamkeit“ sehr schnell eingebürgert und bis in die Gegenwart gehalten hat.

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Ohne Selbststeuerung lässt sich im Leben nichts erreichen

Joachim Bauer vertritt in seinem neuen Buch „Selbststeuerung“ die These, dass sich durch Selbststeuerung im Leben vieles erreichen lässt, ohne sie nichts. Allen Menschen ist die Fähigkeit angeboren, Selbststeuerung zu erlernen. Sie sorgt für eine ausgeglichene Balance zwischen der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen und dem Erreichen längerfristiger, höherstufiger Ziele. Die Selbststeuerung kann sogar niedergeschlagenen Menschen einen Weg aus Stress, innerer Leere und dem Gefühl der Sinnlosigkeit weisen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer, der an der Universität Freiburg lehrt, beschreibt Selbststeuerung als Funktionen des menschlichen Stirnhirns. Die Philosophie nennt sie schlicht den freien Willen. Der tiefere Sinn der Selbststeuerung liegt darin, sein ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu sich selbst, zu seiner ureigenen Identität zu finden. Zum Selbst gehört es, einen Plan zu haben und auf dieser Basis etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukunft zu entwerfen.

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Es gibt nur wenige grundlegende Emotionen

Die Gefühle eines Menschen sind selten klar und eindeutig, sondern fühlen sich je nach Situation und Umständen mal so und mal anders an, sie vermischen sich und werden auch von jedem Menschen individuell empfunden. Es gibt einen weltweiten Kampf unter Forschern über die Frage, ob Emotionen nun angeboren oder doch kulturabhängig sind. Ulrich Schnabel erklärt: „Die einen beharren auf weltweit einheitlichen Universalemotionen, die klar bestimm- und unterscheidbar seien und gewissermaßen die diskreten Elemente unseres Gefühlslebens darstellen. Die anderen halten das für eine unzulässige Simplifizierung, die die Vielfalt und Veränderlichkeit der Gefühle in keiner Weise gerecht werde, und betonen stattdessen den starken Einfluss der jeweiligen Kultur und Gesellschaft.“ Wie Wahrheit liegt wohl, wie so oft, in der Mitte. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Untreue entsteht schleichend und oft ohne Vorsatz

Die neue Krise der Untreue zeichnet sich laut Shirley P. Glass dadurch aus, dass sich platonische Freundschaften und Arbeitsbeziehungen in emotionale Affären verwandeln; in der Regel nach und nach und oft ohne Vorsatz. Die Beteiligten überschreiten die Grenzen emotionaler Intimität, indem sie vertrauliche Informationen, die normalerweise ausschließlich dem Partner vorbehalten sind, mit einem Freund teilen. Wenn emotionale Grenzen überschritten werden, hat der Partner den ersten Schritt auf die rutschige Piste getan, die in Richtung emotionaler und eventuell sexueller Untreue führt. Selbst wenn die Untreue „nur“ emotional ist, führt das oftmals zu einem Doppelleben, das von Täuschung und sexuellen Komponenten geprägt ist, und bedroht damit einst sichere Ehen. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Mäßigung hat nichts mit Gleichmut zu tun

Mäßigung ist eine vielfach missverstandene Tugend. Zunächst einmal stellt David Brooks klar, was sie nicht ist: „Mäßigung besteht nicht einfach darin, die Mitte zwischen zwei entgegengesetzten Polen zu finden und sich opportunistisch dort aufzustellen. Und Mäßigung ist auch nicht zu verwechseln mit mildem Gleichmut.“ Sie ist auch nicht gleichbedeutend mit einem gezügelten Temperament, das rivalisierende Leidenschaften oder konkurrierende Gedanken überwunden hätte. Im Gegenteil, Mäßigung basiert auf dem Wissen, dass Konflikte unvermeidlich sind. Wenn man glaubt, die Welt füge sich nahtlos zusammen, benötigt man keine Mäßigung. Wenn man glaubt, alle persönlichen Eigenschaften ließen sich auf einfache Weise miteinander in Einklang bringen, dann muss man sich nicht bremsen. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Freundlichkeit wird im Alltag nicht immer gelebt

Sicher lässt sich mit Freundlichkeit nicht jedes Problem lösen. Tanja Baum stellt allerdings fest, dass mit freundlichem Verhalten viele Probleme erst gar nicht aufgetaucht wären. Ein Nein zu äußern, bedeutet immer, auch eine Konfliktsituation zu schaffen. Egal wie banal die Situation auch sein mag, ein Nein ist immer eine Ablehnung für die andere Person. Tanja Baum betont: „Sagen sie Nein, haben Sie sich durchgesetzt. Damit haben Sie bereits einen Vorteil für sich verbuchen können.“ Wer es dabei auch noch schafft, dass sein Gegenüber sich bei einem Nein nicht vor den Kopf gestoßen fühlt, hat sogar einen zweiten Nutzen aus seinem Nein gezogen. Tanja Baum, systemische Organisationsberaterin und Coach, gründete 1999 in Köln die Agentur für Freundlichkeit mit den Arbeitsschwerpunkten Beratung, Coaching, Training und Meditation.

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Der Mensch wird am Du zum Ich

Die Liebe macht einen Menschen reifer. Diese Ansicht wird von der Forschung eindrücklich belebt, aber auch die allgemeine Lebenserfahrung legt das nahe. Wer sich auf eine längere Beziehung einlässt, der verändert sich in der Folge tiefgreifend. Christian Thiel betont: „Wer eine Beziehung eingeht, der wird weltoffener, gewissenhafter und selbstbewusster. Schüchternheit und neurotische Verhaltensweisen nehmen ab.“ Diese positiven Veränderungen der Persönlichkeit halten an, auch nachdem eine Partnerschaft zu Ende ist. Die Liebe kann also vergehen, die durch eine Partnerschaft erreichte persönliche Reife aber bleibt erhalten. Auch einzelne Verhaltensweisen und Charakterzüge verändern sich im Laufe einer Beziehung. Diese Veränderung hat in aller Regel eine für die Partner erfreuliche Richtung: Sie werden einander ähnlicher. Christian Thiel arbeitet seit vielen Jahren als Single- und Paarberater.

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Technik und Genetik sollen den Menschen verbessern

Aktuell arbeitet die Menschheit an einem Entwurf des perfekten Menschen. Es geht um die Verbesserung und Veränderbarkeit des Menschen in einem neuen Sinn. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Nicht durch Erziehung und Bildung, nicht durch Moral, Aufklärung und eine humanistische Kultur soll die Verbesserung des Menschengeschlechts erreicht werden, wohl aber durch Technik und Genetik.“ Für den Soziologen Dierk Spreen befindet sich die moderne Gesellschaft schon jetzt in einer „Enhancement-Gesellschaft“, in der vor allem die Optimierung des Körpers durch Manipulationen, Zusammenschlüsse mit Mikromaschinen und Prothesen zu einem alltäglichen Phänomen geworden ist. Unübersehbar ist auch ein sich allmählich wandelndes Selbstverständnis des Menschen, ein Wandel des Menschenbildes. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Nichts bewegt sich schneller als das Licht

Die vom Menschen vorgenommene Einteilung der Natur in sichtbare und unsichtbare Vorgänge hängt davon ab, dass Menschen ein Wissen um ihre Erlebnisse haben, ohne welches sie die Natur gar nicht auf diese Weise einteilen würden. Markus Gabriel erklärt: „Die physikalischen Einteilungen sind deswegen auch weit davon entfernt, auch nur annähernd so objektiv und vom menschlichen Subjekt unabhängig zu sein, wie uns dies oft weisgemacht wird. Vielmehr spiegelt die Sprache der Physik unsere menschlichen Erkenntnisinteressen.“ Man muss sich nur klarmachen, dass das gegenwärtige physikalische Weltbild auf der gut belegten Annahme aufbaut, dass sich innerhalb des kosmischen Horizonts, also innerhalb der vom Menschen beobachtbaren Natur, nichts in der Raumzeit schneller bewegt als das Licht. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Gewohnheiten haben zu Unrecht ein schlechtes Image

Heute wird sehr vieles schnell zur Sucht erklärt. Dabei handelt es sich oft um Gewohnheiten. Und die haben zu Unrecht ein schlechtes Image. Denn ohne Gewohnheiten müsste man selbst die kleinste und unbedeutendste Handlung planen und analysieren. Das würde den Alltag enorm komplizieren. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, sagt man. Gewohnheiten sind zutiefst menschlich. Erst sie ermöglichen kluge Gedanken und zügiges Arbeiten. Indem vieles von wie selbst läuft, gewinnt das menschliche Gehirn Zeit, sich größeren Fragen zu widmen. Professorin Nicole Calakos von Duke-Universität (USA) erklärt: „Wir schalten dann quasi auf Autopilot.“ Eine gute Gewohnheit ist wie ein Flugticket zum nächsten Zwischenziel. Dennoch spricht man öfter von schlechten als von guten Gewohnheiten. Professor Christian Lüscher, Neuronenwissenschaftler an der Uni Genf, erläutert: „Menschen sprechen oft schon von Sucht, wenn sie mal ein paar Stück Schokolade essen.“

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Nur Selbsterkenntnis kann zur Weisheit führen

„Mensch“ beziehungsweise in diesem Zusammenhang besser „homo sapiens“ ist unter anderem ein Name für eine bestimmte Tierart. Carl von Linné (1707 – 1778), der den bis heue verbreiteten Artnamen „homo sapiens“ in seinem System der Natur eingeführt hat, führt als Merkmal des Menschen das antike Gebot an: „Erkenne Dich selbst.“ Markus Gabriel erklärt: „Die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, die durch dieses Gebot angesprochen wird, ist Carl von Linné zufolge genau dasjenige, was uns zu einem „sapiens“, einem Lebewesen macht, das der Weisheit fähig ist.“ Dafür gibt es eine wichtige Vorgeschichte. In der berühmten, von Platon verfassten Verteidigungsrede des Sokrates vor dem athenischen Volksgericht, berichtet der Angeklagte, das delphische Orakel habe ihn als den weisesten aller Menschen bezeichnet. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Widerspruch zwischen Liebe und sozialer Pflicht hat sich aufgelöst

Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim stellt fest: „Wen wir lieben, wie oft wir lieben, ob wir heiraten, ob wir uns trennen, all das ist nicht nur individuell, sondern stark von der Gesellschaft geprägt.“ Doch bei allen Freiheiten, die die moderne Gesellschaft bietet: Die Freizügigkeit in Sachen Liebe hat ihren Preis; erst sie sorgt für all den Liebeskampf und –krampf, mit dem sich der moderne Mensch herumschlägt. Die zeitgeschichtlichen Veränderungen in Sachen Liebe sind groß. Ulrich Schnabel erklärt: „So war die Beziehung zum anderen Geschlecht noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein durch eine Vielzahl rigoroser Verhaltensregeln und Vorschriften geregelt, was Stoff für große epische Dramen abgab. Die Romane dieser Zeit waren voll von Geschichten über den Zwiespalt zwischen Gefühl und gesellschaftlicher Pflicht.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Bill Gates kämpft mit seiner Stiftung weltweit gegen Armut

Der Gründer von Microsoft, Bill Gates, ist mit einem Vermögen von mehr als 80 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. Gleichzeitig ist er einer der großzügigsten und ehrgeizigsten. Mit der „Bill und Melinda Gates Foundation“ will der Philanthrop extreme Armut abschaffen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Wohl Afrikas zum deutschen Interesse erklärt. Bill Gates sieht die Flüchtlingskrise auch als Chance, neue Verbündete im Kampf gegen globale Armut zu finden. Der Multimilliardär erklärt: „Die Flüchtlingskrise macht deutlich, dass es uns alle betrifft, wenn Menschen in harten Umständen leben. Es ist furchtbar mit anzusehen und schafft riesige Probleme. Wir sind weder vor Armut noch vor ansteckenden Krankheiten in fernen Ländern sicher. Die Probleme bleiben nicht dort.“ Bill Gates empfindet es als traurig, dass erst die Krise in Syrien ein stärkeres Bewusstsein über die schlimmen Lebensumstände in armen Ländern schafft.

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Freundlich Nein sagen kann jeder lernen

Eigene Bedürfnisse durchzusetzen und die Bedürfnisse der Mitmenschen anzuerkennen, muss sich nicht ausschließen. Tanja Baum weiß: „Jeder Mensch will ernst genommen und respektiert werden. Wenn dieses Bedürfnis nicht erfüllt wird, kommt es zum Konflikt.“ Aber den Wunsch anderer nach Anerkennung zu erfüllen, heißt nicht, sich selbst und seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse immer hinten anzustellen. Gerade dann, wenn ein Mensch sich anderen gegenüber abgrenzen will, eine Bitte ablehnen oder einer Forderung nicht nachkommen will, erfüllt er die Bedürfnisse des Anderen nicht. Umso wichtiger ist es, dass er sich an dieser Stelle trotzdem ernst genommen fühlt. Selbstverständlich kann man eine Bitte ablehnen. Tanja Baum, systemische Organisationsberaterin und Coach, gründete 1999 in Köln die Agentur für Freundlichkeit mit den Arbeitsschwerpunkten Beratung, Coaching, Training und Meditation.

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Peergroups verleihen Jugendlichen ein Gefühl der Sicherheit

Jeder Mensch sucht Bindung und Beziehung, er braucht sie, um ein sinnerfülltes Leben zu führen. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Das Ich entwickelt sich an der Grenzlinie zum Du, allein schon deswegen, weil der ganze biologische Apparat unserer Wahrnehmung auf der Feststellung von Unterschieden besteht.“ In der Regel braucht man dafür andere Menschen oder in Notzeiten, wenn der Kontakt mit anderen Menschen rar ist oder gefährlich erscheint, zumindest ein Tier, mit dem man in engen Austausch treten kann. Nur wenige Menschen schaffen es, sich ausschließlich einer abstrakten Idee hinzugeben und trotzdem in echter Lebensbalance zu bleiben. Wenn ein Jugendlicher seinen Freundeskreis, seine Clique oder seine Peergroup hat, so definiert sich das in erster Linie durch ein Gefühl von Zugehörigkeit zu diesem Kreis und durch Abgrenzung gegenüber dem Rest der Welt. Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Leibeigenschaft aufgehoben

Das 18. Jahrhundert wird als „Pädagogisches Jahrhundert“ bezeichnet. Die Pädagogik etablierte sich in dieser Zeit als eigenständische wissenschaftliche Disziplin. Im Jahr 1779 gab es den ersten Lehrstuhl für Pädagogik. In der Zeit um das 18. Jahrhundert herum geschahen in Europa bedeutende Umwälzungen, die ganz entscheidend für das heutige vorherrschende ökonomische Bildungsverständnis sind. Thomas Damberger erklärt: „Die damalige, vormoderne Gesellschaft kann als eine Agrargesellschaft bezeichnet werden. Die meisten Menschen lebten als Bauern auf dem Land. Sie waren Leibeigene, das heißt, sie gehörten nicht sich selbst, sondern waren Eigentum ihres Feudalherrn.“ Das Land, das sie zu beackern hatten, gehörte ihnen ebenfalls nicht und auch nicht die Werkzeuge und Gerätschaften, mit denen sie tagtäglich arbeiteten. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Die Unausdrückbarkeit des Individuellen könnte ein Denkfehler sein

Wer überhaupt nie etwas gefühlt hat, dem kann man keine Gefühle erklären – so wie man einem Blinden nicht erklären kann, was Farben sind. Aber was ist hier mit „erklären“ gemeint. Philipp Hübl beantwortet die Frage wie folgt: „Erst einmal bloß so viel wie: Man sagt etwas, damit der andere sich einen Begriff davon machen kann.“ Und dazu braucht man Vorwissen. Doch bei Gefühlen wie Verliebtheit erwarten manche noch mehr. Sie behaupten nämlich, diese phänomenalen Erlebnisse sind prinzipiell unausdrückbar. Der Mensch kann zwar viele umschreibende Worte finden, aber er kommt niemals nah genug an die Erlebnisse heran, denn seine Worte bleiben Schall und Rauch. Von dieser Unausdrückbarkeit des Individuellen waren neben Johann Wolfgang von Goethe vor allem die Romantiker fasziniert. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Der Geist ist kein rein biologisches Phänomen

Markus Gabriel möchte in seinem Buch „Ich ist nicht Gehirn“ durch die Darstellung einiger zentraler Grundbegriffe der Philosophie des Geistes die geistige Landschaft der menschlichen Selbsterkenntnis kartographieren. Er stellt sich dabei die Frage, wie die Begriffe Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Ich, Wahrnehmung und Denken zusammenhängen und wie sie überhaupt in das Vokabular des Menschen gekommen sind. Außerdem geht es ihm um die positive Selbsterkenntnis, also um die Frage, wer der Mensch eigentlich ist. Seine positive Hauptthese lautet, dass der menschliche Geist eine offene Vielzahl von Vermögen hervorbringt, die allesamt geistig sind, weil der Geist sich über diese Selbstdeutungen ein Bild von sich selbst verschafft. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Nur der Mensch hat die Fähigkeit zur Selbstbestimmung

Das Wählen ist für den Menschen eine Pflichtaufgabe. Das hat der Philosoph Jean-Paul Sartre den „Zwang zur Freiheit“ genannt. Ein Mensch wählt immer, ob er sich nun dessen bewusst ist oder nicht. Reinhard K. Sprenger betont: „Aber das bewusste Wählen ist es gerade, dass der Wahl die Würde gibt. Echte Verantwortung erwächst also aus einer bewussten Wahlentscheidung.“ Ein Weiser sagt: „Wähle, was du tust, dann tust du immer, was du gewählt hast.“ Wer sich dagegen als Opfer der Umstände erlebt, macht andere verantwortlich, lebt nicht selbstbestimmt. Dann hat das Jammern kein Ende. Dann zahlt man den höchsten Preis, den man in diesem Leben zahlen kann: den Verlust der Selbstachtung. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Die Entfremdung ist ein durchgängiges Motiv in Friedrich Hölderlins Dichtung

Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) gehört, wie der früh verstorbene Novalis, zu den Autoren, deren Leben und Werk zum Mythos geworden ist. Seine Gedichte beeindrucken durch große sprachliche Dichte, Reichtum der Gedanken, Füllen an Bildern und Symbolkraft. Sensibilität uns Schwermut verbinden sich mit der Hoffnung auf Wiederherstellung der zerstörten menschlichen und gesellschaftlichen Harmonie zu einer Form des politischen Gedichts, dem alles Agitatorische fehlt, das aber durch die Tiefe der Empfindung, der Moralität und politischen Integrität, sprachlichen Gestus und ästhetischer Formung überzeugt. Im idealisierten Griechenland fand Friedrich Hölderlin den Orientierungspunkt für seine Konzeption der Humanität. Die Verwendung antiker Strophenformen war keine äußerliche Übernahme tradierter Formen, sondern Ausdruck inniger Verbundenheit mit der Antike und deren rückerinnernden Aktualisierung. Neben den strengen antiken Versformen stehen die späten, zu freien Rhythmen übergehenden Hymnen und Elegien, in denen die Sehnsucht nach dem verlorenen Griechenland zum Ausdruck kommt. Beispiele sind „Archipelagos“, „Mnemosyne“ und „Patmos“.

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