Die meisten Menschen beherrschen die Kunst der Verstellung

Wenn Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Gründe oft und systematisch auftauchen, dann stellt sich für Philipp Hübl die Frage, wie sie evolutionär von Vorteil gewesen sein können. Als Antwort darauf gibt es mehrere Vorschläge. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers nimmt an, dass Selbsttäuschung sich im Dienste der sozialen Täuschung entwickelt hat. Friedrich Nietzsche hat diese soziobiologische Grundidee schon 150 Jahre früher so zusammengefasst: „Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen … die Regel und das Gesetz.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Das Wohlbefinden hängt stark von der sozialen Umgebung ab

Die Vorstellung, Glück ließe sich ganz individuell und unabhängig von allen anderen verwirklichen, ist reichlich weltfremd. Ulrich Schnabel ergänzt: „Ein falsch verstandenes, zwanghaft positives Denken, das alles Negative ausblendet und nur rosarote Brillen zulässt, bringt am Ende mehr Unglück als Glück hervor.“ Schließlich hängt das Wohlbefinden eines Menschen stark von der sozialen Umgebung ab, von Freunden, Partnern, Arbeitskollegen et cetera. Zufriedenheit, so zeigt auch eine Langzeitstudie der Harvard University, hat vor allem mit Beziehungen zu tun. Studienleiter George Vaillant erklärt: „Den größten Einfluss darauf, ob ein Leben gelingt, hat Bindung. Und dabei geht es nicht unbedingt um die Bindung zum Lebenspartner, sondern eher um die grundsätzliche Beziehung zu anderen Menschen, also im Sinne einer altruistischen und empathischen Verbindung.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Die Entdeckung einer Affäre ist eine Katastrophe

Gäbe es eine Richterskala für emotionale Erdbeben, würde die Entdeckung einer Affäre am obersten Ende der Skala rangieren. Manche Menschen erholen sich schnell, doch die Mehrheit fühlt sich, als wären sie an einem vermeintlich erdbebensicheren Ort von einer seismischen Katastrophe überrascht worden. Shirley P. Glass betont: „Sie sind in keinster Weise auf die Erschütterung vorbereitet, die ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht und ihr häusliches Leben zerstört. In den ersten Minuten und Stunden nach der Enthüllung eines Betrugs sind die Gefühle außer Kontrolle.“ In den unmittelbar folgenden Tagen und Wochen werden sowohl der betrogene als auch der untreue Partner und der oder die Geliebte von Gefühlen enormen Verlusts überwältigt. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Der Widerspruch zwischen Liebe und sozialer Pflicht hat sich aufgelöst

Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim stellt fest: „Wen wir lieben, wie oft wir lieben, ob wir heiraten, ob wir uns trennen, all das ist nicht nur individuell, sondern stark von der Gesellschaft geprägt.“ Doch bei allen Freiheiten, die die moderne Gesellschaft bietet: Die Freizügigkeit in Sachen Liebe hat ihren Preis; erst sie sorgt für all den Liebeskampf und –krampf, mit dem sich der moderne Mensch herumschlägt. Die zeitgeschichtlichen Veränderungen in Sachen Liebe sind groß. Ulrich Schnabel erklärt: „So war die Beziehung zum anderen Geschlecht noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein durch eine Vielzahl rigoroser Verhaltensregeln und Vorschriften geregelt, was Stoff für große epische Dramen abgab. Die Romane dieser Zeit waren voll von Geschichten über den Zwiespalt zwischen Gefühl und gesellschaftlicher Pflicht.“ Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Die Elternschaft hat ihre Naturgesetzmäßigkeit verloren

Was das Thema „eigene Kinder in die Welt setzen“ anlangt, hat sich der Zeitgeist stark gewandelt. Für frühere Generationen war das noch ein logischer, weiteren Entwicklungsschritt in der eigenen Biografie, der keiner gesonderten Diskussion bedurfte. Vorausgesetzt man hatte ein gewisses Alter erreicht im Idealfall sowohl eine abgeschlossene Berufsausbildung in der Tasche, als auch einen Ehering am Finger. Heute sieht das ganz anders aus. Martina Leibovici-Mühlberger erklärt: „Das mit dem „Kinderkriegen“ ist eine ziemlich schwierige Angelegenheit geworden. Jede Menge verborgener Risiken scheinen auf einen zu warten, sodass man fast schon über ein Löwenherz verfügen und ein Abenteurer sein muss, um sich auf dieses Wagnis einzulassen.“ Die Ärztin Martina Leibovici-Mühlberger leitet die ARGE Erziehungsberatung Fortbildung GmbH, ein Ausbildungs-, Beratungs- und Forschungsinstitut mit sozialpsychologischem Fokus auf Jugend und Familie.

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Anklagen ist ein Zeitvertreib für Verlierer

Über die einzige Quelle von Stress wird nur selten oder nie etwas gesagt: „Stress gibt es nur, wenn Sie „Ja“ sagen und „Nein“ meinen.“ Dann – und nur dann – hat man Stress: Wenn man sich den Erwartungen anderer beugt, wenn man sich oberflächlich anpasst, aber eigentlich lieber etwas ganz anderes tun wollte. Wer „Ja“ sagt und „Nein“ meint, dreht die Verantwortung nach außen und beschuldigt den anderen. Ärger bedeutet immer, dass man jemanden Verantwortung zuschiebt, die man selber hat. Reinhard K. Sprenger sagt damit allerdings nicht, dass einem die Erwartungen anderer egal sein sollten. Er sagt nur, dass man sich diese Erwartungen nicht reflexhaft zu Eigen machen muss. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Selbstbild und innere Zensur entstehen durch Nachahmung

Menschen sind Wesen, die über ein Selbstbild verfügen. Sie haben eine Vorstellung davon, wer sie sind und wie sie sein möchten. Damit ist verbunden, dass sie nicht alles, was es an Gedanken, Wünschen und Affekten in ihnen gibt, in ihr Handeln einfließen lassen. Einigen versperren sie sogar den Zugang zum Erleben. Peter Bieri erläutert: „Subjekte sind Wesen, die in ihren Impulsen zensieren und kontrollieren können. Darin besitzen sie eine Form der inneren Autorität. Und auch das ist eine Dimension, in der es Selbstständigkeit und Unselbstständigkeit gibt, Würde und Würdelosigkeit.“ Was die Menschen an Selbstbildern und Zensur mit sich herumtragen, haben sie ursprünglich durch Nachahmung und Erziehung erworben.  Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Die Deutschen wollen das lang verpasste Glück suchen

Helfen macht die meisten Menschen glücklich. In einem solchen Fall ist es ein beinahe anarchisches Glück. Eigentlich ist die Bundesrepublik Deutschland ein ziemlich glückliches Land. Es gibt seit sieben Jahrzehnten keinen Krieg und keine Diktatur. Deutschland und seine Bürger sind wohlhabend wie nie. Die Korruption ist auf einem niedrigen Level, das Bildungsniveau ist ganz ordentlich, die meisten Straßen sind in einem guten Zustand und in der Regel kommen auch die Züge pünktlich an. Und dennoch scheint die Hälfte der Bevölkerung gerade das Glück zu suchen: In Yogakursen, in Gruppen zur Selbsterfahrung und beim individuellen Coaching. Oder sie fahnden nach dem Glück auf Reisen in ihr Inneres, in der Wildnis oder in einem Wellnesshotel. Wieder andere hoffen das Glück an der Bar, beim Dating oder wenigstens mit einem Buch auf dem Sofa zu finden.

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Anonyma erzählt aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft

Die Autorin, die sich „Anonyma“ nennt, berichtet in ihrem Buch „Ganz oben. Aus dem Leben einer weiblichen Führungskraft“ vor allem darüber, wie sehr das obere Management noch von männlichem Denken geprägt ist. Sie erzählt davon, welche Erfahrungen sie an der Spitze eines großen deutschen Wirtschaftsunternehmens gemacht hat. Dort sind die Frauen nach wie vor krass unterrepräsentiert: von den 833 Vorstandssitzen in den 200 größten deutschen Firmen sind nur 21 von Frauen besetzt. Anonyma klärt darüber auf, wo die Probleme liegen, die es Frauen in Deutschland so schwer machen, bis in die Führungsetagen großer Konzerne vorzudringen. Dieser intime Einblick in das soziale Verhalten der deutschen Wirtschaftselite amüsiert, überrascht und erschüttert gleichermaßen. Gleich im ersten Kapitel weist Anonyma darauf hin, dass man im Prinzip als Frau ein Mann sein muss, um Karriere zu machen. Sie schreibt: „Man muss es schaffen, als Frau geschlechtsneutral betrachtet zu werden und trotzdem die Kompetenzen, die man als Frau mitbringt, einzubringen. Dann kann es funktionieren.“

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Paul Nizon wird immer noch als Geheimtipp gehandelt

Zu den Bewunderern des Schweizer Schriftstellers Paul Nizon zählten unter anderem Max Frisch, Elias Canetti und Frédéric Beigbeder, der ihn als einen der wichtigsten Autoren der Gegenwart bezeichnete. Paul Nizon war der erste deutsch schreibende Schriftsteller, der seine Figuren neben einem Herz und einem Hirn auch mit einer Sexualität ausstattete. Paul Nizon sagt: „Ich habe den Sexus in die deutsche Literatur eingeführt.“ Seine eigenen Beziehungen mit dem weiblichen Geschlecht sind seiner Meinung nach vor allem deswegen alle gescheitert, weil er zu sehr mit dem verdammten Schreiben liiert ist. Erst kürzlich hat er seine Tagebücher aus den Jahren 2000 bis 2010 veröffentlicht, die den Titel „Urkundenfälschung“ tragen.

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Hartz IV soll ein menschenwürdiges Leben sichern

Der kommissarische Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, fordert, dass Politiker damit aufhören müssen, Hilfsbedürftige, die von Hartz IV leben, pauschal zu verdächtigen. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV geht hervor, dass der Sozialstaat eine Grundsicherung für alle Bürgerinnen und Bürger zu organisieren habe, sodass ihnen ein menschenwürdiges Existenzminimum garantiert ist. Für Nikolaus Schneider ist die Menschenwürde der zentrale Orientierungsgedanke für alles rechtliche und staatliche Handeln in Deutschland. Zur Garantie eines menschenwürdigen Existenzminimums ist eine materielle Basis notwendig.

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