François Jullien sucht das Universelle

Das Konzept des Universellen, das die Entwicklung der europäischen Kultur getragen hat, gerät heute von zwei Seiten unter Druck. François Jullien kennt sie: „Zunächst stößt es in der Begegnung mit anderen Kulturen auf einen Selbstwiderspruch. D zeigt sich, dass es seinerseits das Produkt einer einzigartigen Geschichte des Denkens ist. Darüber hinaus erweist ein Blick auf ihre gesamte Dauer, dass die einzigartige europäische Geschichte, aus der es hervorgegangen ist, gar nicht so notwenig war, wie implizit behauptet.“ Sobald man nämlich die philosophische Perspektive im engeren Sinn verlässt und die Herausbildung des Begriffs im Rahmen der – allgemeineren – kulturellen Entwicklung dessen betrachtet, was später zu Europa werden sollte, sieht man, dass der Aufstieg des Universellen sich einer bunten, um nicht zu sagen chaotischen Geschichte verdankt. François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

Weiterlesen

Durch Homöostase entwickeln sich die Gene

Der Mensch hat sich schon immer mit Schmerzen, Leiden und dem sicheren Tod auseinandergesetzt. Er tat dies als Gegensatz zu der unerreichten Möglichkeit von Wohlergehen und Gedeihen. Diese Gedanken dürften bei den Menschen hinter manchen kreativen Prozessen gesteckt haben, aus denen die heutigen, verblüffend komplexen Instrumente der Kultur hervorgegangen sind. Wenn man Menschenaffen beobachtet, spürt man, dass es Vorläufer des kulturellen Menschseins gibt. Antonio Damasio erläutert: „Schimpansen können einfache Werkzeuge herstellen. Sie nutzen sie auf intelligente Weise für die eigene Ernährung und geben die Erfindungen sogar auf visuellem Weg an andere weiter.“ Bevor in der Evolution die ersten kulturellen Ausdrucksformen entstehen konnten, musste man auf die evolutionäre Entwicklung von Geist und Gefühlen warten. Einschließlich des Bewusstseins, mit dem das Gefühl subjektiv erlebt werden konnte. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Weiterlesen

Der Naturmensch war schon immer eine Fiktion

Konrad Paul Liessmann stimmt der Aussage zu: „Der Naturmensch war immer schon eine Fiktion. Für den Menschen war seine eigene Natur nur das Ausgangsmaterial, das es erst zu gestalten galt.“ Eine prekäre Radikalisierung erfuhr dieser Sachverhalt durch die Überlegung, dass es nicht darum gehen sollte, den Menschen nach ethischen und ästhetischen Überlegungen zu formen, sondern zu verbessern. Dieser Gedanke hat die Einsicht in das Ungenügen des Vorhandenen ebenso zur Voraussetzung wie die normative Vorstellung, an der sich die nun einsetzenden Programme der Optimierung orientieren können. Das Konzept des „neuen Menschen“, der einen alten hinter sich lassen sollte, ist christlichen Ursprungs. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

Weiterlesen

So entstand das Geld

Geld ist erfunden worden, um den Austausch von Gütern zu erleichtern, sagt die Mehrzahl der Ökonomen. Anfangs hat man einfach nur Naturalien getauscht. Das Weggegebene war gewissermaßen das Geld; das, was man dafür bekam, die Ware. Vor allem Edelmetalle empfahlen sich später als allgemeine Tauschmittel. Christoph Türcke schreibt: „Man begann den Wert, den tauschbare Gebrauchsgüter für den Besitzer oder den Erwerber hatten, in Edelmetallmengen auszudrücken und bekam so eine allgemein anerkannte Währung, die sich als Regelwerk des Austauschs als außerordentlich praktisch erwies.“ So stellte sich zum Beispiel der griechische Philosoph Aristoteles die Entstehung des Geldes vor und die Pioniere der politischen Ökonomie der Neuzeit, John Locke, Adam Smith, David Ricardo und ihre Anhänger, sind ihm darin gläubig gefolgt. Prof. Dr. Christoph Türcke war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig.

Weiterlesen

Die Kunstfreiheit gehört zur Demokratie

Martin Heideggers Ansicht, in der Kunst könne die für das Dasein des Menschen entscheidende Wahrheit geschehen, mag mit „Nein“ beantwortet werden, zumal die Kunst sich selbst zum Problem geworden ist. Für die Frage nach dem Freiheitsrang und Freiheitswerk der Kunst genügt laut Otfried Höffe die weit bescheidenere Annahme, die Kunst sei nicht belanglos geworden. Heutzutage hält man die Kunstfreiheit für ein selbstverständliches Recht, weshalb man gegen deren Nichtanerkennung protestieren muss und Staaten, in denen die Kunst systematisch unterdrückt wird, als Unrechtsstaaten kritisiert. Obwohl es zutrifft, dass die Kunstfreiheit zu den unverzichtbaren Elementen konstitutioneller Demokratien gehört, ist sie aber als Grundrecht relativ jung. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Die Erde bewegt sich um die Sonne

Selbst die weisesten Propheten können ihren Blick nicht über den Möglichkeitshorizont ihrer Zeit hinaus richten. Jedoch verändert sich dieser Horizont mit jeder kleinen Veränderung, wenn der menschliche Geist nach außen blickt. Entweder um dabei die Natur zu beobachten oder sich nach innen wendend, seine eigenen Gegebenheiten in Frage zu stellen. Maria Popova schreibt: „Durch das Geflecht dieser Gewissheiten, gestrafft von Natur und Kultur, sieben wir die Welt. Doch ab und zu – ob durch Zufall oder bewusste Anstrengung – lockert sich der Draht, und durch die Maschen schlüpft die Keimzelle einer Revolution.“ Johannes Kepler begeisterte sich erstmals als Student in Tübingen für das heliozentrische Modell. Das war ein halbes Jahrhundert nachdem, nachdem Nikolaus Kopernikus seine Theorie veröffentlicht hatte. Die Bulgarin Maria Popova ist eine in den USA wohnhafte Autorin, Intellektuelle und Kritikerin. Sie ist bekannt als Gründerin der Online-Plattform Brain Pickings.

Weiterlesen

Wein ist Kultur

Für Aldo Sohm un Christine Muhlke ist Wein Kultur, Geschichte und ein Lifestyle-Produkt. Er bringt die Menschen über Generationen und Ländergrenzen hinweg zusammen. Dabei ist Wein nichts weiter als vergorener Traubensaft. Oder präziser, Saft von gepressten Trauben, deren Zucker mithilfe von natürlicher Hefe oder Reinzuchthefe zu Alkohol und Kohlendioxid vergoren wird. Je nach Rebsorte kann die Gärung und Holzfässern oder Tanks aus Edelstahl erfolgen. Manche Weine füllt man sofort in Flaschen ab und verkauft sie jung. Andere verbringen längere Zeit in ihren Gärbehältern, bevor sie ihren Weg in die Flasche finden. Wieder andere reifen vor dem Verkauf in der Flasche weiter. Der Österreicher Aldo Sohm ist einer der renommiertesten Sommeliers der Welt, eine Legende seiner Branche. Christine Muhlke ist Redakteurin des Feinschmecker-Magazins „Bon Apppétit“.

Weiterlesen

Das Kino verschränkt den Konsum mit der Kunst

Die Welt des Konsums entwickelt sich seit den 1920er Jahren zur neuen Kultursphäre. Es findet sozusagen eine Konsumrevolution statt. Andreas Reckwitz erläutert: „Güter, die bisher primär instrumentellen Zwecken dienten, kulturalisiert man nun mehr und mehr. Und sie erhalten einen narrativen, ästhetischen, expressiven oder ludischen Selbstzweck.“ Mit dem Konsum weitet sich jenseits von bürgerlicher Kunst und Kultur das Feld dessen, was Kultur sein kann, deutlich aus. Zentral ist: Die Güter in einer kommerziellen Marktkonstellation buhlen um die Gunst des Konsumenten. Daher koppelt man Kultur nun nicht mehr an den Staat, sondern an die Ökonomie. In einzelnen Segmenten lassen sich hier bereits Mechanismen von kultureller Innovation und Differenzierung nach Art eines „Modezyklus“ beobachten. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Weiterlesen

Willkürliche Machtausübung bedroht die Freiheit

Wenn man über Freiheit spricht, ist das, wovon man sich befreien will, ein bewegliches Ziel. Heutige Konservative mit intellektuellen Neigungen bezeichnen sich oft als „klassische Liberale“. Ihre Vorstellung von der menschlichen Freiheit wurde von John Locke und den Begründern des modernen Liberalismus geprägt. John Locke baute seine politische Argumentation auf dem Konzept der Freiheit auf. Sein Einfluss ging weit über die politische Sphäre hinaus. Sie prägt bis heute das Ideal einer Autonomie, die für den modernen Menschen zur zweiten Natur geworden ist. Matthew B. Crawford stellt fest: „Lockes Neudefinition der Politik machte eine Neudefinition der menschlichen Natur sowie der Stellung des Menschen in der Welt erforderlich. Letzten Endes musste er neu definieren, wie wir die Welt begreifen.“ Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Es gibt drei Dimensionen der Resilienz

Im Titelthema beantwortet das neue Philosophie Magazin 02/2021 die Frage: „Was macht uns resilient?“ An Krisen nicht zugrunde gehen, sie gar als Anlass für Fortschritt nutzen: Das meint das Konzept der Resilienz im Kern. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt im Editorial: „Die resiliente Persönlichkeit oder Gesellschaft weiß um die Unvermeidbarkeit schlimmer Ereignisse. Nichts kann uns hundertprozentig vor Schicksalsschlägen, vor Trennung oder Tod schützen.“ Inzwischen hat auch die Soziologie die Resilienz entdeckt und fragt nach den Grundparametern gesellschaftlicher Stabilität. Ein resilientes System braucht eine gewisse Geschmeidigkeit, ja Plastizität. Es muss beweglich und dynamisch sein. Nur so kann es auf das reagieren, was ihm zustößt, sich auf kommende Krisen vorhersehen und sich flexibel auf sie einstellen. Dabei gibt es drei Dimensionen der Resilienz: Stabilisation, Transformation und schließlich Reduktion.

Weiterlesen

Die Ideologen des Internets sind antielitär

Mit der Sorge um das Schicksal der Individualität in der gegenwärtigen Kultur setzt man sich vermutlich dem Verdacht aus, altmodisch zu sein. Denn heutzutage sind nicht wenige Menschen von der „Weisheit der vielen“ und der „Schwarmintelligenz“ fasziniert. Man suggeriert ihnen, das Internet bringe eine überlegene globale Intelligenz hervor. Matthew B. Crawford erklärt: „Dieser kollektive Verstand ist „meta“. Er ist synoptischer und synthetischer als jeder von uns.“ Natürlich passt all diese Liebe zur Crowd sehr schön zur Abneigung des Silicon Valley gegen das Konzept des geistigen Eigentums. Und zu der Tatsache, dass man mit der Anhäufung von Inhalten viel mehr Geld verdienen kann als mit der Produktion dieser Inhalte. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

So entwickelt sich eine Gesellschaft

Die Entwicklung einer Gesellschaft ist häufig als unilinearer Prozess der formalen Rationalisierung beschrieben worden. Demzufolge schreitet sie in Richtung einer immer umfassenderen Logik des Allgemeinen fort. Das geschient in Form von Technisierung, Verwissenschaftlichung und Universalisierung. Wohingegen Singularitäten, Valorisierungen und Affekte das sind, was die Menschheit hinter sich lässt. Andreas Reckwitz vertritt folgende Annahme: „Die Gesellschaftstheorie muss von einer Doppelstruktur der Vergesellschaftung ausgehen. Vergesellschaftung heißt formale Rationalisierung und Kulturalisierung.“ Das bedeutet, das Rationalisierungsprozesse nicht isoliert, das heißt ohne die sie stets begleitenden Kulturalisierungen betrachtet werden können. Und genauso wenig lässt sich die Kultursphäre künstlich von den Prozessen der Rationalisierung trennen. Damit sind soziale Logiken des Allgemeinen und solche des Besonderen in ihrer Parallelität und Relation zueinander zu betrachten. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Weiterlesen

Alle Menschen besitzen die gleiche Würde

Martin Luther, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hatten unterschiedliche Vorstellungen von Würde. Aber alle waren Universalisten. Denn sie glaubten an die Gleichheit der Würde aller Menschen aufgrund ihres Potenzials für innere Freiheit. Francis Fukuyama ergänzt: „Indes nimmt das Verlangen nach Anerkennung häufig eine speziellere Form an und konzentriert sich auf die Würde einer bestimmen Gruppe, die marginalisiert oder missachtet worden ist.“ Im Lauf der Geschichte verstanden viele Menschen das innere Selbst, das sichtbar gemacht werden musste, nicht als Teil aller Erdenbürger. Sondern sie betrachteten es als Teil einer spezifischen Person mit genau definierter Herkunft und ebensolchen Bräuchen. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

Weiterlesen

Italien ist für viele der Inbegriff der Zivilisation

Die Kultur Italiens wurde ebenso stark von außen geprägt wie durch seine innere Vielfalt. In seinem Buch „Die Macht der Schönheit“ zeigt Volker Reinhardt wie sich seit dem 11. Jahrhundert aus all diesen Faktoren die italienische Kultur entwickeln konnte. Zu den äußeren Einflüssen zählt der Historiker beispielsweise das Erbe der Antike, arabische Vorbilder auf Sizilien, byzantinische Prägungen in Venedig. Die italienische Kultur ist aus Krisen und Katastrophen erwachsen. Dennoch gehört zu ihrer DNA eine optimistische Lebenskraft. Diese Lebensfreude spricht jeden an und entwickelt dabei eine bezaubernde Wirkung. Für die italienischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts war Italien der Inbegriff der Zivilisation, die Prometheus-Nation schlechthin. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

Weiterlesen

Hass kann sich zu einem Flächenbrand ausweiten

Oscar Wilde stellte die rätselhafte Behauptung auf: „Die meisten Menschen sind jemand anderes.“ Er begründete seine Ansicht sehr überzeugend: „Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Nachahmung, ihre Leidenschaften sind Zitate.“ Amartya Senn stimmt dieser Auffassung zu: „Tatsächlich werden wir in erstaunlichem Maße von Menschen beeinflusst, mit denen wir uns identifizieren.“ Sektiererischer Hass kann sich, wenn er aktiv geschürt wird, zu einem Flächenbrand ausweiten. Amartya Sen nennt als Beispiele den Kosovo, Bosnien, Ruanda, Timor, Israel, Palästina und den Sudan. Das Gefühl der Identität mit einer Gruppe kann, entsprechend angestachelt, zu einer mächtigen Waffe werden, mit der man anderen grausam zusetzt. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

Weiterlesen

Werte müssen immer neu verhandelt werden

Viele Menschen glauben, es gäbe ein Allheilmittel für oder eigentlich gegen die Pluralisierung. Isolde Charim erläutert: „Mehr noch als die Leitkultur aber mit dieser eng verwoben ist das neueste Kaninchen aus dem Allheilmittel-Hut, die Werte.“ „Unsere“ Werte. Bisher führte die Bildung das Ranking der Allheilmittel an. Nun sind es die Werte. Wobei diese Diskussion meist unterstellt, diese „unsere“ Werte seien ein fixer Katalog, ein feststehender Kanon – und nicht etwas, das immer wieder neu verhandelt wird und werden muss. Dabei unterschlägt diese Diskussion einen zentralen Wert der Demokratie: die Verhandelbarkeit selbst. Die Möglichkeit also, ebenjene Werte immer wieder zu verhandeln und damit umzuschreiben. Die Debatte um die Werte dreht sich immer um das Akzeptieren der Grundwerte. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

Weiterlesen

Das Zeitalter des Anthropozäns hat begonnen

Dort, wo die Natur Ressourcen anbietet, wird sie selbst von höchst bescheidenen Gesellschaften vielfältig in Dienst genommen. Zudem beutet man sie oft genug auch aus, wodurch aus der zunächst unberührten Vorgabe die mehr und mehr kultivierte Natur entsteht. Otfried Höffe erklärt: „Schon weit länger als der Atmosphärenchemiker Paul Crutzen 2002 annimmt, leben wir in jenem Erdzeitalter des Anthropozän. In diesem ist der Mensch („Anthropos“) zum stärksten Antreiber ökologischer, selbst geologischer Prozesse geworden.“ Offensichtlich ist die dabei vorgenommene Kultivierung ein Freiheitsprozess in beiden Kernbedeutungen. Als eine allerdings nie endende Überwindung von Gefahren erhöht sie die negative Freiheit. Soweit dabei Erträge gesteigert und Arbeitsvorgänge erleichtert. Überdies schafft man Arbeitsplätze, auch Annehmlichkeiten und Wohlstand geschaffen. So zeichnet sich die Indienstnahme der Natur durch einen emanzipatorischen Charakter aus. Soweit sie aber eine neuartige Lebenswelt schafft, wächst die andere, positive Freiheit. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Um Werte finden Kulturkämpfe statt

Andreas Reckwitz ist der festen Überzeugung, dass nicht nur der Begriff der Kultur renoviert gehört. Sondern auch der Begriff des Wertes ist zu entstauben. Nur dann ist er für die zeitgenössische Soziologie und Kulturtheorie interessant: „Unter Werten versteht man nicht neukantianisch ein Wertesystem, das der Praxis vorausgeht und sie motivational anleitet. Es geht nicht darum, dass einzelne Menschen oder ein Geschlecht bestimmte Werte haben.“ Werte muss man als Teil von gesellschaftlichen Zirkulationsdynamiken interpretieren. Diese sind ergebnisoffen und häufig konflikthaft – hier finden Kulturkämpfe statt. In der Sphäre der Kultur zirkulieren nicht nur Kunstwerke, attraktive Städte und bewundernswerte Individuen. Sie bringt auch Müll hervor. Die meisten Einheiten des Sozialen, denen die Singularisierung nicht gelingt – den Dingen, die nicht einzigartig erscheinen, oder den Menschen, denen Originalität fehlt, zum Beispiel –, bleiben in der Kultursphäre unsichtbar. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Weiterlesen

Disruption kommt in allen Bereichen des Lebens vor

Die Disruption ist überall. Sie ist das übergeordnete Geschehen der Gegenwart. Sie kommt in allen Bereichen des Lebens vor. Andreas Barthelmess nennt Beispiele: „Politik und Gesellschaft, Freundschaft und Liebe, Kunst und Ernährung, Sport und Gesundheit, Partnerschaft und Sex.“ Alle diese Bereiche lassen sich unter einem weit verstandenen Begriff von „Kultur“ fassen. Kultur ist, was die Menschen aus dem machen, was ihnen unausweichlich vorgegeben ist. Aber was ist vorgegeben? Der Vorschlag von Andreas Barthelmess lautet: der technologische Fortschritt. Er treibt die Menschen an. Wie genau der technische Fortschritt in die Welt kommt, weiß man nicht. Wohl aber weiß man, welche Eigendynamik er entfaltet, sobald er in Form einer Erfindung oder Entdeckung einmal da ist. Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.

Weiterlesen

Griechische Mythen bestimmen das europäische Weltbild

Der Historiker Paul Veyne zeigte in den 80er Jahren in seinem Buch „Glaubten die Griechen an ihre Mythen?“, dass die griechischen Mythen Geschichten sind, die das europäische Weltbild und die Wahrnehmung der Europäer bestimmen. Dabei handelt es sich auch durchaus um doppelbödige Geschichten. Sie machen laut Jürgen Wertheimer deutlich, wie konstruiert und fragil, wie skrupellos und kreativ die europäische Art ist, Geschichte herzustellen und zu schreiben. Und auch wie virtuos sie damit umzugehen verstehen. Jürgen Wertheimer erläutert: „Einerseits wandeln wir gläubig auf den Spuren der Alten und lesen jedes Gran Wirklichkeit andachtsvoll auf. Zugleich bezweifeln wir jeden Echtheitsanspruch und lösen die Illusionen in der Säure unseres kritischen Verstandes auf.“ Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

Weiterlesen

Es gibt keinen Weg zurück in eine homogene Gesellschaft

Die Vorstellung von Pluralisierung beruht auf dem grundlegenden Missverständnis, dass die Vielfalt, dass die Pluralisierung eine Gesellschaft unverändert ließe. Woher rührt diese falsche Vorstellung. Isolde Charim erläutert: „Sie rührt daher, dass man glaubt, gesellschaftliche Vielfalt sei eine Ansammlung unterschiedlicher Kulturen und Religionen. Gesellschaftliche Vielfalt sei einfach eine Addition.“ Da gäbe es das Bestehende, das sind die Einheimischen, und zu denen käme dann einfach etwas Neues hinzu: beispielsweise die Türken oder die Jugoslawen. Aber Pluralisierung ist keine Addition. Es ist für Isolde Charim das Gebot der Stunde zu verstehen, was Pluralisierung eigentlich bedeutet. Und da muss man zweierlei festhalten: Erstens: Pluralisierung ist ein unhintergehbares Faktum. Es gibt keinen Weg zurück in einen nicht-plurale, in eine homogene Gesellschaft. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

Weiterlesen

Erst mit den Märkten entstehen die modernen Städte

Ursprünglich bezeichnet das Deutsche mit dem Ausdruck „Markt“ den Hausiererbetrieb römischer Krämer, die seit den Zeiten Cäsars die Lande durchziehen. Allgemeiner heiß „Markt“ das öffentliche Feilbieten von Waren, der Handel oder öffentliche Verkauf, ferner der dafür reservierte große und freie Platz einer Stadt. Laut Max Weber entstehen soziologisch gesehen die modernen Städte sogar erst mit den Märkten; jede Stadt ist ein „Marktort“. Otfried Höffe stellt fest: „Wegen ihrer anthropologisch überragenden Bedeutung findet sich die Institution des Marktes in so gut wie allen Kulturen, im Orient beispielsweise als Basar.“ Spezialisierten sich die Märkte, so gibt es je nach Gegenstand den Fischmarkt, Kornmarkt oder Rindermarkt, außerdem den meist nicht ortsgebundenen Arbeits-, Geld- und Kapitalmarkt. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

Weiterlesen

Zorn entsteht oft durch eine Statusverletzung

In der von der Psychologin Carol Travis vorgelegten umfangreichen empirischen Untersuchung des Zorns finden sich überall Belege für „Kränkungen“, „Geringschätzigkeit“, „herablassendes Verhalten“ und eine „Behandlung, als hätte man keine Bedeutung“. Die Menschen sind heutzutage wie auch in früheren Zeiten ungemein besorgt um ihr Ansehen. Und sie haben eine endlose Bereitschaft, sich von Handlungen, die sie dem Anschein nach darin bedrohen, in Zorn versetzen zu lassen. Diese Art der empfundenen Herabsetzung bezeichnet Martha Nussbaum als „Statusverletzung“. Allein die Idee der Statusverletzung schließt bereits die Vorstellung einer Unrechtmäßigkeit ein. Denn Statusminderung ist gemeinhin beabsichtigt, wie schon der griechische Philosoph Aristoteles wusste. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

Weiterlesen

Der moderne Mensch strebt nach Authentizität

Das Streben nach Authentizität begleitet auch die Selbstgestaltung der digitalen Subjekte und hat die paradoxe Form der performativen Authentizität. Andreas Reckwitz erklärt: „Sie ist paradox, weil die Authentizität eines Subjekts dem Wortsinne nach allein sein Selbstverhältnis betrifft: Es ist authentisch, wenn es sich nicht künstlich, sondern echt fühlt. Und das heißt: wenn es seinen eigenen Wünschen und Idealen eigensinnig folgt, notfalls gegen den Widerstand der Anderen.“ Das ist es, was das spätmoderne Subjekt will. Zugleich lebt dieses Subjekt in einer Kultur, in der diese Authentizität eine zentrale soziale Erwartung geworden ist. Das Subjekt soll authentisch sein – „Sei ganz du selbst, aber bitte sei es auch!“ Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Weiterlesen

Künstliche Intelligenzen eignen sich das Weltwissen an

Holger Volland weiß: „Die Sprache ist eine unerschöpfliche Ressource, um daraus neue Welten zu erschaffen und beschreiben zu können.“ Daneben besitzt die Sprache eine einzigartige Fähigkeit: Gefühle zu vermitteln, die weit über die Bedeutung von Wörtern hinausgehen. Die Schriftstellerin und Apothekerin Marie von Ebner-Eschenbach schrieb einmal: „Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten.“ Denn diese zeigen, dass es Dinge gibt, die nicht zur eigenen Kultur gehören. Deshalb braucht man für sie keinen eigenen Begriff. Auch der fremde Klang von Wörtern scheint Dingen eine neue Bedeutungsebene zu geben. Fremde Sprachen ermöglichen auch neue Formen des Denkens. Weil zum Beispiel Begriffe fehlen oder es plötzlich viele Wörter mit feinsten Unterscheidungen gibt. Das gilt für eine Sache, die im Deutschen nur durch ein Wort repräsentiert wird. Der Informationswissenschaftler Holger Volland lehrte an der Hochschule Wismar Gestaltung. Zudem kuratierte er große Ausstellungen der Gegenwartskunst in Argentinien und Deutschland.

Weiterlesen