Die Politik muss für das Wohlgefühl der Bürger sorgen

Das Potenzial, mithilfe abstrakter Vorstellungen gemeinsame Ziele und Perspektiven zu entwickeln und dadurch Verbundenheit und Identität zu fördern, besitzt auch die Politik. Hans-Otto Thomashoff kritisiert: „Aber sie lässt es bei uns seit Jahrzehnten weitgehend ungenutzt.“ Dabei kann Politik Hoffnungen wecken, Visionen, für die die Menschen bereit sind, sich einzubringen. Was als Idee beginnt, kann, einmal entfacht, zu einer Neugestaltung gesellschaftlichen Miteinanders werden, zu einer Revolution – im Guten wie im Schlechten. Eine zukunftsorientierte Politik sollte bewusst und gezielt an der Weiterentwicklung der Gesellschaft arbeiten. Hierzu muss sie Anstoß geben zum Fantasieren, zum Diskutieren und zum konkreten Umsetzen. Sie sollte berücksichtigen, was Menschen brauchen, um sich im Leben wohlzufühlen. Und das ist eben mehr als nur die Absicherung der wirtschaftlichen Existenz. Hans-Otto Thomashoff ist Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse in eigener Praxis in Wien.

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Die Kunst orientierte sich einst an der Nachahmung

Die Kunst zählt zu den großen Werten der europäischen Kultur. Dabei nimmt sie selbst an dem Wertekanon der Gesamtkultur Anteil. Silvio Vietta sagt: „Solange die Wahrnehmung der Welt in der europäischen Denkgeschichte als eine Art Abdruck der Dinge im Bewusstsein des Menschen begriffen wurde, orientierte sich auch die Kunst an dem Begriff der Nachahmung bzw. Mimesis.“ In seiner Poetik definiert Aristoteles das Drama als eine Form der „Mimesis der Handlung“ des Mythos. Die europäische Kunst und auch Literatur begriffen sich selbst dann im Weiteren als „Nachahmung der Natur“. Diese Vorstellung dominierte bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Und dieser Auffassung entsprach auch eine Praxis des Zeichnens und Malens „nach der Natur“. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Es gibt universelle moralische Prinzipien

Der amerikanische Psychologe Jonathan Haidt und andere Forscher neigen zu einem Relativismus, der zugespitzt lautet: Jede Kultur hat ihre eigene Moral. Philipp Hübl erläutert: „Wenn die Moral den Gefühlen gehorchen muss, kanns sie als Sklavin der Leidenschaften schwerlich universell sein.“ Im Westen ist moralischer Relativismus heute oft aus Minderheitenschutz heraus, also aus Fürsorge und Fairness motiviert. Denn es besteht die Angst, in der Moral kolonialistisch oder „ethnozentrisch“ zu verfahren. Doch universelle moralische Prinzipien sind nicht „westlich“, nur weil einige von ihnen zuerst im Westen formuliert wurden. Genauso wenig ist das Prinzip des gewaltlosen Widerstands gegen Unterdrücker „indisch“, nur weil es Mahatma Gandhi als Erster erfolgreich gegen die britischen Besatzer eingesetzt hat. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Im natürlichen Zustand gibt es nur Stärke und Schwäche

Im natürlichen Zustand gibt es weder Freiheit noch Unfreiheit, sondern nur Stärke und Schwäche. Und die Beherrschung der Schwachen durch die Starken. Christoph Menke erklärt: „Die Hervorbringung der Freiheit beginnt damit, dass dieser Zustand aufhört natürlich zu sein – oder natürlich zu scheinen – und die Abwesenheit der Freiheit als Unfreiheit erfahren wird.“ Nämlich als Negation der Freiheit, als Knechtschaft. Das macht diesen Zustand zu einem nichtnatürlichen; zu einem Zustand, in dem nicht frei zu sein heißt, der Freiheit beraubt zu sein. Mit dieser Erfahrung befinden sich die Menschen zum ersten Mal – in der Gesellschaft. Die erste wahrhafte Erfahrung eines nichtnatürlichen Verhältnisses, ist die Erfahrung der Unfreiheit. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.

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Die Kultur bringt die Emanzipation hervor

Es ist, alles in allem, die Kultur, die dem Menschen die Chancen eröffnet, sich durch eigene Anstrengung von vorgegebenen Konditionen zu emanzipieren. Volker Gerhardt erklärt: „In der Regel ermöglicht man das auf diese Weise Erreichte durch Konventionen, durch sprachliche Variation oder durch das Recht, auf alternative Weise zu leben.“ Die unzähligen neuen Techniken, die der Mensch im Lauf seiner viertausendjährigen Entwicklung auf den Weg gebracht hat, sind auch Gegenstand seiner institutionellen Einordnung geworden. Im Gang der kulturellen Entwicklung ist es dabei immer wieder zu mehr oder weniger tiefgreifenden Einteilung der Menschen nach Ständen, Kasten oder Klassen gekommen. Dominierende Eroberer, Gottkönige und ihre Adlaten haben Menschen unterworfen, ausgebeutet und nicht selten wie bloße Waren behandelt. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Cancel Culture zieht sich durch die Kulturgeschichte der Menschheit

Cancel Culture ist ein uraltes Phänomen, das sich durch die Kulturgeschichte der Menschheit zieht. Dazu zählen Praktiken, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, deren Auffassungen von den eigenen in störender Weise abweichen. Julian Nida-Rümelin stellt fest: „Manchmal sind diese Praktiken todbringend, wie in den Ketzerprozessen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Neben der Androhung oder Vollstreckung des physischen Todes gibt es die Praxis des sozialen Todes, des nachhaltigen Ausschlusses aus der Gemeinschaft.“ Im Römischen Imperium war die Verbannung neben der Ermordung ein bei Kaisern und anderen Potentaten beliebtes Instrument der Cancel Culture. Auch das Scherbengericht in den griechischen Stadtstaaten zählt dazu. Es zwang beispielsweise Alkibiades, den Feldherren und lange Zeit Liebling der Athener, mitten im Krieg gegen Syrakus zum Abbruch seiner militärischen Mission und zur Rückkehr nach Athen. Dort musste er sich vor einem Tribunal verantworten. Julian Nida-Rümelin gehört zu den renommiertesten deutschen Philosophen und „public intellectuals“.

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Stammesmentalität hindert oft beim klaren Denken

Menschen denken in Gruppen und drehen in Gruppen durch. Doch um wieder zu Sinnen zu kommen, ist jeder auf sich gestellt. Philipp Hübl weiß: „Unsere Stammesmentalität hindert uns oft am klaren Denken.“ Mit der progressiven Revolution legen viele Menschen insgesamt weniger Wert auf Autorität und Loyalität und sind dadurch weltweit weniger kollektivistisch. Doch gerade im Internet kann man eine „Retribalisierung“ beobachten, nämlich die Ausbildung moderner Stämme und die Radikalisierung der Etablierten. Es kämpfen neue Rechte gegen alte Linke, Veganer gegen Fleischesser, Fahrradfahrer gegen Autofahrer, Impfgegner gegen Naturwissenschaftler, Gläubige gegen Atheisten. Denn wer aus dem Blickwinkel seiner Stammesidentität lange genug hinschaut, entdeckt immer irgendwo Nachteile für die eigene Gruppe und moralische Verstöße bei den anderen Gruppen. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Menschen haben verschiedene Identitäten

Es ist keine neue Erkenntnis, dass die Menschen verschiedene Identitäten haben können und tatsächlich auch haben. Diese sind an verschiedene wichtige Gruppen geknüpft, denen sie gleichzeitig angehören. Amartya Sen fügt hinzu: „Im normalen Leben sehen wir uns als Mitglieder einer Vielzahl von Gruppen, denen wir allen angehören.“ Jedes dieser Kollektive, denen allen der Betreffende angehört, verleiht ihm eine potentielle Identität, die je nach Kontext sehr wichtig sein kann. Die Darstellung Indien in Samuel P. Huntigtons Buch „Der Kampf der Kulturen“ als einer hinduistischen Kultur ist für Amartya Sen ein grober Fehler. Grobheit der einen oder anderen Art findet man dort auch in der Charakterisierung anderer Kulturen. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Es gibt einen moralischen Kompass

Wie Menschen eine Sachlage beurteilen und wie sie sich in einer gegebenen Situation fühlen, gehört zum moralischen Nachdenken. Markus Gabriel erläutert: „Die universalen Werte nehmen uns unsere konkreten Entscheidungen nicht ab. Der moralische Kompass zeigt uns auf, in welche Richtung wir gehen sollen. Die einzelnen Schritte müssen aber immer noch wir als immer auch irrtumsanfällige Individuen gehen.“ Ansonsten wäre man nicht frei, denn das eigene Handeln wäre sozusagen durch die moralischen Kräfte der universalen Werte vorbestimmt. Die Grundthese des moralischen Realismus besagt in diesem Zusammenhang, dass Wertvorstellungen wahr oder falsch sein können. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Moderne umfasst drei Phasen

Generell lässt sich die Geschichte der Moderne in drei Phasen einteilen: die der bürgerlichen Moderne, der organisierten Moderne und der Spätmoderne. Andreas Reckwitz erläutert: „Die bürgerliche Moderne als erste Version der klassischen Moderne verdrängt in Europa und Nordamerika im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts allmählich die traditionelle Feudal- und Adelsgesellschaft.“ Die frühe Industrialisierung, die Aufklärungsphilosophie, und die Verwissenschaftlichung, die Entstehung von überregionalen Warenmärkten und kapitalistischen Produktionsstrukturen, die allmähliche Verrechtlichung und Demokratisierung, die Urbanisierung und die Ausbildung des Bürgertums als kulturell tonangebende Klasse mit Ansprüchen der Selbstdisziplin, der Moral und der Leistung lassen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eine soziale Logik des Allgmeinen entstehen. Überall setzten sich die technische, die kognitive und die normative Rationalisierung allmählich durch. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Die Bürger möchten wie die Adeligen sein

Die gesellschaftliche und politische Emanzipation des Bürgers fand auch und ganz besonders alltagsnah im Konsum statt. Ulf Poschardt stellt fest: „Das ehrgeizige Bürgertum robbte sich gebückt an den Lebensstil des Hofes und der Adeligen heran.“ Molières „Bürger als Edelmann“ versucht eine Art Travestie höfischen Lebens, um sich gewissen Privilegien anzunähern. Diese hatten Adel und Kirche in Gestalt von Kleider- und Trachtenordnungen erlassen. Gewissen Stoffe und Farben, aber auch luxuriöse Pelze waren nur Privilegierten zu tragen erlaubt. Und so entwickelte sich ab dem 17. Jahrhundert in Frankreich eine bürgerliche Streberkultur. Deren Traum war es, prassen und prunken zu dürfen wie der hohe Adel und die Edelmänner. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

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Hoher Bildungsstand sorgt für moralischen Fortschritt

Bildung ist ein wichtiger Faktor für moralischen Fortschritt. Deutsche mit niedriger Bildung sind eher menschenfeindlich. Sie lehnen beispielsweise Muslime zu 24 Prozent oder Langzeitarbeitslose zu 55 Prozent ab. Bei Deutschen mit einem hohen Bildungsstand liegt dieser Anteil bei 8 und bei 35 Prozent. Philipp Hübl ergänzt: „Auch die Anfälligkeit für populistische Parteien befindet sich bei Deutschen mit niedriger und mittlerer Bildung über dem Durchschnitt, bei Hochgebildeten darunter.“ Der Bildungsstand hängt jedoch nicht unmittelbar von den emotionalen Dispositionen ab. Daher ist es naheliegend, dass man mit der Erziehung ein progressives Emotionsprofil erworben oder als Nebeneffekt emotionale Selbstkontrolle erlernt hat. Noch wahrscheinlicher ist, dass man eingesehen hat, dass Fairness und Mitgefühl vernünftig und allgemein geboten sind, weil man sie auch von anderen für sich selbst erwartet. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Geist und Kultur gehören zusammen

Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass der Mensch ein Naturwesen ist und somit zur Natur gehört. Strittig ist lediglich, in welchem Umfang dies der Fall ist und wo man die Grenze zu dem ziehen kann, was nicht oder nicht mehr zur Natur gehört. Einer der letzten philosophischen Autoren, die meinten, hier eine definitive Antwort geben zu können, ist Max Scheler. Dieser glaubte im ausdrücklich gesprochenen „Nein“ des Menschen den Übertritt in eine andere, nicht mehr zur Natur gehörende Sphäre des Geistes entdeckt zu haben. Volker Gerhard betont: „Vom Geist zu sprechen liegt so nahe wie die Rede von der menschlichen Kultur.“ Fraglich ist nur, ob beide derart prinzipiell von der ihr zugrundeliegenden Natur abzugrenzen sind. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Eine säkularisierte Kultur braucht eine eigene Philosophie

In dem vorliegenden Band „Pragmatismus und Antiautoritarismus“ von Richard Rorty sind die Texte einer Vorlesungsreihe an der Universität von Girona versammelt. Darin versucht sich der große Denker auszumalen, wie die Philosophie aussähe, wenn die Kultur durch und durch säkularisiert würde. Also wenn die Vorstellung von Gehorsam gegenüber einer außermenschlichen Autorität vollständig verschwände. Eine unvollständig säkularisierte Kultur bewahre sich dabei ein Gefühl für das Erhabene, das Sublime. Vollständige Säkularisierung würde allgemeine Einigkeit über die Zulänglichkeit des Schönen bedeuten. Das Erhabene lässt sich weder darstellen noch beschreiben noch aussprechen. Ein bloß schöner Gegenstand oder Sachverhalt hingegen vereinigt ein Mannigfaltiges in besonders befriedigender Weise. Richard Rorty (1931 – 2007) war einer der bedeutendsten Philosophen seiner Generation. Zuletzt lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University.

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Die Kultur ist eine Form der Natur

Die Formel von der Kultur als einer Form der Natur verwendet Volker Gerhardt schon seit einigen Jahren. Das ist lange genug, um zu erfahren, dass sie unter Geisteswissenschaftlern Befremden auslöst. Das wundert Volker Gerhardt nicht, hatte er doch selbst eine Beschäftigung mit der „Natur des Bewusstseins“ und der „Naturgeschichte der Freiheit“ nötig. Damit machte er sich klar, dass die Opposition zwischen Natur und Kultur selbst unter einer Prämisse steht, die dem umfänglichen Begriff einer Naturgeschichte im Weg steht. Die Naturgeschichte umfasst die gesamte Entstehungsgeschichte des Weltalls. Und sie ist mit dem Auftritt des Menschen nicht zu Ende. Sie schließt auch das ein, was jetzt noch in der Zukunft liegt. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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In einer Hyperkultur kann alles Kultur sein

Der singularistische Lebensstil der neuen Mittelklasse hat die gesamte Weltkultur für die eigenen Wünsche der Selbstverwirklichung hinzugezogen. Kultur produziert man aus dieser Perspektive nicht innerhalb der eigenen sozialen Gruppe. Sondern sie hat sich in eine Ressource in Gestalt eines heterogenen Feldes von Möglichkeiten der Aneignung verwandelt. Andreas Reckwitz erläutert: „In dieser Hyperkultur kann potenziell alles zur Kultur werden. Das heißt zu einem Objekt oder einer Praxis, das oder die einer ästhetischen, ethischen narrativ-semiotischen, ludischen oder kreativ-gestaltenden Aneignung zugänglich ist.“ Die Elemente dieser Hyperkultur zirkulieren global und transhistorisch, daher kennt sie praktisch keine Grenzen. Die in ihr zirkulierenden Objekte und Praktiken sind einerseits unterschiedlich und singulär. Andererseits befinden sie sich gerade in ihrer anerkannten Differenz im Prinzip alle auf derselben Ebene. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Das Böse liegt im Menschen selbst

Ohne Geld gibt es keine Kunst, denn Bauwerke, Statuen und Fresken sind teuer. Volker Reinhardt weiß: „Wer Geld hat, braucht Kunst, um seinen wirtschaftlichen Erfolg, seinen sozialen Rang oder seine Macht zu zeigen. Wenn das Geld auf anrüchige Art und Weise verdient wurde, fällt der Kunst sogar die Aufgabe zu, Geld zu waschen.“ Das für Christen schmutzigste aller Geschäfte hat Giotto um 1304 an der Ostwand der Cappella degli Scrovegni in Padua gemalt. Diese nennt man meist Arenakapelle, weil man sie 1300 auf dem Grundstück des verfallenen römischen Amphitheaters errichtete. Die jüdischen Hohepriester wollen den Heiland ins Verderben stürzen und haben zu diesem Zweck einen heimtückischen Plan ausgeheckt. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Kulturen können schnell untergehen

Die neolithische Revolution ist, genau betrachtet, ein bis heute andauernder Prozess. Joachim Bauer stellt fest: „Die durch den Menschen vollzogene Unterwerfung der Natur war ein Abenteuer ohnegleichen. Dieses Abenteuer bot und bietet der Menschheit bis heute gewaltige Chancen der technischen und kulturellen Entfaltung.“ Es war und ist zugleich aber mit erheblichen Risiken verbunden, den Untergang eingeschlossen. Die Risiken können den inneren Zustand einer Zivilisation betreffen, insbesondere soziale Verwerfungen und nicht mehr steuerbare innergesellschaftliche Konflikte. Vor allem zum Untergang von Kulturen beigetragen haben aber durch zivilisatorische Aktivitäten verursachte ökologische Krisen. Schwere ökologische Krisen sind dabei keine vorübergehende Erscheinung, die sich durch Abwarten überstehen lassen. Sondern sie können das Ende einer Kultur bedeuten, und dies in überraschend kurzer Zeit. Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Bestsellerautor von Sachbüchern.

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Ideen entstehen durch schöpferisches Denken

Schöpferisches Denken durch Kombination kann nicht nur erklären, wie Ideen zustande kommen. Sondern es ist auch ein Schlüssel, um die Entwicklung einer Kultur zu verstehen. Stefan Klein weiß: „Kulturen verändern sich, wenn Menschen mit der Zeit einen immer reicheren Schatz an Wissen und Erfahrungen, Konzepten und Mythen, Techniken und Kunstwerken anlegen.“ Solche Prozesse lassen sich nicht in erster Linie auf die herausragenden Beiträge Einzelner zurückführen. Auch wenn die Leistungen von Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Johann Sebastian Bach, Marie Curie oder Albert Einstein spektakulär sind. Der Motor ist vielmehr das kollektive Gehirn. Denn erst das Zusammenwirken einer ganzen Gemeinschaft erzeugt den geistigen Nährboden, auf dem Ideen keimen. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

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Die Kultur ist eine Form der Natur

Die Geschichte, die Gesellschaft und die Kultur des Menschen steuert wesentliche Einsichten in das bei, was man die Natur des Menschen nennt. Man braucht nur die Evolution des Menschen ins Auge zu fassen, um zu sehen, dass er selbst nur als integraler Teil der Natur zu verstehen ist. Volker Gerhard erläutert: „So setzt die Geschichte der Menschheit die Naturgeschichte des sich entfaltenden Lebens ein einer durchaus spezifischen Weise fort. Mit Blick auf die vergleichsweise rasche Entwicklung des homo faber und des homo sapiens kann man von einer bemerkenswerten Beschleunigung eines Evolutionsvorgangs sprechen.“ Selbst wenn er in biologischer Hinsicht mit Effekten der Verlangsamung verbunden ist. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Der Liberalismus muss sich reflexiv regenerieren

Im Zeitalter der Philosophen, der Aufklärung, geboren, hält der neuzeitliche Liberalismus ein weiteres Element für unverzichtbar. Zum Erfahrungsbezug, zu dem legitimatorischen Individualismus und dem freien Spiel der Kräfte innerhalb von Verfassung und Recht tritt eine handlungsrelevante Selbstkritik, sichtbar im Willen, sich angesichts neuer Herausforderungen zu verändern. Otfried Höffe stellt klar: „Ohne dieses Element, eine reflexive Regeneration ist der Liberalismus nicht zukunftsfähig; vor allem verdient er ohne es nicht, als aufgeklärt zu gelten.“ So hat sich der in Europa dominante Liberalismus längst um politische Mitwirkungsrechte und um freiheits- und demokratiefunktionale Sozialrechte erweitert. Otfried Höffe fordert die Grundelemente des Liberalismus in einer interkulturell verständlichen Sprache zu legitimieren. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Die Moderne ist ein Vorgang von Revolutionen

Mit seiner berühmten „Kehre“ meint Martin Heidegger, dass die Menschen in der Neuzeit einer tiefgreifenden Wende im Seinsverständnis ausgesetzt sind. Heute bezeichnet man diesen Tatbestand auch als Globalisierung. Markus Gabriel fügt hinzu: „Die Moderne ist in der Tat ein Vorgang von Revolutionen, also von Kehren. Dahinter erkennt Martin Heidegger ein einheitliches Muster.“ Dieses Muster folgt der Idee, dass alles, was es gibt – alles Seiende –, letztlich ein Gegenstand ist. Matin Heidegger meint nun, dass die Moderne von sich aus darauf schließt, dass man alles auf ihre begrifflichen Regeln verpflichten kann. Denn alles was es gibt, ist seiner Meinung nach etwas, worüber man im Grunde genommen wahre Aussagen treffen kann. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Es tobt kein weltweiter Kampf der Kulturen

Es sieht für Markus Gabriel so aus, als gebe es mehr oder weniger deutlich voneinander abgegrenzte Kulturen. Die Grenzziehung zwischen Kulturen scheint außerdem häufig mit den Grenzen von Nationalstaaten verbunden zu sein. Man spricht landläufig etwa von einer deutschen, chinesischen, amerikanischen oder russischen Kultur. Manche glauben auch, es tobe seit Jahrtausenden ein welthistorischer Kampf der Kulturen. Dieser entfaltet sich im 21. Jahrhundert als Konflikt, den Kulturräume durch die Globalisierung in verschärften Wettbewerb miteinander austragen. Markus Gabriel erklärt: „Diese Idee wurde Ende des 20. Jahrhunderts prominent vom in Harvard lehrenden Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington vertreten.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Alle Kulturen besitzen ihre Gründungsmythen

Alle Kulturen beziehen sich sowohl in ihrer Entstehungsphase als auch in ihrer Weiterentwicklung auf ihre Gründungsmythen. Beginnt die Erinnerung oder die Bindung daran zu verblassen, verliert der große Organismus einer Kultur langsam an Energie und Charakter. Oswald Spengler ist der Autor des kulturphilosophischen Werks „Der Untergang des Abendlandes“. Er bezeichnete den Prozess, in dem die lebendigen Geister eines Volkes erlöschen, als den Übergang von der Kultur zur Zivilisation. Erstere verkörpert ein vielversprechendes und kreatives Anfangsstadium. Letztere hingegen Endstadium und Verfall der gesamten Kultur. Isabella Guanzini weiß: „Um eine Kultur am Lebne zu erhalten, bedarf es immer wieder des Rückgriffs auf die eigenen Gründungsmythen.“ Denn jede Renaissance ist stets auch Erinnerung an die eigenen Ursprünge. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Steinwerkzeuge gibt es seit drei Millionen Jahren

Die Vorläufer des Homo sapiens stellten vor mehr als drei Millionen Jahren die ersten Steinwerkzeuge her. Schon damals war die schöpferische Intelligenz schon lange nichts Neues mehr. Ein Werkzeug herzustellen, das man später für einen bestimmten Zweck einsetzt, erfordert Einsicht, Planung und Vorstellungskraft. Stefan Klein erklärt: „Erst nach vielen Arbeitsgängen ist aus einem rohen Stein eine Klinge geformt. Jeder einzelne Schritt verlangt eine präzise Idee von dem, was noch nicht ist, aber sein soll.“ Nur Menschenaffen und einige Vögel bringen die zur Werkzeugherstellung nötigen geistigen Voraussetzungen mit. Aber nur die Menschen haben es so weit gebracht, Gene zu entschlüsseln, Symphonien zu komponieren und ihre Zeit in Videokonferenzen zu verbringen. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

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