Rahel Jaeggi stellt ihre Kritik der Lebensformen vor

In der traditionellen Philosophie sind Fragen nach dem individuellen guten Leben kein Thema. Die Berliner Philosophin Rahel Jaeggi beschäftigt sich dennoch mit ihnen. Denn für sie ist die Kritik an der eigenen Lebensführung überhaupt es die Voraussetzung aller individuellen Autonomie. Rahel Jaeggi ist Professorin für Rechts- und Sozialphilosophie an der Humboldt Universität in Berlin. Beim Suhrkamp Verlag ist gerade ihre Habilitationsschrift „Kritik von Lebensformen“ erschienen. In ihrem Werk wendet sie sich gegen die dominierende Meinung des aktuellen politischen Liberalismus in der Philosophie. Die bezieht dabei eine konträre Position zu John Rawls und Jürgen Habermas. Diese vertreten die Auffassung, dass sich der Staat ethisch neutral gegenüber der Vielfalt von Lebensformen in der modernen Gesellschaft zu verhalten hat. Laut John Rawls ließen sich nur so Konflikte des staatlich zu regelenden Zusammenlebens lösen und den Ansprüchen moderner Individuen auf Selbstbestimmung gerecht werden.

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Das Weltbild des Humanismus prägt die Zeit der Renaissance

Die geschichtliche Epoche der Renaissance wird in der Regel im 15. und 16. Jahrhundert angesiedelt. Aber diese Abgrenzung ist nicht ganz genau. Denn schon nach der Jahrtausendwende künden sich überall im Abendland Tendenzen der Erneuerung an, die im 13. Jahrhundert dann bestimmter werden. Historiker denken hier in erster Linie an die Blüte der provenzalischen und italienischen Dichtung, an die Entstehung der Formensprache der Gotik in Frankreich, an die Bewegung, die vom heiligen Franz von Assisi geprägt wurde und an dem nach der Art der Antike gestaltenden Charakter des Kaisertums Friedrichs II. Vorläufer des neuen Geistes der Renaissance finden sich in der italienischen Literatur des 14. Jahrhunderts, in den Werken eines Dantes, Petrarca oder Boccaccio, in den Bildwerken der Pisani und in der Malerei Giottos.

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Wolfgang Hetzer untersucht das Verhalten der Kapitalisten

Um die aktuelle Weltwirtschaftskrise zu verstehen wird man wohl auf die Geschichte des Kapitalismus als System zurückblicken müssen. Wolfgang Hetzer gibt durchaus zu, dass sich dessen Geschichte möglicherweise nicht wiederholen wird. Allerdings gilt dies für die Verhaltensweisen der kapitalistischen Akteure augenscheinlich nicht. Wolfgang Hetzer schreibt: „Die demonstrative Überraschung angesichts des Ausbruchs einer Krise offenbart eine Eigenschaft, die in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung offensichtlich kultiviert wird.“ Die amerikanische Historikerin Joyce Appleby hat herausgefunden, dass es sich dabei um einen Geist von Optimismus handelt, der die Realität verneint. Zum Geist des Kapitalismus wird jeher der Verkäufer gezählt, der Vertrauen und Zuversicht verströmt. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Dominik Geppert analysiert die Krise der Europäischen Union

Dominik Geppert vertritt die These, dass die gegenwärtige Krise der Europäischen Union nicht nur durch eine neue Feindseligkeit und wachsendes Misstrauen in den Beziehungen der europäischen Staaten geprägt ist. Auch die gravierenden ökonomischen Verwerfungen, so schlimm sie auch im Einzelnen sein mögen, sind seiner Meinung nach nicht die verheerendsten Konsequenzen. Die fatalsten Folgen hat die Krise für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dominik Geppert fügt hinzu: „Damit erreicht sie die Tiefenschichten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und erschüttert das Fundament von Frieden und Freiheit. Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch die europäische Einigung gewahrt und gefestigt werden sollten, sind ernsthaft bedroht – nicht trotz, sondern wegen der Art und Weise, wie die europäischen Institutionen mittlerweile funktionieren.“ Dominik Geppert ist sein 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Es gibt Parallelen zwischen der Juli-Krise 1914 und der Gegenwart

Die Juli-Krise des Jahres 1914 jährt sich bald zum hundertsten Male. Es lohnt sich laut Dominik Geppert sie näher zu betrachten, auch wenn die Staaten der Gegenwart kaum noch etwas mit jener Welt der halbautokratischen Monarchien und Großmachtrivalitäten verbindet, die damals gleichsam unaufhaltsam dem Ersten Weltkrieg entgegentaumelten. Die Staaten Europas haben inzwischen dem Wettlauf der Aufrüstung ihrer Flotten und Heere abgeschworen. Der Glaube an den Krieg als ultimativer Test für die Standortbestimmung von Nationen in der internationalen Politik ist den europäischen Gesellschaften fremd geworden. Dominik Geppert fügt hinzu: „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, so könnte man sagen, existierten die europäischen Staaten durch den Krieg und für den Krieg. In der zweiten Jahrhunderthälfte wurden sie durch und durch für den Frieden umgebildet.“ Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.  

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Paul Auster sagt beim Schreiben ausschließlich die Wahrheit

In dem Roman „Sunset Park“ den der amerikanische Schriftsteller Paul Auster im Jahr 2010 veröffentlichte, spricht der Erzähler von seinem Plan, sich vom angesammelten Ballast seines Lebens zu entledigen und bewusster im Hier und Jetzt zu leben. Paul Auster sagt: „Was „Sunset Park“ betrifft, so war es das erste Mal in meinem Leben als Schriftsteller, dass ich bewusst versucht habe, einen Roman über das Jetzt zu schreiben.“ Fast alle seine vorherigen Romane hatten eine distanzierte Beziehung zur Gegenwart, aber „Sunset Park“ war für Paul Auster der bewusste Versucht, über die aktuelle Krise in Amerika zu schreiben, die alle Amerikaner gerade durchleben. Seine Romanfigur macht sich sehr dunkle Gedanken und ist vom Gefühl geprägt, jede Zukunft verloren zu haben. Die Dinge, für die er gelebt hat, existieren nicht mehr.

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Die Währungsunion ist für Dominik Geppert eine Fehlkonstruktion

Dominik Geppert vertritt in seinem Buch „Ein Europa, das es nicht gibt“ die These, dass der Euro nationale Ressentiments geweckt hat, die man längst überwunden glaubte, statt die Mitgliedsstaaten zu einen. Dominik Geppert beschreibt nicht nur die politischen Irrtümer und historischen Trugschlüsse, die mit der gemeinsamen Währung einhergingen, sondern skizziert auch Wege zu einer tragfähigen Ordnung der Europäischen Union. Der Autor weist darauf hin, dass momentan  noch der Konsens der traditionellen europäischen Eliten dafür sorgt, die überkommenen Formen der Integration um beinahe jeden Preis zu bewahren und auch an der Gemeinschaftswährung und ihrer jetzigen Zusammensetzung nicht zur rütteln. Aber zugleich erodieren die Fundamente, auf denen die Konstruktion ruht. Deshalb fordert Dominik Geppert: „Das Europa der Zukunft muss zur Einhaltung der Verträge zurückfinden. Die Einzelstaaten müssen in ihm als Träger von Demokratie, Recht und Sozialstaat weiter eine zentrale Rolle spielen.“ Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

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Alle zwanzig Sekunden stirbt ein Kind an Unterernährung

Laut einem Bericht der Welthungerhilfe haben 842 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Den Hunger nachhaltig zu bekämpfen bleibt für Michael Krawinkel eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Seiner Meinung nach kann das nur mit einer global angelegten Ernährungspolitik funktionieren. Denn der größte Teil der weltweiten Ernten steht den Bedürftigen nicht zur Verfügung. Michael Krawinkel erläutert: „Wirkliche Hungerbekämpfung hieße also, die Erträge der Kleinbauern steigern zu helfen, ohne sie in Schulden und Ausbeutung zu zwingen.“ Doch die gerade wieder verlängerte Subventionierung der europäischen Landwirtschaft hat zur Folge, dass die Bauern in den Entwicklungsländern nicht mit den Produkten aus Europa konkurrieren können. Michael Krawinkel ist seit 1999 Professor für Ernährung des Menschen an der Universität Gießen. Zuvor arbeitete er fast 20 Jahre lang als Kinderarzt. Von 1981 bis 1983 arbeitete Michael Krawinkel für den Deutschen Entwicklungsdienst im Sudan.

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Raghuram Rajan beleuchtet die Krise in den Schwellenländern

In vielen asiatischen Schwellenländern haben in den vergangenen Wochen die einheimischen Währungen viel an Wert verloren. Dennoch droht für den Starökonomen und Chef der indischen Notenbank, Raghuram Rajan, dabei keinesfalls um eine neue Asienkrise. Seiner Meinung nach handelt sich um eine unnötige Aufregung in den Medien und zum Teil auch auf den Finanzmärkten. Als Beispiel nennt Raghuram Rajan sein Heimatland Indien: „Unsere kurzfristigen Schulden liegen bei zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Wir verfügen über Währungsreserven in Höhe von fünfzehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Wir könnten also unsere Schulden ohne Probleme aus unseren Devisenvorräten zurückzahlen.“ Außerdem beläuft sich die indische Staatsverschuldung nur auf fünfundvierzig Prozent der Wirtschaftsleistung. In Deutschland ist sie zum Beispiel wesentlich höher. Eine Schuldenkrise in Indien ist laut Raghuram Rajan also vollkommen unmöglich.

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Wolfgang Hetzer analysiert die Arbeit von Politikern und Experten

Wolfgang Hetzer weist mit Recht darauf hin, dass der Versuch, politische Entscheidungen an Expertengremien auszulagern, an einem grundlegenden Missverständnis zum Scheitern verurteilt ist. Niemand kann seiner Meinung nach den Politikern die Arbeit abnehmen, für die sie selbst die zuständigen Experten sind, beziehungsweise sein sollten. Ihre Tätigkeit beginnt damit, die Wahrscheinlichkeiten mit Blick auf die Zukunft abzuwägen und sie zu politischen Risiken ins Verhältnis zu setzen. Daran kommt kein Politiker vorbei. Der Expertenrat als Hilfe für politische Entscheidungen ist für Wolfgang Hetzer wertlos geworden. Selbst wenn unter den Sachverständigen Einstimmigkeit bestände, kommt für den Politiker eine Umsetzung der Empfehlungen der Experten „eins zu eins“ nicht in Frage. Der Politiker muss als Experte für das Aushandeln und Austarieren gesellschaftlicher Interessen selbstständig handeln. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Wolfgang Hetzer untersucht die Überproduktion im Kapitalismus

Die Entwicklung des Kapitalismus ist in den letzten 180 Jahren krisenhaft verlaufen. Nach wie vor ist es allerdings unter Ökonomen umstritten, wodurch diese Krisen verursacht wurden. Bei einer Wirtschaftskrise handelt es sich laut Wolfgang Hetzer um eine schwere Störung der ökonomischen Produktion einer Gesellschaft. Das bedeutet seiner Meinung nach nichts anderes, als dass ein großer Teil der produzierten Warenmenge nicht absetzbar ist, weil kein zahlungsfähiges Bedürfnis vorhanden ist. Wolfgang Hetzer erklärt: „Das Warenkapital lässt sich also nicht mehr vollständig in Geldkapital verwandeln. Das vorgeschossene Kapital wird immer schlechter verwertet. Die Akkumulation nimmt ab.“ Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Wolfgang Hetzer ruft einen drastischen Notstand für Europa aus

Europa befindet sich nicht nur in einer finanziellen Schieflage. Der Kontinent hat auch ein moralisches Problem. Selbst bei einer gelingenden Rettung des Euro wäre für Wolfgang Hetzer eine Stärkung der Europäischen Union (EU) keineswegs garantiert. Dem Wunschbild von Sonntagsrednern unter den Politikern steht nicht nur eine gigantische Summe umverteilter Schulden gegenüber. Zur Schadensbilanz gehört auch eine gedemütigte und abgewertete Demokratie, die in der Eile der Rettungsmanöver überall mit Füßen getreten wurde. Es geht dabei vor allem um die Erfahrung der Ohnmacht der Volksvertretung vor den Gesetzen der Wirtschaft. Wolfgang Hetzer fügt hinzu: „Noch ohnmächtiger scheinen die angeblichen Volksvertreter gegenüber der Unverantwortlichkeit und Unbelangbarkeit der Wirtschaftsführer zu sein.“ Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Angelo Bolaffi fordert eine deutsche Hegemonie in Europa

Angelo Bolaffi hält in seinem neuen Buch „Deutsches Herz. Das Modell Deutschland, Italien und die europäische Krise“ den Italienern einige Dinge vor, die uneingeschränkt auch für die Griechen oder Spanier gelten. Er schreibt: „Mit den Eintritt in den Euro haben sie Modernisierungschancen und -pflichten erhalten, die sie nicht ausgefüllt haben.“ Den Deutschen die Schuld für die Krise in Italien, Griechenland oder Spanien den zu geben, ist für Angelo Bolaffi nur lächerlich. Allein vom Friedensprojekt Europa zu sprechen ist für den Deutschlandkenner zu wenig, denn mit dem Ende des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Globalisierung ist für Europa längst ein anderes Ziel an die erste Stelle gerückt: nicht der Frieden im Inneren allein, sondern die Selbstbehauptung in der Welt. Angelo Bolaffi zählt seit einem Vierteljahrhundert zu den besten Deutschlandkennern Italiens. Er leitete von 2007 bis 2011 das Italienische Kulturinstitut in Berlin.

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Der Kapitalismus ist noch nicht in seine Endphase eingetreten

Wirtschaftskrisen sind für Wolfgang Hetzer wiederkehrende und prägende Ereignisse in der Geschichte der Ökonomie. Sie sind so vielfältig, das es schwerfällt, hierfür das Verhalten einzelner Menschen verantwortlich zu machen, geschweige denn eine aussagekräftige Theorie darüber zu entwickeln. Wolfgang Hetzer warnt davor, pauschal die Spekulation als Wurzel allen Übels zu bezeichnen, denn sie ist seiner Meinung nach ein wichtiges Moment allen wirtschaftlichen Handelns. Spekulation ist sogar eine notwendige Vorraussetzung dafür, dass es überhaupt zu wirtschaftlicher Entwicklung und nicht zu einer Wiederholung des bereits Bekannten kommt. Wolfgang Hetzer behauptet zudem, dass nicht nur in Kreisen der politischen Linken verzerrte Vorstellungen über das Wesen kapitalistischer Krisen herrschen. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Der Kapitalismus hat seine inneren und äußeren Grenzen erreicht

Die Raten der Zustimmung für den Kapitalismus sind überall auf der Welt, einschließlich in den westlichen Ländern seines Ursprungs, dramatisch gesunken. Die Frage nach dem Weg aus dem Kapitalismus scheint noch nie so aktuell gewesen zu sein wie heute. Sie stellt sich in radikaler Dringlichkeit und in einer vorher unbekannten Art und Weise. Wolfgang Hetzer vermutet: „Der Kapitalismus hat womöglich eine inner und äußere Grenze erreicht, die er nicht zu überschreiten vermag.“ Es ist die Rede von einem System, das nur mit Hilfe von Tricks die Krise seiner grundlegenden Kategorien wie Arbeit, Wert und Kapital überlebt. Laut Wolfgang Hetzer sollte man dabei allerdings nicht vergessen, dass es den Kapitalismus nur in der Mehrzahl gibt. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Der Staat des Neoliberalismus muss ein starker Staat sein

Für den deutschen Liberalismus ist es charakteristisch, den Markt immer aus kulturgeschichtlicher und gesamtgesellschaftlicher Perspektive zu betrachten. Wolfgang Kersting erklärt: „Daher ist seine Analyse der Entwicklung des Kapitalismus und seiner Krisen immer eingebettet in großformatige geistesgeschichtliche Deutungen und umfassende zeitgeschichtliche Analysen.“ Die Gegenwart färbt dabei in den meisten Fällen den Blick auf die Vergangenheit: gegenwartsdiagnostische Interessen und zeitgeschichtliche Wertungen prägen die Darstellungen. Laut Wolfgang Kersting sind die Modernisierungstheorien durchwegs monokausale Krisentheorien der Moderne. Modernisierung ist für den deutschen Neoliberalismus stets Zerfall, Entartung, Zersetzung, Niedergang und Verlust. Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

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Die Finanzkrise hat die Laune der Menschen nur kurz getrübt

Fragt man Banker oder Politiker danach, welches Jahr das dramatischste für ihr Land war, das sie je erlebt haben, werden die meisten vermutlich das Jahr 2008 nennen. Lisa Nienhaus kennt den Grund: „Im Oktober 2008 stürzte nach der Pleite der Bank Lehman Brothers das Finanzsystem der Welt zusammen – und zog diverse Firmen mit sich.“ So mussten beispielsweise Banken und Versicherungskonzerne mit Steuergeldern gerettet werden, Autokonzerne und mittelständische Unternehmen gingen in Konkurs. Allein in den USA verloren im Jahr 2008 mehr als zwei Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz, in Deutschland brach ein Boom bei der Kurzarbeit aus. In Island mussten die großen Banken abgewickelt werden. Das Land, einst eines der reichsten Nationen der Welt, musste sich Geld beim Internationalen Währungsfonds besorgen. Lisa Nienhaus ist Wirtschaftsredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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Die Demokratie verkommt zur elitären Zuschauerdemokratie

Der Begriff der Krise ist für Wolfgang Merkel nicht nur umstritten, sondern auch diffus. Er wird überall inflationär verwendet, aber in den seltensten Fällen definiert. Zudem stellt kaum jemand die Frage, wo eine Krise ihren Anfang hat und wo sie endet. Wolfgang Merkel unterscheidet vereinfacht in den Krisentheorien zwei Verwendungen des Begriffs. Da gibt es zum einen die akute Krise, die die Existenz bedroht und entschiedenes Handeln erfordert. In einer Demokratie wird eine solche Krise als Vorbote eines Kollapses angesehen. Es geht um Demokratie oder Diktatur. Zum anderen gibt es die latente Krise, die für die entwickelten Demokratien der alten OECD-Welt meist ins Feld geführt wird. Professor Dr. Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung „Demokratie“ am Wissenschaftszentrum Berlin und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Wladimir Putin ist in Russland immer noch relativ populär

Die Regierung Russlands geht immer rigoroser gegen die Opposition und Zivilgesellschaft vor. Dies geschieht laut Lew Gudkow vor allem deshalb, weil das Regime von Wladimir Putin schwächer geworden ist. Lew Gudkow erklärt warum die Unzufriedenheit in Russland aus den verschiedensten Gründen wächst: „In den Millionenstädten fordert die neue Mittelklasse Dinge wie unabhängige Gerichte, Pressefreiheit und freie Wahlen.“ Auf der anderen Seite existieren allerdings Überreste des Sozialismus, wo die alte Industrie zuhause ist. Dort sind die Menschen Anhänger der Staatsmacht, weil sie ohne Unterstützung des Staates nicht überleben können. Dort fordern die Leute sogar mehr Sozialismus. Russland driftet laut Lew Gudkow auseinander: „Die Provinz will zurück in die Sowjetzeit, die Bevölkerung in den Großstädten will Reformen.“ Lew Gudkow ist Direktor des Moskauer Meinungsforschungsinstituts „Lewada-Zentrum“.

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Die Überforderung der Europäischen Union ist nicht zu übersehen

Die Finanz- und Staatsschuldenkrise, die der Europäischen Union (EU) noch immer sehr zusetzt, ist für Hans Hugo Klein nur ein Symptom der eigentlichen Krise Europas. Diese ist seiner Meinung nach eine Krise des Vertrauens in die Autorität des Rechts, eine Krise der Demokratie, letztlich eine Sinnkrise. Laut dem Juristen und Politiker Walter Hallstein ist die EU in ihrem Wesen nach eine Rechtsgemeinschaft. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck erklärt: „Sie wird getragen von der Idee, dass Regeln eingehalten und Regelbrüche geahndet werden.“ Die mangelnde Treue bei Verträgen trifft die EU damit fundamental in ihren Grundsätzen. So wurde zum Beispiel bei der Aufnahme einiger Staaten wie Belgien, Italien und Griechenland in die Eurozone die Kriterien dieses Prozedere nicht beachtet, der verantwortungslosen Haushaltspolitik nicht weniger Staaten wurde tatenlos zugeschaut. Professor Dr. Hans Hugo Klein lehrte Öffentliches Recht in Göttingen, war CDU-Bundesabgeordneter und Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Der deutschen Wirtschaft fehlt es an Innovationen und Kreativität

Es gibt ein deutsches Sprichwort: „Ohne Fleiß kein Preis.“ Fleiß ist laut Michael Schindhelm eine spezifisch deutsche Tugend. Es ist seiner Meinung nach deshalb auch nicht verwunderlich, dass die Deutschen von ihren europäischen Nachbarn als notorisch tüchtig beurteilt werden. Deutsche Wertarbeit wird auf den internationalen Märkten hoch geschätzt. Der Lohn für deutschen Fleiß ist ein Spitzenrang unter den Exportnationen. Michael Schindhelm fügt hinzu: „Vor allem die Autohersteller und die industrielle Spitzentechnologie haben den Deutschen den Ruf gesichert, die Ingenieure Europas zu sein.“ Auch im Inland schließt man sich dieser Meinung an wie der Slogan von Audi „Vorsprung durch Technik“ beweist. Michael Schindhelm arbeitet als Schriftsteller, Filmemacher und Kulturberater für internationale Organisationen. Er leitet am Strelka Institute in Moskau den Forschungsbereich öffentlicher Raum.

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Die Demokratie ist immer erheblichen Gefährdungen ausgesetzt

Wolfgang Merkel macht auf ein kleines Büchlein aufmerksam, dass im Jahr 2004 unter dem Titel „Postdemokratie“ erschienen ist. Der Autor, Colin Crouch, behauptet darin, dass der demokratische Moment, der sich in den USA noch vor und in Westeuropa unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat, verschwunden ist. Die entwickelten Länder nähern sich laut Colin Crouch der „Postdemokratie“ an, die viele vordemokratische Züge trägt. Die Wortschöpfung von Colin Crouch hat vor allem in der Bundesrepublik Deutschland eine beachtliche Karriere gemacht. Wolfgang Merkel erläutert: „Sie gehört wie die Krisenrhetorik längst zum Alltag und hat sich zu einem anschwellenden Rauschen verdichtet. Nicht selten mutieren dabei präzise Begriffe zu leeren Worthülsen, normative Vorurteile lösten die werturteilsfreie Analytik ab.“ Professor Dr. Wolfgang Merkel ist Direktor der Abteilung „Demokratie“ am Wissenschaftszentrum Berlin und lehrt Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Tony Judt beschreibt die Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg

Die beiden Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren ökonomisch, nicht politisch oder ideologisch für Tony Judt eine unglaublich optimistische Epoche. Dieses Selbstbewusstsein war in zweierlei Form zu beobachten. Erstens vertraten Neoklassische Ökonomen und ihre Anhänger die Ansicht, dass der Kapitalismus blühe und auch weiterhin wächst und sich unablässig erneuern werde. Zweitens gab es die nicht minder an der Zukunft orientierte Meinung, dass der Kapitalismus, ob prosperierend oder nicht, unter der Last der eigenen Probleme zusammenbrechen werde. Tony Judt erklärt: „Von ganz unterschiedlichen Punkten ausgehend, waren beide sozusagen vorwärtsgerichtete, überaus selbstgewisse Analysen.“ Der britische Historiker Tony Judt, geboren 1948, studierte in Cambridge und Paris und lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Seit 1995 war er Erich-Maria-Remarque-Professor für Europäische Studien in New York. Er starb 2010 in New York.

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Hans-Werner Sinn fordert temporäre Austritte schwacher Länder

In Deutschland fordert die neue Partei „Alternative für Deutschland“ den Euro abzuschaffen. Die Argumente der Partei sind für den Starökonomen Hans-Werner Sinn größtenteils vernünftig. Seiner Meinung nach sind Bernd Lucke und viele seiner Mitstreiter anerkannte Ökonomen, die wissen, wovon sie reden. Hans-Werner Sinn gehört der neuen Partei allerdings nicht an und gibt dem Euro noch mehr Chancen, als seine Kollegen es tun. Er sagt: „Ich glaube, dass es sich lohnt, den Euro als solchen zu verteidigen. Ich halte es aber für einen großen Fehler, die schwachen Länder Südeuropas auf Biegen und Brechen im Euro zu halten.“ Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 1999 wurde er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art.

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Tomáš Sedláček fordert eine neue Ökonomie der Bescheidenheit

Zusammen mit dem kanadischen Mathematiker David Orrell kritisiert Tomáš Sedláček in dem Buch „Bescheidenheit – Für eine neue Ökonomie“ das blinde Vertrauen vieler Ökonomen an mathematische Modelle, die offenbar völlig wertlos sind und Banken und Staaten ins Verderben geführt haben. Statt mehr Sicherheit zu bringen, haben sie die Welt in eine globale Risikogesellschaft verwandelt. Die Geldinstitute und Nationen werden erdrückt von Schulden und daran werden laut Tomáš Sedláček auch die immer hektischer aufgespannten Rettungsschirme nichts ändern. Viele der weltweiten Probleme könnten seiner Meinung nach mit einer neuen Ökonomie der Bescheidenheit gelöst werden. Tomáš Sedláček lehrt an der Prager Karls-Universität, ist Chefökonom der größten tschechischen Bank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats in Prag. David Orrell ist ein kanadischer Mathematiker und Publizist.

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