Ohne Wohlstand funktioniert keine Demokratie

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Existenz von liberalen Demokratien und Wohlstand oder, genauer gesagt, steigendem Wohlstand. Philipp Blom ergänzt: „Tatsächlich gründen funktionierende Demokratien auf weit aufgefächerten Strukturen, auf Parlamenten, Gerichten, Schulen, Universitäten, Infrastruktur, Landesverteidigung.“ Ohne Wohlstand kann nichts von alledem gewährleistet werden. Gerade der strukturelle Zusammenbruch der westeuropäischen und US-amerikanischen Parteienlandschaft und die dort weit verbreitete Verbitterung zeigen, dass Wohlstand augenscheinlich nicht ausreicht. Denn trotz der immer weiter aufklaffenden Einkommensschere und der manifesten wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten sind die Gesellschaften der reichen Welt heute wohlhabender als je zuvor in ihrer Geschichte. Ein typischer amerikanischer oder europäischer Haushalt ist heute fünfmal so reich wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Geschliffene Bildung trifft auf tiefschwarzen Humor

Denken statt Daten, Diskussionen statt Diagramme, Kultur statt Kulturverweigerung: Der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann ist der zurzeit gewandteste Anwalt in Sachen Aufklärung, Bildung und Wissen. Schar in der Analyse, provozierend in der Argumentation und rhetorisch geschliffen nimmt der Denker ins Visier, was den Menschen – und damit der Politik – unter den Nägeln brennt. Seine kurzen aber aphoristischen Texte werden in seinem neuen Buch „Die kleine Unbildung. Liessmann für Analphabeten“ kongenial von Nicolaus Mahler in Zeichnungen übersetzt, die zum Nachdenken und Schmunzeln anregen. Den Humor, der da zum Vorschein kommt, lässt sich teilweise als tiefschwarz beschreiben. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech. Nicolas Mahler lebt und arbeitet als Zeichner und Illustrator in Wien.

Weiterlesen

Der freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus

Matthew B. Crawford erklärt: „Die Vorstellungen Immanuel Kants sind der philosophische Ursprung der modernen Gleichsetzung von Freiheit und Wahlmöglichkeit, wobei die Wahl als bloßer Ausdruck des unbedingten Willens verstanden wird.“ Das ist grundlegend für das Verständnis der gegenwärtigen Kultur, denn der so verstandene freie Wille dient als zentrales Totem des Konsumkapitalismus, und viele Menschen halten jene, die ihnen die Wahlmöglichkeiten anbieten, für Diener ihrer Freiheit. Wenn man von der Prämisse ausgeht, die stumpfsinnige Natur bedroht die menschliche Freiheit als vernünftige Wesen, ist die Verlockung groß, eine virtuelle Realität zu konstruieren, die weniger real ist und in der das Selbst nicht mit der Welt kollidiert. Immanuel Kant versuchte, die Freiheit des Willens gegen äußere Einflüsse abzuschotten und zu einem „unbedingten“ apriorischen Gesetz zu machen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Die Liebe ist ein bevorzugter Ort der Utopie

Die ewige Macht der Liebe lässt sich, wenn auch nur teilweise, aus der Tatsache erklären, dass die Liebe ein bevorzugter Ort utopischer Erfahrung ist. Eva Illouz fügt hinzu: „In den kapitalistischen Gesellschaften enthält die Liebe eine utopische Dimension, die sich nicht einfach auf „falsches Bewusstsein“ oder auf den angeblichen Einfluss der „Ideologie“ auf die menschlichen Sehnsüchte reduzieren lässt.“ Im Gegenteil, die Sehnsucht nach einer Utopie, die den Kern romantischer Liebe bildet weist tief reichende Affinitäten zur Erfahrung des Heiligen auf. Wie Durkheim gezeigt hat, ist diese Erfahrung nicht aus der säkularen Gesellschaft verschwunden, sondern hat sich aus der Sphäre der Religion auf andere kulturelle Bereiche verlagert. Einer dieser Bereiche ist die romantische Liebe. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

Weiterlesen

Das Gefühl der Unsicherheit ist in Deutschland massiv gestiegen

Einen erheblichen Anteil am massiv gestiegenen Gefühl der Unsicherheit in Deutschland hat der Umgang vieler Menschen mit den Medien, insbesondere mit digitalen Informationskanälen. Die Flut an negativen Nachrichten und belastenden Bilder, der man beinahe täglich ausgesetzt ist, hat eine verheerende Wirkung auf die menschliche Psyche. Georg Pieper weiß: „Diesen angstschürenden Effekt machen sich sowohl islamistische Terroristen als auch Rechtspopulisten gezielt zunutze. Bei ihren Aktionen – bei den einen sind es Anschläge, bei den anderen Provokationen – planen sie stets die anschließende Medienberichterstattung mit ein.“ Indem viele Menschen die Schlagzeilen, Berichte und Bilder wie gebannt aufsaugen, spielen sie ihr perfides Spiel mit und verleihen ihnen eine weitaus größere Wichtigkeit und zugleich Macht über das eigene Denken und Handeln, als sie normalerweise hätten. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

Weiterlesen

Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena

Die romantische Liebe, so meinen einige, sei das letzte noch verbliebene Refugium jener Authentizität und Wärme, die den Menschen von einem zunehmend technokratischen und legalistischen Zeitalter geraubt worden seine. Eva Illouz fügt hinzu: „Für andere wiederum ist sie eine Ideologie, die Frauen versklavt, Symptom für das Ende der öffentlichen Sphäre oder Flucht aus sozialer Verantwortung.“ Eva Illouz untersucht, in welcher Beziehung die romantische Liebe zur Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus steht. Vor allem geht sie dabei der Frage nach, wie es zum Zusammenstoß zwischen Liebe und Kapitalismus gekommen ist. Es geht ihr darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, in der romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

Weiterlesen

Gerlinde Unverzagt kennt die Probleme der Dauerpubertät

Eltern und Kinder stehen sich heute so nah wie nie zuvor. Noch nie in der Geschichte war Eltern und Kinder eine so lange Phase gemeinsamen Erwachsenenseins vergönnt: Die gestiegene Lebenserwartung verändert das Verhältnis zwischen den Generationen. Gerlinde Unverzagt erläutert: „Wir kommunizieren auf (vermeintlich) gleicher Augenhöhe und auch viel häufiger; die tägliche E-Mail, die launige Whatsapp, die SMS zwischendurch – die stetig pulsierende digitale Nabelschnur hat frühere Generationen nicht miteinander verbunden.“ Alte Modelle aus Respekt, Gehorsam und Tradition reichen nicht mehr, um die Beziehung zu beschreiben. Die Idee, in Kindern Freunde zu sehen, hat mit dem Paradigmenwechsel in der Erziehung nach 1968 – von der „Bestimmerfamilie“ zur „Verhandlerfamilie“ – zu tun, auch mit der Jugendbesessenheit der Gegenwart. Gerlinde Unverzagt hat folgende Bücher veröffentlicht: „Das Lehrerhasserbuch“, „50 ist das neue 30“ und „Generation ziemlich beste Freunde“.

Weiterlesen

Rolf Dobelli vergleicht den Hedonismus mit der Eudämonie

Im 5. Jahrhundert vor Christus vertrat eine Minderheit der Philosophen, die sogenannten Hedonisten, die Meinung, dass ein gutes Leben aus dem Konsum möglichst vieler unmittelbarer Genüsse bestehe. Rolf Dobelli erklärt: „Das Wort hedonistisch stammt aus dem altgriechischen „hedoné“, was Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde bezeichnet.“ Die meisten Philosophen vertraten allerdings den Standpunkt, dass unmittelbare Genüsse nieder, dekadent, ja tierisch seien. Was ein gutes Leben ausmache, seine vor allem die sogenannten höheren Freuden. Das Streben nach diesen höheren Freuden nannten sie „Eudämonie“. Viele Philosophen kamen zu dem Schluss, die Eudämonie sei vor allem ein Gefäß für guten Tugenden. Nur ein ehrenhaftes Leben sei ein gutes Leben. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

Weiterlesen

In den reichen Gesellschaften wird die Arbeit knapper

Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht – dieses Geschäftsmodell ist längst an seine Grenzen gelangt. Der Planet Erde, auf dessen äußerster Kruste die Menschheit ihre Existenz beschreitet, scheint nicht mehr willens zu sein, die Kapriolen der Menschen zu ertragen. Phillip Blom schreibt: „Smartphones und Internet haben Informationen, Gerüchte und Propaganda globalisiert, riesige Menschenströme sind auf der Flucht vor dem Tod und auf der Suche nach einem Leben.“ In den reichen Gesellschaften selbst wird die Arbeit knapper. Das wird nur deswegen noch nicht deutlicher sichtbar, weil noch genug Geld da ist, es zu verbergen. Arbeitslose werden umdeklariert oder nicht gezählt, aber ihre Zahl wächst stetig, und wer einen neuen Job findet, das der Arbeitsplatz morgen schon wieder verschwunden sein kann. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Der Kapitalismus führte zu einer Heiligsprechung des Konsums

Das Erstaunliche an der derzeitigen Lage ist: Selbst in einer ungewöhnlich langen wirtschaftlichen Wachstumsphase, wie sie Deutschland gerade erlebt und von der viele profitieren, ist der Unmut so groß, dass ihn etwas die neue Große Koalition mit milliardenschweren Wohltaten zuschütten muss. Und noch so viele Subventionen sorgen nicht dafür, dass die Kritik am Kapitalismus abebbt. Der Ausgleich zwischen Reich und Arm scheint nicht mehr zu funktionieren, jedenfalls nicht gut genug, um Aufruhr im System zu vermeiden. Dabei steht der Kapitalismus nicht bloß technisch-ökonomisch infrage, sondern vor allem philosophisch. Denn der Kapitalismus ist eben auch eine Frage der Werte. Intrinsische Motive und solidarische Effekte verpuffen allzu oft, sobald Geld ins Spiel kommt. Dieses Wirtschaftssystem ist voll von widersprüchlichen Effekten. Einer der stärksten ist die Grundüberzeugung, dass das Streben des Einzelnen nach dem eigenen Vorteil am Ende zu einem besseren Leben für alle führt.

Weiterlesen

Faulheit wird fast reflexhaft als Gegensatz zur Arbeit bestimmt

Der Band 21 des Philosophicum Lech bietet wie immer einen anregenden Gedankenaustausch über gesellschaftlich fundamentale Fragen der Gegenwart. Der etwas provokante Titel lautete diesmal „Mut zur Faulheit. Die Arbeit und ihr Schicksal.“ Der breite thematische Bogen reicht von der Austreibung des Faulteufels und den Wonnen der Arbeit über ironisch-heitere Zukunftsvisionen einer Mußemaschine bis hin zu kulturellen Widersprüchen des Kapitalismus. Dennoch ist die Arbeit für viele Menschen offenbar die entscheidende Quelle für Wohlstand, Wert und Würde. Konrad Paul Liessmann, dem wissenschaftlichen Leiter des Philosophicum Lech ist es wieder gelungen, eine hochkarätige Referentenschar zu verpflichten. Dazu zählen unter anderem Univ.-Prof. Dr. Stephan Lessenich, Professor am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München, den Bestsellerautor Ulrich Schnabel und Univ.-Prof. Dr. Martin Seel, Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Weiterlesen

Es steht schlecht um den Homo oeconomicus

Zwei unvereinbare Menschenbilder geistern durch die westliche Vorstellung dessen, was eine Gesellschaft ist. Diese Menschenbilder können zu unterschiedlichen politischen Richtungen und Bewegungen führen. Philipp Blom erläutert: „Von diesen beiden – dem Homo oeconomicus und dem irrationalen Herdentier – ist Letzteres historisch wesentlich robuster.“ Die dünne Silhouette des rationalen Menschen zerbrach an der heimtückischen Weigerung der Gesellschaften dieser Welt, nach dem Mauerfall sich der liberalen Demokratie zuzuwenden und sich einem freien Weltmarkt anzuschließen. Historische Feindschaften, hartnäckige Traditionen, brutale Diktatoren, blutrünstige Ideologien, fundamentalistische Religionen und irrationale Impulse, Dummheit, alternative Sichtweisen und kluge Einsicht in lokale Besonderheiten haben in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Modellen und sozialen Visionen geschaffen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

Weiterlesen

Ungleichheit wird immer weiter vererbt

Viele Funktionäre, die in der Wirtschaft tätig sind und zahlreiche Ökonomen betonen gern, wie sehr eine Marktwirtschaft der Gegensätze bedarf. Wer wenig verdient, wird durch erfolgreiche Vorbilder angespornt und steigert dadurch das Wirtschaftsprodukt. Wer in einer Villa wohnt, darf daher nicht durch hohe Steuern belastet werden, denn das mindert die Leistungsbereitschaft aller. Aus dieser Sicht ist finanzielle Ungleichheit kein Problem, sondern ein Anreiz. Alexander Hagelüken kritisiert: „Viele Wirtschaftsfunktionäre und Ökonomen gehen aber zu weit, weil sie Ungleichheit gleich zum Mantra erfolgreicher Marktwirtschaften erheben.“ Sie sehen nur die glänzenden Oberflächen, nicht die Ambivalenz der Ungleichheit. Sie konzentrieren sich auf Ungleichheit als Anreiz und vernachlässigen, wie sehr zu große Ungleichheit zum Problem wird. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

Weiterlesen

Für Kinder sind Anregungen in der Vorschulzeit besonders bedeutsam

Der von der heutigen Arbeitswelt ausgehende tief greifende Wandel der Gesellschaft hat auch die Voraussetzungen für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen enorm verändert. Joachim Bauer stellt fest: „Das Ausmaß dieser Veränderungen und die Auswirkungen, die sie auf unsere Kinder und Jugendlichen haben, sind im Bewusstsein unserer Gesellschaft noch nicht angekommen.“ Selbstkontrolle, Selbststeuerung, Autonomie und die Fähigkeit, einen freien Willen zu bilden, setzen eine ungestörte Entwicklung des Gehirns voraus, die ihrerseits nur stattfindet, wenn Kinder angeleitet werden. Unter dem Einfluss der Beziehungserfahrungen, die Kinder und Jugendliche in ihrem unmittelbaren Umfeld machen, verändert ihr Gehirn seine Strukturen. Die Einflüsse der Umwelt spielen für die neurobiologische und psychische Entwicklung von Kindern eine quantitativ weit bedeutendere Rolle als Effekte von genetischen Varianten. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Weiterlesen

Die protestantische Ethik enthält das Gebot des Sparens

Das Gebot des Sparens war früher Bestandteil eines größeren kulturellen Rahmens: der von Max Weber beschriebenen protestantischen Ethik. Die Mehrung von Wohlstand war demnach nicht wichtig, weil man ihn genießen konnte, sondern weil er ein Zeichen für gute Lebensführung war. Matthew B. Crawford erklärt: „Gott hatte die Welt so eingerichtet, dass der Zustand der Seele an der Geldbörse erkennbar war: Reichtum war also ein Beweis dafür, dass ein Mensch auserwählt war.“ Im Frühkapitalismus gab es generell eine vollkommene Geringschätzung für den Verschwender. Benjamin Franklin forderte: „Sei sparsam und frei.“ Der republikanische Bürger war stolz auf seine Freiheit und fürchtete sich vor Schulden, die sie beeinträchtigen konnten. Denn der Schuldner kann dem Mann, dem er Geld schuldet, nicht offen seine Meinung sagen. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Weiterlesen

Frank Trentmann erforscht den Kult ums Neue

Auf die Frage, warum die meisten Menschen so viel mehr konsumieren, als sie benötigen, antwortet Frank Trentmann: „Konsum ist heute ein wesentliches Merkmal unseres Lebens. Unsere Identität wird zum großen Teil davon bestimmt, was und wie wir konsumieren. Wir drücken uns über Dinge aus, die wir kaufen.“ Dass es solche Massen von Dingen sein müssen, … Weiterlesen

Ein erschöpftes Ich braucht Reduktion von Stress

Wer einen anstrengenden Tag hat, der an die eigenen Konzentration und Aufmerksamkeit ständig hohe Ansprüche stellt, befindet sich in jeder kleinen Pause, erst recht aber am Abend in einem Zustand, den der Sozialpsychologe Roy Baumeister Erschöpfung des Ichs genannt hat. Joachim Bauer erklärt: „Dabei handelt es sich um eine vorübergehende Erschöpfung der Selbstkontrollkapazität aufgrund einer vorherigen Überbeanspruchung durch Stress.“ Fast alle Menschen, die in den westlichen Industriestaaten einer Arbeit nachgehen oder in einer Ausbildung stehen, leben ein Leben, dass ihr Ich und seine Steuerungskraft immer wieder an den Rand der Erschöpfung bringt. Betroffen davon sind alle Altersstufen. Joachim Bauer ergänzt: „Die Folge der dadurch erzeugten Erschöpfung des Ichs ist, dass wir, sobald der Druck nachlässt, regredieren, das heißt, den tiefen Wunsch haben, etwas zu tun, dass uns keinerlei geistige Aufmerksamkeit oder sonstige Anstrengung abverlangt.“ Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

Weiterlesen

Zum Glücklichsein braucht ein Mensch nicht viel

Durch seine Analyse verschiedener Kategorien von Bedürfnissen festigt Epikur seine Ansicht vom wahren Vergnügen als Freiheit von Schmerz und Sorge. Ludger Pfeil erläutert: „Wenn man die leibliche Unversehrtheit und den Seelenfrieden zum Maßstab nimmt, lassen sich die Begierden leicht sortieren. Weniges ist lebensnotwendig oder zur Erhaltung der Gesundheit erforderlich, zum Glücklichsein brauchen wir nicht viel mehr und schon gar keine unnatürlich erzeugten Genüsse.“ Wenn der Schmerz gestillt ist und die Wogen der inneren Unruhe geglättet sind, hat man das Entscheidende bereits erreicht. Die Freude kommt dann von selbst. Mehr sollte man laut Epikur nicht vom Leben erwarten. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

Weiterlesen

Serge Latouche geißelt die Maßlosigkeit des Wirtschaftssystem

Laut Professor Dominique Belpomme (französischer Krebsforscher) sind fünf Szenarien denkbar, wie die Menschheit aussterben könnte: Erstens durch einen gewaltsamen Selbstmord wie etwa einem Atomkrieg. Zweitens durch den Ausbruch extrem schwerer Krankheiten, wie zum Beispiel einer Pandemie oder Unfruchtbarkeit aufgrund eines nicht reversiblen demografischen Verfalls. Drittens durch die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Viertens durch die Zerstörung der Artenvielfalt und fünftens durch die extremen physikalisch-chemischen Veränderungen der anorganischen Umwelt wie das Verschwinden des stratosphärischen Ozons und den zunehmenden Treibhauseffekt. Für Serge Latouche gehen solche Überlegungen an dem Hauptproblem vorbei: „Der Logik der Maßlosigkeit unseres Wirtschaftssystems.“ Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Rücknahme des Wirtschaftswachstums.

Weiterlesen

Das Begehren ist eine Quelle unaufhörlichen Leides

Gerade in der Liebe und in der Paarbeziehung ist etwas erlebbar, das die moderne Konsumgesellschaft standhaft leugnet. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Erfahrung, dass Leben eben keine Frage der Glücksmaximierung ist, sondern dass unsere Existenz unausweichlich durch Aporien gekennzeichnet ist, durch Widersprüche und Begrenzungen, die sich nicht auflösen, sondern allenfalls aushalten oder transzendieren lassen.“ Eine dieser Aporien (die Unmöglichkeit, in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung zu treffen) ist etwa das sexuelle Begehren, zu dem gut ein Satz passt, der der heiligen Teresa von Avila zugeschrieben wird: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.“ Tatsächlich haftet dem sexuellen Begehren von seiner Natur her stets etwas Widersprüchliches, Unauflösbares an. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Die Sexualität hat sich in ein Konsumprodukt verwandelt

Dass Menschen in manchen Liebesportalen im Internet, ähnlich wie Automobile, nur noch nach ihren Eigenschaften und Aussehen beurteilt werden, dass es bessere und schlechtere gibt, begehrenswerte und unattraktive – dieses Denken ist so tief in die Köpfe vieler Menschen eingedrungen, dass es die meisten kaum noch infrage stellen. Ulrich Schnabel fügt hinzu: „Ebenso akzeptiert scheint die Ansicht, dass man die Attraktivität der eigenen Person erst durch entsprechendes Outfit und Styling herzustellen habe.“ Von diesem Denken leben große Teile der Wirtschaft: nicht nur die Illustrierten, die die unwiderstehlichsten Frisuren, die zehn besten Schminktipps und endlich – das perfekte Liebesglück versprechen, sondern auch die Hersteller von Kleindung, Schmuck oder Kosmetik, die Schönheitsindustrie, Mediziner, Berater und Therapeuten und nicht zuletzt alle Firmen, die Statussymbole wie Autos, Uhren oder Handys zur Profilierung anbieten. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Weiterlesen

Eine niedrige Geburtenrate ist ein großer Gewinn

Folgende Stimmungslage ist in Deutschland weit verbreitet: Dem Land gehen wegen der wenigen Geburten die Arbeitskräfte aus; das Land verliert an Innovationskraft und degeneriert zum Altersheim; die Renten werden bald nicht mehr bezahlbar, der Staatshaushalt leidet Not. Auf die Frage der Demoskopen nach den größten Gefahren für Deutschland antworteten 56 Prozent: Dies sei die Alterung der Gesellschaft. Für wünschenswert halten die Mahner mindestens 2,1 Kinder pro Frau. Mit dieser Durchschnittsgröße sei der Bestand des Volkes gesichert. Von diesem Zielwert sind die Deutschen jedoch weit entfernt. Wolfgang Kaden kennt die Zahlen: „Sie brachten es 1995 gerade mal auf 1,25 Kinder. Zuletzt war der Jubel groß, als die Geburtenrate für 2015 auf 1,5 gestiegen war.“ Wolfgang Kaden gehört zu den renommiertesten Wirtschaftsjournalisten des Landes.

Weiterlesen

Die soziale Ungleichheit nimmt weiter zu

Lohndumping ist einer der Faktoren für die steigende Ungleichheit in Deutschland und bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass die Früchte der Produktion immer mehr jenen zugutekommen, die Karl Marx Kapitalisten nannte, und immer weniger jenen, die er als Proletariat bezeichnete und die man heute Prekariat nennt. Thomas Seifert erklärt: „Diese Entwicklung beschleunigt die Dynamik der privaten Kapitalakkumulation, die zwangsläufig zu einer immer stärkeren Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger führt, wie Marx im 19. Jahrhundert annahm.“ Thomas Piketty schreibt in seinem Bestseller „Das Kapital im 21. Jahrhundert“: „Durch die Fortschritte und die Ausbreitung des Wissens konnte die marxistische apokalyptische Vision zwar vermieden werden, aber dadurch hat sich an den Tiefenstrukturen des Kapitals und den Ungleichheiten nichts geändert.“ Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur und Leiter der Außenpolitik bei der Wiener Zeitung.

Weiterlesen

Die Abkehr vom Wachstum ist ein politisches Projekt

Mehr als je zuvor werden im Namen der Wirtschaftsentwicklung die Bevölkerungen ganzer Länder und ihr konkretes, lokales Wohlergehen auf dem Altar eines abstrakten, an keinen Ort mehr gebundenen Wohlstands geopfert. Serge Latouche stellt fest: „Wachstum ist heute nur rentabel, wenn seine Kosten auf die Natur, zukünftige Generationen, die Konsumenten, die Beschäftigten und vor allem die Länder des Südens abgewälzt werden.“ Deshalb ist seiner Meinung nach der Bruch mit der Wirtschaftsideologie notwendig. Aber genau das Gegenteil ist heute der Fall: Alle modernen Regime stützen sich auf die Steigerung der Produktivität. Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich dabei um Republiken, Diktaturen oder totalitäre Systeme handelt. Serge Latouche ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paris-Sud. Der Ökonom und Philosoph gilt als einer der wichtigsten Vordenker des französischen Konzepts der Rücknahme des Wachstums.

Weiterlesen

Serge Latouche fordert den Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft

Eine drastische Senkung der Arbeitszeit ist für Serge Latouche der beste Schutz vor Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. Das Recht auf Arbeit muss dabei nicht nur erhalten bleiben, sondern sogar gestärkt werden. Es kann die unerlässliche Rücknahme des Wachstums zur erleichtern. Serge Latouche ergänzt: „Mindestlöhne in vernünftiger Höhe sind vonnöten, um die falsche Theorie mancher Ökonomen von der freiwilligen Arbeitslosigkeit auszuhebeln.“ Zudem ist es dringend geboten, der Arbeit ihren Charakter als Ware zu nehmen. Der derzeitige Trend zum „Sozialdumping“ ist ebenso inakzeptabel wie der zum „Ökologiedumping“. Die meisten Angestellten erleben keineswegs das Ende der Arbeit, wie es die sinkenden Wochenarbeitszeiten vermuten lassen sollte. Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Rücknahme des Wirtschaftswachstums.

Weiterlesen