Geistige Unabhängigkeit setzt ruhige Tapferkeit voraus

„Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter“, schrieb Kurt Tucholsky, „als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Zunächst einmal ist es intellektuell und psychologisch schwierig, sich außerhalb des tradierten Wissens seiner Zeit und eines Ortes zu stellen. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Die normative Kraft des Faktischen bringt uns dazu, dass wir die Bedingungen in unserem Umfeld, die alle anderen für normal zu halten scheinen, in mancher Hinsicht auch als ethische Norm betrachten.“ Zahlreiche Studien in Verhaltenspsychologie beweisen, dass eine individuelle Überzeugung, was wahr oder richtig ist, durch den massiven Druck der Mitmenschen erschüttert wird. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Das Leben ist ein lebenslanger Lernprozess

In seinem Buch „Leben lernen – ein Leben lang“ erläutert Albert Kitzler, um was es im Leben geht, nämlich es nachhaltig und sinnvoll so zu gestalten, dass man es jeden Tag neu lieben und genießen kann. Der Autor gibt zu, dass dies nicht einfach ist, da nur wenige Menschen diese Kunst beherrschen. Denn die Lebensfreude der meisten Menschen ist getrübt von Sorgen, inneren Konflikten, Ängsten, Unruhe, Rastlosigkeit, Enttäuschungen, Sinnzweifeln und unerfüllten Sehnsüchten. Gerade um solchen Belastungen abzubauen, ist eine Weiterbildung in philosophischer Lebensbewältigung äußerst hilfreich, denn sie sorgt für Freude und neue Energie. Denn Glück und Unglück liegen in der eigenen Seele – das war die einhellige Überzeugung der großen Denker in der Antike. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Menschen sind biologisch weder gut noch böse

Die evolutionäre Sicht macht deutlich, dass es sich bei Empathie nicht um eine kulturell gelernte Fähigkeit handelt, sondern m eine tief in der Biologie des Menschen verwurzelte Funktion. Manfred Spitzer ergänzt: „Wie fast alles, was die Menschen ausmacht oder was sie tun, ist auch unsere Biologie kulturell stark beeinflusst, überformt oder geprägt. Dies darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass die grundlegenden Funktionen selbst nicht Teil unserer Kultur, sondern unserer Biologie sind.“ Diese Feststellung ist an dieser Stelle deswegen so wichtig, weil das „Wesen“ des Menschen häufig als grundsätzlich böse eingestuft wird. Der englische Philosoph Thomas Hobbes prägte den Satz: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Thomas Junker kennt die Macht der Liebe

Viele Dichter haben die Macht der Liebe besungen und bewundert, religiöse und politische Weltverbesserer haben sie gefürchtet und verfolgt, und noch heute verzweifeln wohlmeinende Eltern am romantischen Eigensinn ihrer Kinder. Thomas Junker betont: „Und doch waren es diese scheinbar irrationalen Formen der Verliebtheit, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.“ Einige der faszinierendsten körperlichen und geistigen Anlagen der Menschen haben sich nur deshalb in der Evolution durchgesetzt, weil Frauen über viele hunderttausend Jahre Partner mit bestimmten Eigenschaften bevorzugten. Und weil die Männer nicht unterschiedslos mit allen Frauen schliefen, sondern eine sorgfältige Auswahl trafen. Durch die Partnerwahl haben sich die Geschlechter gegenseitig geformt. „Geformt“ ist im übertragenen Sinn gemeint, wenn es um den Charakter und die Talente geht. Thomas Junker ist Professor für Biologiegeschichte an der Universität Tübingen.

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Das Zeitalter der großen Gereiztheit ist angebrochen

In der Welt der sozialen Netze herrscht längst ein Zustand rauschhafter Nervosität, eine Stimmung der kollektiven Gereiztheit, weil alles ans Licht gezerrt wird, sei es das Banale oder das Bestialische, die enthemmte Beschimpfung und die anonyme Attacke. Bernhard Pörksen analysiert in seinem neuen Buch „Die große Gereiztheit“ die Erregungsmuster der digitalen Epoche und das große Geschäft mit der Desinformation. Der Autor führt vor, wie sich die Idee von Wahrheit, die Dynamik von Enthüllungen, der Charakter von Debatten und die Vorstellung von Autorität und Macht verändern. Heute kann jeder Nachrichten versenden, der Einfluss der etablierten Medien schwindet. In dieser Gemengelage sollte der kluge und intelligente Umgang mit Informationen zur Allgemeinbildung gehören und in der Schule gelehrt werden. Denn die Mündigkeit in Bezug auf die Medien ist zur Existenzfrage der Demokratie geworden. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Jens Weidner kennt den Weg zum Optimismus

Optimismus entsteht nicht von allein. Optimismus ist ein Ergebnis von persönlicher Einstellung, von Erziehung, von Einflüssen in der Gesellschaft und natürlich auch von Erfahrungen am Arbeitsplatz. Fachlich spricht Jens Weidner hier von den Einflüssen der primären, sekundären und tertiären Sozialisation, die den persönlichen Optimismus im Guten wie im Schlechten – dann in Richtung Pessimismus – prägen können. Ein Mensch ist diesen Prägungen aber nicht hilflos ausgesetzt, sondern kann sie beeinflussen und steuern. Je mehr Optimismus man in der Lebens- und Berufswelt hat, desto besser. Von dieser These ist Jens Weidner fest überzeugt. In der Kindheit wird die Grundlage für das optimistische Potential gelegt, das später im Beruf Berge versetzen soll. Aber es gilt: Optimisten werden nicht als solche geboren, sondern sie bilden sich. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Der Mensch sollte immer offen für neue Perspektiven sein

Reifungsorientierte Persönlichkeitstheorien wie die die Theorie der Ich-Entwicklung von Jane Loevinger befassen sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Veränderungsprozessen im Erwachsenenalter. Jane Loevinger stellte fest, dass manche Menschen ihre eigenen Positionen im Laufe des Lebens immer mehr hinterfragen. Judith Glück erläutert: „Während man im jungen Erwachsenenalter seiner selbst und des eigenen Rechthabens oft sehr sicher ist, wird man später immer öfter mit Widersprüchen und Paradoxien konfrontiert und beginnt an der Allgemeingültigkeit der eigenen Sichtweisen zu zweifeln.“ Mit zunehmenden Alter erkennt man solche Widersprüche auch im eigenen Ich und lernt, sie immer besser zu akzeptieren und zu integrieren. Damit wird auch die wertende Haltung gegenüber anderen Menschen zunehmend aufgegeben. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Georg Pieper beschreibt die neurotische Gesellschaft

Eine wirklich angstvolle, neurotische Gesellschaft reagiert in akuten Situationen der Bedrohung eher panisch als besonnen. Als Psychologe weiß Georg Pieper, dass ein angstgeprägter Mensch sich schnell angegriffen fühlt und zurückschlägt. Aus psychologischer Sicht ist es seiner Meinung nach nicht auszuschließen, dass eine neurotische, von Angst gelenkte Gesellschaft mit einer entsprechenden politischen Führung aggressiv wird und schlechte Entscheidungen fällt. Die Gesellschaft in Deutschland driftet auseinander, diese beunruhigende und bedrückende Entwicklung verfolgt Georg Pieper schon länger. In den vergangenen Jahren wurde die Kluft zwischen Arm und Reich ständig größer und im sozialen Klima immer deutlicher spürbar. Nun treibt die Angst vor Terror und anderen Unsicherheiten weitere Risse durch die Gesellschaft und ist auf dem besten Wege, sie in unversöhnliche Fraktionen zu spalten. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Die Entdeckung einer Affäre führt zu traumatischen Symptomen

Es gibt Zeiten im Leben, in denen alles auseinanderbricht. Eine Affäre zerschmettert in einem einzigen Augenblick die behagliche, familiäre Beziehung und Routine. Shirley P. Glass erklärt: „Wenn eine Affäre offenbart oder aufgedeckt wird, ist der betrogene Partner traumatisiert. Wie traumatisiert, hängt dabei stark von der Art des Betrugs und von der Art der Entdeckung ab.“ Vertrauen wurde zerstört. Wer betrogen wurde, wird in der Folgezeit der Enthüllung vielleicht mit extremen, unberechenbaren, traumatischen Reaktionen zu kämpfen haben. Wenn man selbst der untreue Partner ist, ist man in der Misere konkurrierender Bündnisse gefangen. Jedoch sogar in dieser ersten, sehr verwirrenden Zeit kann man wieder ein zartes Gefühl von Sicherheit herstellen, indem man als Paar zusammenarbeitet. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Jens Weidner enttarnt den heimlichen Optimisten

Heimliche Optimisten sind in Deutschland weit verbreitet. Sie nehmen das Übelste an, denn dann kann es nur besser werden. Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann fällt nach eigenen Angaben ebenfalls in diese Kategorie, auch wenn er es noch etwas drastischer ausdrückt: „Ich würde mich als defensiven Pessimisten bezeichnen.“ Heimliche Optimisten bereiten sich auf alle Eventualitäten vor und vor diesem Hintergrund erledigen sie ihre Arbeit. Jens Weidner ergänzt: „Erwartungen hängen sie niedrig, dann ist deren Erfüllung wahrscheinlicher. Dieser Minimalismus macht ihnen gute Laune.“ Diese Strategie erscheint den heimlichen Optimisten als der sicherste Weg zum Glück. Sie definieren sich als defensive Glückssucher, weil sie ihre niedrigen Erwartungen schnell übertreffen. Dabei wusste Johann Wolfgang von Goethe schon anno 1771, worin der Schlüssel zum wahren Optimismus liegt, nämlich in der Liebe. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Weise Menschen übernehmen die Verantwortung für ihre Fehler

Das Nachdenken über Erfahrungen fällt den meisten Menschen vor allem dann schwer, wenn ihr Handeln nicht zu einem erfreulichen Ergebnis geführt hat, sondern negative Folgen hatte. Judith Glück ergänzt: „Aus vielen Studien und jeder Menge Alltagserfahrung wissen wir, dass die meisten Menschen eher dazu neigen, ihre eigene Verantwortung für das, was nicht so gut gelaufen ist, möglichst weit wegzuschieben.“ Das Wegschieben der eigenen Schuld im Kleinen wie im Großen ist so häufig und allgegenwärtig, dass es einem völlig den Wind aus den Segeln nehmen kann, wenn sich jemand für sein Fehlverhalten einfach nur entschuldigt. Weise Menschen können das, sie haben die Größe, ihre eigenen Handlungen kritisch zu hinterfragen, die Verantwortung für Fehler zu übernehmen und aus ihnen zu lernen. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Weise Menschen sind Meister im kritischen Reflektieren

Weise Menschen denken nach. Sie tun das gerne und mehr als andere Leute, und vor allem denken sie oft etwas weiter. Viele Menschen neigen allerdings dazu, einfachen Erklärungen komplizierter Sachverhalte Glauben zu schenken. Judith Glück nennt ein Beispiel: „Wenn ein Politiker verspricht, ein Problem, an dem bisher alle gescheitert sind, einfach durch gesunden Menschenverstand zu lösen, zieht das hoffnungsvolle Wähler und Wählerinnen an, weise Menschen macht es eher skeptisch.“ Sie wissen, dass die Hintergründe eines solchen Problems komplex sind, dass es viele Beteiligte mit unterschiedlichen Perspektiven und Bedürfnissen gibt und dass bei einer allzu einfachen Lösung manche – oft die Schwächeren – auf der Strecke bleiben. Weise Menschen, versuchen Lösungen zu finden, die die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Interessen ausbalancieren, so dass insgesamt der bestmögliche Kompromiss gefunden wird. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Der Klimawandel ist ein todbringender Prozess

Der Klimawandel wirkt gewissermaßen von außen auf die natürliche Welt ein und ist ein schleichender Prozess, der nur durch die immer stärkere Häufung spektakulärer Katastrophen wie Sturmfluten, Orkane, Dürren oder sintflutartige Regenfälle mediale Aufmerksamkeit erregt. Philipp Blom ergänzt: „Das langsame Verschwinden einer bestimmten Froschart, das langsame Vordringen der Wüsten oder der millimeterweise Anstieg des Meeresspiegels liefert einfach weniger gute Bilder als zerstörte Häuser, verzweifelte Menschen, gigantische Schlammlawinen oder Waldbrände.“ Gerade diese wenig spektakulären und langsamen Entwicklungen aber können auf lange Sicht wesentlich entscheidender sein als lokale Verwüstungen. Das Absterben von Plankton durch wechselnde Meerestemperaturen und übersäuerte Ozeane zum Beispiel hat Einfluss auf die gesamte Nahrungskette und damit auf das Überleben von zahlreichen maritimen Arten und Millionen von Menschen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Noch nie gab es so wenig Gewalt wie heute

In seinem Buch „Die Naturgeschichte der menschlichen Moral“ verteidigt Michael Tomasello, Direktor des Leipziger Mex-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, das Mitgefühl als Strategie eigennütziger Interessen. Zudem weist er auf die Tatsache hin, dass sich die Entwicklung der Moral, die das Wohl der Allgemeinheit über den kurzfristigen Lustgewinn des Einzelnen stellt, als gut für die Menschheit und gut für das Individuum herausgestellt hat. Simon Hadler zitiert Steven Pinker, der in seinem Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ folgende These eindrucksvoll darlegt: „Die Gewalt wird historisch gesehen immer wenige, ausgehend von den Jäger- und Sammlergesellschaften über Antike und Mittelalter und quer durch das 20. Jahrhundert bis zur heutigen Zeit, dem Terrorismus und den Kriegen zum Trotz. Noch nie gab es so wenig Gewalt.“ Simon Hadler ist seit 1999 Redakteur bei ORF.at, seit 2009 leitender Kulturredakteur.

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Anja Förster und Peter Kreuz stellen die drei Gesichter des Nein vor

Warum es für viele Menschen so schwierig ist, das Nein auszusprechen, ist im Kern auf das Spannungsverhältnis zwischen der Ausübung von Macht und der Pflege von Beziehungen zurückzuführen: Sie wollen ja niemanden vor den Kopf stoßen! Anja Förster und Peter Kreuz erklären: „Macht ausüben ist ein zentraler Bestandteil des Neinsagens, belastet in der Regel aber die Beziehung. Die Beziehung zu pflegen kann aber die eigene Macht schwächen.“ Diesem Dilemma begegnen die meisten Menschen mit drei Strategien ihres Verhaltens: anpassen, angreifen oder ausweichen – wie William Ury in „Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln“ schreibt. Anpassung bedeutet: Man sagt Ja, wenn man eigentlich Nein sagen will. Das heißt, man opfert seine eigenen Interessen der Beziehung, die man unbedingt erhalten will. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Emotionen bestimmen die sozialen Interaktionen im Alltagsleben

Menschen verstehen, was andere fühlen, indem sie aufmerksam ihren Emotionen folgen, die die sozialen Interaktionen im Alltagsleben bestimmen. Eine Person drückt ihre Emotionen aus, indem sie ihre Gesichtsmuskeln zusammenzieht, den Ton wechselt, die Körperhaltung ändert, den Kopf hebt oder senkt, bestimmte Gesten macht oder den Blick und die Berührungen ein wenig variiert. Dacher Keltner ergänzt: „Diese emotionalen Signale dauern gewöhnlich nur ein paar Sekunden, bilden aber die Grundlage dafür, wie sich die Menschen miteinander verbinden. Die Emotionen geben uns Informationen über den Gemütszustand der Menschen, über ihre Absichten und ihre moralische Haltung in der jeweiligen Situation.“ Die eigenen Emotionen lösen bei anderen Menschen ganz bestimmte Reaktionen aus. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Eyal Winter stellt das Gefangenendilemma vor

Das sogenannte „Gefangenendilemma“ ist das vielleicht meiststrapazierte Paradox in der sozialwissenschaftlichen Literatur. Eyal Winter betrachtet kurz die Elemente des Gefangenendilemmas: „Zwei des Bankraubs Verdächtigte werden verhaftet. Der Polizei fehlt es jedoch an ausreichenden Beweisen. Ohne Geständnis von mindestens einem der Tatverdächtigen muss die Polizei beide zwangsläufig freilassen.“ Beide Gefangenen sind in separaten Zellen eingesperrt. Dabei bietet man jedem folgenden Deal an: Wenn einer von beiden gesteht, während der andere schweigt, wird der Geständige freigelassen. Der Nichtgeständige wird verurteilt und muss eine fünfjährige Haftstrafe verbüßen. Wenn beide gestehen, werden beide verurteilt, allerdings nur zu vier Jahren Gefängnis. Die Verdächtigen wissen auch, dass die Polizei sie nicht des Bankraubs überführen kann, wenn beide schweigen, sondern sie nur wegen Raserei bei der Verfolgung belangen kann, wofür sie einen Monat absitzen müssten. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Entscheidungen sind oft mit Schmerz und Verzicht verbunden

Alle Entscheidungen, Probleme und Konflikte sind für Reinhard K. Sprenger Wachstumschancen. Aber sie sind oft mit Schmerz und Verzicht verbunden. Was das Entscheiden so schwierig macht, ist die Illusion, es müsste leicht gehen, ohne Schmerz. Viele Menschen hängen an der Vorstellung, der ideale Arbeitsplatz, der ideale Chef, der ideale Partner warteten auf sie. Es ist natürlich nicht einfach, Vereinbarungen einzuhalten – vor allem die mit sich selbst. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Es ist manchmal auch schwierig, sich an Spielregeln zu halten, insbesondere in Zeiten, in denen das Brechen von Spielregeln für Autonomie gehalten wird.“ Herausforderungen und Schwierigkeiten, Gewohnheiten und Überlebtes aufgeben, alte Denk- und Verhaltensmuster ablegen: All das wird von vielen als unangenehm empfunden – und gemieden. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Sadismus und Masochismus sind allgegenwärtig

Erinnerungen an intensive emotionale Situationen üben einen starken Sog auf alle Menschen aus – insbesondere Erinnerungen an Schmerzen oder Gewalt. David Gelernter erklärt: „Dass solche Erinnerungen uns anziehen, liegt an unserer morbiden Faszination, unserem angeborenen Sadismus oder Masochismus.“ Ein Sadist ist man insofern, als man sich von den Schmerzen anderer Menschen angezogen fühlt, und ein Masochist ist man, weil einen Erinnerungen auch dann anziehen, wenn man sie unangenehm, schmerzlich oder abstoßend findet. Sadismus und Masochismus sind allgegenwärtig und so menschlich wie das Atmen. Vor allem aber ziehen Menschen diese Erinnerungen wegen ihrer schieren Intensität an. Das Hellste, Lauteste, Größte, Stärkste weckt immer die Aufmerksamkeit, ganz gleich, was es ist. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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In einem akuten Konflikt fügen sich die Partner wechselseitig Gewalt zu

Körperliche Gewalt von Männern gegenüber ihren Partnerinnen ist seit Jahrzehnten ein Thema in der Öffentlichkeit, und seit dem gleichen Zeitraum gibt es Bemühungen, die Opfer besser zu schützen; unter anderem entstanden in vielen Städten Frauenhäuser als Zufluchtsort. Es scheint klar: Gewalt in Paarbeziehungen ist Gewalt gegen Frauen. Hans-Peter Nolting stellt fest: „Nach der Polizeistatistik, die auf Anzeigen beruht, also im sogenannten Hellfeld, wird diese Asymmetrie durchaus bestätigt.“ Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn Wissenschaftler das Dunkelfeld erforschen. Diese Studien kommen gleichweg zu demselben Ergebnis: Gewalt von Frauen gegen Männer kommt nicht nur gelegentlich vor, sondern ist insgesamt etwa genauso häufig wie Gewalt von Männern. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Heute ist Heimat ein Prozess der Selbstfindung

In früheren Zeiten war er Schicksal, der Ort der eigenen Herkunft, der einen prägte, ob man wollte oder nicht – früher ist Heimat einem Menschen zugestoßen. Heute ist sie ein Prozess der Selbstfindung. Weil die Menschen oft den Wohnort oder den Arbeitsplatz wechseln, weil sich viele in radiale Individualisten verwandelt haben. Und natürlich auch, weil die Welt enger zusammengerückt ist, durch die neuen Völkerwanderungen, den Tourismus, das World Wide Web, weil auch das kleinste Dorf heute globalisiert ist. Lokalzeitungen brachten den Menschen einst ihre Heimat nahe, weshalb sich manche gleich Heimatzeitungen nannten. Der Essayist Christian Schüle schreibt in seinem neuen Buch „Heimat – Ein Phantomschmerz“: „Heute über Heimat zu sprechen heißt vor allem, über ihren Verlust zu reden.“ Das Verschwinden der Heimat ist für ihn ein Problem mit zwei Seiten.

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Eifersucht unter Geschwistern ist ganz normal

Nur wer als Einzelkind geboren wurde, kann mit völliger Sicherheit davon ausgehen, das Lieblingskind seiner Eltern zu sein. Bei mehreren Kindern in einer Familie gilt, dass die Eltern eines bevorzugen. Diese Tatsache gilt heute in der Forschung als bestätigt. Der amerikanische Soziologe Karl Pillemer von der Corell University in Ithaca fand im Rahmen einer Untersuchung heraus, dass sich etwa 70 Prozent der befragten 700 Mütter einem ihrer Kinder näher fühlen. Und der deutsche Familienforscher Hartmut Kasten geht überhaupt davon aus, dass der „Favoritismus“ – so nennen Entwicklungspsychologen das Phänomen – noch weiter verbreitet ist. Er ist der Meinung, dass es in etwa 90 Prozent aller Familien ein Lieblingskind gibt. Wem die höchste Gunst der Eltern zuteil wird, soll sich aber phasenweise verändern.

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Millionen von Entwurzelten wollen von Afrika nach Europa

Im Rückblick wundert sich Hans-Peter Schwarz, wie wohlgetrost Europa bis vor kurzem zur Kenntnis genommen hat, was sich im Orient und in Afrika zusammenbraute. Tatsächlich grenzte die Europäische Union (EU) schon im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts an manifeste oder zumindest potentielle Krisenzonen, in denen eine demographische Zeitbombe tickte und große Länder beinahe unwiderstehlich ins Chaos glitten. Hans-Peter Schwarz erklärt: „Man nahm die Unruhe zwar durchaus zur Kenntnis und urteilte von hoher moralischer Warte über das Vorgehen der Amerikaner, über ihre Verbündeten und über die Tragödien jenseits der europäischen Grenzen.“ Hilfsorganisationen und zahlreiche einzelne Helfer zogen aus, um in den Krisenregionen praktisch Hilfe zu leisten. Dass sich aber Millionen von Entwurzelten aufmachen könnten, um in Europa Schutz zu suchen, hatten weder die Bürger Europas noch ihre Regierungen auf dem Radar. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

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Jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen

Nun ist die Existenz von Gefühlsnormen unvermeidlich, wenn Menschen in Gesellschaften zusammenleben. Denn jede Art von Kommunikation ist auf Normen angewiesen. Problematisch wird es allerdings, wenn Menschen sich ihres Vorhandenseins nicht bewusst sind und es zum Konflikt zwischen inneren und äußeren Vorstellungen kommt. Ulrich Schnabel erläutert: „Dann erleben wir uns als emotional zerrissen und leiden darunter, dass Anspruch und Realität unseres Gefühlslebens massiv auseinander klaffen.“ Nirgendwo wird das deutlicher als in der Liebe, die als Herzens- oder Himmelsmacht hochgehalten wird und von Klischees, Vorstellungen und Idealen nur so umstellt sind. Alle Menschen stehen unter dem Einfluss jener Bilder und Geschichten, die das kollektive Gedächtnis dazu gesammelt hat: Romeo und Julia, Aschenputtel und der Märchenprinz, Humphrey Bogart und Ingrid Bergmann in „Casablanca“ … Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Menschen beurteilen Situationen nach ihrer Erfahrung

Bei der Beurteilung einer Situation greifen die meisten Menschen auf ihre eigenen Erfahrungen zurück. Sie dient als Referenz bei der Interpretation. Allan Guggenbühl erklärt: „Denken besteht oftmals aus einem Rückgriff auf frühere Erfahrungen. Die daraus gezogenen Schlüsse werden zur Richtschnur bei der Beurteilung einer Situation und wiegen oft mehr als andere gewichtige Argumente.“ Die persönlichen Erfahrungen sind Teil des Dispositivs, mit dem Menschen das Leben meistern. Bei einer bestimmten Herausforderung mobilisiert man dann das gleiche Muster. Gibt es keine Überraschungen, wird die Aufgabe gewohnheitsmäßig bewältigt, ohne großes Engagement und innerliche Beteiligung. Ein tieferer Prozess der Reflexion bleibt aus. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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