Europa bestimmt seine eigene Identität

Das Zeitalter der Aufklärung ist nicht nur selbst ein sich über den gesamten europäischen Kontinent erstreckendes Phänomen, es entwickelt auch als erste Epoche ein eigenständiges Bild von Europa als zivilisatorisches Gebilde. Wenn aufklärerisches Selbstverständnis und europäisches Bewusstsein der „philosophes“ (Aufklärer) in der Folge eine enge Verbindung eingehen, dann vor allem deshalb, weil die Aufklärer sich selber als eine genuin europäische Bewegung definieren, ebenso wie umgekehrt Europa von ihnen gerade als der geschichtliche Raum verstanden wird, der seit dem 16. Jahrhundert von dem Prozess der Aufklärung erfasst worden ist. Der Diskurs über Europa im Zeitalter der Aufklärung kann als Ausdruck eines spezifisch europäischen Bedürfnisses begriffen werden, die eigene Identität in Abgrenzung zur außereuropäischen Welt zu bestimmen. Im deutschen Sprachraum des 18. Jahrhunderts ist das Bild von Europa in erster Linie politischer Natur.

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Jean Paul mischte Ironie mit Gefühl und Humor

Neben den drei großen literarischen Lagern – Klassik, Romantik und Jakobinismus – gab es einige Autoren, die sich bewusst abseits hielten, sich keiner Gruppierung anschlossen und ihren eigenen unverwechselbaren Weg gingen. Aufgrund ihrer Sonderstellung führten sie, jeder auf seine Weise, ein problematisches Außenseiterleben. Bis heute hat die Forschung große Schwierigkeiten, ihre Rolle in der Kunstepoche angemessen zu bestimmen. Johann Paul Friedrich Richter (1763 – 1825), der sich als Schriftsteller Jean Paul nannte, gelang es schon zu seinen Lebzeiten, einen gleichberechtigten und anerkannten Platz neben den klassischen und romantischen Autoren zu behaupten und zu einer Autorität im literarischen Leben zu werden. Die Voraussetzungen dafür waren allerdings alles andere als günstig. Als Sohn eines armen Lehrers und Organisten lernt er die Armut früh kennen und litt sehr unter der Strenge des Vaters.

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Jedes Land hat seine eigenen Klassiker

Was „Klassik“ in der Literatur eigentlich ist, lässt sich nicht eindeutig festlegen. Zum einen ist sie verstanden worden als ein von Ausnahmekünstlern, von Genies geschaffenes überzeitliches Kunst- und Lebensideal, als Norm und Vorbild schlechthin, aus entschwundener Vergangenheit leuchtend und in die Zukunft weisend. So etwa begriffen von der Renaissance bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Humanisten das Klassische und hatten dabei als historische Ausformung stets nur einen Kulturraum vor Augen: die Antike – besonders die perikleische Glanzzeit Griechenlands im 5. Jahrhundert v. Chr. und die augusteische Blütezeit Roms um Christi Geburt. Die Tatsache jedoch, dass darüber hinaus die Italiener schon frühzeitig das 15. Jahrhundert (Leonardo da Vinci, Raffael), die Engländer und Spanier das 16. Jahrhundert (Shakespeare, Cervantes), die Franzosen das 17. Jahrhundert (Corneille, Molière, Racine) und schließlich die Deutschen die Goethezeit als die Epoche ihrer Klassik bezeichneten, zeigt ein verändertes Klassikverständnis an, das auch im Zusammenhang mit der Herausbildung moderner Nationalstaaten gesehen werden muss.

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Die „Goethezeit“ stellt den deutschen Beitrag zur Weltkultur dar

Was zur Menschwerdung gehört, ist nicht so sehr die dauernde Rückversicherung bei sich selbst, sondern das sich offen halten für das andere, Fremde. Gerade die Deutschen sind von alters her geradezu Herolde der Entwurzelung. Ein anderes Volk hat so sehr die Erlösung von sich selbst, von seinen nationalen, geografischen, mentalen Prägungen immer wieder zum Thema seiner großen Kunstwerke und kulturellen Hervorbringungen gemacht. In der größten kulturellen Blütezeit in Deutschland, während jener paar Jahrzehnte vor und nach 1800, die gemeinhin als „Goethezeit“ bezeichnet werden und die bis heute das Paradigma für den deutschen Beitrag zur Weltkultur darstellen, ist die Sehnsucht nach Entgrenzung das Thema schlechthin. Deutsche Klassik und Romantik, sie bringen mit unterschiedlicher Akzentuierung die Verherrlichung des antiken Griechenlands und des klassischen Italien mit sich.

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Im Kapitalismus wir die Familie in den Hintergrund gedrängt

Für den Philosophen Dieter Thomä, der seit dem Jahr 2000 an der Universität St. Gallen in der Schweiz lehrt, ist der Kapitalismus ein familienfeindliches Wirtschaftssystem. Denn zwischen beiden ihm und der Familie besteht ein klassischer Konflikt. Im Kapitalismus zählt nur der eigene Profit, denn man aus seiner Tätigkeit erzielt. In der Familie dagegen wird ein unglaublicher Aufwand für andere betrieben. Große Ökonomen haben dies schon vor hundert Jahren beklagt. Dieter Thomä erklärt: „Ausgerechnet der große Kapitalismusverteidiger Joseph Schumpeter kam zu der Erkenntnis, das der individualistische Utilitarismus, den der Kapitalismus generiert, die Gesellschaft und damit die Familie zersetzt.“ Wer Familie hat, scheint auch an Freiheit einzubüßen. Dass ist laut Dieter Thomä die zweite, neuere Konfliktlinie zwischen Kapitalismus und Familie.

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Der Chinese Mo Yan erhält den Literaturnobelpreis 2012

Heute erhält der chinesische Schriftsteller Mo Yan in Stockholm den Literaturnobelpreis. Wer wäre besser dafür prädestiniert als seine Übersetzerin Karin Betz, zu erklären, was das Werk Mo Yans auszeichnet. Zuerst einmal sind Mo Yans Geschichten laut Karin Betz eine Zumutung. In „Das rote Kornfeld“ wird dem Onkel des Erzählers bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, und in „Die Knoblauchrevolte“ erhängt sich eine hochschwangere junge Frau, als schon die Wehen eingesetzt haben. In seinem Roman „Die Sandelholzstrafe“ wird ein Mann von einem Foltermeister nach allen Regeln der Kunst lebendig in fünfhundert Teile zerlegt. Doch seine Leser können und wollen diese Geschichten lesen, denn wenn sie erst einmal in Mo Yans Welt eingetaucht sind, befinden sie sich an einem Ort namens Gaomi, in dem das Zuschauen beim Schlachten eines Schweins noch zum Leben gehört, in dem es die Menschen noch gewohnt sind, dem Leid ins Gesicht zu blicken und über die ständige Nähe von Not und Schmerz gelernt haben, was das Leben in seiner ganzen Fülle bedeutet.

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In der Neuzeit herrschen Intellektualismus und Naturalismus

Als den hervorstechendsten Zug, ja als die herrschende Macht des Ganzen in der Neuzeit, bezeichnet Rudolf Eucken das Zusammenwirken von Intellektualismus und Naturalismus, die sich einander sowohl widersprechen als auch ergänzen. Es herrscht bei beiden Einigkeit darüber, sich zu einer unpersönlichen Fassung des Lebens zu bekennen. Rudolf Eucken definiert: „Unpersönlich ist hier die geistige Tätigkeit, indem sie durch einen logischen Prozess getrieben wird, unpersönlich ist auch die Natur in ihrer Kraftentfaltung. Alles, was außerhalb des Bereiches dieses Zusammenwirkens der Intellektualkultur und der Naturalkultur liegt, das scheint hier der bloßen Meinung und dem bloßen Wahn anzugehören.“ Rudolf Eucken gibt allerdings zu, dass keineswegs das gesamte moderne Leben in dieses Maß eingeht, sondern bedeutende Züge entwickelt, die die gesetzten Grenzen durchbrechen, was in zwei Hauptrichtungen geschieht: durch eine moderne künstlerische Kultur und durch das Fortwirken der christlichreligiösen Lebensordnung.

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Jazzprofessor Joe Viera hat die Burghauser Jazzwoche gegründet

An den Ruhestand denkt Jazzprofessor Joe Viera, der heute 80. Jahre alt wird, noch lange nicht. In Burghausen hat er gerade seinen 516. Jazzkurs geleitet. Die Arbeit macht ihm nach wie vor einen Riesenspaß. Joe Viera, der auch für seinen trockenen Humor bekannt ist, ist davon überzeugt, dass der Jazz diese Eigenschaft fördere. Er sagt: „Weil es bei der Improvisation auf das schnelle Erfassen von Situationen ankommt, auf das spontane Reagieren. Aus dem Grund gib es so viele witzige Typen unter den Jazzmusikern.“ In den letzten Jahren ist daraus bei Joe Viera sogar eine kabarettistische Ader entstanden. Seine Liebe zur Komik ist dabei immer stärker geworden und die gehört seiner Meinung nach zum Jazz mit dazu.

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Paul Nolte beschreibt die Entstehung der Demokratie in Athen

Vor etwa zweieinhalbtausend Jahren entstand im östlichen Mittelmeerraum, auf der griechischen Halbinsel Attika, zum ersten Mal in der Weltgeschichte Demokratie. Paul Nolte erklärt: „Die Bürger von Athen überließen die Regierung ihrer Polis, also ihres stadtstaatlichen Gemeinwesens, nicht einem König, einem Tyrannen oder einer schmalen aristokratischen Elite, was weithin den kaum hinterfragten Normalfall darstellte, sondern regierten sich selbst: frei und einander gleich; durch die Übernahme von Ämtern und unmittelbar in der Volksversammlung.“ Die athenische Demokratie entwickelte sich allerdings laut Paul Nolte nicht zuerst in der Theorie, sondern langsam und in vielen Zwischenschritten, in der praktischen Anwendung. Dass daraus eine Demokratie enstehen würde, wussten die Zeitgenossen vorher und während der Entstehung dieser Regierungsform nicht. Paul Nolte ist Professor für Neuere Geschichte und Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Der Ursprung von Denken und Sprache in der Philosophie

Aristoteles versteht die Sprache als den Inbegriff von Zeichen für Vorstellungen, die in der Seele hervorgerufen werden. Dabei kann es sich nur um natürliche Zeichen handeln, denn sonst wäre die faktische Verschiedenheit der Sprachen nicht zu erklären. Als die natürliche Basis der menschlichen Verständigung gilt, dass sich bei allen Menschen bei denselben realen Umständen die gleichen Vorstellungen einstellen. Aristoteles fasste die Sprache als konventionelles Zeichensystem auf. Die Sprache ist seiner Meinung nach dazu da, sich das Nützliche, aber auch das Schädliche, das Gerechte, aber auch das Ungerechte, anzueignen. Denn nur der Mensch allein kann zwischen dem Guten und dem Schlechtem unterscheiden. Herbert Schnädelbach erklärt wie Sprache und die Einsicht bei Aristoteles zusammenhängen: „Die Verbindung von Sprache und Vernunft, die zu den anthropologischen Grundüberzeugungen unserer philosophischen Tradition gehört, ist bei Aristoteles als ein Relation von Mittel und Zweck zu denken.“

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Herbert Schnädelbach philosophiert über Sinn und Bedeutung

Für Herbert Schnädelbach schillert der Sinnbegriff in allen Farben. Er sieht ein Spektrum vor sich, das sich vom Gesichtssinn über den Uhrzeigersinn, den Sinn von Wort und Taten bis zum Sinn des Lebens erstreckt. Die Philosophen interessieren sich vor allem für den Mitteilungssinn und den Handlungssinn. Die beiden dementsprechenden Begriffspaare „Sinn und Bedeutung“ sowie „Sinn und Zweck“ sind den Menschen auch im Alltagsgespräch vertraut. Herbert Schnädelbach wirft einen Blick zurück in die Geschichte und erklärt: „Erst im 19. Jahrhundert stieg „Sinn“ zu einem zentralen Problemtitel der Philosophie auf, und dies nicht nur im Zusammenhang mit der Frage nach dem Sinn des Lebens, die in dieser Formulierung dem 18. Jahrhundert noch nicht geläufig war, sondern vor allem vor dem Hintergrund des Endes der klassischen Metaphysik, das den Gedanken nahelegte, das Ganze der Welt könnte sinnlos sein. Vor seiner Emeritierung war Herbert Schnädelbach Professor für Philosophie an den Universitäten Frankfurt am Main, Hamburg und an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Richard Wilhelm stellt die Philosophie Chinas vor

Die vorliegende Schrift des Sinologen Richard Wilhelm führt den Leser knapp und allgemeinverständlich in die Chinesische Philosophie ein. In sieben Kapiteln handelt er die Entwicklungslinien und Grundpfeiler der einzelnen fernöstlichen Lehren ab – angefangen im 6. vorchristlichen Jahrhundert über den Taoismus, den Konfuzianismus, den Buddhismus bis hin zur chinesischen Philosophie des 18. Jahrhunderts. Richard Wilhelm schreibt zu Beginn seines Buchs über die Entstehung des philosophischen Denkens in China, wobei er die Schule der Schriftgelehrten und die der Propheten vorstellt. Richard Wilhelm, der 1873 in Stuttgart geboren wurde und 1930 in Tübingen starb, war einer der bedeutendsten deutschsprachigen Sinologen. Zudem war er als Theologe und Missionar tätig.

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Gustav Mahlers Musik ist rätselhaft und doch populär

Das musikalische Werk des Komponisten Gustav Mahler umfasst neun vollendete Symphonien, eine Unvollendete, einige Liederzyklen ein paar Lieder und ein Klavierquartett. In der Gegenwart ist seine Musik so populär wie nie zuvor. Das kommt wahrscheinlich daher, dass sie in Extremen schwelgt: Überschäumendes und Entgrenztes, folkloristische Passagen sowie teilweise banale Einsprengsel wechseln einander ab. Gustav Mahlers Musik ist zudem gekennzeichnet vom Selbstmitleid und der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Der Komponist schuf vieldeutige Partituren, die vielleicht rätselhafter sind als jede andere Musik. Als zentrales Wesensmerkmal seiner Partituren ist die Vielfalt an Auslegungsmöglichkeiten zu erkennen. Im Gegensatz zu dem Harmoniker Anton Bruckner komponiert Gustav Mahler seine Musik linear in Stimmen.

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Der Lehrmeister des Malers Camille Corot war die Natur

Bei dem Maler Camille Corot gab es kein Blendwerk, wohl aber eine unübersehbare Strenge in der Harmonie seiner Bilder. Charles Baudelaire bewunderte den Künstler wegen seiner besonderen, stillen Ausdrucksweise seines Malstils. Er lobte die träumerische, aber doch besonnene Beharrlichkeit des Malers. Seine eigenen Werke vergleicht Camille Corot mit den Bilder von Théodore Rousseau auf eine bescheidene Art und Weise wie folgt: „Der ist ein Adler, ich bin nur eine Lerche und schmettere kleine Lieder in meine grauen Wolken.“ Seine Zeitgenossen bewunderten Camille Corot vor allem als Landschaftsmaler, da er der Natur, den darin angesiedelten Bäumen, dem Wasser und dem Gestein in seinen Bildern eine ganz einzigartige Ausstrahlung angedeihen ließ.

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