Das deutsche Bürgertum kritisiert die Prinzipien des Liberalismus

Der Schock der sogenannten Gründerkrise von 1873 bis 1879 führte zu einer weitreichenden Umorientierung größerer Teile des deutschen Bürgertums. Die Kritik an den Prinzipien des Liberalismus wurde lauter – sie bezog sich auf die freie, vom Staat weitgehend unabhängige Marktwirtschaft, auf den Freihandel, aber auch auf die politischen Maximen der Liberalen. Ulrich Herbert fügt hinzu: „Lauter wurde vor allem der Ruf nach einem stärkeren Eingreifen des Staates in die Wirtschaft: Er sollte den nationalen Markt gegen die verstärkt zu spürende Konkurrenz aus dem Ausland schützen und die mit dem Industriekapitalismus verbundenen Risiken für die deutschen Produzenten vermindern.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Ein freier Wille ist für Paracelsus ein Ding der Unmöglichkeit

Der Naturphilosoph Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, der von 1493 bis 1541 lebte, führte schon im Jahr 1527 an der Basler medizinischen Fakultät Vorlesungen in der deutschen Sprache ein. Paracelsus lehrt in seinem “Buch Paragranum” vier Säulen der Medizin: Philosophie, Astronomie, Alchemie und „proprietas“, so etwas wie eine Ethik der Medizin. Laut Vittorio Hösle sind darin Zukunftsweisendes und nach modernen Kriterien Unwissenschaftliches miteinander verwoben: „Neben der Forderung nach einer Begründung der Medizin durch Chemie Mineralogie findet sich der Gedanke, dass der menschliche Mikrokosmos, also etwa einzelne Organe den Planeten entsprechen.“ Wichtig ist für Paracelsus die Suche nach einem Grund der Medizin und das Streben nach Gewissheit. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

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Die Reichsgründung 1871 ist die Geburt einer verspäteten Nation

Mit der Reichsgründung von 1871 holten die Deutschen nach, was in Westeuropa sich schon einige Zeit früher und unter anderen Bedingungen vollzogen hatte: die Verwirklichung eines Nationalstaates. Das Deutsche Reich von 1871 war, im Sinne der demokratischen Idee der nationalen Selbstbestimmung der europäischen Völker, kein reiner Nationalstaat. Er war auch kein ausgeprägter Verfassungsstaat im Sinne der konstitutionellen Selbstbestimmung. Aber zur Zeit seiner Entstehung war das Deutsche Reich außenpolitisch die naheliegende und realistische Form, die sogenannte deutsche Frage zu lösen. Nur die kleindeutsche Lösung war mit den Interessen der übrigen Staaten in Europa eben noch zu vereinbaren. Die Alternative eines alle Deutschen umfassenden demokratisch-republikanischen Einheitsstaates oder einer großdeutschen Föderation war zur damaligen Zeit nicht zu verwirklichen. Nur das Bündnis der geschwächten Nationalbewegung mit der nationalen Führungsmacht Preußen, versprach noch die Realisierung der nationalen Einheit.

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