Liberale Demokratien verfügen über eine dauerhafte Stärke

Die Sonderausgabe des Philosophie Magazins „Impulse für 2024“ enthält ausgesuchte Essays und Gespräche zu den großen Fragen unserer Zeit. Die Rubrik „Eine neue Weltordnung“ beinhaltet ein Gespräch mit Francis Fukuyama über schwache Diktatoren, robuste Demokratien und die Gefahr der Spaltung. Der berühmte Politikwissenschaftler vertritt die Meinung, dass die liberalen Demokratien über eine dauerhafte Stärke verfügen, wohingegen autoritäre Regime Schwächen haben. Francis Fukuyama erläutert: „Sie haben das Problem, dass ein Alleinentscheider an der Spitze steht. Die Machtkonzentration führt zu Fehlentscheidungen, die katastrophal sein können.“ Der russische Überfall auf die Ukraine hat vielen Menschen die Augen geöffnet. Die Bevölkerungen in liberalen Demokratien erkennen plötzlich, dass ihr Frieden und ihre Sicherheit nicht selbstverständlich sind. Für Francis Fukuyama ist der Zustand der liberalen Demokratien insgesamt dennoch nicht so schlecht.

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Die Auslegung der religiösen Quellen lässt viel Spielraum

Es kann große Unterschiede im Sozialverhalten verschiedener Anhänger ein und derselben Religion geben. Selbst auf Gebieten, von denen man vielfach meint, sie hingen eng mit der Religion zusammen. Diese Unterschiede darf man jedoch nicht als bloße Aspekte eines neuen, durch die Moderne in die muslimischen Länder getragenen Phänomens verstehen. Amartya Sen ergänzt: „Der Einfluss anderer Interessen, anderer Identitäten lässt sich in der gesamten Geschichte muslimischer Völker beobachten.“ In der Weltgeschichte sind oftmals die Einstellungen zur religiösen Toleranz gesellschaftlich bedeutsam gewesen. Und unter Muslimen findet man in dieser Beziehung eine große Bandbreite. Muslim zu sein ist keine alles überragende Identität, die alles, woran ein Mensch glaubt, determiniert. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Das Wort „Liebe“ kennt viele Bedeutungen

Für Robert Spaemann gibt es kein Wort – außer dem Wort „Freiheit“ vielleicht –, das ein solches Sammelsurium an Bedeutungen in sich vereinigt, und zwar von einander diamentral entgegengesetzten Bedeutungen, wie das Wort „Liebe“. Es bezeichnet Gefühle, die Eltern ihren Kindern, Kinder ihren Eltern, Freunde ihren Freunden entgegenbringen. Robert Spaemann ergänzt: „Aber auch und vor allem das berühmte und nie genug gerühmte Gefühl, das einen Mann und eine Frau miteinander verbindet und das in den heiligen Büchern der Juden und der Christen ebenso wie bei vielen Heiden als Metapher zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gott und seinem Volk oder zwischen Gott und den Frommen dient.“ Und dann gibt es noch den Begriff der „Vaterlandsliebe“. Robert Spaemann lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Das Gewissen beeinflusst viele Entscheidungen

Jeder Mensch hat ein Gewissen. Vielleicht ist das sogar ein Charakteristikum, das ihn vom Tier unterscheidet. Wer seinem Gewissen folgt, hat es allerdings nicht immer leicht. Denn die Verlockungen, anderen Motiven zu folgen, sind groß. Klaus-Peter Hufer fügt hinzu: „Viele Wege im Leben sind einfach, doch das Gewissen zeigt oft in eine schwierige, steinige, dornige Richtung.“ Menschen können wegen ihres Gewissens in Nöte geraten und ihr Leben riskieren. Manche setzen es sogar aufs Spiel und verlieren es. Im Alltag gibt es viele Prüfsteine für das Gewissen, nicht alle wiegen jedoch schwer. In vielen alltäglichen Situationen steht hinter und neben der Entscheidung das Gewissen. Klaus-Peter Hufer promovierte 1984 in Politikwissenschaften, 2001 folgte die Habilitation in Erziehungswissenschaften. Danach lehrte er als außerplanmäßiger Professor an der Uni Duisburg-Essen.

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Deutsche erinnern sich ungern an das Dritte Reich

Theodor W. Adorno reiste aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland ins Zentrum der Barbarei, ins Herz der europäischen Finsternis. Allerdings musste er feststellen, dass seine Landsleute lediglich fünf Jahre nach Kriegsende weiterlebten, als hätte es das Dritte Reich nie gegeben. Wenn Denken verdinglichtes Bewusstsein auflösen sollte, dann geschah dieses Denken am besten auf Deutsch. Stuart Jeffries ergänzt: „Vielleicht war es nach Adornos Auffassung sogar überhaupt nur auf Deutsch möglich.“ Doch dieses Denken auf Deutsch wurde nun mit Argwohn beäugt. Jürgen Habermas sagte später, er könne sich mit den eigenen intellektuellen Traditionen nur aus der Distanz identifizieren. Nämlich einer Distanz, die es ihm ermöglichte, sich in einem Geist der Selbstkritik fortzuführen, mit der Skepsis und Scharfsicht eines Mannes, der bereits einmal betrogen wurde. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

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Philipp Blom beschreibt die Revolte gegen die Moderne

Die Revolte gegen die Moderne kanalisiert soziale Ängste. Sie gießt sie in ein manichäisches Schema von Gut und Böse, Licht und Dunkel. Philipp Blom stellt fest: „Es ist die Veränderung selbst, die sie ablehnt, die sozialen und politischen Nebenwirkungen des technologischen Fortschritts.“ Sie will die Warenströme der Globalisierung ohne die Menschenströme. Sie will die technologischen Innovationen der Wissenschaft ohne ihre unbequemen Fakten. Die Moderne soll gezähmt werden. Sie soll Wohlstand ohne gesellschaftliche Veränderung schaffen. Man will zurück in Zeiten, in denen noch eine natürliche Ordnung herrschte. Damals konnten die Einheimischen noch selbst bestimmen. Das Land und seine Straßen gehörten noch ihnen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Die Pflicht des Vergebens gilt nicht für das Böse

Die Philosophin Hannah Arendt vertritt die Meinung, verstimmte Verbrechen von der Möglichkeit des Verzeihens auszuschließen: „Zweifellos bildet die Einsicht >Denn sie wissen nicht, was sie tun< den eigentlichen Grund dafür, dass Menschen einander vergeben sollen; aber gerade darum gilt auch diese Pflicht des Vergebens nicht für das Böse, von dem der Mensch im Vorhinein weiß, und sie bezieht sich keineswegs auf den Verbrecher.“ Während für den französischen Philosophen Jacques Derrida nur das Unverzeihbare Gegenstand des Verzeihens ist, zieht Hannah Arendt genau den entgegengesetzten Schluss: Das Unverzeihliche mag rufen, so viel es will – verziehen wird es nicht. Svenja Flaßpöhler ergänzt: „Damit bleibt Arendts Begriff des Verzeihens innerhalb der Grenzen der Rationalität: Was jenseits der Grenzen liegt, ist nicht mehr verzeihbar.“ Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Vielschichtige Trauer verbindet und trennt

Die „Unfähigkeit zu trauern“ ist „den Deutschen“ nach 1945 immer wieder vorgeworfen worden. Für Michael Wolffsohn sind das kollektive und deshalb wertlose Schablonen. Auf der politisch-geschichtlichen Ebene gilt seine Sympathie jenen, die gegen Adolf Hitler Krieg geführt haben und dabei Deutsche, viele, sehr viele unschuldige Deutsche töten mussten. Subjektiv haben auch die unschuldigen Deutschen gelitten, sie wurden geschunden, missbraucht und getötet. Objektiv haben diese Unschuldigen ein verbrecherisches Regime gestützt, das nicht zuletzt die Familie von Michael Wolffsohn und seine jüdischen Glaubensgenossen verfolgte, vernichtete und vergaste. Diese vielschichtige Trauer über die Vergangenheit verbindet Michael Wolffsohn mit den Deutschen, und sie trennt sie zugleich. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Juden dienten als Ventil für Aggressionen

Der letzte Abschnitt in der „Dialektik der Aufklärung“ von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer heißt „Elemente des Antisemitismus“. Sie verfassten ihn nach dem Zweiten Weltkrieg und veröffentlichten ihn erstmals 1947. Die Autoren halten darin fest, dass Juden als notwendiges Ventil für die Frustrationen und Aggressionen innerhalb der Gesellschaft fungieren. Stuart Jeffries ergänzt: „Allerdings schreiben sie diese Notwendigkeit dem kapitalistischen System und nicht speziell dem deutschen Faschismus zu.“ Die Frustrationen und Aggressionen der Arbeiter werden einer anderen Gruppe aufgebürdet. Die produktive Arbeit der Kapitalisten war die Ideologie, die das Wesen des Arbeitsvertrags und die raffende Natur des Wirtschaftssystems überhaupt zudeckte. Darum schreit man: haltet den Dieb! und zeigt auf die Juden. Stuart Jeffries arbeitete zwanzig Jahre für den „Guardian“, die „Financial Times“ und „Psychologies“.

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Der Krieg legitimierte alles

Der Krieg war das ureigenste Moment des Nationalsozialismus. Die Abwägung von Interessen, die schwierige Organisation einer vielgestaltigen modernen Industriegesellschaft, die Verwaltung des Mangels, der Ausgleich von Widersprüchen – das alles schien nun obsolet. Ulrich Herbert erklärt: „Fortan ging es nur noch um Sieg oder Niederlage, Triumph oder Untergang. Das vereinfachte alles und legitimierte alles. Ethische Normen, geschriebene Gesetze, internationale Verpflichtungen konnte man fortan ignorieren, wenn es nur dem Sieg diente.“ Auch jenseits des Militärischen unterschied sich dieser Krieg von allen bisherigen. Schon vor dem Einmarsch in Polen hatte Adolf Hitler betont, es gehe gar nicht um Danzig: „Es handelt sich für uns um die Arrondierung des Lebensraums im Osten.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Michael Wolffsohn fordert den Mut zum Denken

Das neue Buch „Tacheles“ von Michael Wolffsohn ist nichts für Fachidioten oder eindimensionale Menschen. Der Autor redet nicht gern um den „heißen Brei“ herum. Sein Credo lautet: Erst denken, dadurch erkennen. Dann das Gedachte benennen und sich auch dazu bekennen. Somit Tacheles reden und schreiben. Auch wenn es nicht allen gefällt. Michael Wolffsohn fordert Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen. Nicht taktisch denken, sondern faktisch lautet seine Devise. Er steht der Wahrheit unerbittlich zur Seite und räumt mit Klischees, Legenden und Lebenslügen in den politischen und historischen Debatten auf. Michael Wolffsohn kritisiert pointiert den aktuellen Antisemitismus in Deutschland. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Religion ist der gefährlichste Feind des freien Denkens

Die unstillbare Sehnsucht nach Reinheit, gefährlichste Feindin freien Denkens, ist die Obsession des Religiösen zu allen Zeiten in allen Kulturen – schon deshalb, weil Religion gewöhnlich auf Absolutes, Immaterielles und damit eben auch Reines zielt. In Krisenzeiten wird der Wunsch nach Reinheit besonders drängend. Bernd Roeck stellt fest: „Gereinigt durch die Taufe beginnen Christinnen und Christen ihr Leben; durch Buße reinigen sie sich im Inneren. Sich Gott zu nähern verlangt Reinheit, vom Priester wie vom Gläubigen. Am Ende helfen Sterbesakramente bei letzter Säuberung.“ Noch nach dem Tod vollzieht das Fegefeuer – jene furchterregende Erfindung der Kirchenväter – eine allerletzte Purgation. Sie erst macht dazu bereit, in den Himmel einzugehen. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Deutschland verlor die Luftschlacht um England

Im Sommer 1940 stand Großbritannien nun allein gegen Deutschland. Zu einem „billigen Frieden“, wie ihn sich Adolf Hitler vorstellte – für England das Empire, für Deutschland den Kontinent –, war es dennoch nicht bereit. Es war deshalb unklar, wie Deutschland weiter vorgehen sollte. Ulrich Herbert erklärt: „Eine Landungsoperation auf der britischen Insel war militärisch außerordentlich riskant und wurde schließlich verworfen. Stattdessen sollte das Land durch schwere Luftangriffe geschwächt und die Moral der Bevölkerung gebrochen werden.“ Tatsächlich richteten die deutschen Luftangriffe auf die britischen Großstädte schwere Schäden an. Aber trotz gewaltiger Zerstörungen und mehr als 20.000 Toten waren weder die Moral noch die Rüstungsproduktion der Briten nennenswert in Mitleidenschaft gezogen worden. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Die Kreuzzüge zielten auf die Reinigung der Welt von Heidenbrut

Die Kreuzzüge ins Heilige Land nahmen 1095 ihren Anfang. Papst Urban II. hatte dazu aufgerufen, den bedrängten Byzantinern zu Hilfe zu eilen und gegen das „verruchte Heidenvolk“, das die heiligen Stätten besetzt hielt, zu ziehen. Der Geist, der die Papstreform und die Kämpfe in Italien und Spanien inspirierte, trug auch die Kreuzzüge. Bernd Roeck erläutert: „Sie zielten auf Reinigung der ganzen Welt von Heidenbrut, jetzt, wo vielen der Jüngste Tag nahe schien. Der demographische Aufschwung produzierte Krieger; Freiheit und Abenteuer lockten.“ Europas Adel fand Gelegenheit, Ruhm und Seelenheil zu verdienen, dazu neues Land und Sklaven – sei es im Kampf gegen die Mauren, gegen Ketzernester und Götzenanbeter im Norden und Osten. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Die Hetze gegen die Juden begann schon vor 1933

Die Nationalsozialisten hatten schon in den Jahren vor der Machtübernahme 1933 keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die kleine jüdische Minderheit in Deutschland für einen Großteil aller Probleme verantwortlich machten, denen sich die Deutschen gegenübersahen. Zwar hatte die NSDAP-Führung die Zahl der extrem judenfeindlichen Ausfälle in den Wahlkämpfen der Jahre 1930 bis 1933 etwas reduziert, um auch Wähler über die antisemitisch Eingestellten hinaus zu gewinnen.“ Ulrich Herbert fügt hinzu: „Aber es war doch für jedermann offensichtlich, dass wer die Hitlerpartei wählte oder mit ihr sympathisierte, damit die am stärksten antijüdische Gruppierung unterstützte, die in Deutschland je aufgetreten ist.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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So sah Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg aus

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen die deutschen Städte in Trümmern. Ihre historischen und industriellen Zentren waren bis zu 80, 90 Prozent zerbombt. Josef Joffe ergänzt: „Total war die moralische Zerstörung nach dem Vernichtungskrieg gegen Juden und andere „Untermenschen“. Die „Stunde null“ wurde zum geflügelten Wort.“ Vor den Deutschen lagen Ächtung und Vergeltung, so weit das Auge reichte. Selbst ein freundlicher Beobachter wie der amerikanischen Deutschland-Historiker Fritz Stern erinnert sich an sein Gefühl des „Misstrauens und der Abscheu“. Doch den Westdeutschen sollte ein dreifaches Glück zuteilwerden. Einmal in der Gestalt von Konrad Adenauer, der 1949 im Bundestag mit nur einer Stimme Mehrheit gewählt wurde – seiner eigenen. Sein Widersacher, der Sozialdemokrat Kurt Schumacher, stand für einen national-neutralistischen Kurs kontra Westbindung und Integration. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Beim „Russland-Feldzug“ war der Sieg fest eingeplant

Von allen Optionen, die sich für die deutsche Führung nach dem Scheitern des Luftkriegs gegen Großbritannien boten, war die Entscheidung für den „Russland-Feldzug“ die riskanteste, nicht nur weil sie die eigenen Kräfte maßlos über- und den Gegner unterschätzte, sondern auch weil sie dem extremen Zeitdruck, unter dem die deutsche Seite ohnehin stand, noch weiter zuspitzte. Ulrich Herbert erklärt: „Die Rote Armee sollte nach den deutschen Planungen in drei Monaten geschlagen sein. Die Siegeszuversicht war so groß, dass es nicht einmal nötig schien, den Rüstungsschwerpunkt komplett auf den Krieg gegen die Sowjetunion umzustellen.“ Sollte der Krieg länger dauern, das war sichtbar, wäre die gesamte deutsche Strategie hinfällig. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Fremde werden zum Sündenbock der Globalisierung gemacht

Die allgemeine Unzufriedenheit mit dem System prägt viele Wähler der AfD. In der Regel haben sie gar keine negativen Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht. Die AfD schnitt bei Landtagswahlen besonders erfolgreich in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern ab, wo es besonders wenige Fremde und Flüchtlinge gibt. Noch etwas gibt es hier besonders wenig: Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze. Alexander Hagelüken erklärt: „Flüchtlinge lassen sich leichter zum Feindbild machen als abstrakte, anonyme Gewalten wie Globalisierung oder Technologie, die das Leben der Unzufriedenen viel stärker durchschütteln als die Migranten.“ Migranten haben ein Gesicht, sie sind optisch und kulturell von den Deutschen abgrenzbar. Der frühere Weltbank-Ökonom Branko Milanović doziert: „Der Frust über die eigene wirtschaftliche Situation kann einfach in nationalistische Gefühle umgemünzt werden.“ Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Der deutsche Realismus zeichnet sich durch Verklärung und Harmonie aus

Die Literatur in der Epoche nach der Revolution von 1848 ist schwer unter einem einheitlichen Aspekt zu beschreiben: Einerseits steht sie noch immer unter dem Leitbild Johann Wolfgang von Goethes, andererseits waren besonders Schriftsteller des liberalen Lagers schon seit 1830 nicht mehr bereit, dem „Fürstenknecht“ nachzueifern. Sie standen in deutlicher, oft auch polemischer Opposition zur idealistischen und romantischen Literaturauffassung. Der Begriff „Realismus“ wurde in Europa zwischen 1830 und 1880 als allgemeiner kunsttheoretischer Terminus für die neue Literatur und zugleich als Selbstkennzeichnung des künstlerischen Standpunkts dieser Epoche benutzt. Man ging von der Wiedergabe der zeitbezogenen Aktualität aus, glaubte alle wichtigen Zusammenhänge – soziale, ökonomische, politische – an der gesellschaftlichen und individuellen Entwicklung der Figuren eines Romans, einer Novelle oder eines Dramas darstellen und auf diese Weise „das Leben“ beschreiben zu können.

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Das radikal Böse gehört zur menschlichen Natur

So ist es dem Aufklärer Immanuel Kant zufolge gerade die Freiheit, die einen Menschen zur Moral befähigt. Sich souverän über seine Neigungen erhebend gehorcht der Mensch einzig und allein der Vernunft, die den Grundsatz allen moralischen Handelns in Form des kategorischen Imperativs bereits in sich trägt: „Handle nur nach derjenige Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Nur wer diesem Vernunftbefehl aus reiner Pflicht Folge leistet, handelt moralisch; agiert ein Mensch aus Neigung und folgt dabei zufällig einer verallgemeinerbaren Maxime, hat dies mit moral nichts zu tun. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Dieses Kantische Moralverständnis bringt nun naturgemäß auch einen vollkommen anderen Begriff des Bösen mit sich. Wenn wir nämlich keine Sklaven unserer Natur sind, sind wir notwendigerweise auch frei, uns für das Böse zu entscheiden.“ Svenja Flaßpöhler ist Stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins.

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Anfangs war die Judenpolitik im Dritten Reich widersprüchlich

Um der außenpolitischen Wirkung willen hatte das nationalsozialistische Regime seine Politik gegen die Juden während der Olympischen Spiele 1936 kurzzeitig zurückgefahren. Danach verstärkten sich die antisemitischen Kampagnen aber wieder und erreichten mit der rabiaten Entrechtung und Drangsalierung der Juden in Österreich seit dem März 1938 einen weiteren Höhepunkt. In zunehmenden Maße ging es den Nationalsozialisten nun um die „Lösung der Judenfrage in der Wirtschaft“. Ulrich Herbert stellt fest: „Die Ziele des Regimes in der Judenpolitik waren allerdings in sich widersprüchlich. Einerseits sollte die Auswanderung der Juden befördert werden, anderseits sollten die Juden ihr Vermögen in Deutschland zurücklassen, um die leeren Staatskassen aufzufüllen.“ Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Das Dritte Reich war eine Gewaltherrschaft ohne Beispiel

Der neue Band „Das Dritte Reich“ von Ulrich Herbert, das in der Reihe „Wissen“ des C. H. Beck Verlag erschienen ist, bietet eine knappe Gesamtdarstellung des Dritten Reiches auf dem neuesten Forschungsstand. Nach einer Analyse der Faktoren, die den Aufstieg des Nationalismus und die Etablierung der Diktatur ermöglicht haben, ist der größere Teil des Buches den Jahren von 1939 bis 1945 gewidmet, in denen sich die deutsche Geschichte in eine europäische und welthistorische ausweitet. Der Band informiert über den Krieg Adolf Hitlers in der Sowjetunion, die deutsche Besatzungsherrschaft in Europa und die Ermordung der europäischen Juden. Am 30. Januar 1933 wird in Deutschland Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Ulrich Herbert ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg im Breisgau und einer der bekanntesten deutschen Zeithistoriker.

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Die AfD ist eine Sammlungspartei von Unzufriedenen

Im Bundeswahlgesetz sind die Lehren aus den Schwächen der Weimarer Verfassung gezogen worden, beispielsweise die Fünf-Prozent-Hürde, mit der die Zersplitterung des Parteiensystems verhindert werden soll. Auf die Frage, ob dies für Stabilität sorgt, antwortet der Historiker Andreas Rödder: „Wenn eine Partei über fünf Prozent landet, nützt diese Hürde auch nichts mehr. Un bei der letzten Bundestagswahl haben fast zehn Prozent der Wähler für zwei Parteien gestimmt, die es dann nicht ins Parlament geschafft haben, die FDP und die AfD. Ob das unser System am Ende stabilisiert oder nicht vielmehr Unzufriedenheit schafft, ist eine offene Frage.“ Politiker wie Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel rücken die AfD in die Nähe der Nationalsozialisten. Andreas Rödder lehrt Neueste Geschichte an der Universität Mainz und veröffentlichte zuletzt den Bestseller „21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart“.

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Sprechen und Handeln sind sehr nahe miteinander verwandt

Handelnd und sprechend offenbaren die Menschen laut Hannah Arendt, wer sie sind und zeigen dabei aktiv die personale Einzigartigkeit ihres Wesens. Ihrer Meinung nach kann sich die jeweils eigenen Identität allerdings nur gegenüber anderen zeigen und bewähren. Handeln besteht deshalb für Hannah Arendt überwiegend aus Interaktion. Sprechen bedeutet für sie Kommunikation, die nicht nur dazu dient, reine Informationen auszutauschen, sondern Beziehungen zwischen Menschen stiftet. Gerade in diesem Zwischenmenschlichen entsteht für Hannah Arendt der ursprüngliche politische Raum. Die Totalitarismen haben diesen Ort der Politik zerstört, indem sie die Beziehungen zwischen den Menschen vernichteten. In ihrem Hauptwerk „Vita activa oder Vom tätigen Leben“ geht es Hannah Arendt deshalb vor allem darum, der Politik die Würde zurückzugeben.

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Yuval Noah Harari erklärt das indische Kastenwesen

Alle Gesellschaften basieren auf erfundenen Hierarchien, wobei diese recht unterschiedlich aussehen können. Die indische Gesellschaft teilte zum Beispiel die Bevölkerung nach Kasten ein, die ottomanische unterschied sie nach Religionen und die amerikanische nach der Hautfarbe. Yuval Noah Harari begründet dies wie folgt: „In den meisten Fällen war der Grund eine willkürliche historische Verwerfung, die im Lauf der Generationen zu einem Graben wurde, weil bestimmte Gruppen ein Interesse daran hatten.“ Das indische Kastensystem wurde erfunden, als vor rund 3.000 Jahren arische Stämme nach Nordindien vordrangen und die einheimische Bevölkerung unterjochten. Die Eroberer errichteten eine hierarchische Gesellschaftsordnung, in der sie als Priester und Krieger die obersten Ränge einnahmen, während die Einheimischen als Diener und Sklaven schuften mussten. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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