Für Giacomo Leopardi war das Leben ein pausenloser Horrortrip

Obgleich der italienische Dichter und Philosoph Giacomo Leopardi (1798 – 1837) adliger Herkunft war und Privatunterricht durch konservative katholische Priester genoss, entwickelte er sich zum Hohepriester des Nihilismus und Pessimismus. Daniel Klein schreibt: „Für ihn war das Leben ein pausenloser Horrortrip. Er betrachtete das ganze Leben, als wäre es die Erfüllung eines alten russischen Fluches.“ Etwas in der Art von: „Du sollst auf dem Gehweg einen Rubel finden, aber ihn vor lauter Arthrose nicht aufheben können.“ Dieser Italiener sah die Existenz als einen großen Witz an. Die Menschen bekommen ein Leben voller Versprechungen ausgehändigt, aber am Ende werden sie eine Enttäuschung nach der anderen erlebt haben. Haha. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Eine Wirtschaftskrise wie 2008 darf sich nicht wiederholen

Philipp Blom ist fest davon überzeugt, dass sich eine Wirtschaftskrise wie 2008 nicht wiederholen darf, weder moralisch noch finanziell: „Mit der Bankenrettung verloren demokratische Regierungen ihre Legitimität in den Augen vieler Bürger, die begriffen oder zu begreifen meinten, dass hier eine Seilschaft sich selbst versorgte, während sie zahllose einfache, hart arbeitende Leute in den Abgrund stürzen ließ.“ Diese Krise hat nicht nur finanzielle Reserven nutzlos verbrannt, sondern auch sehr öffentlich und ohne jedes Schamgefühl den Glauben an die fundamentale Gerechtigkeit einer Gesellschaft, die ehrliche Arbeit belohnt und Verbrechen bestraft. Wenn die liberale Demokratie in den Augen so vieler dramatisch versagt und so offensichtlich immer weniger imstande ist, die fundamentalen Versprechen des Gesellschaftsvertrags einzuhalten, dann ist es verständlich, dass sich die Menschen nach Alternativen umsehen, die ihnen eher geeignet erscheinen, ihre Interessen zu wahren, und die auch ihrem Selbstbild besser entsprechen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Menschen sind biologisch weder gut noch böse

Die evolutionäre Sicht macht deutlich, dass es sich bei Empathie nicht um eine kulturell gelernte Fähigkeit handelt, sondern m eine tief in der Biologie des Menschen verwurzelte Funktion. Manfred Spitzer ergänzt: „Wie fast alles, was die Menschen ausmacht oder was sie tun, ist auch unsere Biologie kulturell stark beeinflusst, überformt oder geprägt. Dies darf jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass die grundlegenden Funktionen selbst nicht Teil unserer Kultur, sondern unserer Biologie sind.“ Diese Feststellung ist an dieser Stelle deswegen so wichtig, weil das „Wesen“ des Menschen häufig als grundsätzlich böse eingestuft wird. Der englische Philosoph Thomas Hobbes prägte den Satz: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“ Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Kultur kann auch eine Form des Widerstands sein

Intelligenz ist kein Kriterium für die Beurteilung kultureller Praktiken. Weder ist es intelligent, Bacardi zu trinken, noch besonders dumm, ein Flamenco-Tänzer zu sein. Anders sieht es bei der Ideologie aus. Terry Eagleton erläutert: „Obwohl sie in weiten Teilen plausibel, komplex und theoretisch anspruchsvoll sein kann, macht sich ihre Gegenwart häufig in einem plötzlichen und unerklärlichen Rückgang des intellektuellen Niveaus bemerkbar.“ Das ist der Fall, wenn gescheite, weltkluge Menschen plötzlich mit Äußerungen aufwarten wie „Wer Arbeit will, findet auch welche“ oder „2025 wird es in Großbritannien mehr Muslime als Nicht-Muslime geben“. Man spürt, dass hier Kräfte am Werk sind, die die Vernunft zum Schweigen bringen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die romantische Liebe ist eine kollektive Arena

Die romantische Liebe, so meinen einige, sei das letzte noch verbliebene Refugium jener Authentizität und Wärme, die den Menschen von einem zunehmend technokratischen und legalistischen Zeitalter geraubt worden seine. Eva Illouz fügt hinzu: „Für andere wiederum ist sie eine Ideologie, die Frauen versklavt, Symptom für das Ende der öffentlichen Sphäre oder Flucht aus sozialer Verantwortung.“ Eva Illouz untersucht, in welcher Beziehung die romantische Liebe zur Kultur und den Klassenverhältnissen des Spätkapitalismus steht. Vor allem geht sie dabei der Frage nach, wie es zum Zusammenstoß zwischen Liebe und Kapitalismus gekommen ist. Es geht ihr darum, die Formen und Mechanismen zu verstehen, in der romantische Gefühle in Wechselwirkung mit der Kultur, der Ökonomie und der sozialen Organisation des fortgeschrittenen Kapitalismus stehen. Die Soziologin Eva Illouz ist seit dem Jahr 2006 Professorin für Soziologie an der Hebrew University in Jerusalem.

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Francis Fukuyama verkündet 1989 das Ende der Geschichte

Noch ehe die Berliner Mauer gefallen war, publizierte der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama im Sommer 1989 in der Zeitschrift „The National Interest“ einen Aufsatz, der mit einer spektakulären These aufwartet: Die Geschichte ist an ihr Ende gelangt – wiewohl es weiterhin politische Ereignisse geben wird. Stefan Weidner zitiert Francis Fukuyama: „Die durch den absehbaren Zusammenbruch des Ostblocks symbolisierte weltanschauliche Klärung, gleichzusetzen mit dem Triumpf des Westens, der westlichen Idee, bedeutete den Endpunkt der ideologischen Evolution des Menschen und die Universalisierung der liberalen Demokratie des Westens als der endgültigen Gestalt menschlicher Regierung.“ Freilich vollzieht sich das Ende der Geschichte nur in der Vorstellung: „Der Sieg des Liberalismus hat sich vorrangig auf dem Gebiet der Ideen und des Bewusstseins ereignet. In der materillen Welt ist er noch unvollständig.“ Stefan Weidner studierte Islamwissenschaften, Philosophie und Germanistik in Göttingen, Damaskus, Berkeley und Bonn.

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Der Optimismus der Menschen vor 1914 war schier grenzenlos

Karl Marx und andere progressive Denker haben ein Geschichtsbild geformt, in dem der Fortschritt zentral ist und alle historischen Hindernisse überwunden werden können. Philipp Blom erläutert: „Im 19. Jahrhundert war dieser Gedanke mehr als verständlich. Wissenschaft und Industrie schienen täglich neue Wunder zu vollbringen, und im Laufe der Jahrzehnte wurden Armut und Krankheiten immer weiter zurückgedrängt.“ Es schien, als sei die Zivilisation tatsächlich imstande, ein Neues Jerusalem zu bauen und Hunger, Armut, Unwissenheit und Krieg völlig auszurotten. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, von welchem Optimismus viele Menschen in den westlichen Ländern vor 1914 getragen waren. Alles schien lösbar, alles schien möglich, die Kraft der Zivilisation schien unbegrenzt. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der Nationalismus ist eine typische Ausformung des Populismus

Wo Autorität schwindet, tritt Macht an ihre Stelle. Die aktuelle politische Weltlage zeigt diese Gefahr anschaulich. Die Gefahr kommt aus verschiedenen Richtungen. Die politische Ordnung ist immer weniger demokratisch, besitzt kaum noch Autorität und regiert auf Basis von Macht – häufig genug ist das Ohnmacht, doch das ändert nichts daran. Paul Verhaeghe erklärt: „Die Wähler sehen das, interpretieren es jedoch zu Unrecht als ein Scheitern der Demokratie an sich.“ Das birgt das größte Risiko, das David Van Reybrouck sehr treffend als neue Epidemie beschrieben hat: DES, das demokratische Erschöpfungssyndrom. Der Bürger glaubt nicht mehr an Demokratie, er ist bereit für zwei „Lösungen“, die schlimmer sind als die Krankheit selbst. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit

Jeder Mensch sollte sich mit der Wirkweise der Angst auseinandersetzen. Als Faustregel gilt: Je verängstigter man ist, desto weniger differenziert kann man denken. Wird die Angst größer, nehmen Tendenzen der Pauschalisierung ebenfalls zu. Georg Pieper erläutert: „So kann ein radikales Schwarz-Weiß-Denken entstehen, bei dem man alles in Gut und Böse unterteilt. Und gegen das Böse ist, glaubt so mancher, alles erlaubt. Diese Haltung wird dann zum gesellschaftlichen Problem, denn sie gefährdet unseren Wertekanon.“ Wenn die Angst überhandnimmt, entsteht also eine große Gefahr für die Gesellschaft. Die Angst zerstört jede Zwischenmenschlichkeit. Verschiedene sozialpsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen vor allem auf Fremde immer zuerst mit Vorurteilen und Ängsten reagieren. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Es steht schlecht um den Homo oeconomicus

Zwei unvereinbare Menschenbilder geistern durch die westliche Vorstellung dessen, was eine Gesellschaft ist. Diese Menschenbilder können zu unterschiedlichen politischen Richtungen und Bewegungen führen. Philipp Blom erläutert: „Von diesen beiden – dem Homo oeconomicus und dem irrationalen Herdentier – ist Letzteres historisch wesentlich robuster.“ Die dünne Silhouette des rationalen Menschen zerbrach an der heimtückischen Weigerung der Gesellschaften dieser Welt, nach dem Mauerfall sich der liberalen Demokratie zuzuwenden und sich einem freien Weltmarkt anzuschließen. Historische Feindschaften, hartnäckige Traditionen, brutale Diktatoren, blutrünstige Ideologien, fundamentalistische Religionen und irrationale Impulse, Dummheit, alternative Sichtweisen und kluge Einsicht in lokale Besonderheiten haben in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl von Modellen und sozialen Visionen geschaffen. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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„Shape of Water“ von Guillermo del Toro ist für dreizehn Oscars nominiert

Guillermo del Toros neuer Film „Shape of Water“ – Das Flüstern des Wassers – gilt mit dreizehn Nominierungen als Favorit bei der Verleihung der diesjährigen Oscars. Schon längst ist der mexikanische Regisseur kein Geheimtipp mehr. Gemeinsam mit seinen Landsleuten Gonzáles Iñárritu und Alfonso Cuarón zählt Guillermo del Toro zu den Star-Regisseuren in Hollywood. Spezialisiert auf Fantasy und Horror, begeisterte er ein globales Publikum mit so unterschiedlichen Filmen wie dem rot-gehörten Superhelden „Hellboy“ (2004), dem Märchendrama „Pans Labyrinth“ (2006) und dem Actionfilm „Pacific Rim“ (2013). Der 53-jährige Regisseur sagt über sich selbst: „Ich kann in jedem Format meine Filme drehen, solange ich meine eigenen Geschichten erzähle. Manchmal mache ich einen Film für eine Million Dollar, manchmal für 195 Millionen Dollar – aber ich wechsle ab. Sonst werde ich süchtig.“

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Die Kraft der Literatur verändert die Persönlichkeit

Die literarische Bildung lebt von der Fiktion, dass es Bücher gibt, deren Lektüre einen Menschen verändern kann, und dass dies nicht nur an einem selbst, der persönlichen Disposition und Situation liegt, sondern auch genau an diesen Büchern. Konrad Paul Liessmann schreibt: „Nur solch ein Denken legitimiert einen Kanon, und nur ein Kanon, wie umstritten und … Weiterlesen

Der Pragmatismus verabscheut Ideologien und Doktrinen

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 06/2017 ist der philosophischen Strömung des Pragmatismus gewidmet. Pragmatiker haben heutzutage bei vielen Menschen nicht einen besonders guten Ruf, da sie ihnen Prinzipienlosigkeit und Ideenarmut unterstellen. Besonders in Deutschland besitzt die aus den USA stammende Denktradition ein zweifelhaftes Image, da sie hierzulande als rein zweckorientiert, theoriefern und marktkonform gilt. Es könnte sein, dass man dem Pragmatismus damit unrecht tut. Denn einst strebten die führenden Pragmatiker wie Charles Sanders Peirce, William James und John Dewey nach nicht mehr und nicht weniger als einer radikalen Erneuerung der Demokratie. Am Anfang des Pragmatismus steht der Gedanke, dass sich Theorien nicht durch logischen Konsistenz oder ihre Übereinstimmung mit dem Wesen der Dinge, sondern an ihren praktischen Folgen bewähren.

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Bei gebildeten Personen ist die Gefahr der Anpassung groß

Wenn die Mitglieder einer Expertengruppe denselben Informationsstand haben und zudem ein Mitglied als Hauptexperte fungiert, dann ist laut Allan Guggenbühl die Wahrscheinlichkeit groß, dass das Denken gleichgeschaltet wird: „Es kommt zu einer Informationskaskade.“ Dieses Phänomen ist oft bei Teamsitzungen zu beobachten: Die Mitglieder der Gruppe übernehmen die Aussagen, die zu Beginn einer Sitzung von der Leitung oder einer Alphaperson geäußert werden. Statt die Ausgangssituation zu hinterfragen, werden nur die Konsequenzen und die Implementierungen diskutiert. Es findet keine Reflexion statt, sondern eine gegenseitige Bestätigung der Annahmen, die zu Beginn vorgestellt wurden. Informationen, die die Existenzberechtigung der Gruppe oder die Definition des Themas in Frage stellen, werden ausgeblendet, ohne dass man sich dessen bewusst ist. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

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Viele Menschen fürchten sich vor der Freiheit

Anstatt den Einzelnen zu ermutigen, seine Interessen klar zu artikulieren und seine Entscheidungen über die für ihn richtige Lebensführung selbst zu verantworten, verspricht die Ideologie der Gemeinschaft die trügerische Sicherheit ewig fest gefügter Werte, denen man sich unterzuordnen habe. Reinhard K. Sprenger weist darauf hin, dass schon vor gut 150 Jahren liberale Denker wie Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill vor der „Tyrannei der vielen“ in der Demokratie warnten, der sich der Einzelne kaum noch entziehen könne. Die Selbstregierung des Volkes schriebt John Stuart Mill, bedeute ja keineswegs „die Regierung jedes Einzelnen über sich selbst, sondern jedes Einzelnen durch alle Übrigen“. Sozialer Druck hat nicht nur eine gleichschaltende Kraft, er entwöhnt die Menschen auch des Gebrauchs der Selbstbestimmung. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Serge Latouche geißelt die Maßlosigkeit des Wirtschaftssystem

Laut Professor Dominique Belpomme (französischer Krebsforscher) sind fünf Szenarien denkbar, wie die Menschheit aussterben könnte: Erstens durch einen gewaltsamen Selbstmord wie etwa einem Atomkrieg. Zweitens durch den Ausbruch extrem schwerer Krankheiten, wie zum Beispiel einer Pandemie oder Unfruchtbarkeit aufgrund eines nicht reversiblen demografischen Verfalls. Drittens durch die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Viertens durch die Zerstörung der Artenvielfalt und fünftens durch die extremen physikalisch-chemischen Veränderungen der anorganischen Umwelt wie das Verschwinden des stratosphärischen Ozons und den zunehmenden Treibhauseffekt. Für Serge Latouche gehen solche Überlegungen an dem Hauptproblem vorbei: „Der Logik der Maßlosigkeit unseres Wirtschaftssystems.“ Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Rücknahme des Wirtschaftswachstums.

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Politik ist der Kampf um Macht

Ein soziales Bedürfnis mit großer Nähe zur Problematik der Aggression ist das Streben nach Macht. In gewissem Ausmaß Einfluss ausüben und eigene Absichten durchsetzen zu wollen ist keineswegs unsozial, sondern sogar notwendig für die Selbstentfaltung und Selbstbehauptung; die Alternative wäre völlige Unterwerfung. Hans-Peter Nolting fügt hinzu: „Wenn das Machtstreben jedoch ein angemessenes Maß überschreitet und mit aggressiven und gewalttätigen Mitteln umgesetzt wird, haben zwangsläufig andere Menschen darunter zu leiden.“ Das Streben nach Macht dient also dazu andere Menschen beeinflussen und kontrollieren zu können. Es ist das eigentliche Ziel, unabhängig von den anderen Vorteilen, die aus der Macht eventuell erwachsen. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Die Meinungs- und Redefreiheit sind der „Lebenssaft“ der Demokratie

Auf der einen Seite gibt es für Timothy Garton Ash tatsächliche eine Explosion der Hassrede im weitesten Sinn; das meiste davon kann seiner Meinung nach getrost ignorieren. Auf der anderen Seite besteht die pathologische Bereitschaft, sich sofort verletzt zu fühlen, schon bei der allerkleinsten Kränkung. Timothy Garton Ash stellt fest: „Das ist eine Infantilisierung des öffentlichen Diskurses, die ich leider bei meinen Studenten in Oxford und Stanford beobachten kann. Die Universitäten sollten Tempel der Redefreiheit sein, in denen alles, auch die anstößigste Meinung, auf zivilisierte Weise diskutiert werden kann.“ Selbst anstößige Geschichten sind kein Grund, jemanden von der öffentlichen Debatte auszuschließen. Es gibt verschiedene Hypothesen, die sich allerdings teilweise widersprechen, woher die Überempfindlichkeit vieler Menschen in liberalen Gesellschaften kommt. Der britische Zeitgeschichtler Timothy Garton Ash lehrt in Oxford und an der kalifornischen Stanford University.

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Die Generation Allah bildet die Basis für den Extremismus

Im Juli 2016 beherrschten erneut grausame Attentate die Schlagzeilen. In Nizza, Würzburg und Ansbach setzten junge Männer die islamische Ideologie in Gewalttaten um und verbreiteten Angst, Unsicherheit und Wut in der Gesellschaft. Ahmad Mansour stellt klar: „Wer versucht, seine islamistische Ideologie mit Gewalt und Angst durchzusetzen, ist ein Fall für Polizei und Sicherheitskräfte.“ Aber für eine andere, viel größere Gruppe sind alle zuständig, da liegt die Verantwortung bei der ganzen Gesellschaft. Es sind Jugendliche, die vielleicht den Salafismus ablehnen, aber die Werte der deutschen Gesellschaft und der Demokratie nicht teilen. Dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind oder dass Eltern ihre Kinder ohne Gewalt erziehen müssen, stellen sie für sich selbst in Frage; sie nehmen sich die Freiheit, allein über ihre eigenen Lebensmaximen zu entscheiden, auch über ihr Sexualverhalten und den Umgang mit ihrem Partner. Ahmad Mansour ist Psychologe und Fachmann für Extremismus.

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Der Geist ist kein rein biologisches Phänomen

Markus Gabriel möchte in seinem Buch „Ich ist nicht Gehirn“ durch die Darstellung einiger zentraler Grundbegriffe der Philosophie des Geistes die geistige Landschaft der menschlichen Selbsterkenntnis kartographieren. Er stellt sich dabei die Frage, wie die Begriffe Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Ich, Wahrnehmung und Denken zusammenhängen und wie sie überhaupt in das Vokabular des Menschen gekommen sind. Außerdem geht es ihm um die positive Selbsterkenntnis, also um die Frage, wer der Mensch eigentlich ist. Seine positive Hauptthese lautet, dass der menschliche Geist eine offene Vielzahl von Vermögen hervorbringt, die allesamt geistig sind, weil der Geist sich über diese Selbstdeutungen ein Bild von sich selbst verschafft. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Gewalt gegen Frauen und Fremde ist durch nichts zu rechtfertigen

In Deutschland wurden im Jahr 2015 rund 117.000 Frauen vergewaltigt oder sexuell belästigt; jede Fünfte vom Ehemann, Freund oder von der Ex-Beziehung. Etwa 643.000 Frauen wurden Opfer von Gewalt in Beziehungen, verschleiernd „häusliche Gewalt“ genannt. Und 327 wurden getötet; eine von dreien vom eigenen Ehemann oder Freund. Woher die Zahlen kommen? Alice Schwarzer kennt die Antwort: „Es handelt sich um reale Fälle, bei den Toten, oder um erstattete Anzeigen mal zwölf.“ Denn, so erforschte das Bundesfrauenministerium in einer breit angelegten Studie: Nur jedes zwölfte Opfer von Gewalt erstattet Anzeigen. Und da redet Alice Schwarzer weder von Flüchtlingen noch von Migranten, noch vom Islamismus: „Diese epidemische, strukturelle Männergewalt in unserer christlich geprägten Demokratie ist hausgemacht. Sie ist das dunkle Geheimnis im Herzen des Machtverhältnisses der Geschlechter.“ Alice Schwarzer (73) ist Feministin sowie Gründerin und Herausgeberin der Zeitschrift „Emma“.

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Der Rechtspopulismus ist eine Gefahr für die Demokratie

Der Rechtspopulismus denkt partikularistisch. Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit gelten für Rechtspopulisten nur innerhalb der eigenen Gruppe: der Nation, der Steuerzahler, des Abendlandes. Kulturen und Identitäten sollen sich nicht vermischen. Das Fremde soll draußen bleiben, gerade weil die Welt so befremdlich geworden ist: der Fremde, die fremde Religion oder Lebensweise, der fremde Gedanke. Die mal latente, mal aggressive Ausländerfeindlichkeit der rechtspopulistischen Bewegung ist das auffälligste Symptom der Sorge um den Verlust der Identität. Sie muss in Abgrenzung zum Anderen gesichert und neu hergestellt werden. Der neue Rechtspopulismus ist keine konservative Bewegung. Er setzt im Gegenteil auf die Veränderung der Gesellschaft; darauf weist der Münchner Soziologe Armin Nassehi hin. Zwar stehen im Programm der AfD viele Forderungen aus dem klassischen Repertoire des Konservatismus. Wenn man die Forderungen aber zu Ende denkt, geht es bei ihnen weder um die Bewahrung des Bestehenden noch um die Wiedergewinnung des Verlorenen.

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Islamisten leiden unter selektiver Wahrnehmung

Vor der islamischen Revolution im Jahr 1979 war der Iran offener als viele andere in der Region. Damals war die Führung nationalistisch eingestellt und die Religion spielte eine wesentlich geringere Rolle als heute. Der Islam-Experte und Psychologe Ahmad Mansour erklärt: „Aber es war dennoch ein autokratisches System, das da geherrscht hatte. Also genau so undemokratisch wie jetzt – nur im Namen des Nationalismus.“ Die Entwicklungen in den letzten Jahren haben für den Islam-Experten viel mit der Rolle Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten zu tun. Die haben Milliarden investiert, um Moscheen zu bauen und um zu missionieren. Sie beherrschen die Länder der Region mit ihrer Ideologie. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass der Nationalismus im Kampf gegen die westliche Kultur vor allem gegen Israel immer wieder Niederlagen einstecken musste.

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Ein Mensch ist nicht mit seinem Gehirn identisch

Eine der Hauptthesen des Buchs „Ich ist nicht Gehirn“ von Markus Gabriel lautet, dass die bisher nur angerissenen Vorgänge, die Selbsterkenntnis an neugeschaffene naturwissenschaftliche Disziplinen zu delegieren, ideologisch und damit irregeleitete Phantasien sind. Was Markus Gabriel hier als Ideologie kritisiert, ist in diesem Fall ein System von Vorstellungen und Wissensansprüchen im Bereich der Selbsterkenntnis, das Produkte geistiger Freiheit als natürliche, biologische Vorgänge missversteht. Markus Gabriel schreibt: „Es ist so gesehen kein Wunder, dass diese gegenwärtige Ideologie insbesondere auch darum bemüht ist, den Begriff der menschlichen Freiheit zu verabschieden. Es soll am besten gar keine Produkte geistiger Freiheit geben.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Yuval Noah Harari erforscht den Sinn des Lebens

Nicht alle Forscher sind der Ansicht, dass Glück allein eine Funktion der Biochemie ist. Yuval Noah Harari erklärt: „Zwar regulieren unsere Gene und Chemikalien gemeinsam Lust und Leid, doch Glück ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl.“ Glück besteht eben nicht darin, unterm Strich mehr glückliche als unglückliche Momente zu haben. Glück bedeutet vielmehr, das Leben als Ganzes als sinnvoll und lohnend zu erleben. Friedrich Nietzsche sagt: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Ein sinnvolles Leben kann ausgesprochen befriedigend sein, und wenn es noch so hart ist, und ein sinnloses Leben kann eine schreckliche Qual sein, auch wenn es noch so angenehm ist. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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