Ein Verbrechen muss nicht verziehen werden

Die Philosophin Hannah Arendt schrieb 1953 in ihrem Aufsatz „Verstehen und Politik“: „Verstehen ist eine nicht endende Tätigkeit. Durch diese begreifen wir Wirklichkeit. In ständigem Abwandeln und Verändern, begreifen und versöhnen uns mit ihr. Das heißt, durch die wir versuchen, in der Welt zuhause zu sein.“ Manche Menschen versuchen die Bedingungen eines Verbrechens oder einer unmoralischen Handlung nachzuvollziehen. Dadurch bekommen sie wie Svenja Flaßpöhler salopp formuliert, wieder Boden unter ihre Füße. Zuerst schien die Welt gänzlich aus den Fugen geraten zu sein. Jetzt steht ihnen nicht mehr fremd, gar teuflisch gegenüber. Sondern sie ist jetzt der Rationalität zugänglich. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Verstehen heißt, Zusammenhänge herzustellen, Kausalketten zu erkennen.“ Doch, so ergänzt Hannah Arendt, ein solches Verstehen zieht nicht notwendigerweise ein Verzeihen nach sich. Svenja Flaßpöhler ist promovierte Philosophin und stellvertretende Chefredakteurin des „Philosophie Magazin“.

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Optimisten machen das Beste aus ihrem Leben

Jens Weidner unterscheidet fünf Typen bei den Optimisten: den Zweckoptimisten, den naiven Optimisten, den heimlichen Optimisten, den altruistischen Optimisten und den Best-of-Optimisten. Einen Zweckoptimisten definiert er wie folgt: „Zweckoptimisten sind feine Menschen mit einem sehr langem Atem, wenn es darum geht, sich auf die positiven Aspekte einer schwierigen beruflichen Aufgabe zu konzentrieren.“ Zweckoptimismus ist besonders in sozialen Berufen oder auch in Veränderungsprozessen gefragt, wenn es notwendig wird, dem Unangenehmen positive Seiten abzugewinnen, selbst wenn die Umstände kaum veränderbar sind, weil sie durch Krankheiten oder Alterungsprozesse ausgelöst sind. Zweckoptimisten demonstrieren Durchhaltevermögen und wünschen sich heimlich, dafür auch etwas Bewunderung zu ernten. Sie sind kämpferisch, auch bei eher geringen Erfolgsaussichten, weil sie Unveränderbares akzeptieren können und sich trotzdem engagieren. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Die Selbstverwirklichung wird durch äußere Hindernisse eingeschränkt

Das romantische Konzept der Selbstverwirklichung geht generell davon aus, dass die Fähigkeiten des Selbst von Natur aus positiv sind. Das einzige Problem besteht darin, dass sie durch irgendwelche äußeren Hindernisse eingeschränkt werden: Staat, Gesetz, Despotismus, Patriarchat, Über-Ich, imperiale Autorität, herrschende Klasse, bürgerliche Moral und so fort. Terry Eagleton ergänzt: „Nach Sigmund Freuds Auffassung verinnerlichen wir das Gesetz in Gestalt des Über-Ichs, das heißt, wenn wir uns über seine Anweisung hinwegsetzen, laufen wir Gefahr, uns selbst zu schaden.“ Auch Edmund Burke ist sich bewusst, dass die einzige echte Souveränität diejenige ist, die man sich selbst zu eigenen macht. Es ist jene Macht, die Antonio Gramsci später als Hegemonie bezeichnet und gegen den Zwang abgrenzt. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Weisheit hat viel mit Prävention zu tun

Weisheit ist eine praktische Befähigung. Sie ist ein Maß für die Geschicklichkeit, mit der ein Mensch durchs Leben navigiert. Rolf Dobelli weiß: „Wer einmal begriffen hat, dass fast alle Schwierigkeiten einfacher zu vermeiden als zu lösen sind, dem leuchtet diese simple Definition ein: Weisheit ist Prävention.“ In der Tat, das Leben ist schwierig. Von überallher prasseln Probleme auf einen Menschen ein. Der Zufall reißt Gräben vor ihm auf und wirft Barrikaden mitten auf seinen Lebensweg. Das kann kein Mensch ändern. Aber wenn man ahnt, wo die Gefahren lauern, kann man vorbeugen und manchen Hindernissen aus dem Weg gehen. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

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Der Optimismus der Menschen vor 1914 war schier grenzenlos

Karl Marx und andere progressive Denker haben ein Geschichtsbild geformt, in dem der Fortschritt zentral ist und alle historischen Hindernisse überwunden werden können. Philipp Blom erläutert: „Im 19. Jahrhundert war dieser Gedanke mehr als verständlich. Wissenschaft und Industrie schienen täglich neue Wunder zu vollbringen, und im Laufe der Jahrzehnte wurden Armut und Krankheiten immer weiter zurückgedrängt.“ Es schien, als sei die Zivilisation tatsächlich imstande, ein Neues Jerusalem zu bauen und Hunger, Armut, Unwissenheit und Krieg völlig auszurotten. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, von welchem Optimismus viele Menschen in den westlichen Ländern vor 1914 getragen waren. Alles schien lösbar, alles schien möglich, die Kraft der Zivilisation schien unbegrenzt. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Human Enhancement will den Menschen vervollkommnen

Den Menschen besser zu machen, ihn näher zur Vollkommenheit, zur Perfektion zu bringen, ist ein Anliegen, das nicht nur mit der Bildung einhergeht. Thomas Damberger erläutert: „Vielmehr scheint es eine neue, moderne Form der Perfektionierung zu geben, die unter dem Namen Enhancement diskutiert wird. Wenn hier von Enhancement die Rede ist, dann ist damit ausdrücklich „Human Enhancement“ gemeint.“ Der Begriff „Human Enhancement“ bedeutet übersetzt so viel wie die „Verbesserung des Menschen“. Nun ist die Verbesserung des Menschen aber auch ein Thema, das der Bildung – und noch etwas allgemeiner: der Pädagogik – immanent ist. Immanuel Kant hat beispielsweise in seiner 1803 veröffentlichten Vorlesung „Über Pädagogik“ festgehalten, dass hinter der Edukation das Geheimnis der Vervollkommnung der menschlichen Natur steht. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Die Verlustaversion ruft eine Tendenz zum Status quo hervor

Die meisten Menschen besitzen die allgemeine Tendenz, nicht hergeben zu wollen, was sie besitzen – selbst in Situationen, in denen die Erwägungen der Kosten und des Nutzens für den Verzicht sprechen, weil eindeutig die Aussicht besteht, etwas Besseres zu bekommen. Diese Tendenz nennt man Verlustaversion. Richard E. Nisbett fügt hinzu: „Anscheinend macht es uns in zahlreichen ganz verschiedenen Situationen nur halb so glücklich, etwas zu gewinnen, wie es uns unglücklich macht, das Gleiche zu verlieren.“ Für die Verlustaversion bezahlen Menschen einen hohen Preis. Menschen wollen das, was sie besitzen, nicht hergeben, nicht einmal, wenn sie dafür mehr bekommen als das, was sie ursprünglich für einen fairen Preis betrachtet haben. Richard E. Nisbett ist Professor für Psychologie an der University of Michigan.

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Frühere Liebschaften sind sehr leicht entflammbar

So wie sich Freundschaften und kollegiale Beziehungen in Affären verwandeln können, sind frühere Liebschaften leicht entflammbar. Wenn beide sich nach Jahren wieder treffen, kann die Glut leicht aufflackern. Man blickt sich in die Augen und sieht sich so, wie man damals war: jünger, schöner, voller Lebensenergie. Shirley P. Glass fügt hinzu: „Die Leidenschaft schlägt schnell wieder Wurzeln. Man kennt sich, und das Zusammensein ist wie ein Nachhausekommen.“ Menschen, die sich nach einer Wiederbegegnung erneut verlieben, sprechen oft von der Intensität ihrer Bindung und halten ihre Liebe für einmalig. Wenn ihre Wiedervereinigung in eine Heirat oder eine feste, exklusive Partnerschaft mündet, sind diese Beziehungen höchst erfolgreich. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Aggression ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen

Wenn man das Verhalten eines Menschen verstehen will, dann sind besonders seine Motive interessant. Das gilt auch für das Thema Aggression. So ist denn das „Tatmotiv“ ein fester Begriff in jedem Krimi und ebenso bei der Klärung und juristischen Bewertung realer Verbrechen. Die Frage nach Motiven betrifft aber nicht nur schwerwiegende Taten, sondern das gesamte Spektrum der Aggression. Auf die Frage, warum sich Menschen aggressiv verhalten, gehen die Antworten überwiegend in eine Richtung. Hans-Peter Nolting erläutert: „Aggressives Verhalten ist eine Reaktion auf negative Erfahrungen. Genannt werden unter anderem: Überforderung, Einengung, Armut, vor allem aber negative Erlebnisse mit anderen Menschen, zu Beispiel egoistisches, abweisendes, verständnisloses Verhalten.“ Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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George Eliot beschreibt das Schicksal junger Frauen

Die englische Schriftstellerin George Eliot, die eigentlich 1819 unter dem Namen Mary Anne Evans geboren wurde, schrieb: „Ein Menschenleben, so meine ich, sollten in einem heimatlichen Flecken tief verwurzelt sein, wo es die Liebe zärtlicher Verbundenheit für das Gesicht der Erde erfährt, für die Arbeiten, die die Leute verrichten, für die Klänge und Akzente, für alles, was dieser frühen Heimat eine unverwechselbare Vertrautheit verleiht inmitten der Erfahrungen, die noch kommen werden.“ In dem berühmten Vorwort zu ihrem Roman „Middlemarch“ schreibt George Eliot von den Schwierigkeiten vieler junger Frauen, ihre Bestimmung im Leben zu finden. Sie spüren in ihrem Innern eine starke Sehnsucht, schrieb sie, eine geistige Inbrunst, ihre Energien auf ein gewichtiges, hohes und bedeutsames Ziel zu lenken. Sie werden von hehren moralischen Ambitionen angetrieben, dem dringenden Bedürfnis, ihr Leben in den Dienst einer heroischen gerechten Sache zu stellen.

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Gute Freunde halten Körper und Seele gesund

Gute Freunde helfen nicht nur Hindernisse zu meistern, sie halten außerdem gesund. Denn gegen Übergewicht und Bluthochdruck helfen sie offenbar besser als Sport und gesunde Ernährung. Wer kaum freundschaftliche Kontakte pflegt, schläft nicht nur schlechter und ist öfter gestresst. Er hat auch ein höheres Risiko, früher zu sterben. Professor Franz Neyer, Direktor des Instituts für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, erklärt: „Ohne soziale Beziehungen können Menschen überhaupt nicht existieren.“ Was ihn an dieser Tatsache besonders fasziniert, dass der Mensch freiwillig enge Bande zu Fremden knüpft. Das ist der Unterschied zu vielen Tieren, die ohne ihr Rudel kaum überleben könnten. Seit mehr als 20 Jahren untersucht Franz Neyer was Menschen abseits von Verwandtschaft, Sexualität und oberflächlichem Nutzen aneinander bindet.

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Deutschland muss sich wegen der Flüchtlinge neu erfinden

Die Herausforderungen sind gewaltig. Das Gleiche gilt allerdings auch für die Chancen. Über eine Million aufgenommene Flüchtlinge stellen Deutschland vor großen Fragen: der globalen Verantwortung, der nationalen Identität, der Zukunft einer offenen Gesellschaft. Im Titelthema „Was tun?“ beantworten im neunen Philosophie Magazin 02/2016 Februar/Marz 27 Philosophen die drängendsten Fragen. Für Chefredakteur Wolfgang Eilenberger markiert das Jahr 2015 das Ende der zentralen Lebenslüge einer ganzen europäischen Generation: „Ich sprechen von der Illusion eines Kerneuropas als eines mauerlosen Paradiesgartens in einer Welt des Elends.“ Die moralische Verpflichtung, Geflüchtete aufzunehmen kennt für Marc Crépon keine Grenzen. Denn man muss sich dabei zuallererst bewusst machen, dass die Zustimmung oder Ablehnung, sie aufzunehmen, in vielerlei Hinsicht der Macht über Leben und Tod gleichkommt. Seiner Meinung nach kommt der politische Wille, Geflüchtete zurückzuweisen und sie so der sicheren Gewalt auszuliefern, einer Billigung von Mord gleich.

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Gewohnheitsveränderungen verlangen nach Durchhaltevermögen

Gewohnheiten entwickeln eine Kraft, gewinnen Macht über einen Menschen. Der schottische Philosoph Thomas Reid war der Überzeugung, dass eine Gewohnheit dann vorliegt, wenn sie eine kausale Kraft entfaltet, eine Neigung, einen Menschen in einer gewissen Weise handeln zu lassen, sodass es eine Anstrengung bedürfe, nicht so zu handeln. Clemens Sedmak fügt hinzu: „Wenn wir also eine Gewohnheit verändern wollen, verlangt das nach einer gewissen Anstrengung. Man könnte auch sagen: Ein Handlungsablauf wird dann zur Gewohnheit, wenn es mich anstrengt, anders zu handeln.“ Gewohnheiten bringen einen Menschen dazu, etwas zu tun, auf das er im Augenblick vielleicht gar keine Lust hat. Gewohnheiten sind kraftvoll und hartnäckig, sie weisen eine gewisse Beharrlichkeit auf, zu deren Überwindung Mühen aufzuwenden sind. Der österreichische Philosoph Clemens Sedmak hat unter anderem eine Professur am Londoner King´s College inne.

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Gabrielle Oettingen läutet das Ende des positiven Denkens ein

„Angesichts der Vorherrschaft des Optimismus, erscheint es geradezu riskant, negative Gesichtspunkte auch nur mit vorsichtigen Worten anzusprechen, vor allem in Institutionen und Organisationen“, schreibt die Psychologin Gabriele Oettingen in ihrem neuen Buch „Die Psychologie des Gelingens“. Wer am Arbeitsplatz eine realistische Haltung vertritt, gilt ihrer Meinung nach oft als Spielverderber oder Miesmacher. Unzählige Studien haben die Forscherin überzeugt: Positives Denken hilft den Menschen nicht so viel weiter, wie sie glauben. Egal, ob es sich ums Abnehmen, das Rauchen aufhören, schnelleres Gesundwerden, bessere Noten oder höher dotierte Jobs handelt. Denn davon zu träumen, wie sich ein Herzenswunsch erfüllt, vermittelt ein warmes Gefühl der Zufriedenheit. Gabriele Oettingen analysiert: „Uns do kann man in ausweglosen Situationen ausharren, durchhalten und Hoffnung schöpfen.“

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Gewohnheiten veredeln oder verderben die Menschen

Gewohnheiten können als Ausdruck des Lernens, aber auch als Ausdruck der Automatisierung verstanden werden; sie können gerade durch den Effekt der Automatisierung unsichtbar werden. Henri Bergson, der in seinem philosophischen Denken die Vitalität und das Lebendige verteidigte, stand Gewohnheiten skeptisch gegenüber. Ja, er fürchtete sogar, dass alle Gewohnheit in einem stumpfen Automatismus endet. Die meisten Menschen finden es amüsant, wenn sie Tics oder Angewohnheiten von Personen beobachten, weil sie sich darüber lustig machen, wenn diese Person einer mechanischen Puppe gleicht und von Kräften gesteuert wird, die stärker sind als sie selbst. Für Clemens Sedmak ist es ein Paradox, dass die Verfestigung einer Gewohnheit zur Verflüchtigung derselben führt und sie dabei an Wahrnehmbarkeit verliert. Der österreichische Philosoph Clemens Sedmak hat unter anderem eine Professur am Londoner King´s College inne.

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Ohne Otto von Bismarck hätte es kein Deutsches Reich gegeben

Die große Biographie von Ernst Engelberg über Otto von Bismarck wird von vielen Historikern und Politikwissenschaftlern als ein Meisterwerk deutscher Geschichtsschreibung bezeichnet. Ernst Engelberg, einer der bedeutendsten Historiker des 20. Jahrhunderts, schuf darin das faszinierende Bild einer einzigartigen Persönlichkeit und einer herausragenden politisches Werkes, das zuletzt allerdings Züge von Tragik annahm. Zum 200. Geburtstag Otto von Bismarcks liegt der Klassiker nun in einer aktualisierten und gekürzten Neuausgabe im Siedler Verlag vor. In seiner Biographie über Otto von Bismarck breitet Ernst Engelberg gleichzeitig vor seinen Lesern das breite Panorama einer Epoche und ihrer widerstreitenden Kräfte aus. Er beschreibt den Lebensweg Otto von Bismarcks, der mit der Schaffung des Deutschen Reiches letztlich jenes Altpreußen aufhob, dem er mit allen Wurzeln anhing und dem seine ganze Liebe gehörte.

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Peter Bieri stellt Formen der fürsorglichen Bevormundung vor

Menschen können von anderen Menschen bevormundet werden. Ob daraus eine Gefahr für die Würde hervorgeht, hängt laut Peter Bieri davon ab, welche Absicht dahintersteckt und ob der Eingriff in den Freiheit des anderen verständlich und gerechtfertigt erscheint. Es hängt auch davon ab, wie es um den Willen desjenigen steht, über dessen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen werden. Es kann auch sein, dass es in der Sache, über die entschieden werden muss, noch gar keinen Willen gibt. Peter Bieri nennt als Beispiel Kinder, die in einer folgenreichen Angelegenheit noch keinen ausgeprägten, gefestigten Willen und keine Autorität haben. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Es existieren zwei grundlegende Formen der Freiheit

Wolfgang Kersting unterscheidet zwei Formen der Freiheit. Eine negative Freiheit genießen die Menschen, wenn sie frei von Zwang, Gewalt und Drohung handeln und Entscheidungen treffen können. Positive Freiheit bedeutet für den Menschen sein eigener Herr zu sein und über sein Leben selbst bestimmen zu können. Wolfgang Kersting fügt hinzu: „Negative Freiheit bedeutet Freiheit von Selbstbestimmung, positive Freiheit bedeutet Selbstbestimmung.“ Allerdings ist die Abwesenheit von Fremdbestimmung nicht hinreichend für Selbstbestimmung. Es gibt laut Wolfgang Kersting Hindernisse bei der Selbstbestimmung, die auch dann bestehen bleiben, wenn alle darauf verzichten, sich einander durch Gewalt, Drohung und Erpressung gefügig zu machen. Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

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Jean-Paul Sartre erklärt die Philosophie des Existentialismus

Wenn Jean-Paul Sartre in philosophischen Begriffen spricht, hat jeder Gegenstand ein Wesen und eine Existenz. Unter Wesen versteht er eine konstante Gesamtheit von Eigenschaften, unter Existenz eine gewisse effektive Anwesenheit in der Welt. Viele Menschen glauben, dass das Wesen vor der Existenz komme. Der Existentialismus dagegen hält laut Jean-Paul Sartre daran fest, dass beim Menschen – und nur beim Menschen – die Existenz dem Wesen vorausgeht. Das bedeutet seiner Meinung nach ganz einfach, dass der Mensch zunächst ist und erst danach dies oder das ist. Jean-Paul Sartre schreibt: „Mit einem Wort, der Mensch muss sich sein eigenes Wesen schaffen; indem er sich in die Welt wirft, in ihr leidet, in ihr kämpft, definiert er sich allmählich; und die Definition bleibt immer offen; man kann nicht sagen, was ein bestimmter Mensch ist, bevor er nicht gestorben ist, oder was die Menschheit ist, bevor sie nicht verschwunden ist.“ Mit seinem Appell zur Selbstverantwortung wurde Jean-Paul Sartre zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts.

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Bei einer Demütigung muss es einen Täter und ein Opfer geben

Menschen wollen nicht nur benutzt werden. Sie weigern sich, bloßes Mittel zu einem Zweck zu sein, den andere bestimmen. Ein Mensch möchte als Zweck an sich beziehungsweise als Selbstzweck betrachtet und behandelt werden. Wird man nicht so behandelt, ist das laut Peter Bieri nicht nur unangenehm. Im Extremfall fühlt sich eine Person missachtet oder sogar vernichtet. Peter Bieri fügt hinzu: „Wenn man uns als Subjekt missachtet oder als bloßes Mittel missbraucht, fühlen wir uns gedemütigt. Demütigung ist die Erfahrung, dass uns jemand die Würde nimmt.“ Der Kern dieser Erfahrung ist Ohnmacht, das heißt fehlende Macht. Peter Bieri studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Nils Minkmar prangert die Überforderung in der Kindheit an

Nils Minkmar kritisiert, dass viele Kinder zum Projekt permanenter Optimierung geworden sind. Die Eltern streben nach Perfektion: exzellente Schulnoten müssen her, wertvolle Spiele werden gekauft. Nils Minkmar schreibt: „So wird die Kindheit zum Krampf. Und das schreckt potentielle Eltern ab.“ Seiner Meinung nach bewerten viele Eltern die Schule, die Jugend, ja die ganze Kindheit zunehmend als eine Lebensphase, die man auf keinen Fall allein den Kindern überlassen darf. Nils Minkmar vertritt die These, dass das Streben nach einer makellosen Schulleistung und mehr noch nach einer perfekten Kindheit und Jugend in den Mittelschichten zu einer kollektiven Zwangsvorstellung geworden ist. Das Blühen der elterlichen Neurosen kann man bereits neben dem Sandkasten beobachten. Nils Minkmar ist Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Freundschaft fördert den Glauben an die Menschheit

In einer Freundschaft finden sich gemäß Siegfried Kracauer immer nur Menschen von ähnlicher typischer Veranlagung zusammen. Er schreibt: „Indem sie sich gegenseitig aufnehmen, verdoppeln sie sch in allem, worin sie gleich sind.“ Ein Ich wird durch das andere gestärkt, und weil es seine Eigenheiten und Schwächen und manches Heimliches bei seinem Freund in liebender Obhut weiß, kann es auf dem ihm vorgegebenen Weg vertrauensvoll weitergehen. Nur der Einsame schwankt unsicher wie ein Fähnchen im Wind oder erschöpft sich im Kampf um seine Selbstbehauptung. Der Widerhall eines Freundes dagegen stärkt das Selbstwertgefühl. Der Schriftsteller Siegfried Kracauer ist davon überzeugt, dass Freundschaft menschengläubig macht wie alle wahrhafte Liebe.

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Nur der weise Mensch kann wahre Freude empfinden

Die Philosophie ist für Seneca etwas so Heiliges und Ehrwürdiges, dass sogar trügerische Ähnlichkeit mit ihr Anklang findet. So hält die Masse jeden, der seiner Muße nach lebt, schon für einen Menschen, der zurückgezogen sein Leben in Geborgenheit, in Selbstgenügsamkeit und im Einklang mit sich selbst gestaltet. Dabei trifft dies nur auf einen Weisen zu. Denn nur dieser versteht es, mitten in aller Aufregung sich selbst zu leben, weil er allein überhaupt zu leben versteht. Seneca fährt fort: „Denn wer Welt und Menschen flieht, wer sich durch unglückliche Liebe in die Einsamkeit treiben lässt, wer es nicht ertragen kann, andere glücklich zu sehen, wer sich wie ein scheues und träges Tier verkriecht, der lebt nicht sich selbst, sondern – was das Allerschimpflichste ist – seinem Bauch, seinem Schlaf, seiner Lust.“

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John Stuart Mill tritt für die Frauenrechte ein

John Stuart Mill geht in seinen Schriften zur politischen Ökonomie von der Annahme aus, dass die ökonomische Entwicklung seiner Zeit allgemeine Mängel beseitigt habe, und es nur noch darum gehe, die erarbeiteten Güter menschlich verträglich zu verteilen. Die Arbeitervereinigungen sind für ihn ein unerlässliches Mittel zu Wahrung der Interessen der Menschen, die nichts außer ihrer Arbeitskraft anzubieten haben. Handlungen sind für John Stuart Mill moralisch richtig, wenn sie das Glück fördern, moralisch falsch, wenn sie das Gegenteil von Glück bewirken.

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