Terror und Gewalt führen zu keiner stabilen Macht

Gewalt und Macht lassen sich mit Hannah Arendt dadurch unterscheiden, dass Erstere prozessual, dynamisch und zeitlich begrenzt ist. Letztere stellt dagegen eine strukturelle Größe dar, die dauerhaft, und, was fast dasselbe ist, institutionalisiert ist. Gewalt ist ein Komplement von Macht, insofern sie, wie Michel Foucault dargelegt hat, auf einem System von möglichen psychischen und/oder physischen Bestrafungen basiert, die gleichsam den symbolischen Horizont aller Macht bildet. Wolfgang Müller Funk ergänzt: „Das, was als politischer Körper bezeichnet wird, wäre gewissermaßen der Foucaultsche Aspekt des Zusammenhangs von Macht und Gewalt. Jenseits der Befunde des französischen Denkers besteht der Verdacht, dass keine Macht, die allein auf Terror und Gewalt beruht, dauerhaft stabil ist. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

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Grausamkeit sollte eigentlich unmöglich sein

Die Grausamkeit gehört für Friedrich Nietzsche zur ältesten Festfreude der Menschheit. Auf der anderen Seite sollte Grausamkeit eigentlich unmöglich sein. Denn es dürfte sie nicht geben, wo es menschlich zugehen soll. Wolfgang Müller-Funk weiß jedoch auch: „Wer sich mit der systematischen Quälerei anderer Menschen, Individuen oder Gruppen, beschäftigt, droht von ihr angezogen zu werden.“ Unmöglich ist die Grausamkeit aber ebenso, weil es schwer ist, sich unvoreingenommen mit ihr zu beschäftigen. Der Schrecken vor ihr führt leicht dazu, sie zu verkennen. Die Aussage, dass Grausamkeit unmenschlich ist, geht leicht von den Lippen. Doch die Entgegensetzung von „menschlich“ und „unmenschlich“ ist fragwürdig. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

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In Deutschland herrscht das Verbot der Folter

Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und selbst schlichteste Zuschauer und Leser wissen, dass man die Wahrheit verhüllen kann. Entweder wenn Zeugen lügen oder Spuren verloren gegangen sind. In diesem Fall spaltet sich die Wirklichkeit auf in eine spannungsgeladene Beziehung. Es gibt dann eine lebensweltliche Wahrheit und eine fiktiv erzeugte Wahrheit. Eine „Gerechtigkeitsagentur“ bemüht sich dann, beides in Übereinstimmung zu bringen. Thomas Fischer erklärt: „Tatsachen können nicht unabhängig vom Erkenntnisprozess selbst und vom Erkennungsinteresse gedacht werden.“ Wenn man zum Beispiel das Folterverbot als Beispiel für eine Verfahrensregel nimmt, ergeben sich schwierige Fragen. Strafrechts-historisch war die Folter („peinliche Befragung“) ein Anliegen der Rationalität. Sie wandte sich von ersichtlich unzuverlässigen Beweismethoden ab und eine Ermittlung der Wahrheit durch Geständnis zu. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Grausamkeit ist eine höchst entwickelte Kulturtechnik

Mit der Bestimmung der Grausamkeit gelingt Wolfgang Müller-Funk in seinem neuen Buch „Crudelitas“ ein erschütternder Blick auf einen verdrängten Aspekt der menschlichen Evolution. Seine aus dem intimen Dialog mit der Literatur gewonnenen Einsichten zeigen Wege auf, ihre Verlockungen zurückzuweisen. Es dürfte die Grausamkeit eigentlich nicht geben, dort, wo es menschlich zugehen soll. Sich mit dem düsteren Sujet zu beschäftigen, bedroht die eigene Befindlichkeit. Es zieht einen hinab in die Hölle eines Unaussprechlichen, das in Religion und Metaphysik als das Böse schlechthin bezeichnet worden ist. Der Schrecken vor der Grausamkeit führt jedoch leicht dazu, sie zu verkennen. Wolfgang Müller-Funk war Professor für Kulturwissenschaften in Wien und Birmingham und u.a. Fellow an der New School for Social Research in New York und am IWM in Wien.

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Die Philosophie kann das Leben verändern

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 01/2022 beschäftigt sich mit der Frage: „Kann Philosophie mein Leben ändern?“ Chefredeakteurin Svenja Flaßpöhler betont in ihrem Editorial, dass die drängenden politischen Fragen von fundamentalen existenziellen Fragen nicht zu trennen sind. Die Redaktion hat den Titel der Jubiläumsausgabe deshalb gewählt, weil jede große Transformation konkret im eigenen Dasein beginnt. Und die Philosophie besitzt das Potenzial, den notwendigen Wandel anzustoßen. Sie befähigt im günstigsten Fall Menschen, mündige Entscheidungen zu treffen. Dabei ist der begründete Zweifel immer der erste Schritt zur Veränderung. Die Zerstörung angenehmer Gewissheiten ist schließlich seit jeher philosophische Methode, von Sokrates über Arthur Schopenhauer bis hin zu Emil Cioran. Jeder sollte sich die Frage stellen, ob er das Leben führt, das er führen will und je nachdem wie die Antwort ausfällt, weitreichende Entscheidungen zu treffen.

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Niccolò Machiavelli war kein Humanist

Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) hält wenig von der gutgemeinten Idee oder Illusion, wonach die Regierten automatisch bessere Menschen wären als die Regierenden. Dass Macht korrumpiert, ist eine alte Weisheit, die gerne übersehen lässt, dass Ohnmacht es in nicht geringerem Maße tut. Die als unschuldig gewürdigten Opfer sind es oft bloß mangels Gelegenheit. Und ihre moralische Verklärung ist in den Auswirkungen manchmal gar nicht menschenfreundlich. Bis zu seinem Sturz im Februar 1513 ist Niccolò Machiavelli Kanzler für innere und äußere Sicherheit der Republik Florenz unter den Medici. Erst in der Verbannung, auf seinem kleinen Landgut Albergaccio im Dorf Sant` Andrea in Percusina, fünfzehn Kilometer südwestlich von Florenz, wird er zum Theoretiker. Sein Name ist durch seine endlosen Verunglimpfungen den Menschen bis heute so vertraut geblieben.

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Hass kann sich zu einem Flächenbrand ausweiten

Oscar Wilde stellte die rätselhafte Behauptung auf: „Die meisten Menschen sind jemand anderes.“ Er begründete seine Ansicht sehr überzeugend: „Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Nachahmung, ihre Leidenschaften sind Zitate.“ Amartya Senn stimmt dieser Auffassung zu: „Tatsächlich werden wir in erstaunlichem Maße von Menschen beeinflusst, mit denen wir uns identifizieren.“ Sektiererischer Hass kann sich, wenn er aktiv geschürt wird, zu einem Flächenbrand ausweiten. Amartya Sen nennt als Beispiele den Kosovo, Bosnien, Ruanda, Timor, Israel, Palästina und den Sudan. Das Gefühl der Identität mit einer Gruppe kann, entsprechend angestachelt, zu einer mächtigen Waffe werden, mit der man anderen grausam zusetzt. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Auch normale Menschen genießen Grausamkeiten

Laut der Sozialpsychologen Roy Baumeister und Keith Campbell stellt der „Sadismus, definiert als das unmittelbare Erleben von Lust durch das Quälen anderer, den offensichtlichsten intrinsischen Anreiz zu bösen Taten dar“. Julia Shaw stellt fest: „Sie argumentieren, dass das Vorhandensein von Sadismus alle anderen Theorien oder Erklärungen des Bösen obsolet macht; sie meinen also, man brauche keine anderen Theorien des Bösen, Sadismus sei immer der Grund, warum Menschen Böses tun.“ Roy Baumeister und Keith Campbell schreiben: „Die Leute tun es, weil es sich gut anfühlt; mehr brauchen wir dazu nicht zu sagen.“ Erin Buckels und Kollegen argumentieren ebenfalls, dass Sadismus eigentlich ziemlich normal sei. Sie behaupten, dass „derzeitige Auffassungen von Sadismus selten über jene von sexuellen Fetischen hinausgehen.“ Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

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Die Lust selbst ist weder gut noch böse

Für Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) gehört die zelebrierte Grausamkeit „zur ältesten Festfreude der Menschheit“. Die Lust am Anblick Gequälter rechtfertigte man lange damit, dass die Götter an Opfern und Märtyrern Gefallen fänden. Ludger Pfeil fügt hinzu: „Auch bei harmloseren Bosheiten geht es dem Täter nicht vorrangig um das Leiden der anderen, sondern um den eigenen Genuss daran, der dann allerdings den mitfühlenden Blick auf den anderen verstellt.“ Friedrich Nietzsche schreibt: „Schon jede Neckerei zeigt, wie es Vergnügen macht, am anderen unsere Macht auszulassen.“ Die Lust selbst ist weder gut noch böse; eventuell damit verbundene Unlust eines anderen macht den Menschen laut Friedrich Nietzsche nur im Hinblick auf mögliche Strafe oder Rache Sorgen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Scott Atran betreibt Forschung unter radikalen Islamisten

Den amerikanischen Anthropologen Scott Atran treibt schon seit Jahren die Frage um, warum Menschen ihr Leben für eine Sache opfern. Er hat durch seine Feldstudien herausgefunden, dass da weder Irre noch lebensmüde Nihilisten am Werk sind. Scott Atran erklärt: „In der Regel sind das ganz normale Leute. Etliche Studien haben schon nach auffälligen Merkmalen gesucht und nichts gefunden.“ Der erste Schlüssel zum Verständnis des Selbstopfers ist für Sott Atran, dass der Kampftrupp von den Kämpfern als eine fiktive Familie betrachtet wird. Menschen wie du und ich verwandeln sich in Fremdenlegionäre des Dschihad, in furiose Kämpfer, die den Tod nicht mehr scheuen. So verrückt dieser Opfermut sein mag – der Erfolg im Gefecht, so scheint es, gibt ihm recht. Scott Atran reist seit Jahren um die Welt und betreibt Forschung unter radikalen Islamisten und ihren Gegenspielern.

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Friedrich Nietzsche: „Sei dir selber treu!“

Friedrich Nietzsche war der Meinung, dass Menschen ihr eigenes Leben erschaffen, aber er behauptet, dass nicht alle Lebenssinne gleichrangig seien. Wenn man eine kritische Messlatte anlegt, seien manche grundsätzlich besser als andere. Daniel Klein beschreibt, was Friedrich Nietzsche meinte: „Manche von uns haben das Potential, auf eine Weise zu leben, die weit jenseits des Gewöhnlichen liegt, und es ist unsere Pflicht, nach einem solchen Leben zu streben, uns voll und ganz auf das einzulassen, was er das „Ja zu Leben“ nannte.“ Friedrich Nietzsche nennt Menschen Schwächlinge, die das Drehbuch, das ihnen die Gesellschaft in die Hand gedrückt hat, einfach nur abnicken und nach dessen Vorgaben leben. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Herbert Marcuse wagt eine Neubestimmung der Kultur

Zur Neubestimmung der Kultur nimmt Herbert Marcuse eine Definition von Webster zum Ausgangspunkt, wonach Kultur als der Komplex spezifischer Anschauungen des Glaubens, Errungenschaften, Traditionen und so weiter zu verstehen ist, die den Hintergrund einer Gesellschaft bilden. In den Mittelpunkt seiner Analyse stellt Herbert Marcuse das Verhältnis von Hintergrund und Grund einer Gesellschaft. Er schreibt: „Kultur erscheint so als der Komplex moralischer, intellektueller und ästhetischer Ziel, die eine Gesellschaft als den Zweck der Organisation, Teilung und Leitung ihrer Arbeit betrachtet – das Gut, das durch die von ihr eingerichtete Lebensweise erlangt werden soll.“ Herbert Marcuse betrachtet nur dann eine Kultur als existent, wenn die repräsentativen Ziele und Werte erkennbar in die gesellschaftliche Wirklichkeit übersetzt wurden. Das heißt, die Beziehungen zwischen den Mitgliedern der jeweiligen Gesellschaft müssen eine nachweisbare Affinität zu den verkündeten Werten aufweisen.

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Die Selbstachtung sorgt für Stimmigkeit im menschlichen Leben

Menschen verfügen über die Fähigkeit, ihr Tun für sich und andere verständlich machen zu können, indem sie Geschichten über ihre Motive erzählen. Das macht ihre Identität aus. Die Menschen sind diejenigen, die Motivgeschichten darüber erzählen, wo sie herkommen, wie sie wurden, was sie sind und was sie vorhaben. In solchen Geschichten entsteht laut Peter Bieri ein Selbstbild, das heißt, ein Bild davon, wie man sich selbst sieht. Peter Bieri fügt hinzu: „Es ist nicht nur ein Bild davon, wie wir sind, sondern auch eine Vorstellung davon, wie wir sein möchten und sein sollten.“ Die Menschen können sich bewertend gegenübertreten und sich fragen, ob sie mit ihrem Tun und Erleben zufrieden sind. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Der Maler Joan Miró zählt zu den Ikonen des Surrealismus

Der spanische Maler, Grafiker und Bildhauer Joan Miró zählt zu den bekanntesten Vertretern des Surrealismus. Ab dem 12. September 2014 sind seine Werke in der Wiener Albertina ausgestellt. Ein Leitsatz eines der außergewöhnlichsten Künstler des 20. Jahrhunderts lautete: „Wichtiger als ein Kunstwerk selbst ist seine Wirkung. Kunst kann vergehen, ein Bild zerstört werden. Was zählt, ist die Saat.“ Juan Miró wollte, dass sich die Menschen an ihre Unbefangenheit aus Kindheitstagen erinnern, sie in ihnen wiedererwecken. Seine Vielzahl von Gemälden, Grafiken und Skulpturen, die er hinterließ, sind geprägt durch eine beschwingte Leichtigkeit und kindlichen Phantasie. Das ist sein Vermächtnis, das er den Betrachtern mitgeben wollte. Der katalonische Maler Joan Miró zählt neben Salvador Dalí, René Magritte, Max Ernst und Meret Oppenheim zu den Ikonen des Surrealismus.

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Die moralische Würde ist eng mit der Integrität verbunden

Wer die Würde eines anderen Menschen verletzt, kann damit auch seine eigene beschädigen, seine Selbstachtung verlieren und seine moralische Integrität einbüßen. Integrität meint die selbstverständliche Bereitschaft, auf das Leben und die Bedürfnisse eines anderen Rücksicht zu nehmen. Würde, verstanden als Lebensform, ist nicht etwas, was Menschen in Isolation erleben. Würde erlebt man als soziales Wesen, die das, was sie sind, auch durch die Art und Weise werden, wie sie andere behandeln. Peter Bieri erklärt: „Moralische Intimität ist in diesem Sinne eine Quelle der Würde: Dadurch, dass ich andere in ihren Bedürfnissen achte und mein Tun danach ausrichte, erwerbe ich eine Form der Würde, die man moralische Würde nennen könnte.“ Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Henning Mankell hält die Armut für ein Grundübel auf der Welt

Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell, der weltweit über 40 Millionen Bücher verkauft hat, verrät das Geheimnis von Kurt Wallander, seinem schrulligen Kommissar, der in seinen Kriminalromanen ermittelt: „Er ist wie wir – nicht perfekt, von Zweifeln getrieben, er lernt dazu, macht Fehler, beruflich wie privat. Das bringt ihn dem Leser nahe.“ Kurt Wallander ist ein übergewichtiger Grübler, mit gescheiterter Ehe und erwachsenen Tochter. Durch ihn wurde Henning Mankell in ganz Europa bekannt. Die Wallander-Krimis wurden in 30 Sprachen übersetz und haben sich 25 Millionen Mal verkauft. Die Armut zieht sich wie ein roter Faden durch die Bücher von Henning Mankell. Sie löst oft grausame Verbrechen aus. Armut ist für den weltberühmten Schriftsteller ein Grundübel auf der Welt, die es allerdings überhaupt nicht geben müsste. Denn das Problem ist seiner Meinung nach lösbar, nur gehe es niemand richtig an.

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Der Chinese Mo Yan erhält den Literaturnobelpreis 2012

Heute erhält der chinesische Schriftsteller Mo Yan in Stockholm den Literaturnobelpreis. Wer wäre besser dafür prädestiniert als seine Übersetzerin Karin Betz, zu erklären, was das Werk Mo Yans auszeichnet. Zuerst einmal sind Mo Yans Geschichten laut Karin Betz eine Zumutung. In „Das rote Kornfeld“ wird dem Onkel des Erzählers bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, und in „Die Knoblauchrevolte“ erhängt sich eine hochschwangere junge Frau, als schon die Wehen eingesetzt haben. In seinem Roman „Die Sandelholzstrafe“ wird ein Mann von einem Foltermeister nach allen Regeln der Kunst lebendig in fünfhundert Teile zerlegt. Doch seine Leser können und wollen diese Geschichten lesen, denn wenn sie erst einmal in Mo Yans Welt eingetaucht sind, befinden sie sich an einem Ort namens Gaomi, in dem das Zuschauen beim Schlachten eines Schweins noch zum Leben gehört, in dem es die Menschen noch gewohnt sind, dem Leid ins Gesicht zu blicken und über die ständige Nähe von Not und Schmerz gelernt haben, was das Leben in seiner ganzen Fülle bedeutet.

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Das Unbewusste prägt den Lebensweg mehr als die Rationalität

An zwei fiktiven Charakteren, Harold und Erica, zeigt David Brooks in seinem Buch „Das soziale Tier“, was die Wissenschaft heute über die menschliche Natur weiß und wie sich das Menschenbild in den vergangenen drei Jahrzehnten grundlegend geändert hat. Anhand der neuesten Erkenntnisse der Psychologie, Neurowissenschaft, Verhaltensforschung und Biologie erklärt der Autor wie stark der Lebensweg eines Menschen von seinen Intuitionen, Gefühlen, Beziehungen, Veranlagung und Verlangen geprägt ist. Der Mensch ist in erster Linie nicht das Produkt seiner bewussten Denkprozesse, sondern vielmehr weitgehend von seinen unbewussten Gedanken gesteuert. Die unbewussten Teile bilden den Hauptteil der Psyche, hier finden die meisten Entscheidungen und eindrucksvollsten Denkvorgänge statt. Deshalb lautet die Hauptthese von David Brooks: der Mensch ist kein rationales Individuum, sondern ein soziales Tier.

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Der entfesselte Skandal führt zu elementarem Kontrollverlust

In einer Welt des Internets und der Massenmedien scheint der Skandal hinter jeder Ecke zu lauern. Jeder kann ihn verursachen, jeder kann sein Opfer sein. Videos auf dem Handy können eine Karriere vernichten, Botschaften über Twitter Empörung auslösen, SMS-Nachrichten als Beweismittel verwendet werden. Bernhard Pörksen und Hanne Detel schreiben in ihrem neuen Buch „Der entfesselte Skandal“: „Dokumente der Blamage und der Demontage besitzen heute eine neue Leichtigkeit und Beweglichkeit. Sie können rasch kopiert, blitzschnell verbreitet, kaum noch zensiert werden – und sorgen im Extremfall weltweit für Empörung.“ Der Ruf eines Menschen, eines Untenehmen, ja sogar eines Staates lässt sich in Rekordzeit ruinieren. Der Skandal hat für die Autoren im digitalen Zeitalter eine neue Evolutionsstufe und neue Ebene der Eskalation erklommen. Er kann ein Spektakel der Grausamkeit sein, aber ebenso gut der Aufklärung dienen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Hanne Detel arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Universität Tübingen.

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In Bayern gab es schon immer großartige Menschen

Das Thema des Buchs „Große Gestalten der bayerischen Geschichte“ fasst die Vorträge einer gleichnamigen Ringvorlesung an der Ludwig-Maximilians-Universität München zusammen. Die Herausgeberin Katharina Weigand weist in ihrer Einleitung darauf hin, dass die 25 Gestalten der bayerischen Geschichte, die in diesem Buch vorgestellt werden, keine Persönlichkeiten sind, die einzig und allein kritiklose Bewunderung hervorrufen würden. Stattdessen soll der Band Anlass zum eigenen Nachdenken, Anlass zum Nachfragen und Anlass zum Weiterlesen bieten. Über die Auswahl der Menschen schreibt Katharina Weigand: „Am Ende ergab sich eine Mischung, bei der sowohl der frühmittelalterliche Bischof, diverse Künstler, eine bayerische Prinzessin, die zur Kaiserin aufstieg, der Kanzler des Wirtschaftswunders und auf diese Weise auch die verschiedenen Epochen der bayerischen Geschichte vertreten sind.

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John Cowper Powys denkt über das Gewissen nach

John Cowper Powys ist der Meinung, dass sich das Gewissen energisch zu Wort meldet, sobald ein Mensch in Beziehung zu anderen Menschen tritt. Wenn der Mensch allein ist, droht er der Selbstzerstörung zu erliegen. Obwohl die Autorität des Gewissens tief im Herzen des Menschen verwurzelt, ziehen sie es nicht zu Rate, wenn sie unglücklich sind, während sie es auf anderen Gebieten des Lebens ständig befragen. Meyers Online-Lexikon definiert das Gewissen „als Urteilsbasis zur (zweifelsfreien) Begründung der allgemeinen persönlichen moralischen Überzeugungen und Normen. Die Inhalte des Gewissens werden vom Normenkanon der jeweiligen Kultur und Gesellschaft sowie von den individuellen moralischen Überzeugungen geprägt.“

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Sehr viele Krippenkinder leiden unter Dauerstress

Dr. Rainer Böhm findet den wissenschaftlichen Befund sehr beunruhigend, dass Krippenbetreuung von Kindern sich negativ auf die sozioemotionale Kompetenz des Nachwuchses auswirkt. Der Kinder- und Jugendarzt erklärt: „Je mehr Zeit kumulativ Kinder in einer Einrichtung verbrachten, desto stärker zeigten sie später dissoziales Verhalten wie Streiten, Kämpfen, Sachbeschädigungen, Prahlen, Lügen, Schikanieren, Gemeinheiten begehen, Grausamkeit, Ungehorsamkeit oder häufiges Schreien.“ Unter den ganztags betreuten Kindern wurde sogar bei einem Viertel von ihnen im Alter von vier Jahren ein Problemverhalten festgestellt, das laut Dr. Rainer Böhm dem klinischen Risikobereich zugeordnet werden muss. Dr. Rainer Böhm ist Kinder- und Jugendarzt mit Schwerpunkt Neuropädiatrie und Leitender Arzt des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld-Bethel.

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Die Menschen gehen sehr oberflächlich mit Tieren um

Für den Anthrozoologen Hal Herzog pflegen die Menschen ein ganz seltsames Verhältnis zu Tieren. Er sagt: „Wir lieben Tiere und wir essen sie – und das ganze ist auch noch mit der Illusion verbunden, wir seien rational denkende Wesen.“ Hal Herzog vertritt die These, dass es Menschen generell schwer fällt, über irgendetwas rational zu urteilen. Die Menschen sind seiner Meinung nach grundsätzlich etwas verwirrt – ganz besonders bei Themen, die mit Moral zu tun haben. Hal Herzog hat gerade im Hanser Verlag das Buch „Wir streicheln und wir essen sie. Unser paradoxes Verhältnis zu Tieren“ veröffentlicht.

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Rebekka Reinhard klärt über die Selbstverliebtheit auf

Die Menschen der Gegenwart sind laut Rebekka Reinhard so auf sich selbst fixiert, dass es ihnen schwer fällt, daneben auch noch etwas anderes wahrzunehmen. Die Begriffe Ich und Selbst ziehen sich als Leitmotive durch den Grundwortschatz des modernen Menschen. Die Philosophin schreibt: „Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, ein gutes Selbstwertgefühl und eine gesunde Ich-Stärke gelten als Grundvoraussetzungen für ein glückliches Leben.“ Selbstbewusst wird man, indem man sein eigenen Ich herausstellt. Ihm muss eine Bedeutung zukommen, die es authentisch macht und von allen anderen Ichs unterscheidet. Authentisch wird ein Mensch, indem er Aussagen über sich selbst trifft, die eigenen Wüsche und Bedürfnisse formuliert und möglichst klarstellt, was einem nicht passt.

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Niccolò Machiavelli definiert die politische Macht

In seinem Hauptwerk „Il Prinzipe“ (Der Fürst) beschreibt Niccolò Machiavelli, anhand von vielen Fallbeispielen aus der Geschichte, verschiedene Strategien zum erfolgreichen Erwerb, Ausbau und Erhalt der politischen Macht. Der Fürst, wie jeder andere politisch handelnde Mensch, muss immer darauf achten, immer die Lage souverän zu beherrschen. Beim Handeln muss ihn die rationale Einschätzung der jeweiligen Situation leiten. Niccolò Machiavelli trennt die politischen von den ethischen Gesichtspunkten. Die unbedingte Voraussetzung für den Erfolg ist für ihn die Tugend, zu deren Haupteigenschaften er den Sachverstand und die Tatkraft zählt.

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