Wilhelm Berger erzählt vom Glück und Unglück des Anfangens

Wer zu Philosophieren beginnt, ist laut Wilhelm Berger in einen Anfang geraten. Zwar mag ein reines, gewissermaßen unschuldiges Interesse am Allgemeinen zum Philosophieren führen, aber in der Regel ist ein Bruch schon der Ausgangspunkt. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sagt: „Philosophieren ist von Anfang an nicht der Diskurs dessen, der sich zu Hause weiß.“ Der marokkanische Philosoph Alain Badiou konkretisiert diese Äußerung: „Die Philosophie ist nicht einfach Nachdenken über irgendetwas. Die Philosophie ist und kann nur sein, weil es paradoxale Beziehungen gibt, Entscheidungen, Distanzen und Ereignisse.“ Somit sucht das Philosophieren Antworten und wird sie ständig verfehlen. Erst wer diese Spannung annimmt, wird jenes „Gefühl von Befreiung und Freude, das man beim Philosophieren erleben kann“, tatsächlich empfinden, von dem der amerikanische Philosoph Jay Rosenberg schreibt. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Ein Gesichtsverlust ist immer mit einer Demütigung verbunden

Die Menschen leben einen großen Teil ihres Lebens unter dem Blick der anderen. Sie müssen sich für sie auf eine bestimmte Weise darstellen. Sie zeigen ihnen ihr Gesicht. Dieses Gesicht ist für Peter Bieri die sichtbare Identität, die soziale Fassade, auch die Maske, hinter der sich Menschen verstecken können. Gesicht im engeren Sinne bedeutet die Gesichtszüge und der Ausdruck, die eine Person hineinlegt. Peter Bieri fügt hinzu: „Es gehört aber auch vieles dazu, was mit den Gesichtszügen nichts mehr zu tun hat: die soziale Rolle; all das, was wir uns an Fähigkeiten, Einfluss und Macht zuschreiben; das Muster aus Gewohnheiten und Einstellungen, dass wir Charakter nennen; die nach außen hin verkündeten Gedanken und Gefühle.“ Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Ein liebendes Herz kann keinen Menschen hassen

Der geniale griechische Philosoph Aristoteles definiert die Liebe wie folgt: „Lieben bedeutet einem anderen alles wünschen, was man für gut hält, und zwar um jenes anderen, nicht um seiner selbst willen.“ Jemanden lieben ist für Josef Pieper, schon seiner Natur nach, ein spontaner Akt, bei dem, sofern man ihn nicht einfach frei nennen will, jedenfalls die Freiheit mit im Spiel ist. Das ist übrigens mit ein Grund dafür, dass die Liebe auf besondere Weise undurchschaubar und dem Geheimnis benachbart und verwandt ist. Dabei existiert allerdings einer unerlässliche Vorbedingung: der Mensch muss erkannt haben, dass jemand glaubwürdig und liebenswert ist. Man muss es erfahren und gesehen haben, dass wirklich der andere wie auch sein Dasein in der Welt etwas Gutes und Wunderbares ist, bevor der Willensimpuls möglich wird: Gut, dass es dich gibt! Josef Pieper war ein deutscher Philosoph, der von 1904 bis 1997 lebte.

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Peter Bieri macht sich Gedanken über den Sinn des Lebens

Es gehört zum Leben eines Menschen, dass für ihn bestimmte Dinge eine größere Bedeutung haben als andere. Das sind die Gegenstände oder Beziehungen, die ihm wichtig sind. Peter Bieri fügt hinzu: „Dieser Sinn für das Wichtige ist auch eine Dimension der menschlichen Würde, denn er trägt zu der Erfahrung bei, dass das eigenen Leben einen Sinn hat. Sich um die Dinge zu kümmern, die einem wichtig sind, lässt ein Gefühl dafür entstehen, wer man ist und wofür man lebt.“ Zugleich entstehen dadurch Maßstäbe für das, was insgesamt wichtig ist. Die Menschen lernen zwischen dem zu unterscheiden, was sie ernst nehmen sollten, und dem, was nur eine flüchtige, vorgegaukelte Bedeutung besitzt. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Einzelinteressen und Gemeinwohl müssen einen Ausgleich finden

Was die meisten Menschen unter der sogenannten westlicher Demokratie verstehen ist laut Ernst Fraenkel weitgehend durch eine Angleichung englischen und französischen Staatsdenkens und staatlicher Institutionen der beiden Länder zustande gekommen. Das Bekenntnis zu einer solchen Form von Demokratie erfordert gleichermaßen die Anerkennung der Befugnisse der Bürger, ihre Interessen frei und ungehindert vertreten zu können, wie die Achtung der Rechte der Gesamtheit, den Vorrang des Gemeinwohls gegenüber allen Interessengruppen durchzusetzen. Ernst Fraenkel schreibt: „Die Aufdeckung der dialektischen Spannung zwischen Interessenpräsentation und volonté générale, das niemals endende Bemühen, mittels freier und offener Auseinandersetzungen einen Ausgleich zwischen diesen beiden Prinzipien herzustellen, bildet eines der kennzeichnenden Merkmale der westlichen Demokratie.“

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Den Ausgleich von Leid nennt man Rache oder Vergeltung

Wenn jemand einem anderen Menschen wissentlich Leid zufügt, verspürt das Opfer Empörung, Groll oder sogar Hass. Solche Empfindungen verlangen, dass etwas geschieht: ein Ausgleich von Leid, der zur Besänftigung des Zorns beiträgt. Peter Bieri erklärt: „Diesen Ausgleich nennen wir Rache oder Vergeltung. Das ist es, was die Opfer von den Richtern erwarten: dass sie den Täter hinter Gitter bringen und so Leid mit Leid vergelten.“ Wer ein mildes Urteil ungerecht nennt, dann meint er: Das ist nicht Leid genug, um begangenes Leid aufzuwiegen. Und auch wenn Menschen ohne Richter Vergeltung üben, sprechen sie manchmal von Gerechtigkeit. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Ein freier Wille ist für Paracelsus ein Ding der Unmöglichkeit

Der Naturphilosoph Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, der von 1493 bis 1541 lebte, führte schon im Jahr 1527 an der Basler medizinischen Fakultät Vorlesungen in der deutschen Sprache ein. Paracelsus lehrt in seinem “Buch Paragranum” vier Säulen der Medizin: Philosophie, Astronomie, Alchemie und „proprietas“, so etwas wie eine Ethik der Medizin. Laut Vittorio Hösle sind darin Zukunftsweisendes und nach modernen Kriterien Unwissenschaftliches miteinander verwoben: „Neben der Forderung nach einer Begründung der Medizin durch Chemie Mineralogie findet sich der Gedanke, dass der menschliche Mikrokosmos, also etwa einzelne Organe den Planeten entsprechen.“ Wichtig ist für Paracelsus die Suche nach einem Grund der Medizin und das Streben nach Gewissheit. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

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Jakob Böhme stellt die Frage nach dem Leiden auf der Welt

Für Vittorio Hösle gebührt der Ehrentitel des ersten epochemachenden deutschen Philosophen der Neuzeit Jakob Böhme, der von 1575 bis 1624 lebte. Seinem ersten Werk „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“ ging eine lange Phase innerer Gärung voran. Jakob Böhme rühmt sich, nicht aus Büchern gelernt zu haben, sondern aus seinem eigenen Buch, das sich ihm geöffnet hat. Jakob Böhme strebt eine Theosophie an, das heißt eine Erkenntnis Gottes, die ein Verständnis auch der Natur aus Gottes trinitarischem Wesen heraus ermöglichen soll. Laut Vittorio Hösle ist Jakob Böhme sicher kein rationaler Theologe. Statt rigoros zu argumentieren, wendet er sich im Namen des Geistes oft gegen die Vernunft: Vittorio Hösle erklärt: „Seine Begriffswelt vermischt kategorial unterschiedliche Ebenen – metaphysische Prinzipien, naturphilosophische, zumal alchemistische Kategorien, Engel und Teufel; seine zahlreichen Werke sind voller Wiederholungen.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

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Die Kernfrage der Philosophie lautet: „Wie soll man leben?“

Der kanadische Philosoph Charles Taylor ist ein globaler Denker. In seinen Werken, die von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Ludwig Wittgenstein inspiriert sind, verbindet sich Ideengeschichte mit aktueller Gesellschaftsanalyse, Metaphysik mit konkreten Gesetzesvorlagen. Im Zentrum der Philosophie von Charles Taylor steht immer die Frage, was ein modernes Ich im Innersten zusammenhält. Charles Taylor zählt zu den bedeutendsten Philosophen unserer Zeit und ist gleichzeitig praktizierender Katholik. Für ihn gibt es zwei Weisen, sich zu einer Religion zu bekennen: „Die erste beruht darin, gewisse Lehrsätze für wahr zu halten und sich nach ihnen zu richten. Die andere, sie ist im Christentum besonders traditionsreich, beschreibt das religiöse Leben als einen Weg oder eine Reise – und den Gläubigen als einen Suchenden.“

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Wolfgang Streeck hat dem Kapitalismus nie über den Weg getraut

Wolfgang Streeck ist einer der bedeutendsten Sozialforscher Deutschlands. Der Zusammenbruch der Lehman-Bank am 15. September 2008 hat aus ihm einen enttäuschten Pessimisten gemacht, der zuvor nur als Skeptiker von sich reden machte. Kein anderer Sozialwissenschaftler außerhalb der Wirtschaftswissenschaften hat sich in seinem Leben so intensiv mit dem Kapitalismus beschäftigt wie Wolfgang Streeck. Er hat dieses Wirtschaftssystem immer kritisch betrachtet und ihm eigentlich nie über den Weg getraut. Wolfgang Streeck behielt immer die Sorge, dass, wenn man nicht aufpasst, Demokratie und Gesellschaft von den Märkten beschädigt werden und die Wirtschaft deshalb in die Gesellschaft eingebettet bleiben müsse. Ein reiner Markt ohne soziale und politische Kontrolle und Korrektur, so Wolfgang Streecks Befürchtung, fliegt am Ende selbst den bedingungslosen Anhängern des Marktes um die Ohren.

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Der Philosoph Peter Bieri klärt über die innere Selbständigkeit auf

Es ist nicht nur nach außen hin, dass die Menschen selbstständig sein möchten. Nicht nur die Abhängigkeit von anderen Menschen kann die eigene Würde gefährden. Es gibt laut Peter Bieri auch ein Bedürfnis nach innerer Selbstständigkeit. Er bezeichnet dies als die Möglichkeit, über das Denken, Fühlen und Wollen selbst zu bestimmen und in diesem Sinne unabhängig zu sein und nicht angewiesen auf andere. Auch wenn diese Art der Selbstständigkeit misslingt, kann man das als eine Gefahr für die eigene Würde betrachten. Die innere Selbstständigkeit kann für Peter Bieri allerdings nicht darin bestehen, dass man von anderen Menschen überhaupt nicht beeinflusst wird. Peter Bieri, geboren 1944 in Bern, studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

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Bepflanzte Fassaden verbessern das Klima und die Energiebilanz

Häuserwände, auf denen Pflanzen wachsen, schenken den Städten ein wenig Grün. Noch erregen die sogenannten Vertikalen Gärten als Kunstprojekte großes Aufsehen, doch in nach Zukunft könnten sie dazu dienen, große Städte ökologischer und energieeffizienter zu gestalten. Der Erfinder der Vertikalen Gärten ist der französische Botaniker Patrick Blanc. Sein eigenes Haus ist selbstverständlich ein Biotop. Die Wände sind begrünt, Hunderte Insekten schwirren durch die Gegend, Frösche und Vögel verbreiten eine Dschungelatmosphäre. „Natürlich, es ist ein bisschen verrückt“, gibt Patrick Blanc zu. Doch das Anliegen des Exzentrikers ist eigentlich ganz pragmatisch: „Ich möchte das Grün zurück in die Stadt bringen. Und weil in der City der horizontale Platz für andere Dinge benötigt wird, nutze ich eben die vertikalen Flächen.“ Der Gedanke, bei den immer weiter wachsenden Städten, bei der Begrünung in die Vertikale zu gehen ist eigentlich naheliegend.

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Yuval Noah Harari erklärt den Kult der freien Marktwirtschaft

Nicht allen Kapitalisten gefällt ein enges Bündnis von Kapital und Politik. Viele ärgern sich darüber, dass die wirtschaftlichen Positionen einer Regierung oft durch ihre politischen Interessen verzerrt werden. Dadurch tätigt sie schlechte Investitionen und behindert das Wachstum. So mancher Wirtschaftsführer klagt, dass manche Regierungen Unternehmen hart besteuert und mit den Einnahmen großzügige Arbeitslosengelder bezahlt, weil dies bei den Wähler gut ankommt. Ihrer Ansicht nach wäre es weit sinnvoller, wenn die Regierung das Geld bei den Firmen belassen hätte, damit diese für die Arbeitslosen neue Arbeitsplätze schaffen. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Nach Ansicht dieser Kritiker sollte sich die Politik aus der Wirtschaft heraushalten, Steuern und staatliche Kontrolle auf ein Minimum reduzieren und die Kräfte des Marktes agieren lassen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Die wahre Bewährungsprobe für das Wissen ist seine Nützlichkeit

Die meisten Menschen tun sich sehr schwer, die Wissenschaften zu verstehen, weil ihre Sprache der Mathematik den menschlichen Gehirnen fremd ist und ihre Erkenntnisse oft genug dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen. Dennoch genießen die Wissenschaften ein sehr hohes Ansehen. Wohl vor allem wegen der Macht, die sie Menschen verleihen. Yuval Noah Harari nennt ein Beispiel: „Präsidenten und Generäle haben zwar keine Ahnung von Atomphysik, aber sie haben recht gute Vorstellungen davon, was sie mit einer Atombombe anrichten können.“ Francis Bacon schrieb in seinem Manifest „Neues Organon“, das er 1620 veröffentlichte, den berühmten Satz: „Wissen ist Macht.“ Der wahre Prüfstein für Wissen war für Francis Bacon nicht, ob es wahr ist oder nicht, sondern ob es den Menschen Macht verleiht. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Die Menschen leben heute in einem Zeitalter des Konformismus

Die Gegenwart ist von einem Widerspruch geprägt: Auf der einen Seite gibt es einen zunehmenden Egoismus, gepaart mit dem Gedanken der Selbstverwirklichung. Auf der anderen Seite scheinen sich die Individualität und Einzigartigkeit der Menschen immer mehr aufzulösen. Dabei entwickelt sich die Teamfähigkeit zu einer immer bedeutenderen Kompetenz. Und wer nicht gut vernetzt ist, wird schnell als Außenseiter abgestempelt. Das 17. Philosophicum Lech beschäftigte sich unter anderem mit der Frage, wie sich Menschen in dieser widersprüchlichen Welt erleben und wie sie sich auf ihr Ich auswirkt. Daneben wurden auf folgende Fragen Antworten gesucht: Wie gestalten sich Beziehungen in virtuellen Netzen, was bedeutet es, wenn die virtuellen Netze enger, die realen sozialen Netze aber immer durchlässiger werden? Diesen Entwicklungen, ihren Vorgeschichten und Konsequenzen sind Soziologen, Philosophen sowie Kultur- und Naturwissenschaftler im Wintersportort Lech am Arlberg nachgegangen.

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Ein Ich ohne eigenes Zentrum ist eine fremdbestimmte Existenz

Das Titelthema im neuen Philosophie Magazin 02 /2014 heißt „Das zerstreute Ich“. Die Autoren stellen sich dabei unter anderem die Frage, ob die Fliehkräfte des digitalen Kapitalismus im Begriff sind, neben dem Alltag auch das Innerste der Menschen zu zerreißen. Denn der Alltag der meisten Individuen wird zunehmend von Unterbrechungen und Multitasking bestimmt. Im Dauerfeuer der medialen Reize fällt es scheinbar immer schwerer, auch nur einen einigen klaren Gedanken zu fassen. Die Anzahl der ADHS-Fälle steigt ebenso kontinuierlich wie Diagnosen von Burn-out. Für Chefredakteur Wolfram Eilenberger ist dafür auch das Internet verantwortlich, deren Strukturen einer Logik der Fragmentierung folgen. Außerdem hat die Allgegenwart des Netzes für Millionen von Menschen zu einer dauerhaft pendelnden Ortlosigkeit bei ständiger Abrufbereitschaft geführt.

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Dominik Geppert analysiert die Krise der Europäischen Union

Dominik Geppert vertritt die These, dass die gegenwärtige Krise der Europäischen Union nicht nur durch eine neue Feindseligkeit und wachsendes Misstrauen in den Beziehungen der europäischen Staaten geprägt ist. Auch die gravierenden ökonomischen Verwerfungen, so schlimm sie auch im Einzelnen sein mögen, sind seiner Meinung nach nicht die verheerendsten Konsequenzen. Die fatalsten Folgen hat die Krise für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dominik Geppert fügt hinzu: „Damit erreicht sie die Tiefenschichten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und erschüttert das Fundament von Frieden und Freiheit. Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch die europäische Einigung gewahrt und gefestigt werden sollten, sind ernsthaft bedroht – nicht trotz, sondern wegen der Art und Weise, wie die europäischen Institutionen mittlerweile funktionieren.“ Dominik Geppert ist sein 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Die deutschen Philosophie ist ein artifizielles Konstrukt

 Vittorio Hösle beschreibt in seinem Buch die Geschichte der deutschen Philosophie vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Ihr Sonderweg beginnt mit Meister Eckardt und Nicolaus Cusanus. Gottfried Wilhelm Leibniz und Immanuel Kant und die Fundierung der Geisteswissenschaften sind für Vittorio Hösle die Voraussetzung für die Synthese des Deutschen Idealismus. Arthur Schopenhauer, Ludwig Feuerbach, Karl Marx und Friedrich Nietzsche lösen anschließend das Christentum und die bisher gültige Vernunftmetaphysik auf. Es folgen im frühen 20. Jahrhundert die Neubegründungen der Philosophie bei Gottlob Frege, bei den Neukantianern und in der Phänomenologie eines Edmund Husserl. Zur Philosophie des Nationalsozialismus zählt der Autor Martin Heidegger, Arnold Gehlen und Carl Schmitt. Georg Gadamer, Karl-Otto Apel, Jürgen Habermas und Hans Jonas sind für Vittorio Hösle die großen Philosophen der Bundesrepublik. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame in den USA.

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Wolfgang Kersting ist von der Marktwirtschaft begeistert

Für Wolfgang Kersting ist die Marktwirtschaft nicht nur das effizienteste System der Verwertung von Ressourcen und Versorgung mit Gütern, sondern auch eine Werte verwirklichende und eine moralische Ordnung. Der Markt ist seiner Meinung nach eine Schule der Selbstverantwortung und planenden Rationalität, der Anpassungsfähigkeit und der Erweiterung des Selbst. Er verlangt zudem eine stete Bereitschaft zum Umlernen und zur Weiterbildung, er fordert Offenheit für das Neue, prämiert aber auf der anderen Seite auch Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit. Wolfgang Kersting erklärt: „Er fördert somit die Entwicklung fundamentaler menschlicher ethischer Einstellungen und kognitiver Kapazitäten.“ Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

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Aufgeklärte Bürger sollten sich nationalen Mythen widersetzen

Der Gedanke, dass die Moral im einzelnen Menschen selbst begründet liegt, ist deswegen so anziehend, weil sie auf eine Entscheidung oder eine Abwägung von Gütern reduziert wird, die nicht verallgemeinert und daher den Mitmenschen nicht vorgeschrieben werden kann. Das kann aber laut Tony Judt zu dem Problem führen, dass ethische Kategorien von Individuen auf Kollektive übertragen werden. Die meisten Menschen glauben zu wissen, was es bedeutet, wenn sie sagen, dass die Freiheit ein universelles Gut ist, und Meinungsfreiheit, Freizügigkeit und das Selbstbestimmungsrecht unveräußerliche Rechte des Einzelnen sind. Tony Judt fügt hinzu: „Aber seit dem 19. Jahrhundert sind wir von der Freiheit des einzelnen weggekommen und sprechen von den kollektiven Freiheiten, als ob das ein und dasselbe wäre.“ Der britische Historiker Tony Judt lehrte in Cambridge, Oxford und Berkeley. Er starb 2010 in New York.

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Paul Auster sagt beim Schreiben ausschließlich die Wahrheit

In dem Roman „Sunset Park“ den der amerikanische Schriftsteller Paul Auster im Jahr 2010 veröffentlichte, spricht der Erzähler von seinem Plan, sich vom angesammelten Ballast seines Lebens zu entledigen und bewusster im Hier und Jetzt zu leben. Paul Auster sagt: „Was „Sunset Park“ betrifft, so war es das erste Mal in meinem Leben als Schriftsteller, dass ich bewusst versucht habe, einen Roman über das Jetzt zu schreiben.“ Fast alle seine vorherigen Romane hatten eine distanzierte Beziehung zur Gegenwart, aber „Sunset Park“ war für Paul Auster der bewusste Versucht, über die aktuelle Krise in Amerika zu schreiben, die alle Amerikaner gerade durchleben. Seine Romanfigur macht sich sehr dunkle Gedanken und ist vom Gefühl geprägt, jede Zukunft verloren zu haben. Die Dinge, für die er gelebt hat, existieren nicht mehr.

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Die Kultur hat den Menschen in wachsende Verwicklungen geführt

Es gibt Menschen, die suchen wahrhaftiges Glück, indem sie nach mehr Charakterentwicklung und Persönlichkeit streben und nach einer persönlichen Gestaltung ihres Daseins. Laut Rudolf Eucken muss hier die künstlerische Betätigung der ethischen Aufgabe weichen. Die Entwicklung der Persönlichkeit geht einher mit einer Umwälzung der vorgefundenen Wirklichkeit und dem Aufbau einer neuen Realität. Schon Immanuel Kant erkannte deutlich, dass es kein Persönlichwerden ohne eine Erhebung des Lebens zur Freiheit, Selbstständigkeit und Ursprünglichkeit gibt. Die Welt des natürlichen Daseins gewährt für solche Forderungen allerdings keinen Platz. Später sah es allerdings manchmal so aus, als sein ohne viel Anstrengung eine wesentliche Erhöhung des Lebens erreichbar. Rudolf Eucken hält diese Vorstellung für einen groben Irrtum.

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Markus Gabriel stellt das Weltbild des Naturalismus vor

Anhänger eines wissenschaftlichen Weltbildes argumentieren laut Markus Gabriel häufig folgendermaßen: „Es gibt nur eine Natur.“ Sie ist der Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften, das Universum. Für die Naturalisten gibt es nichts Über- oder Außernatürliches, denn ein solches Phänomen würde gegen die Naturgesetze verstoßen. Da die Gesetze der Natur immer gültig sind, gibt es für die Vertreter dieser Wissenschaftsrichtung nur eine einzige Natur. Markus Gabriel erklärt: „Diese Position, dass es nur die Natur, nur das Universum gibt, wird meist kurzum als Naturalismus bezeichnet.“ Nach ist kann nur dasjenige existieren, dass sich auf den Bereich der Naturwissenschaften zurückführen lässt – alles andere muss eine Illusion sein. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie an der Universität Bonn inne. Er ist Deutschlands jüngster Philosophieprofessor. Außerdem leitet er das Internationale Zentrum für Philosophie in Bonn.

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Wolfgang Hetzer ruft einen drastischen Notstand für Europa aus

Europa befindet sich nicht nur in einer finanziellen Schieflage. Der Kontinent hat auch ein moralisches Problem. Selbst bei einer gelingenden Rettung des Euro wäre für Wolfgang Hetzer eine Stärkung der Europäischen Union (EU) keineswegs garantiert. Dem Wunschbild von Sonntagsrednern unter den Politikern steht nicht nur eine gigantische Summe umverteilter Schulden gegenüber. Zur Schadensbilanz gehört auch eine gedemütigte und abgewertete Demokratie, die in der Eile der Rettungsmanöver überall mit Füßen getreten wurde. Es geht dabei vor allem um die Erfahrung der Ohnmacht der Volksvertretung vor den Gesetzen der Wirtschaft. Wolfgang Hetzer fügt hinzu: „Noch ohnmächtiger scheinen die angeblichen Volksvertreter gegenüber der Unverantwortlichkeit und Unbelangbarkeit der Wirtschaftsführer zu sein.“ Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

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Markus Gabriel zeigt dem Materialismus seine Grenzen auf

Für Markus Gabriel ist eine klare Unterscheidung zwischen Physikalismus und Materialismus wichtig. Er definiert beide wie folgt: „Während der Physikalismus behauptet, dass sich alles Existierende im Universum befindet und deswegen physikalisch untersucht werden kann, behauptet der Materialismus, dass alles Existierende materiell ist.“ In seiner klassischen Spielart des Atomismus vertritt der Materialismus die These, dass es in Wahrheit nur Atome gibt. Etwa die gerade aktuellen „Gottesteilchen“, die Grundbausteine der Materie und die Leere drum herum. Alles Existierende besteht dem Materialismus zufolge aus grundlegenden Elementarteilchen, aus denen sich alles zusammensetzen lässt. Materialisten nehmen an, dass selbst Erinnerungen und Einbildungen als Gehirnzustände materiell sind, obwohl die Gegenstände, an die sich ein Mensch erinnert oder die er sich einbildet, nicht materiell sein müssen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie an der Universität Bonn inne. Er ist Deutschlands jüngster Philosophieprofessor. Außerdem leitet er das Internationale Zentrum für Philosophie in Bonn.

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