Katzen brauchen keine Philosophie

John Gray erforscht nach seinem Weltbestseller „Straw Dogs“ nun in seinem neuen Buch „Katzen und der Sinn des Lebens“ die Natur der Katzen. Sie zeigen den Menschen, wie sie besser mit dem ständigen Wandel umgehen können. John Grays Werk mündet in zehn Ratschläge, die Katzen den Menschen geben würden: „Vergessen Sie die Suche nach dem Glück, und Sie können es finden“, lautet nur einer davon. Katzen tun selten etwas, was nicht einem Zweck dient oder unmittelbar Freude bereitet, denn sie sind eingefleischte Realisten. Konfrontiert mit menschlicher Torheit, gehen sie einfach ihrer Wege. Katzen brauchen keine Philosophie. Sie gehorchen ihrer Natur und sind zufrieden mit dem Leben, das diese ihnen schenkt. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

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Eine Differenz ohne Herrschaft ist möglich

In der Welt der Ökonomie liegt der Schwerpunkt der politischen Entscheidungsfindung im Allgemeinen nicht auf Grund und Boden, sondern auf Arbeitskraft und Kapital. Danielle Allen stellt sich dabei die Frage, wie eine Ökonomie aussehen muss, die für Differenz ohne Herrschaft sorgt. Und wie man die gleichen Grundfreiheiten schützen könnte. Das Streben nach Differenz ohne Herrschaft macht ihrer Meinung nach auch in der Welt der Ökonomie nicht zwangsläufig die Schaffung von neuen politischen Programmen und oder Maßnahmen notwendig. Viele der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Ansätze sind nach Maßgabe eines Bildes von Gerechtigkeit strukturiert, das sein Augenmerk in erster Linie auf die Verteilung materieller Güter richtet. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Menschen sehnen sich nach Gewissheit

In Begrenzungen und Zweifeln sehen sich die meisten Menschen nach Eindeutigkeit. Sie wollen mehr Gewissheit, als ihnen möglich ist. Menschen hoffen auf eine bessere Zukunft und vertrauen ihren Mitmenschen. Sie staunen und erleben Geheimnisse. Sie suchen zu vergessen und zu vergeben. Paul Kirchhof fügt hinzu: „Ein Mensch, der nicht hoffen kann, der nicht nach dem Besseren, auch nach dem Unerreichbaren strebt, fiele in eine Leere, die den Sinn seines Lebens in Frage stellte.“ Hoffnungslosigkeit nähme seiner Freiheit einen wesentlichen Impuls und würde den Aufbruch zu Fortschritt und Erneuerung ersticken. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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Das Philosophicum Lech ist extrem erfolgreich

Für Ludwig Muxel, dem Obmann des Vereins Philosophicum Lech, gehören das Philosophicum und Lech am Arlberg untrennbar zusammen. Maßgeblich für die nachhaltig erfolgreiche Entwicklung ist der wissenschaftliche Leiter Konrad Paul Liessmann. Das Konzept, das der österreichische Philosoph entwickelte, war einfach und klar; jedes Jahr ein Thema, und das wird in verschiedenen Vorträgen von Philosophen und anderen Geisteswissenschaftlern ausgeleuchtet. Das Philosophicum Lech zählt heute zu den erfolgreichsten geisteswissenschaftlichen Tagungen im deutschsprachigen Raum. Das Buch „Der Geist im Gebirge“ enthält Beiträge von Jan Assmann, Barbara Bleisch, Heinz Bude, Karin Harrasser, Lisa Herzog, Herfried Münkler, Robert Pfaller, Richard David Precht, Rüdiger Safranski, Franz Schuh, Martin Seel, Peter Sloterdijk, Cora Stepan, Wolfgang Ulrich, Lambert Wiesing u.a. Die Beiträge geben Einblick in die Geschichte einer Veranstaltungsreihe, in der sich die Konturen der vergangenen 25 Jahre spiegeln.

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Werte gibt es nur im Doppelpack

Wer mit beiden Beinen in der realen Welt steht, der weiß: Werte gibt es nur im Doppelpack. Man kann sie nur im Mehr-oder-weniger, Sowohl-als-auch oder Mal-so-mal entscheiden. Diese „Fließgleichgewichte“ sind immer wieder neu zu justieren. Und worauf kommt es dabei an? Reinhard K. Sprenger antwortet: „Auf die Umstände. Und die sind nie stabil, erfordern eine flexible Prioritätenordnung, die man den wechselnden Sachlagen anpassen kann.“ Das Fließgleichgewicht lässt sich am Beispiel „Vertrauen“ illustrieren. Vertrauen ohne Misstrauen wäre gegenstandslos, beide wären sogar ununterscheidbar. Ein neugeborenes Kind weiß nicht, dass es vertraut. Das weiß es erst ab dem Moment, in dem sein Vertrauen unerfüllt bleibt. Von einem vorreflexiven Vertrauen träumt dann der Erwachsene. Reinhard K. Sprenger zählt zu den profiliertesten Managementberatern und wichtigsten Vordenkern der Wirtschaft in Deutschland.

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Ai Weiwei präsentiert Glaskunst in Venedig

Der weltberühmte Künstler Ai Weiwei macht in Glas. Gemeinsam mit der venezianischen Manufaktur Berengo Studios hat er unter anderem einen mattschwarzen Luster geschaffen. Dieser hängt in der Kirche San Giorgio am Canal Grande. Es handelt sich dabei um ein zweieinhalb Tonnen schweres Stück aus sandgestrahlten Glasknochen und Totenschädeln. Anlässlich der Ausstellungseröffnung traf die österreichische Zeitung „KURIER“ den kontroversiellen Künstler zum Interview. In den vergangen drei Jahrzehnten ist der westliche Hyper-Individualismus aufgeblüht. Dazu stellt Ai Weiwei fest: „Ich unterstütze die Rechte des Individuums. Gleichzeitig muss ich sagen: Wir haben heutzutage 100 Millionen Flüchtlinge. Es gibt dramatischen Wandel in der Umwelt.“ Ai Weiwei eckte mit seiner Kunst stets am chinesischen Regime an. Er wurde inhaftiert und durfte bis 2015 nicht ausreisen. Danach verließ er das Land, hat aber seinen Pass behalten.

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Die Grundrechte stehen an erster Stelle

Zwei Jahre, in denen eine essenzielle Krise auf die nächste folgte, habe das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland substanziell verformt. Dabei ist es zu einer schier unglaublichen Machtkonzentration der Exekutive gekommen. Ulrike Guérot fordert in ihrem neuen Buch „Wer schweigt, stimmt zu“, dass der Wert von Grundrechten dringend neu im Bewusstsein der Deutschen verankert werden muss. Die Gesellschaft darf niemanden von der Teilhabe am Diskurs ausgrenzen, den mit Ausgrenzung beginnt laut Ulrike Guérot die Erosion der Demokratie. Gewinner sind ihrer Meinung nach vor allem Tech-Giganten wie Facebook, Twitter sowie YouTube und Finanzgiganten, die schlussendlich digitale Überwachungssystem installieren. Sie haben den Körper als letzte Ware im Visier und Heilsversprechen im Gepäck. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

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Gefahren lassen sich in zwei Kategorien einteilen

Die negative Freiheit ist robust und kann die individuelle Freiheit gegen Gefahren schützen. Die Vorstellung eines unangreifbaren Freiheitsraums des Individuums, so merkt Charles Taylor an, mutet wie die Errichtung einer Barriere gegen den Totalitarismus an. Die von Isaiah Berlin Ende der 1950er-Jahre geschilderten Gefahren lassen sich laut Katia Henriette Backhaus in zwei Kategorien einordnen. Erstens entsteht eine Gefährdung der Freiheit, sobald die metaphysische Annahme einer „höheren Instanz“ gemacht wird, die naturgemäß Unterwerfung verlangt. Die andere Gefahr ist weniger schillernd, aber politisch nicht weniger wirkmächtig. Nämlich die Verwechslung von Freiheit mit anderen politischen Werten wie Sicherheit oder Anerkennung. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Die Sprache bestimmt das Leben

Vielen Menschen fällt der Spagat schwer, in der Sache klar und bestimmt zu formulieren, aber anderen trotzdem freundlich zu begegnen. Thomas W. Albrecht weiß: „So kommt es zu Konflikten oder mangels klarer Botschaften bleiben eigene Bedürfnisse und Wünsche auf der Strecke.“ Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass es oft einfach daran liegt, wie sie etwas sagen. Wie man redet, bestimmt das gesamte Leben. Und das beginnt bereits bei den eigenen Gedanken. Thomas W. Albrecht vertritt die These, dass es ganz leicht ist, die besondere Kraft der Sprache zu erkennen und zu nutzen. Man muss nur wissen, worauf es dabei ankommt. Es gilt, wie beim Reden mit anderen: Der Ton macht die Musik. Thomas W. Albrecht ist Experte für Kommunikation und Rhetorik.

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Ohne Mitgefühl gibt es keine Solidarität

Solidarität kann man nicht mit Barmherzigkeit gleichsetzen. Obwohl schwer vorstellbar ist, dass Solidarität ohne Mitgefühl möglich ist. Zudem kann man Solidarität nicht einfach nur als Sammelbezeichnung für menschliche Freundlichkeit, allgemeines Wohlwollen und sozialstaatliche Folgebereitschaft verwenden. Heinz Bude erläutert: „Solidarität berührt mein Verständnis von Zugehörigkeit und Verbundenheit. Zudem meine Bereitschaft, mich den Nöten und dem Leiden meiner Mitmenschen zu stellen. Und mein Gefühl der Verantwortung und Bekümmerung für das Ganze.“ Auf Solidarität pfeift, wer nur an sich glaubt, Solidarität entbehrt, wer die anderem ihrem Schicksal überlässt, und Solidarität ist ein Fremdwort für Menschen, denen der Zustand des Gemeinwesens gleichgültig ist. Heinz Bude studierte Soziologie, Philosophie und Psychologie. Seit dem Jahr 2000 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Makrosoziologie an der Universität Kassel.

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In der Republik Venedig herrscht die Freiheit

Der Dogenpalast in Venedig ist ein politisches Manifest in Stein, das sich an die eigenen Bürger und an die ganze Welt wendet. Die Botschaft für die Venezianer lautet: Ihr lebt in der besten aller politischen Welten! Für alle anderen blieben nur Neid und Nachahmung übrig. Jedes Bauelement des Palastes hat für Volker Reinhardt seine eigene Aussage. Das stärkste Bollwerk aber ist die Freiheit, die in der Republik herrscht. Der Regierungssitz des Staatsoberhaupts braucht daher keine Mauern gegen außen und erst recht keine Schutzwälle nach innen. Denn hier herrschen Offenheit und Transparenz. Die untere Hälfte der Südfassade besteht aus zwei Loggien, die sich harmonisch übereinander schichten. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Ralf Dahrendorf fordert mehr Freiheit

Ganz besonders unter Druck ist jene Linke, der Ralf Dahrendorf 1983 den Untergang verkündet hatte: „Wir erleben das Endes des sozialdemokratischen Jahrhunderts“, schrieb der Soziologe in „Die Chancen der Krise“. Den Totenschein stellte er etwas vorschnell aus. Denn danach blühten die Sozialdemokratien in manchen Ländern so richtig auf. Und da und dort in Europa halten sie sich bis heute gut. Visionär war laut Roger de Weck aber Ralf Dahrendorfs ehrerbietige Begründung: „In seinen besten Möglichkeiten war das Jahrhundert sozial und demokratisch. An seinem Ende sind wir (fast) alle Sozialdemokraten geworden.“ Folgende Themen definierten das sozialdemokratische Jahrhundert: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat und Internationalismus. Dieses Themenbündel, das von allen Parteien aufgegriffen wurde, hatte für Ralf Dahrendorf „seine Möglichkeiten erschöpft“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

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Ein authentisches Leben führt zur Zufriedenheit

Im Mittelpunkt ihres neunen Buches „Aufbrechen“ steht für Michaela Brohm-Badry die Frage, wie Menschen die Freiheit und Vitalität für neue Möglichkeiten des Denkens, Fühlens und Handelns zu gewinnen. Mitten im Leben nehmen sich manche Menschen einfach die Freiheit, aufzubrechen und ihren inneren Impulsen zu folgen. Sie lernen ein Instrument, segeln über Meere und leben ihren Traum. Michaela Brohm-Badry erklärt, wovon es abhängt, ob ein Mensch verborgene Fähigkeiten entdecken und ungelebte Seiten seiner Persönlichkeit entfalten kann. Das Buch „Aufbrechen“ handelt unter anderem davon, was lebendiges Menschsein sein kann. Michaela Brohm-Badry betont: „Wer ein authentisches Leben führt, lebt ein volles Leben, und diese Zufriedenheit überträgt sich auf alles, was im Umfeld lebt.“ Prof. Dr. Michaela Brohm-Badry ist Professorin für Lernforschung. Sie war langjährige Dekanin des Fachbereichs Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Philosophie und Psychologie an der Universität Trier.

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Die Freiheit muss immer verteidigt werden

Die Bedeutung der Freiheit nicht zu leugnen und sie immer wieder zu hinterfragen und damit zugleich zu verteidigen, ist eine wichtige Aufgabe. Vor allem geht es auch um Folgendes. Nämlich die Freiheit auf ihre Angemessenheit in Bezug auf den Kontext, in dem sie gelebt wird oder werden soll, zu prüfen. Katia Henriette Backhaus erläutert: „Das setzt voraus, die sich stets wandelnde gesellschaftliche und politische Gegenwart klar zu analysieren.“ Daneben sollte man eine Position für oder gegen eine bestimmte Konzeption von Freiheit einnehmen. Zugleich gibt es folgendes Ziel. Nämlich eine konkrete Vorstellung davon zu entwickeln, was Freiheit unter den gegenwärtigen Umständen bedeuten kann und soll. Katia Henriette Backhaus hat an der Universität Frankfurt am Main im Bereich der politischen Theorie promoviert. Sie lebt in Bremen und arbeitet als Journalistin.

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Der Mensch beansprucht Autonomie

Die Rechtsgarantien von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit wirken miteinander und gegeneinander. Man muss sie deshalb aufeinander abstimmen und gemeinsam zur Geltung bringen. Paul Kirchhof erklärt: „Der Mensch ist nicht frei, sondern freiheitsberechtigt. Er beansprucht in Bindungen an Staat und Recht, in Familie und Gesellschaft, in Natur und Technik ein Stück selbstbestimmter Autonomie.“ Der Mensch ist nicht gleich, sondern gleichberechtigt. Alle Menschen sind in ihrer Individualität verschieden, dürfen in Freiheit ihre Verschiedenheit mehren. Sie sollen also nicht gleich sein, sondern maßvoll angeglichene Lebensverhältnisse vorfinden. Deshalb behauptet die Verfassung nicht, alle Menschen seien gleich, sondern stellt sie „vor dem Gesetz“, dem Instrument rechtlicher Entscheidungen, gleich. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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John Rawls entwickelt eine Gerechtigkeitstheorie

Im Allgemeinen hat John Rawls versucht, dass sein Liberalismus vermeidet, den Bürgern eines liberalen Regierungssystems eine bestimmte Konzeption des Guten aufzudrängen. Seine Gerechtigkeitstheorie beruht durchaus auf dem Gedanken, dass Autonomie für sich genommen gut für die Menschen ist. Und dass diesen genug Raum für deren Ausübung gelassen werden sollte. Danielle Allen ergänzt: „Sie enthält auch einen knappen Ausblick auf das demokratischer Gleichheit innewohnende menschliche Gut.“ Jürgen Habermas vertritt die These, dass Demokratie an sich wertvoll ist. Weil politische Teilhabe nicht nur für die Selbstachtung, sondern für volles menschliches Wohlergehen unverzichtbar ist. John Rawls lehnte die Wahrheit des klassischen Humanismus ab. Die Politikwissenschaftlerin und Altphilologin Danielle Allen lehrt als Professorin an der Harvard University. Zugleich ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Hannah Arendts Denken ist aktueller denn je

In ihrem neunen Buch „Der Streit um Pluralität setzt sich Juliane Rebentisch mit der politischen Philosophie Hannah Arendts auseinander. Es besteht für die Autorin kein Zweifel, dass die Schriften von Hannah Arendt heute nicht zuletzt aufgrund ihrer Aktualität ihrer Themen wieder mit großem Interesse liest. Schonungslos beschreibt sie die Unzumutbarkeiten von Flucht und Staatenlosigkeit. Ihre eindrücklichen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Wahrheit haben Eingang in die öffentlichen Debatten der Gegenwart gefunden. Hannah Arendt Leben war bekanntlich geprägt durch die Erfahrungen von Antisemitismus, Staatsterror, Flucht und Staatenlosigkeit. Juliane Rebentisch betont: „Die geistesgeschichtliche Bedeutung Hannah Arendts bemisst sich nicht zuletzt an den zum Teil heftigen Kontroversen, die ihre Publikationen in der Öffentlichkeit auslösten.“ Juliane Rebentisch ist Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main.

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Das Spiel steht dem Ernst entgegen

Es erscheint für Volker Gerhardt geradezu natürlich, das Spiel als das zu sehen, was dem „Ernst“ entgegensteht. Aus der Sicht kindlicher Wahrnehmung kann das gar nicht anders sein. Denn das Kind hat vornehmlich den Wunsch, spielen zu dürfen. Es muss aber durchweg mit der Maßgabe rechnen, dass jetzt Schluss zu sein habe. Nämlich weil Schularbeiten zu machen sind oder weil es Zeit ist, schlafen zu gehen. Volker Gerhardt fügt hinzu: „Auch mitten im sprichwörtlich gewordenen Kinderspiel kann es plötzlich ernst werden: wenn die Nase blutet, der Ball gestohlen wird oder der Bruder beim Schwimmen um Hilfe ruft.“ Dann schlägt das Spiel augenblicklich um in tödlichen Ernst. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Europa erfindet die Demokratie

Zu den Hochwerten der europäischen Kulturgeschichte gehört die Erfindung der Demokratie. Sie wird heute in allen großen Reden auf die Europäische Union (EU) als eine Haupterrungenschaft der europäischen Kultur gepriesen. Verbunden ist sie mit Begriffen wie Toleranz, Menschenrechte, Freiheit und anderen mehr. Silvio Vietta weiß natürlich auch: „Dabei hatte die Demokratie in Europa lange Zeit einen schweren Stand. Der Wert der Demokratie war nämlich immer auch umstritten. Ist sie nicht auch eine Form der Pöbel-Herrschaft? Gibt sie nicht Macht in Hände, die damit nicht vernünftig und rational umgehen können?“ Und handelt es sich eigentlich noch um eine gut funktionierende Demokratie, wenn bei vielen Wahlen ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung gar nicht mehr von seinem Wahlrecht Gebrauch macht? Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Es gibt zwei Phänomene der Identität

Die Französische Revolution hatte weltweit immense Auswirkungen auf das Verständnis von Identität. Obwohl der Begriff damals noch nicht Verwendung fand, lassen sich doch fortan deutlich zwei Phänomene der Identität unterscheiden. Diese gehen von unterschiedlichen Prämissen aus. Francis Fukuyama erklärt: „Eine Gruppierung verlangte die Anerkennung der Würde von Individuen, während die andere die Anerkennung der Würde von Kollektiven in den Vordergrund rückte.“ Die erste, individualistische Fraktion ging von der Voraussetzung aus, dass alle Menschen frei geboren und in ihrem Streben nach Freiheit gleichwertig sind. Die Schaffung politischer Institutionen sollte allein dem Ziel dienen, so viel wie möglich jener natürlichen Freiheit zu erhalten, soweit sie im Einklang mit der Notwendigkeit eines gemeinsamen Gesellschaftslebens stand. Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart. Sein Bestseller „Das Ende der Geschichte“ machte ihn international bekannt.

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Die Kultur des Erinnerns bestimmt die Gegenwart

Der Mensch, der nicht vergessen, der Unglück, Enttäuschung, Bitterkeit, Hass nicht hinter ich lassen kann, findet keinen Zugang zur Zukunft. Ihm bleiben der Aufbruch, die Erneuerung, das Fortschreiten verschlossen. Paul Kirchhof weiß: „Die Kultur des Vergessens war jahrhundertelang die Bedingung von Friedenschlüssen.“ Nach Ende des 1. Weltkriegs vereinbarte man im Versailler Vertrag jedoch ein Erinnern. Diese Kultur des Erinnerns, der nachhaltigen Zuweisung von Verantwortung, bestimmt das Denken der Gegenwart. Wer die Vernichtungskraft moderner Waffen und Kriege vor Augen hat, wird erkennen, dass ein Krieg zur Selbstzerstörung führt, deshalb zu verhindern ist. Allerdings darf man das Erinnern der Kriegsfolgen, insbesondere die Ausgleichspflichten, nicht über Generationen hinweg verlängern. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg.

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Populisten befolgen nicht den Willen des Volkes

Populisten erheben nicht den Anspruch, den Willen des Volkes zugleich zu formen und zu befolgen, wie demokratische Politiker dies im Großen und Ganzen tun. Sie geben vor, sie fänden ihn lediglich vor. Denn der kollektive Wille lässt sich unmittelbar aus dem einen und einzig authentischen Verständnis des Volkes ableiten. Was dagegen zeichnet ein nichtpopulistisches Verständnis von Volk aus? Jan-Werner Müller erklärt: „Die Debatten politischer Philosophen über diese Frage bewegen sich meist zwischen zwei Extremen.“ Auf der einen Seite findet sich die Position, eine moralisch korrekte Theorie sei in der Lage, die politischen Grenzen ein für alle Mal zu klären. Verteidiger des Nationalismus als einer moralischen Theorie vertreten zum Beispiel die Auffassung, alle größeren Gruppierungen mit gemeinsamer Kultur müssten politische Selbstbestimmung genießen. Jan-Werner Müller ist Roger Williams Straus Professor für Sozialwissenschaften an der Princeton University.

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Die vierte Gewalt existiert nicht mehr

Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Henri Nannen – Mogule von Besatzers Gnaden. Und wie die Helden in Hollywoodwestern, die zu ihrer Zeit über die Bildschirme flimmerten, verkörperten sie das Ideal von Freiheit. Anders Indset erklärt: „Freiheit der Meinung verbunden mit informationeller Selbstbestimmung. Die vierte Gewalt.“ Doch wo findet man diese vierte Gewalt heute? Wo sind die Meinungsmacher geblieben? Vielleicht versteckt hinter „Fassaden in der Mache“ als Influencer oder Getriebene von einer technologischen Elite, um neue Medienplattformen zu schaffen. Denn Medien lieben die Erfolgreichen, Erfolgreiche lieben die Medien. Clubhouse, Podcast, IGTV … Frei nach Neil Postman sind viele Menschen dabei, sie zu Tode zu amüsieren. Noch schlimmer, sie betäuben sich allumfänglich, der sie in eine unbewusst konsumierende Gesellschaft der Gefälligkeit versetzt. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

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Putin hat den Frieden in Europa zerstört

Anders als gewohnt widmet sich die Rubrik „Arena“ im neunen Philosophie Magazin 03/2022 nur einem Thema. Und zwar dem schrecklichen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Editorial: „Gerade jetzt ist es geboten zu verstehen: die Logik des Krieges, die immer noch Teil unserer Realität ist – und die auch das Denken Wladimir Putins bestimmt. Ein solches Verstehen legitimiert nicht seine Tat, sondern kann vielleicht helfen, einen aus Schock und Angst geborenen blinden Aktionismus zu verhindern.“ Jörg Baberowski, Historiker und Spezialist für die Geschichte der Sowjetunion, hat den Angriff Russlands auf die Ukraine nicht für möglich gehalten. Welche Tür sollte der Westen Putin öffnen, damit es zum Schlimmsten nicht kommt? Jörg Baberowski rät: „Die einzige Tür, die ins Offene führt, ist das Gespräch. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“

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Freiheit braucht beherzte Gelassenheit

Freiheit ist für Paul Kirchhof stets ein Wagnis. Denn die freie Entscheidung ist nicht immer richtig. Sie folgt ohnehin selten den Kategorien Richtig oder Falsch, entspricht aber dem Willen des Entscheidenden. Paul Kirchhof ergänzt: „Würde er sein Leben der grüblerischen Selbstvergewisserung über den gewählten Lebensweg widmen, tauschte er Freiheitsmut gegen Freiheitsängstlichkeit, Entschlossenheit gegen Zögerlichkeit, Selbstgewissheit gegen Unsicherheit, Freiheit gegen Antriebslosigkeit.“ Die Freiheit würde den Menschen überfordern, wenn er nicht Entschiedenes als Vergangenes hinter sich lässt, Gegenwärtigem selbstbewusst begegnet, Zukünftiges erhofft, aber nicht mit verlässlicher Gewissheit voraussehen will. Freiheit braucht beherzte Gelassenheit. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

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