Josef Joffe bewundert Konrad Adenauer

Als Erstes sagte der beinharte Realist Konrad Adenauer dem Traum von der Wiedervereinigung Deutschlands schon im Herbst 1945 (!) Ade: „Der russisch besetzte Teil ist erst einmal für Deutschland verloren“. Kurz darauf formulierte der Kanzler der Verlierer, was zur Politik des Westens werden sollte, bevor dieser es selber wusste: „Deutschland diesseits der Elbe ist ein integrierender Teil Westeuropas“. Frankreich bat er, nicht das Ruhrgebiet zu internationalisieren, denn das würde unheilvolle Erinnerungen an die Ruhrbesetzung von 1923 wecken und Revanchegelüste befeuern. Es gebe einen besseren Weg, die Sicherheitsängste der Nachbarn zu dämpfen: die „wirtschaftliche Verflechtung“ auf dem Weg zur „Union der westeuropäischen Staaten“. Josef Joffe ergänzt: „Wie es denn auch 1952 mit der Kohle- und Stahlgemeinschaft (EGKS) geschah, welche die klassischen Ressourcen der Kriegsführung europäisierte. Josef Joffe ist seit dem Jahr 2000 Herausgeber der ZEIT.

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Ulrich Herbert schildert den Beginn des Zweiten Weltkriegs

Am 1. September 1939 griff die deutsche Wehrmacht Polen an. Als zwei Tage später die Kriegserklärung Frankreich und Großbritanniens folgten, was aus einem deutsch-polnischen Grenzkonflikt ein großer Krieg geworden. Die deutschen Truppen agierten mit außerordentlicher Härte. Ulrich Herbert erläutert: „Wie schon im spanischen Bürgerkrieg flog die Luftwaffe systematische Angriffe auf die großen Städte, mit enormen Opferzahlen unter der Zivilbevölkerung.“ Auf deutscher Seite wurden am Ende der knapp vierwöchigen Kampfhandlungen 10.000 Tote gezählt, auf polnischer Seite 66.000. Nach vier Wochen war die hoffnungslos unterlegene polnische Armee besiegt. Frankreich und Großbritannien waren den Polen trotz der vertraglichen Verpflichtungen nicht zu Hilfe gekommen. Zu aussichtslos schien ihnen ein Eingreifen angesichts der deutschen Überlegenheit. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Kulturen müssen von außen befruchtet werden

In der Tat wäre es absurd zu verlangen oder lediglich zu behaupten, dass Kulturen ihren Wandel stets aus sich selbst heraus vollbringen müssten. Thea Dorn schreibt: „Auch für Kulturen gilt: Inzest ist der sicherste Weg in die Degeneration. Befruchtung von außen muss sein.“ Aber sämtliche Wandlungen der deutschen Kultur, selbst diejenigen, die durch Fremdherrschaft wie der Römer oder Besatzung wie durch die Franzosen oder Amerikaner bewirkt wurden, konnten sich nur vollziehen, weil sie in Deutschland irgendwann auf fruchtbaren Boden gefallen sind. Selbst im Falle der „Reeducation“, die von vielen Deutschen nach 1945 zunächst als beleidigende Schmach empfunden wurde – und von heutigen Rechtsauslegern noch immer als solche empfunden wirde, gilt Gleiches. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Als Lebensweise ist Kultur nur eine Frage der Gewohnheit

„Kultur“ ist ein außergewöhnlich komplexes Wort, das vier Hauptbedeutungen beinhaltet: Erstens den Bestand an künstlerischen und geistigen Werken. Zweitens den Prozess geistiger und intellektueller Entwicklung. Drittens die Werte, Sitten, Überzeugungen und symbolische Praktiken, nach denen die Menschen leben. Und viertens eine komplette Lebensweise. Die Kultur eines Volkes kann also Dichtung, Musik und Tanz bezeichnen, aber auch die Lebensmittel, die es isst, die Sportarten, die es betreibt, die Religion, die es praktiziert. Sie kann sogar die Gesellschaft als Ganzes meinen, samt Verkehrsnetz, Wahl- und Müllbeseitigungssystem. Das mag alles typisch für diese Kultur sein, wird aber nicht immer zu ihren Besonderheiten gehören. Terry Eagleton ergänzt: „Kultur in der künstlerischen und intellektuellen Bedeutung des Wortes kann durchaus Innovation miteinbeziehen, während Kultur als Lebensweise im Allgmeinen nur eine Frage der Gewohnheit ist.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Franz Eckstein erliegt den Verlockungen der Ferne

Das Versprechen der Freiheit leuchtet 1867 in der Ferne, als Franz Eckstein heimlich aufbrach, um sich der Fremdenlegion anzuschließen. Er berichtet in seiner „Handschrift“ von seinen Kämpfen mit Berbern und Beduinen, von aufregenden Jagten auf wilde Tiere, von quälendem Durst in der Wüste Algeriens und ausufernden Gelagen mit Absinth. Als er 1872 in Marseille wieder europäischen Boden betritt, hat sich der Kontinent verändert. Während Franz Eckstein erzählt, wie es ihm in Afrika erging, entwirft Thomas Rietzschel in seinem Buch „Die Handschrift des Legionärs Franz Eckstein“ ein vielfältiges Gesellschaftsbild der damaligen Zeit. Ein Panorama, das sich vom farbenfrohen Fin de siècle bis zum Versagen des Bürgertums – nicht nur in Dresden – im 20. Jahrhundert erstreckt. Geographisch spannt der Autor einen Bogen von der Brühlschen Terrasse, dem einstigen Balkon Europas am Dresdner Elbufer, über Marseille bis in die Wüsten Nordafrikas und an den Fuß des Atlas-Gebirges.

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Der deutsche Realismus zeichnet sich durch Verklärung und Harmonie aus

Die Literatur in der Epoche nach der Revolution von 1848 ist schwer unter einem einheitlichen Aspekt zu beschreiben: Einerseits steht sie noch immer unter dem Leitbild Johann Wolfgang von Goethes, andererseits waren besonders Schriftsteller des liberalen Lagers schon seit 1830 nicht mehr bereit, dem „Fürstenknecht“ nachzueifern. Sie standen in deutlicher, oft auch polemischer Opposition zur idealistischen und romantischen Literaturauffassung. Der Begriff „Realismus“ wurde in Europa zwischen 1830 und 1880 als allgemeiner kunsttheoretischer Terminus für die neue Literatur und zugleich als Selbstkennzeichnung des künstlerischen Standpunkts dieser Epoche benutzt. Man ging von der Wiedergabe der zeitbezogenen Aktualität aus, glaubte alle wichtigen Zusammenhänge – soziale, ökonomische, politische – an der gesellschaftlichen und individuellen Entwicklung der Figuren eines Romans, einer Novelle oder eines Dramas darstellen und auf diese Weise „das Leben“ beschreiben zu können.

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Die Wutwähler fühlen sich von den Einwanderern bedroht

Die Wutwähler aller Länder fühlen sich von Einwanderern bedroht im Kampf um die verbliebene Arbeit, ganz im Gegensatz zu den gut ausgebildeten Eliten. Die weiße amerikanische Unterschicht sieht sich von hispanischen Einwanderern bedroht, während die gut Ausgebildeten Zuwanderung oft begrüßen, weil sie dem Wachstum nützt, der Demografie oder dem kulturellen Reichtum einer Gesellschaft. Das Gefühl, von der Politik vergessen worden zu sein, dominiert bei den Wutwählern aller Länder – unabhängig davon, welche Regierung gerade am Ruder ist. David Brooks, Kolumnist bei der New York Times, schreibt: „Wenn Menschen den Eindruck haben, dass ihre Welt verschwindet, werden sie zu einer leichten Beute für faktenfreies magisches Denken und Demagogen, die Einwanderer beschuldigen. Die Eliten haben zu viel gewollt, und nun geht die Geschichte in die entgegengesetzte Richtung.“

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Frankreich verdankt Kurt Tucholsky seine besten Jahre (6. Teil)

Schon lange war Frankreich das Land der Sehnsucht von Kurt Tucholsky. Es verkörperte für ihn die Nation der Aufklärung und der großen Revolution von 1789, die Nation der Demokratie und der republikanischen Freiheit, die Nation der Literatur und des Cabarets, des Chansons und des Theaters. Es war für ihn ein Land, in dem geistig Arbeitende ruhig, zufrieden und halbwegs geachtet leben konnten. Und dorthin wollte er als eine Art „Auslandskorrespondent für kulturelle Angelegenheiten“. Das Gehalt der „Weltbühne“ von 650 Mark hätte dazu allerdings nie gereicht, denn allein seine Wohnung in Fontainebleau kostet 300 Mark im Monat. Kurt Tucholsky muss sich also zusätzliche Verdienstmöglichkeiten erschließen. Über gute Beziehungen erhält den Auftrag für das Feuilleton der „Vossischen Zeitung“ Glossen und Beobachtungen aus Paris zu schreiben.

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Ein Imperium herrscht über eine große Vielfalt von Ethnien

Ein Imperium ist eine politische Ordnung mit zwei entscheidenden Eigenschaften. Yuval Noah Harari nennt die erste Eigenschaft: „Um als Imperium zu gelten, muss es über eine ausreichende Zahl von verschiedenen Völkern herrschen, von denen jedes seine eigene kulturelle Identität und sein eigenes Territorium hat.“ Die zweite Eigenschaft eines Imperiums besteht darin, dass es über flexible Grenzen und einen potentiell grenzenlosen Appetit verfügt. Imperien können sich immer mehr Völker oder Gebiete einverleiben, ohne dabei ihre Struktur oder Identität zu verlieren. Yuval Noah Harari nennt ein Beispiel: „Das heutige Großbritannien hat klar definierte Grenzen, die es nicht überschreien kann, ohne dass der Staat seine Struktur oder Identität völlig verändern würde. Aber vor einem Jahrhundert hätte fast jeder Ort auf der Erde Teil des Britischen Weltreichs werden können. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Der Siebenjährige Krieg entscheidet die Machtfrage in Amerika

Über 150 Jahre standen die englischen Kolonisten in Amerika loyal zu ihrem König und fühlten sich als Angehörige des britischen Imperiums. Noch im Siebenjährigen Krieg, der von 1756 bis 1763 dauerte, kämpften sie gemeinsam mit den Soldaten Englands gegen die Franzosen. Doch anschließend traten entscheidende Veränderungen ein. Alexander Emmerich erklärt: „Danach verstrickten sich die Kolonisten mit der englischen Krone in einen Machtkampf um Repräsentation im englischen Parlament und die Besteuerung verschiedener Waren. Am Ende dieses Konflikts stand schließlich der Wunsch nach Unabhängigkeit, Volkssouveränität und Selbstbestimmung der dreizehn englischen Kolonien.“ Dazu gehörten New Hampshire, Massachusetts, Rhode Island, Connecticut, New York, Pennsylvania, Delaware, Maryland, Virginia, North Carolina, South Carolina, und Georgia. Der Historiker Alexander Emmerich lehrt an der Universität Augsburg am Lehrstuhl für atlantische Kulturgeschichte.

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Das deutsche Drama stand ganz im Zeichen der Revolution

Den deutschen Dichtern gelang im Drama nicht, was den spanischen, englischen und französischen Schriftstellern beschieden war. Laut Reinhold Schneider war ihr Drama das späteste und problematischste. Er nennt einige Gründe dafür: den Humanismus und den Dreißigjährigen Krieg und das Abbrechen der Tradition volksgemäßer Dichtung. Die Deutschen haben allerdings in der Musik und in der lyrischen Dichtung einen ungleich reicheren und eigeneren Ausdruck als im Drama gefunden, das heißt in einer Kunst, die der eigentlich plastischen Gestaltung ferner ist und darum auch einen viel geringeren formgebenden Einfluss auf das Leben ausübt als das Drama. Für Reinhold Schneider liegt vieles vom Größten, was die Deutschen vollendet haben, verborgen oder verschüttet, beziehungsweise ist nur wenigen erreichbar. Der Schriftsteller Reinhold Schneider, geboren 1903 in Baden-Baden, gestorben 1958 in Freiburg/Breisgau, wurde 1956 mit dem Friedenspreis des Deutschen Bundhandels ausgezeichnet.

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