Das 20. Jahrhundert war eine Zeit der Vertreibung

Das 20. Jahrhundert war ein Zeitalter der gewaltsamen Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat, von Flucht und Entwurzlung. Flucht und Elendsmigration hat es zu unterschiedlichen Zeiten in der ganzen Welt gegeben. So etwa in den 1970er Jahren, als eine riesige Fluchtwelle der „Boatpeople“ in Asien anhob. Seit den Massenvertreibungen und Deportationen während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg war Europa von keiner Zwangsmigration vergleichbaren Ausmaßes heimgesucht worden wie in den 1990er Jahren. Edgar Wolfrum erklärt: „Als Jugoslawien zerfiel und man auf dem Balkan Kriege führte, setzten massive Vertreibungen und ethnische Säuberungen ein. Fünf Millionen Menschen waren von diesem neuen nationalistischen Wahn betroffen.“ Seit der Jahrtausendwende versuchen nun Jahr für Jahr Tausende von afrikanischen Elendsflüchtlingen nach Europa zu gelangen. Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

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Die Asylfrage dominierte die Politik

Seit dem Fall der Mauer ist die Zahl der in Deutschland Asylsuchenden kontinuierlich gestiegen. Hinzu kommen Spätaussiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Flüchtlinge aus dem jugoslawischen Bürgerkrieg. Die Union aus CDU und CSU sowie die rechten Splitterparteien hatten schon Ende der Achtzigerjahre die Angst vor den Asylsuchenden als zentrales politisches Thema besetzt. Philipp Hübl blickt zurück: „Die deutschen Wähler hielten damals die Asylfrage für politisch wichtiger als die Wiedervereinigung oder die Arbeitslosigkeit.“ Mit der Flüchtlingssituation von 2015 parallel zur Willkommenskultur kam es auch verstärkt zu fremdenfeindlichen Aktionen. Mit der Ankunft der Fremden nahm die Gewalt zu. Allein im Jahr 2017 gab es mehr als 2.000 Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Die neue Völkerwanderung steht seit 2015 auf der politischen Agenda

Das erste Ziel der Wanderungsbewegung nach Europa in großem Stil war Italien. Hans-Peter Klein blickt zurück: „Als im Jahr 2011 der libysche Staat des Diktators Gaddafi zerschlagen wurde und das Land in Bürgerkriegswirren versank, setzte die Flucht über das Mittelmeer ein. Bald schlugen Hilfsorganisationen, die Kirchen und einige E-Medien Alarm.“ Dabei beunruhigte nicht so sehr die Erwartung eines kaum zu bewältigenden Ansturms von Flüchtlingen, sondern vielmehr, dass viele von ihnen der Schleuserkriminalität auf der Mittelmeerroute zum Opfer fielen. Seit 2013 berichtete das Fernsehen erst sporadisch, dann häufiger und alarmierend über die unglaublichen Vorgänge: Massenflucht übers Mittelmeer, gesteuert durch Schleuserbanden, schreckliche Havarien, unmögliche Zustände in den italienischen Aufnahmelagern und weitgehende hilflose Behörden in Rom und bei der EU in Brüssel. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

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Niemand ist seinen Ängsten hilflos ausgeliefert

Islamistischer Terror, rechtsextremistische Gewalt, die Umtriebe antidemokratischer Bewegungen, zunehmender Nationalismus und rechter Populismus in den westlichen Demokratien, die Herausforderungen, die die Flüchtlingskrise mit sich bringt, die vermeintlich zunehmende Ungleichheit: Die Welt scheint sich im Dauerkrisenmodus zu befinden und ein Ende der schlimmen Ereignisse und negativen Entwicklungen scheint nicht in Sicht zu sein. Georg Pieper versucht, diesen Ängsten zu trotzen und sagt sich, dass man sich von ihnen nicht unterkriegen lassen darf. Als verantwortungsbewusster Bürger muss dagegenhalten, auch wenn es manchmal schwerfällt. Georg Pieper stellt fest: „Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten konnte ich beobachten, wie auch bei besonnenen, reflektierten Menschen durch ein Schlüsselereignis die Angst plötzlich übermächtig werden kann und beginnt, das Denken und Handel zu beeinflussen.“ Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Nicht nur die Ängstlichen sind misstrauischer geworden

Der Angstpegel der Deutschen ist laut einer Studie der R+V-Versicherung auf den höchsten Stand seit 25 Jahren gestiegen. Wie stark die Angst bei jedem einzelnen Menschen ausgeprägt ist und ob sich daraus Angststörungen entwickeln können, lässt sich nicht generalisieren. Georg Pieper ergänzt: „So führen die derzeit größten Ängste wie jene vor Terror, vor den Folgen der Flüchtlingskrise und vor politischem Extremismus bei jedem zu anderen Reaktionen.“ Wenn jemand Angst vor dem Autofahren hat, generell Risiken scheut, immer besorgt ist, dass den Liebsten etwas Schlimmes zustoßen könnte, wirkt sich die momentane existierende Bedrohungssituation aus jeden Fall angstverstärkend aus. Diese Menschen sind, das lässt sich genau beobachten, viel sensibler für die aktuelle Entwicklung und reagieren darauf schneller und heftiger. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.

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Die Flüchtlingskrise in Europa ist noch lange nicht beendet

Deutschland und die Europäische Union (EU) haben sich in dem kurzen Zeitraum von 2012 bis 2015 einen kapitalen Fehler geleistet; vielleicht war es sogar ein Fehler von säkularer Fernwirkung. Hans-Peter Schwarz erklärt: „Als die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika und aus dem muslimischen Krisenbogen von der Türkei bis Pakistan urplötzlich in die Millionen ging, haben sie das viel zu lange allein als humanitäre Herausforderung verstanden.“ Tatsächlich wurde dadurch eine Völkerwanderung nach Europa wenn nicht in Gang gesetzt, so doch gefährlich verstärkt. Von nun an wissen viele Millionen, die auf der Flucht sind oder in fernen Flüchtlingslagern und anderswo in der eigenen Region Schutz gefunden haben, dass Europa ein erstrebenswertes Migrationsziel ist, mag der Weg dorthin auch beschwerlich, ja lebensgefährlich sein. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

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Hans-Peter Schwarz spricht von einer neuen Völkerwanderung nach Europa

In seinem Buch „Die neue Völkerwanderung nach Europa“ blickt Hans-Peter Schwarz auf die Konstruktionsfehler des Schengen-Raums und fügt der aktuellen Debatte eine zeithistorische Dimension hinzu. Seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise im Herbst 2015 steht die Europäische Union (EU) zusehends vor einer Zerreißprobe. Pointiert und präzise analysiert der Autor die Schwierigkeiten dieser Jahrhundertaufgabe und entwirft fünf Leitlinien für einen neuen Kurs der Flüchtlingspolitik. Vor allem zieht Hans-Peter Schwarz auch die Lehren aus der Geschichte und verbindet seine zeithistorische Analyse mit konstruktiven Vorschlägen für ein neues Europa. In den für Gefahren blind gewordenen Demokratien Europas hätte man es sich jedenfalls niemals vorstellen können, urplötzlich mit einem Millionenheer von Flüchtlingen konfrontiert zu werden, das alle Merkmale einer neuen Völkerwanderung aufweist. Hans-Peter Schwarz zählt zu den angesehensten Politologen und Zeithistorikern in Deutschland.

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Die Deutschen leben in einer zunehmend populistischen Gesellschaft

In seinem neuen Buch „Die Stunde der Populisten“ will der Politologe Florian Hartleb Aufklärungsarbeit leisten und aufzeigen, wie man die Demagogen aufhalten kann. Er definiert Populismus wie folgt: „Populismus heißt erst mal vom Wortlaut her die ständige Beschäftigung mit dem Volk. Populismus heißt im Guten, dass man das Ohr an der Stimme des Stammtisches hat, die Belange des kleinen Mannes berücksichtigt und Politik so runterbricht, dass sie jedermann versteht.“ Im Negativen ist seiner Meinung nach der Begriff stark verbunden mit „nach dem Mund reden“ und mit Blick auf Agitation gegen „die da draußen“ sowie gegen die Eliten, indem der Populist behauptet, die politische Klasse sei korrupt. Der Passauer Politologe und Buchautor Florian Hartleb forscht seit dem Jahr 2000 zu Populismus und Radikalismus.

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Bill Gates kämpft mit seiner Stiftung weltweit gegen Armut

Der Gründer von Microsoft, Bill Gates, ist mit einem Vermögen von mehr als 80 Milliarden Dollar der reichste Mensch der Welt. Gleichzeitig ist er einer der großzügigsten und ehrgeizigsten. Mit der „Bill und Melinda Gates Foundation“ will der Philanthrop extreme Armut abschaffen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat das Wohl Afrikas zum deutschen Interesse erklärt. Bill Gates sieht die Flüchtlingskrise auch als Chance, neue Verbündete im Kampf gegen globale Armut zu finden. Der Multimilliardär erklärt: „Die Flüchtlingskrise macht deutlich, dass es uns alle betrifft, wenn Menschen in harten Umständen leben. Es ist furchtbar mit anzusehen und schafft riesige Probleme. Wir sind weder vor Armut noch vor ansteckenden Krankheiten in fernen Ländern sicher. Die Probleme bleiben nicht dort.“ Bill Gates empfindet es als traurig, dass erst die Krise in Syrien ein stärkeres Bewusstsein über die schlimmen Lebensumstände in armen Ländern schafft.

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Deutschland fehlen die europäischen Partner

Timothy Garton Ash lobt Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Bundesregierung, dass Deutschland gleich in zwei Krisen Führungsverantwortung übernommen hat. Erstens in der Ukraine. Wenn es überhaupt eine westliche Politik gegenüber Russland gab, dann war es eine deutsch-polnisch-französische. Aber vor allem deutsch und damit natürlich Angela Merkel. Timothy Garton Ash fügt hinzu: „Zweitens und unbestritten in der Flüchtlingskrise. Für mich als Historiker ist es unheimlich ergreifend, dass für diese armen Menschen aus dem Nahen Osten Deutschland das gelobte Land ist.“ Aber was Deutschland und damit der Kanzlerin fehlt, sind die europäischen Partner, denn Deutschland kann die Krisen nicht alleine meistern. Das ist ein klassisches geschichtliches Problem. Timothy Garton Ash lehrt in Oxford europäische Geschichte und ist einer der angesehensten politischen Kommentatoren aus Großbritannien.

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Deutschland braucht gut ausgebildete Wirtschaftsflüchtlinge

Zu den beeindruckenden Fortschritten der Bundesrepublik Deutschland gehört, dass die allermeisten Einheimischen die vielen Flüchtlinge trotz aller Krisengefühle willkommen heißen. Deutschland lernt sich in der Flüchtlingskrise gerade selber kennen. Dabei werden teils widersprüchliche, teils auch komplementäre Erfahrungen gemacht. Armin Nassehi erklärt: „Wir sehen brennende Flüchtlingsheime, und wir sehen ein charismatische Entgegenkommen, eine – wie man etwa am Münchner Bahnhof erleben konnte – wahrlich herzergreifende Willkommenskultur. Aber ohne die radikalen Proteste gäbe es diese besondere Freundlichkeit vermutlich nicht.“ Viellicht sind beide Formen der Reaktion allzu starke Vereinfachungen: Die rechten Asylkritiker tun so, als sei eine ethisch und kulturell homogene Gesellschaft leichter zu steuern. Die charismatische Hilfsbereitschaft entdeckt die konkrete Notsituation, hat dabei aber die Probleme der Integration noch gar nicht im Fokus. Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Herausgeber des Kursbuches.

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