Das Kurzzeitgedächtnis kann Informationen 30 Sekunden behalten

Frühe Erinnerungen an die Kindheit sind physiologisch gesehen sehr anfällig für Verzerrungen. Wenn Wissenschaftler über die Reifung des Gedächtnisses sprechen, also über die Veränderung des Gedächtnisses im Laufe des Älterwerdens, sprechen sie typischerweise getrennt über die Veränderungen im Kurzzeitgedächtnis und im Langzeitgedächtnis. Julia Shaw erklärt: „Das Kurzzeitgedächtnis ist ein System im Gehirn, das kleine Informationsmengen für kurze Zeit behalten kann. Sehr kurze Zeit – nur ungefähr 30 Sekunden.“ Wenn man sich beispielsweise eine Telefonnummer merken will und sie im Stillen so lange vor sich hersagt, bis man sie wählt – sie also in der sogenannten phonologischen Schleife speichert – dann benutzt man sein Kurzzeitgedächtnis. Dieses System kann nicht viel Gedächtnisinhalt aufnehmen. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Die meisten Menschen können die Gefühle ihrer Mitmenschen erkennen

Die Wirksamkeit rationaler Emotionen hängt in hohem Maße davon ab, ob andere Menschen solche Emotionen erkennen können und – was sogar noch wichtiger ist – ob sie von deren Aufrichtigkeit überzeugt sind. Eyal Winter weist darauf hin, dass Menschen manchmal bewusst authentische Gefühle in sich erwecken können, und sei es aus strategischen Gründen. Die meisten Menschen können die Gefühlszustände ihrer Mitmenschen erkennen. Eyal Winter betont: „Ohne diese Befähigung wären wir in unserem Interaktionsvermögen stark eingeschränkt. Unsere Fortpflanzungsfähigkeit wäre beschnitten, wenn wir nicht merken würden, ob andere uns anziehend finden.“ Selbst das rein physische Überleben, das zu einem großen Teil von gesellschaftlichen Beziehungen abhängt, wäre gefährdet, wenn man die Gefühle anderer nicht wahrnehmen und deuten könnte. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Human Enhancement will den Menschen vervollkommnen

Den Menschen besser zu machen, ihn näher zur Vollkommenheit, zur Perfektion zu bringen, ist ein Anliegen, das nicht nur mit der Bildung einhergeht. Thomas Damberger erläutert: „Vielmehr scheint es eine neue, moderne Form der Perfektionierung zu geben, die unter dem Namen Enhancement diskutiert wird. Wenn hier von Enhancement die Rede ist, dann ist damit ausdrücklich „Human Enhancement“ gemeint.“ Der Begriff „Human Enhancement“ bedeutet übersetzt so viel wie die „Verbesserung des Menschen“. Nun ist die Verbesserung des Menschen aber auch ein Thema, das der Bildung – und noch etwas allgemeiner: der Pädagogik – immanent ist. Immanuel Kant hat beispielsweise in seiner 1803 veröffentlichten Vorlesung „Über Pädagogik“ festgehalten, dass hinter der Edukation das Geheimnis der Vervollkommnung der menschlichen Natur steht. Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Die individuelle Aggressivität ist eine klar umrissene Eigenschaft

Manche Menschen sind gefürchtet wegen ihrer Neigung zu Wutausbrüchen, zu hämischen Bemerkungen oder körperlicher Gewalt, während andere keiner Fliege etwas zuleide tun. Diese Unterschiede lassen sich nur sehr begrenzt aus dem jeweiligen Alter oder Geschlecht erklären. Laut Hans-Peter Nolting muss man die individuelle Aggressivität verstehen: „Welche Motive, Einstellungen und Temperamentsmerkmale, welche Fähigkeiten oder Defizite können ihr zugrunde liegen? Welche Rolle spielt dabei die Lebensgeschichte, welche Rolle spielen angeborene Faktoren?“ Nur so kann man herausfinden, wie dieser Mensch ist und wie er so geworden ist. Die individuelle Aggressivität ist für Hans-Peter Nolting eine klar umrissene Eigenschaft, in der sich die Menschen nur quantitativ – wenig bis sehr aggressiv – unterscheiden. Dr. Hans-Peter Nolting beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Themenkreis Aggression und Gewalt, viele Jahre davon als Dozent für Psychologie an der Universität Göttingen.

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Hochstapler machen Menschen zu ihren Komplizen

Es passiert nur anderen Menschen, den Gierigen und Leichtgläubigen, aber niemals einem selbst: Diebstahl im Internet, Abzockerei, Anlagebetrug. Das ist ein großer Irrtum. Wahre Künstler des Betrugs finden bei jedem Menschen die Schwachstelle. Das hat die amerikanische Psychologin Maria Konnikova in ihrem neuen Buch „Täuschend echt und glatt gelogen“ herausgefunden. Ob bei Investitionslügen, Kunstfälschungen, falschen Doktortiteln oder Schneeballsystem: Immer geht es um Vertrauen, um die Fähigkeit, andere etwas glauben zu lassen. Der Künstler des Betrugs begeht dabei keine Schwerverbrechen. Seine Kunst ist die Anwendung seiner hochentwickelten Sozialkompetenz: Überredung, Sympathie und Vertrauen. Ein guter Hochstapler zwingt einen Menschen nicht, irgendetwas zu tun, sondern macht ihn zu seinem Komplizen. Maria Konnikova analysiert: „Er stiehlt nicht, wir geben. Freiwillig. Wir glauben ihm, weil wir glauben wollen.“

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Judith Glück lehrt den guten Umgang mit Gefühlen

Weise Menschen ignorieren oder verdrängen ihre Gefühle nicht. Sie nehmen sie wahr, messen ihnen Bedeutung bei und wissen eben deshalb mit ihnen auch so umzugehen, wie es die Situation erfordert. Intuitiv weiß fast jeder Mensch, was mit einem Gefühl wie Angst, Freude oder Zorn gemeint ist, aber das wissenschaftlich zu definieren, ist gar nicht leicht. Eines steht allerdings fest: Gefühle haben eindeutig eine körperliche Komponente. Judith Glück erklärt: „Emotionen entstehen offenbar in einer Wechselwirkung zwischen körperlichen Reaktionen und Denken.“ Bei einem Menschen reicht zum Beispiel bereits ein Satz, den jemand sagt, oder eine Zeile in einer Zeitung, um eine möglicherweise intensive körperliche Reaktion hervorzurufen. Das körperliche Gefühl, das mit einer Emotion einhergeht, ist zudem relativ unspezifisch, zunächst nur ein allgemeiner, unangenehmer Erregungszustand. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Eyal Winter unterscheidet zwischen autonomen und sozialen Emotionen

Emotionen bilden einen Mechanismus, der Menschen dazu befähigt, Entscheidungen zu treffen. Sie wurden im Lauf der Evolution geformt und entwickelt, um die Überlebenschancen des Menschen zu verbessern. Eyal Winter fügt hinzu: „Die Menschheit verfügt neben den Emotionen über einen weiteren wichtigen Mechanismus, der uns bei der Entscheidungsfindung hilft, nämlich die Fähigkeit zur rationalen Analyse.“ Im Gegensatz zu Gefühlen wie Angst, Betrübtheit und Bedauern, die als autonome Emotionen bezeichnet werden können, sind Gefühle wie Wut, Neid, Hass und Mitgefühl soziale Emotionen. Sie sind per Definition interaktiv. Wut oder Mitleid empfindet ein Mensch gegenüber anderen; Bedauern dagegen empfindet er über eigene Handlungen. Die Unterscheidung zwischen autonomen und sozialen Emotionen ist besonders wichtig, um den Begriff der „klugen Gefühle“ zu verstehen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Macht steckt in allen Handlungen des Alltags

Die Sozialpsychologen haben des Entstehen von Macht häufig auf der Basis des Paradigmas der „führerlosen Gruppendiskussion“ untersucht: Man bringt eine Gruppe Fremder zusammen und bittet sie, ein Problem gemeinsam zu lösen. Es werden dabei keine Rollen zugewiesen, es gibt also auch weder Führer noch Anweisungen noch Hilfestellungen. Dacher Keltner erklärt: „Während der Entscheidungsfindung erlangen einige der Teilnehmer sehr schnell Macht. Einige Teilnehmer bilden rasch Verhaltensmuster heraus, die Einfluss signalisieren und auch so interpretiert werden.“ Das Gleiche gilt auch für die Interaktion von Kindern. Wie Untersuchungen der „führerlosen Gruppendiskussionen“ zeigen, taucht die Macht immer sehr schnell auf. Die Menschen gewinnen sie als das Ergebnis oft unscheinbarer, alltäglicher Verhaltensweisen. Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Die Frage „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ wirft viele Rätsel auf

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins 05/2017 beschäftigt sich mit der Frage: „Will ich zu viel – oder zu wenig?“ Eigentlich beruht die gesamte Lebensweise der modernen Staaten des Westens auf dem Imperativ des immer Mehrwollens. Sowohl im privaten Bereich als auch im Beruf führt dieser Wille oft zu einer dauerhaften Selbstüberforderung. Die Lust am Leben wird so eher gemindert anstatt gesteigert. Aus beglückender Fülle werden Leere und Angst. Scheinbar ist also klar: Wer weniger will, wird seltener enttäuscht, ist also entspannter und lebt so möglicherweise zufriedener. Das Wollen selbst sei die Wurzel allen Unglücks – das behaupten zumindest Denker von der Stoa bis zu Arthur Schopenhauer. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ist es nicht gerade die Suche nach mehr Intensität, die dem eigenen Leben erst Spannung und Sinn gibt?

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Der Homo Deus könnte das Ende des Homo sapiens bedeuten

In seinem neuen Buch „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ entwirft Yuval Noah Harari ein düsteres Bild des 21. Jahrhunderts, in dem gerade die idealisierten Träume zur technologischen Optimierung der Gesellschaft, an denen in Silicon Valley gearbeitet wird, schließlich zur Erschaffung eines neuen „Übermenschen“ und zum möglichen Ende des Homo sapiens führen. Außerdem behauptet der Autor, dass der Mensch sich im 21. Jahrhundert neuen Zielen zuwenden kann, weil er seine drei größten Feinde in den Griff bekommen hat, nämlich Krieg, Krankheiten und Hunger. Er nennt ein Beispiel: „Zum ersten Mal in der Geschichte sterben mehr Menschen, weil sie zu viel essen, nicht, weil sie zu wenig essen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Die Fähigkeit zum Genuss ist das höchste Glück des Menschen

Aristipp von Kyrene (435 – 350 v. Chr.) war ein Schüler des Sokrates und ein Zeitgenosse des Diogenes. Er verkehrte am Hof des Tyrannen Dionysios. Für Aristipp und seine Schule der Kyrenaiker können der Wahlfreiheit eines Menschen ausschließlich die eigenen Empfindungen als Richtschnur gelten. Ludger Pfeil ergänzt: „Aristipps Bedürfnisse gingen allerdings weit über Diogenes` minimalistisches Einfachstleben hinaus. Und Dionysios bot ihm die einträgliche Geldquelle zu deren Finanzierung.“ Die Fähigkeit zum Genuss erklärt Aristipp kurzerhand zum höchsten Glück des Menschen und zur einzigen Tugend, die er gelten lassen will. Lustgewinn heißt das von ihm ausgerufene Ziel, wobei die Lust des Augenblicks als einzig wirkliche angesehen wird und keine Vertröstungen duldet. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Viele Wege führen vom Burn-Out zum Burn-In

In seinem Buch „Burn-In statt Burn-Out“ vertritt Klaus Biedermann die These, dass Arbeitsüberlastung und Tempodruck nicht zwangsläufig zu einem Zusammenbruch führen. Vielmehr sind es fehlende Sinnhaftigkeit und Fremdbestimmung im Privatleben und im Beruf sowie der Verlust an Werten. Daneben haben viele Menschen die Fähigkeit verloren, sich zu entspannen und positiv wahrzunehmen, was früher oder später zu einem Kollaps führt. Statt innerlich auszubrennen, gilt es, im positiven Sinn für etwas zu brennen. Dazu kann es hilfreich sein, das eigene Leben mit allem, was einen Menschen als Persönlichkeit ausmacht, infrage zu stellen. Klaus Biedermann rät die ausgetretenen Pfade zu verlassen, und neue Perspektiven zu entdecken und erstmalige Erfahrungen zu sammeln. Dr. phil. Klaus Biedermann leitet seit mehr als 30 Jahren Selbsterfahrungskurse und Burn-In-Seminare in seiner Sommerakademie auf der Insel Korfu.

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Für den richtigen Lebensweg braucht man Orientierung

Warum sich Wahlfreiheit und Optionsvielfalt für viele Menschen überhaupt nicht gut anfühlen, lässt sich in erster Näherung recht einfach sagen. Aber wie das oft so ist bei den vermeintlich einfachen Dingen des Lebens – es wird komplexer, je genauer man es betrachtet. Es ist allerhöchste Zeit, darüber nachzudenken, welchen Gebrauch man von seiner Wahlfreiheit machen soll. Das erfordert eine Umorientierung. Anja Förster und Peter Kreuz erklärten: „Weg von der extrinsischen Ausrichtung „Wie soll ich funktionieren?“ hin zur intrinsischen „Welchen Wert kann uns will ich beitragen?“ Aber dazu müssen wir lernen, mit unserer Wahlfreiheit zurechtzukommen.“ Eine der wichtigsten Fragen überhaupt lautet: „Welcher der vielen Wege ist der richtige für mich?“ Für deren Beantwortung ist eine Sache essentiell: Orientierung. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Zustände des reinen Seins können Angstgefühle verursachen

Tagträume und Phantasien sind in der Regel emotionaler Natur. Auch viele Träume sind höchst emotional. In ihnen brütet der menschliche Geist die intensivsten emotionalen Erlebnisse aus, die ihm überhaupt möglich sind. Befindet sich ein Mensch im Sein in reinster Form, schwindet sogar sein Ich-Gefühl. David Gelernter erklärt: „Wir vergessen uns selbst – wir verlieren unser Ich. Wir erleben nur noch und begegnen dem Ich-losen Zustand des reinen Seins.“ Zustände des reinen Seins sind gefährlich und können Menschen Angst machen: Sie sind dann weit offen und verfügen beispielsweise in solchen Fällen keine Abwehr gegen Alpträume. Solche Zustände können Menschen auch an den Rand explosiver Euphorie bringen – oder mit tiefer Befriedigung überfluten oder für kurze Zeit eins mit dem Universum machen. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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Jede Handlung könnte die letzte im Leben sein

Mark Aurel (121 – 180), römischer Kaiser und Philosoph, erklärt: „Verscheuche jeden anderen Gedanken, und das wirst du können, wenn du jede deiner Handlungen als die letzte deines Lebens betrachtest.“ Wenn es eine einzige Lektion gäbe, die Daniel Klein bis an seinen letzten Tag mit sich tragen möchte, dann wäre es diese. Wenn Mark Aurels Aussage auch noch heutzutage so vertraut klingt, liegt das daran, dass Philosophen und religiöse Denker von alters her mehr oder weniger das gleiche sagen. Daniel Klein erläutert: „Sei jetzt hier. Sei stets achtsam. Lebe in der Gegenwart.“ Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Mit jeder Tugend geht ein Laster einher

Augustinus, der lateinische Kirchenlehrer der Spätantike, glaubte nicht daran, dass die Welt feinsäuberlich in die Kräfte des reinen Guten und des reinen Bösen geschieden werden könne. Vielmehr gehe jede Tugend mit einem Laster einher – Selbstvertrauen mit Stolz, Aufrichtigkeit mit Brutalität, Mut mit Leichtsinn und so weiter. Der Ethiker und Theologe Lewis Smedes beschreibt die menschliche Natur der Innenwelt wie folgt: „Unser Seelenleben ist nicht so scharf geschieden wie Tag und Nacht – mit reinem Licht auf der einen Seite und totaler Finsternis auf der anderen. Unsere Seelen sind überwiegend Schattenräume; wir leben an der Grenze, wo unsere dunklen Seiten uns Licht blockieren und einen Schatten auf unsere inneren Plätze werfen. Wir können nicht immer sagen, wo unser Licht endet und unser Schatten beginnt und wo unser Schatten endet und unsere Finsternis beginnt.“

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Der Mensch bleibt von Gott und der Idee getrennt

Die Bibel verrät seinen Lesern, dass Gott den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Der Mensch ist also „imago dei“. Man könnte meinen, er könnte sich erkennen, indem er das betrachtet, wovon er Abbild ist. Unglücklicherweise ist aber ihm das genau nicht möglich, denn in den Zehn Geboten ist unmissverständlich festgehalten, dass sich der Mensch kein Bild von Gott machen darf. Thomas Damberger geht davon aus, dass es sich bei dem Bilderverbot nicht um Bösartigkeit handelt. Denn es geht nicht darum, dass ein Gott seiner Schöpfung die Selbsterkenntnis verwehrt. Thomas Damberger erklärt: „Vielmehr ist es so, dass der Mensch sich in diesem Bild gar nicht erkennen könnte, denn sowohl Gott als auch die Idee bei Platon sind im Gegensatz zum Menschen in einem anderen Seinsmodus.“ Dr. Thomas Damberger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Erziehungswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main.

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Das Phänomen der Resonanz geht weit über die Liebe hinaus

Auf die Frage wie Hartmut Rosa zu seinem Thema „Resonanz“ gekommen ist, antwortet der Soziologe wie folgt: „Ich habe mich gefragt: Was sind eigentlich die sozialen Bedingungen dafür, dass wir uns in der Welt getragen und gehalten fühlen und uns nicht nur als ausgesetzt oder in die Welt geworfen?“ Das berühmte Motto von Johann Wolfgang von Goethe drückt das gut aus: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich`s sein“. Getragen fühlen sich Menschen dort, wo sie sich mit ihrer Umgebung, ihren Mitmenschen, der Natur oder auch einer bestimmten Ästhetik lebendig verbunden fühlen. Hartmut Rosa lehrt Soziologie an der Universität Jena. Sein neues Buch trägt den Titel „Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung“ und ist im Januar 2016 im Verlag Suhrkamp erschienen.

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Philipp Hübel weist auf die Tücken der Selbstbeobachtung hin

Menschen schmecken hauptsächlich mit ihrer Nase. Der Geruchssinn gehört evolutionär zu den ältesten Sinnesorganen. Die Verarbeitung olfaktorischer Reize ist dabei zehnmal langsamer als bei visuellen. Philipp Hübl erklärt: „Gut möglich, dass der Geschmack deshalb so leicht von unserem dominanten Sinn, dem Sehen, überschrieben wird.“ Für die Selbstbeobachtung sind das schlechte Nachrichten. Ein Mensch kann seinen primären Eindrücken nicht trauen, weil sie sofort von anderen Sinnen und seinem Vorwissen überlagert, verzerrt und ersetzt wird. Es kann deshalb gut sein dass man das reine Schmecken, genauer das Riechen, niemals von den umgebenden Eindrücken, Gedanken und Erinnerungen trennen kann. Die vielen Täuschungen zeigen allerdings nicht, dass man überhaupt keine Geschmacksunterschiede wahrnehmen kann. Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Soft skills spielen in allen Brachen eine immer größere Rolle

Das richtige Management der Gefühle hat, dank des Einsatzes von Arbeitspsychologen, in nahezu jeder Branche Einzug gehalten. Ulrich Schnabel erklärt: „Allerorten sind „soft skills“ gefragt, kommunikative Fähigkeiten, einfühlsames Denken und Begeisterungsvermögen, nicht nur gegenüber Kunden, sondern auch innerhalb eines Unternehmens.“ Insbesondere in den Vorstandsetagen pflegt man einen modernen emotionalen Stil. Mitarbeiter werden heute nicht mehr angebrüllt, sondern motiviert; die polternden Chefs von einst, die ihr Unternehmen mit harter Hand und lautstarker Autorität führten, gehören zunehmend der Vergangenheit an. Die modernen Manager haben gelernt, mit Empathie zu führen. Sie sagen öfters „wir“ als „ich“ und verstehen sich nicht mehr nur als Antreiber. Viele verstehen sich als oberster „Ermöglicher“, der fürsorglich dafür zuständig ist, dass andere ihren Job erledigen können. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Der größte Genuss des Lebens liegt im Denken

Viele Menschen vergessen oft die einzigartigen Freuden, die einem am Ende des Lebens noch offenstehen, und eine davon ist ganz sicher das stille, gelassene Denken. Daniel Klein hatte immer große Freude an der Art, wie Bertrand Russell (1872 – 1970) die Dinge darstellt: „Es klingt oft nach einer Mischung aus britischer Elite-Uni und der Redeweise einfacher Leute.“ Bertrand Russell ordnet sich mit seinen Statements in eine lange Reihe von Philosophen ein, die glauben, dass einer der größten Genüsse des Lebens im Denken liegt. Als John Stuart Mill, der Sozialphilosoph des 19. Jahrhunderts, das Prinzip des größten Glücks zum Grundbaustein des Utilitarismus machte, unterstrich er, dass die rein animalischen Vergnügungen seinen Anforderungen nicht gerecht werden. Daniel Klein, Jahrgang 1939, studierte Philosophie in Harvard. Zusammen mit Thomas Cathcart schrieb er „Platon und Schnabeltier gehen in eine Bar“, das in 26 Sprachen übersetzt wurde.

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Die Freiheit von Naturzwängen ist heute weniger denn je gegeben

Zwei Dinge erwartete einer der Pioniere der neuzeitlichen Philosophie, René Descartes, von der von ihm mitbegründeten Naturforschung, und beide Dinge sind für die Freiheit relevant: ein müheloses Genießen der Früchte der Erde und eine Befreiung von unendlich vielen Krankheiten, sowohl des Körpers als auch der Seele. Otfried Höffe ergänzt: „Auch heute, bald 400 Jahre später, zeichnet sich selbst im wohlhabenden Westen weder ein müheloses Genießen noch eine Befreiung von unendliche vielen Krankheiten ab.“ Trotzdem kann man die glänzenden Erfolge einer noch immer wachsenden Naturforschung schwerlich bestreiten, weder für den Bereich der Arbeitserleichterung durch die Kunst der Ingenieure samt den neuen Informationstechniken noch für den Bereich von Gesundheit und verlängerter Lebenserwartung mit Hilfe von Medizin, Medizintechnik und Pharmazie. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Negative Emotionen überwältigen das Denken

Zu den Pionieren der kognitiven Verhaltenstherapie zählt Aaron Beck, der seit den Siebzigerjahren maßgeblich an ihrer Entwicklung beteiligt war. Er vertritt die Auffassung, dass schwer depressive Menschen eine unrealistische, übermäßig negative Sicht auf die Welt, auf ihr eigenes Selbst und die Zukunft haben. Aaron Beck definierte die Depression als eine generalisierte negative Denkweise, vergleichbar mit einer dunklen Brille, die alles in Düsternis taucht. Was Walter Mischel immer wieder erstaunt, auch wenn er es schon oft gesehen hat, ist die Kraft, mit der starke negative Emotionen das kühle Denken überwältigen können. Sie können Konsequenzen haben, die nicht nur die aktuellen Erfahrungen, sondern auch die Zukunftserwartungen und die Selbstbeurteilung verzerren. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

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Nach innen schauend sah Augustinus eine unermessliche Welt

Mit Ende zwanzig hatte Augustinus das Gefühl, von sich selbst entfremdet zu sein. Er führte ein beschwerliches Leben, und es verschaffte ihm nicht jene tiefere Sättigung, die er sich wünschte. Er hatte Begierden, deren Befriedigung ihn nicht glücklich machte, und dennoch folgte er weiterhin seinen Lüsten. Augustinus reagierte auf diese Lebenskrise, indem er seinen Blick nach innen richtete. Eigentlich sollte man meinen, dass jemand, der über seine Ichbezogenheit entsetzt ist, nach Selbstvergessenheit strebt. David Brooks fügt hinzu: „Sei Rat wäre: Sieh von dir selbst ab und wende deine Aufmerksamkeit anderen zu.“ Aber Augustinus unternahm zunächst eine beinahe wissenschaftliche Entdeckungsreise in sein Inneres. David Brooks arbeitet als Kommentator und Kolumnist bei der New York Times. Sein Buch „Das soziale Tier“ (2012) wurde ein internationaler Bestseller.

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Ohne Selbststeuerung lässt sich im Leben nichts erreichen

Joachim Bauer vertritt in seinem neuen Buch „Selbststeuerung“ die These, dass sich durch Selbststeuerung im Leben vieles erreichen lässt, ohne sie nichts. Allen Menschen ist die Fähigkeit angeboren, Selbststeuerung zu erlernen. Sie sorgt für eine ausgeglichene Balance zwischen der unmittelbaren Befriedigung von Bedürfnissen und dem Erreichen längerfristiger, höherstufiger Ziele. Die Selbststeuerung kann sogar niedergeschlagenen Menschen einen Weg aus Stress, innerer Leere und dem Gefühl der Sinnlosigkeit weisen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer, der an der Universität Freiburg lehrt, beschreibt Selbststeuerung als Funktionen des menschlichen Stirnhirns. Die Philosophie nennt sie schlicht den freien Willen. Der tiefere Sinn der Selbststeuerung liegt darin, sein ganz eigenes, wahres Leben zu leben und zu sich selbst, zu seiner ureigenen Identität zu finden. Zum Selbst gehört es, einen Plan zu haben und auf dieser Basis etwas besonders Beglückendes zu tun, nämlich für sich eine eigene, ganz individuelle Zukunft zu entwerfen.

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